Reifenbranche zunehmend unter Druck

Hohe Energiepreise sorgen nicht nur für steigende Herstellungskosten, sondern auch für einen Preisanstieg beim Transport. Die Reifenbranche steht damit wie andere Industriezweige vor völlig neuen Herausforderungen.

Ukraine-Konflikt: Reifenbranche zunehmend unter Druck

Erste Kautschukunternehmen in Italien und Frankreich haben bereits die Produktion kurzerhand eingestellt – die rasanten Steigerungen der Produktionskosten können am Markt nicht weitergegeben werden.

Wie die gesamte deutsche Industrie leidet auch die Reifenbranche extrem unter dem Krieg zwischen Russland und Ukraine. Das hat zwei Gründe:

  • Rohstoffe aus Ukraine und Russland kommen nur noch sehr eingeschränkt zu den Herstellern.
  • Die sprunghaft gestiegenen Energiepreise verteuern die Produktion extrem.

Auch die Unternehmen der Kautschukindustrie, also die Hersteller von Produkten aus Gummi, darunter auch Reifen, Schläuche und Dichtungen, stehen vor großen Herausforderungen. „Ruß ist für unsere Produktion ein unverzichtbarer Stoff und kommt bisher zu über einem Drittel aus Russland“, erläutert Boris Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes der deutschen Kautschukindustrie (wdk) in Frankfurt am Main. Rund drei Kilogramm Industrieruß, auch Carbon Black genannt, stecken laut Fraunhofer-Institut für Bauphysik in einem Pkw-Reifen.

„Russische Lieferungen fallen aus und die europäischen Kapazitäten reichen nicht aus, den Bedarf zu decken. Die europäischen Ruß-Produktionen werden darüber hinaus wesentlich mit russischem Gas gespeist, sodass sich eine doppelte Gefährdungslage ergibt.“

Der Einkauf von Ruß und anderen wegfallenden Roh- und Hilfsstoffen außerhalb Europas scheitere an der Kurzfristigkeit, vor allem aber an parallel wegfallenden Transportkapazitäten und zusätzlich massiv steigenden Frachtraten. Hinzu kämen die explodierenden Energiepreise. Die rasanten Steigerungen der Produktionskosten könnten am Markt nicht mehr weitergegeben werden. In Italien und Frankreich hätten erste Kautschukunternehmen ihre Produktion daher kurzerhand eingestellt. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland Unternehmen die Reißleine ziehen müssten, so Engelhardt. Neben Reifen benötigt die Fahrzeugindustrie weitere Produkte aus Gummi, die von der Krise betroffen sind, zum Beispiel Kabel.

„Ich bin seit 1996 in diesem Geschäft und habe noch nie einen so starken Anstieg der Material-, Logistik- und Energiekosten zur gleichen Zeit erlebt“, sagte Paolo Pompei, Präsident des Herstellers Trelleborg Wheels Systems in einem Interview mit der Neuen Reifenzeitung. In einigen Fällen seien die Preise bis zu achtmal höher als früher.

Der Hersteller Bridgestone hat die Produktionsaktivitäten in Russland bis auf Weiteres ausgesetzt. Das Unternehmen hat außerdem alle Investitionen eingefroren sowie die Exporte nach Russland eingestellt. Darüber hinaus geht Bridgestone davon aus, dass die Produktionsleistung außerhalb Russlands in den kommenden Wochen stabil bleiben wird.

„Der nach den Folgen der Pandemie zuletzt anhaltende Aufschwung des Reifenmarktes wird durch große politische und wirtschaftliche Unsicherheiten belastet. Die langfristigen Auswirkungen sind im Detail derzeit nur bedingt einschätzbar“, teilt das Unternehmen auf eilbote-Anfrage mit.

Auch Handel betroffen

Nicht nur die Reifenhersteller, auch der Handel ist davon betroffen. „Wir erleben aktuell einen extrem nervösen und volatilen Markt, wie wir ihn vorher noch nie hatten“, erklärt Henrik Schmudde, Marketingleiter der Bohnenkamp AG aus Osnabrück. Die hohen Energie- und Rohstoffkosten führen zu ständigen Preisanpassungen. Das gab es zwar auch schon in der Corona-Pandemie. „Aber die Lage jetzt hat sich seit dem Einmarsch von Russland in die Ukraine noch einmal verschärft“, sagt er.

