Krieg in der Ukraine: Unsicherheit kostet Geld

25 Prozent der weltweiten Exporte von Weizen und Mais kommen aus der Region Russland und Ukraine – Marktanalyst Dr. Uwe Scheper schildert mögliche Konsequenzen der kriegerischen Handlungen

Agrarmärkte: Krieg in der Ukraine: Unsicherheit kostet Geld

Die Ukraine ist einer der weltgrößten Getreideexporteure. Wie geht es weiter mit dem wichtigen Exporthafen Odessa?

Zu Redaktionsschluss rollen russische Panzer auf das ukrainische Staatsgebiet. In Sondersendungen berichten Journalisten über den vermeintlichen Stand der Dinge und hangeln sich mit mehr oder minder geprüften Meldungen durch den Tag. Unsicherheit herrscht auch auf den Agrarmärkten. „Sicher“ ist im Grunde kaum etwas, „sicher“ scheint nur zu sein, dass wir unsere unternehmerischen Entscheidungen in nächster Zeit im Rahmen einer noch unklareren Datenlage fällen müssen.

Getreidepreise

Unsicherheiten am Markt kosten zumeist Geld. Dies bekommen vor allem die Einkäufer von Getreide zu spüren. Russland und Ukraine sind wichtige Figuren im globalen Handel mit diesen Ackerfrüchten. So stammen etwa 25 Prozent der weltweiten Exporte von Weizen und Mais aus dieser Region. Folglich sind Importländer bestrebt, sich noch zügig mit Ware einzudecken und Vorräte anzulegen – dies verschärft die Situation auf den Märkten zusätzlich. Die Kurse sind bereits in den letzten Monaten gestiegen, was auch auf die knappe Versorgungslage mit Mineraldüngern zurückzuführen ist. Mineraldünger ist teurer und wird sich über steigende Energiekosten weiter verteuern. Steigende Preise für Getreide und Ölsaaten wirken sich direkt auf die Versorgung der Menschen aus.

Ernährung von Mensch ...

Für die Industrieländer wird zumeist nicht mit Lieferengpässen gerechnet, da die Versorgungslage gesichert ist beziehungsweise genügend Geld zur Verfügung steht, um sich auf den Weltmärkten mit Ware einzudecken. Problematischer werden die Auswirkungen für die Menschen in ärmeren Ländern sein. Momentan wird dieser Aspekt nur gelegentlich erwähnt, Politik sollte diese Gefahr aber auf der Agenda behalten, um keine bösen Überraschungen zu erleben.

… und Tier

Selbstredend werden Rinder- und Schweinehalter durch steigende Futtermittelkosten belastet. Es wird sich zeigen, ob die Landwirte in der Lage sein werden, diese gestiegenen Produktionskosten auf ihre Kunden abzuwälzen. Vermutlich wird dies – wenn überhaupt – nur zögerlich möglich sein. Gerade Schweinehalter könnten hier betroffen sein, die nach der Afrikanischen Schweinepest und Corona nun noch eine dritte Hürde nehmen müssen. Hier wird es im Gebälk krachen.

Energiekosten betreffen alle

Deutschland bekommt die starke Abhängigkeit zu Russlands Erdgasfeldern deutlich zu spüren. Der zügige Abgesang von Braunkohle und Atomkraft aus dem Energiemix sowie die Skepsis vor Gewinnungsmethoden wie dem Fracking rächt sich jetzt. Steigende Energiekosten bemerken Verbraucher nicht nur an der Tankstelle und auf der Heizkostenabrechnung. Steigende Energiekosten führen gerade bei Gütern, die energieintensiv hergestellt werden, zu höheren Preisen. Dies wird das verfügbare Budget von Familien verkleinern und zum Sparen zwingen – auch beim Einkauf von Nahrungsmitteln. Dies werden auch Landwirte zu spüren bekommen, nicht nur indirekt, sondern auch ganz direkt auf der Dieselrechnung sowie auf der Rechnung des örtlichen Stromversorgers.

Stimmung ist schlecht, aber ...

