Schwarzmeerregion: Das Buch „Kornkammer der Welt“ dürfte ein paar Jahre geschlossen bleiben

Der eilbote holte Stimmen aus der Landtechnikbranche zu den Kriegshandlungen der russischen Armee in der Ukraine ein – Russland von Sanktionen betroffen – Infrastruktur der Ukraine teilweise zerstört.

Krieg in der Ukraine: Schwarzmeerregion: Das Buch „Kornkammer der Welt“ dürfte ein paar Jahre geschlossen bleiben

Für viele deutsche Hersteller ist die ukrainische Landwirtschaft ein bedeutender Kunde.

Der gesamte Landtechnik-Export aus Deutschland in die GUS betrug laut Angaben des VDMA Landtechnik im Jahr 2021 rund 1,2 Milliarden Euro. Cirka 50 Prozent davon entfallen auf Russland. In die Ukraine wurde Landtechnik von cirka 300 Millionen Euro geliefert. Eine Reihe deutscher Unternehmen wie zum Beispiel Claas und Amazone produziert in Russland selbst. Dies in einer Größenordnung von rund 500 Millionen Euro.

„Die wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen des russischen Einmarsches in die Ukraine sind derzeit nicht absehbar. Der Umfang der Wirtschaftssanktionen bleibt abzuwarten, die Betroffenheit und Auswirkungen auf die Landtechnik können erst dann abgeschätzt werden“, so der VDMA-Landtechnik Geschäftsführer, Dr. Bernd Scherer, auf Anfrage des eilboten.

„Wir sind sehr besorgt wegen der aktuellen Zuspitzung. Die Lage unserer rund 40 Mitarbeitenden in der Ukraine steht für uns seit Tagen im Mittelpunkt. Wir sind dazu im ständigen Kontakt mit unserer Vertriebsgesellschaft in Kiew. Vor dort wird regelmäßig mit den Mitarbeitenden im Land kommuniziert. Zur weiteren Entwicklung und möglichen wirtschaftlichen Auswirkung spekulieren wir nicht, da momentan nur theoretische Überlegungen angestellt werden können“, heißt es seitens Claas. Das Unternehmen ist im russischen Krasnodar mit einem eigenen Werk für die Mähdrescher- und Großtraktorenmontage vertreten. Der Marktanteil von Claas Mähdreschern in Russland wird von Marktkennern mit 15 Prozent angegeben.

„Die Ukraine und Russland sind für die Landtechnik-Hersteller aus Deutschland wichtige Märkte. Die Landwirtschaft spielt dort eine große Rolle. Bei Amazone geht man davon aus, dass die Exportaktivitäten sowohl in Richtung Ukraine als auch nach Russland vom aktuellen Konflikt betroffen sein werden. Es kommt darauf an, wie die Sanktionen tatsächlich ausfallen. Eine verlässliche Aussage zur Entwicklung in der Ukraine ist aktuell von uns nicht möglich. Wir beobachten die Entwicklung mit großer Sorge. Unsere Gedanken sind bei den Menschen, unseren Mitarbeitenden und Partnern in den betroffenen Gebieten“, heißt es bei Amazone. Für Amazone ist der russische Markt umsatzstärker als der deutsche.

„Russland ist einer der Top 5 Exportmärkte für Grimme. Gerade in diesem Jahr haben wir sehr gute Verkäufe erzielen können. Die Ukraine wird von einem Schwerpunkthändler in Kiew aus betreut, die Umsätze liegen aber deutlich unter den russischen. Zur Zeit haben wir faktisch noch keine Auswirkungen, aber alles ist sehr frisch und absolut nicht absehbar, was jetzt kurz- oder mittelfristig passieren wird. Das alles so bleibt, wie wir es kennen, ist wohl unwahrscheinlich. Wir durchdenken natürlich alle möglichen Szenarien, um bestmöglich die Situation zu meistern und unseren Kunden beizustehen, soweit das irgendwie machbar ist“ , teilt der Kartoffeltechnikspezialist Grimme mit.

Ukraine wird als landwirtschaftlicher Produzent ausfallen

In der Ukraine gibt es praktisch keine Montage deutscher Landtechnik, der Markt war die vergangenen Jahre aber sehr attraktiv. Horsch zum Beispiel verkauft dort deutlich mehr als in Russland. CNH ist in der Ukraine Importmarktführer bei Großtechnik, mit Abstand gefolgt von Agco, John Deere und Claas.

Die Ukraine kannte keine Importbeschränkungen, es war ein freier ungestörter Markt, berichtet Osteuropa-Kenner Stefan Kresse, Managing Director der internationalen Messegesellschaft IFWexpo Heidelberg GmbH.

„Die Ukraine fällt als landwirtschaftlicher Produzent und Markt in 2022 ganz oder teilweise aus. Insbesondere, wenn die Kämpfe sich hinziehen. Wintersaat ist bereits im Boden, aber die Bestellung der Sommerkulturen fällt wahrscheinlich teilweise aus. Landtechnik wird im großen Stil bei Kampfhandlungen genutzt, ebenso Bautechnik – Lkw, Anhänger, Teleskop- lader etc. und fehlen so der Landwirtschaft“, berichtet Kresse. „Ich sehe nicht, wer in den nächsten Monaten in der Ukraine in großem Stil Landtechnik kauft, die Exporthäfen sind zu, die Exportinfrastruktur wird mindestens teilweise zerstört, Vertragspartner fallen aus.“

Auch der deutsche Landtechnikexport nach Russland werde je nach Umfang der Sanktionen bis auf Null sinken oder, analog zum Iran, lediglich in geringem Umfang über Dritte wie China laufen können. Russland werde Schwierigkeiten haben, sein Getreide zu den Kunden in Arabien, Afrika und Asien zu transportieren, weil das SWIFT und Transaktionen von US-Dollar und Euro erfordere, die blockiert werden. Russland dürfe lediglich „für kleines Geld und große Transportkosten nach China exportieren“, so Kresse.


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