Neben der angespannten Situation bei den Reifen sind auch Felgen betroffen. „Hier erleben wir aktuell von vielen Herstellern Preisankündigungen mit Steigerungen im zweistelligen Prozentbereich. Das macht es für uns und den Handel schwierig, Preise mittelfristig zu kalkulieren.“

Dazu nennt Schmudde Probleme bei der Logistik. Denn bei den Spediteuren haben viele Fahrer aus Russland oder der Ukraine gearbeitet, die jetzt fehlen. Zudem haben sich wegen der gestiegenen Dieselpreise die Transportkosten erheblich verteuert. Das alles hat dazu geführt, dass Bohnenkamp gezwungen war, ab April einen zusätzlichen Lieferaufschlag zu berechnen. „Dieser zusätzliche Diesel- und Ressourcenaufschlag orientiert sich an den Entwicklungen der Dieselpreise und wird von uns monatlich angepasst – hoffentlich bald wieder nach unten“, betont Schmudde.

Komplette Lieferausfälle sieht er im Moment noch nicht. Der Großhandel ist weiterhin in der Lage, eventuelle Engpässe durch alternative Lagerartikel zu ersetzen. „Die Lage hängt aber maßgeblich davon ab, wie lange die Krise in der Ukraine noch dauert.“ Noch produzieren alle wichtigen Hersteller. Sollten aber einzelne Produzenten wegen der Gaskrise ihre Produktion doch stilllegen müssen, wird die Situation nicht einfacher“, kommentiert Schmudde den Blick in die Zukunft.

Neubewertung von Alternativen

Lieferengpässe, Rohstoffmangel und Preiserhöhungen sorgen dafür, dass nicht alle Reifendimensionen zeitnah als Neureifen lieferbar sind. Zur Abhilfe bietet das Günzburger Unternehmen Rigdon die Runderneuerung von Flotation-Reifen. Hierzu schickt der Kunde eine Karkasse ein und erhält circa zwei Wochen später den runderneuerten Reifen zurück. Denn die Lauffläche macht nur 20 Prozent des Reifens aus, 80 Prozent die Karkasse. Rigdon erneuert über 45.000 Reifen pro Jahr, hauptsächlich aus dem Nutzfahrzeugbereich. Die Kosten liegen bei etwa der Hälfte des Neupreises. „Zudem sind gegenüber einem neu produzierten Pneu 70 Prozent weniger Rohöl und 80 Prozent weniger Wasser nötig“, erläutert Caner Sönmez, Vertriebsleiter bei Rigdon.

Ukraine-Konflikt: Reifenbranche zunehmend unter Druck

Das Material Carbon Black – oder auch Industrieruß – ist prädestiniert für eine Rückgewinnung.

Neue Alternativverfahren, die bereits früher entwickelt wurden, könnten jetzt verstärkt zum Einsatz kommen. So hat zum Beispiel das Fraunhofer IBP ein Verfahren entwickelt, um Ruß (Carbon Black) aus Altreifen zu recyceln, das sich zur Herstellung neuer Reifen einsetzen lässt. Trelleborg will die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduzieren und nicht nur Biomassekessel zum Heizen der Produktionsstätten nutzen, sondern auch zur Produktion Biomaterialien aus nachhaltigen Quellen verwenden wie Cashewnussöl oder Kokosnussschalenpulver.

Michelin dagegen hatte schon 2019 angekündigt, Reifen künftig möglichst umweltschonend herzustellen. In dem ersten Prototyp einer Produktionsstätte will der Hersteller aus pflanzlicher Biomasse zunächst Ethanol und anschließend Butadien produzieren. Die Verwendung von Butadien aus Bioethanol für die Herstellung von synthetischem Kautschuk erlaubt laut Michelin eine deutlich umweltschonendere Reifenherstellung als die bislang gängige Praxis: Das derzeit noch auf Erdölbasis hergestellte Butadien ist eine gefragte Verbindung für zahlreiche industrielle Einsatzzwecke. Der jährliche Bedarf beträgt über zwölf Millionen Tonnen, rund 40 Prozent werden für die Reifenherstellung verwendet.


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