Derzeit ist noch vollkommen unklar, welche Ziele Putin mit dem Einmarsch in die Ukraine verfolgt. Wird er die gesamte Ukraine einnehmen und in sein Reich integrieren? Möchte er die Ukraine als neutralen Korridor zwischen Ost und West etablieren? Oder sinnt er bereits nach den baltischen Republiken? Nichts ist zu Redaktionsschluss ausgeschlossen. Wir müssen abwarten. Ein Händler von der New Yorker Börse meinte gerade, dass Engpässe in der Versorgung mit Soja und Getreide für Farmer ein klares Signal sein werden, ihre Anbauplanung zu überdenken und zügig mehr Ölsaaten und Getreide anzubauen. Überdenken werden Industriestaaten auch die Beschaffung von Energie. Es wird zu überdenken sein, ob man vom Übergang der bisherigen Energieträger zu neuen und regenerativen Energieformen sich doch ein wenig länger auf die traditionellen Kraftwerke verlässt. Zusätzliche Anbieter könnten angesprochen werden, vielleicht erhalten auch weniger hoch angesehene Produktionsmethoden wie das Fracking zumindest vorübergehend eine Chance als Brückentechnologie.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Lage schnell, umfassend und zuverlässig darstellen und hoffentlich auch beenden lässt. Je länger die Krise andauert, umso kräftiger werden Produktion und Lieferketten durcheinandergewirbelt. Seit Corona wissen wir, welchen Wert zuverlässige Lieferketten für unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand haben. In Gedanken sind wir in dieser Phase aber vor allem bei der ukrainischen Bevölkerung!

Struktur der Landwirtschaft – Große Exportnation für Getreide

Die Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie sind die wichtigsten Wirtschaftszweige in der Ukraine. Der Export von Agrargütern steht für einen Großteil der Exporte.

Die Landwirtschaft spielt eine sehr wichtige Rolle für die ukrainische Wirtschaft. Im Jahr 2020 hatte der Sektor einen Anteil von 9,3 Prozent an der Entstehung des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Noch wesentlich höher ist der Anteil der Agrarwirtschaft an den Exporten. Im Jahr 2020 standen die SITC-Positionen 0 (Nahrungsmittel/lebende Tiere), 22 (Ölsaaten) und 4 (Tierische/pflanzliche Öle) für 43,6 Prozent der gesamten Warenausfuhr der Ukraine. In den vergangenen Jahren ist dieser Anteil kontinuierlich gestiegen (2013: 25,7 Prozent). Gründe hierfür liegen nicht nur an Erfolgen der Landwirtschaft, sondern auch strukturellen Veränderungen in der ukrainischen Wirtschaft seit dem Ausbruch des Konflikts mit Russland.

Ohne die Krim leben 41,6 Mio. Menschen in der Ukraine. Die Ackerfläche beträgt 32,8 Mio. Hektar.

Auf die Pflanzenproduktion entfällt rund drei Viertel des gesamten Agrarausstoßes. Die wichtigsten Feldfrüchte sind Getreide (Weizen, Mais, Gerste) und Ölsaaten (Sonnenblumen, Soja, Raps). Bei Sonnenblumenöl ist die Ukraine der weltweit größte Produzent. Bei vielen weiteren Produkten zählt das Land global zu den führenden Erzeugern und Exporteuren. Die Anbaufläche für Winterweizen betrug 2019 6,7 Mio. Hektar, für Mais 5,0 Mio. Hektar. Der Anbau von Ölsaaten und Mais wurde in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet, vor allem auf Kosten von Futterpflanzen.

Laut Angaben des Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs (APD) werden in der Ukraine rund 12 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche von individuellen Hauswirtschaften bewirtschaftet. Sie produzieren einen wichtigen Teil der Agrarproduktion, darunter vor allem Kartoffeln, Fleisch, Milch, Gemüse und Obst. Weit verbreitet ist dabei Substistenzwirtschaft.

Rund 70 Prozent der Flächen entfallen auf etwa 45.000 landwirtschaftliche Betriebe, die ihr Land überwiegend von privaten Landeigentümern, aber auch vom Staat pachten. Teil dieser Betriebe sind große, auf den Weltmarkt ausgerichtete Agrarholdings, deren Schwerpunkt auf dem Anbau von Getreide und Ölsaaten sowie der Geflügelzucht liegt. Mit einer bewirtschafteten Fläche von knapp 6 Millionen Hektar stehen sie für rund 22 Prozent der Agrarproduktion der Ukraine. Laut Angaben des Portals Latifundist bewirtschaften die zehn größten dieser meist vertikal integrierten Konzerne Flächen von 120.000 bis über 500.000 Hektar.

Quelle: Fabian Nemitz für Germany Trade & Invest (GTAI) die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing.


Weitere Artikel zum Thema

weitere aktuelle Meldungen lesen