Sollte je ein Raumschiff im Mittleren Westen der USA landen, dann kämen die Außerirdischen vermutlich zu dem Schluss, dass es auf dem Planeten Erde genau zwei Pflanzen gibt: Mais und Soja. 56 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in den USA ist damit bepflanzt. Die Monokulturen sind das Ergebnis der von der mächtigen Lobby der Agrarchemie- und Landmaschinenfirmen geprägten Agrarpolitik: Was könnte besser für die Umsätze sein, als wenn auf riesigen Flächen mit gigantischen Maschinen nur gentechnisch veränderter Mais oder Sojabohnen angebaut und genau die von der Industrie vorgegebenen Dünger- und Pestizidmengen ausgebracht werden? Allerdings stellte sich schnell die Frage: Wohin mit den Mais- und Sojamengen, die nicht in Mastanlagen verfüttert oder exportiert werden können? Die Lösung hieß Biosprit. 2005 verabschiedete der US-Kongress den Renewable Fuel Standard, RFS, ein Gesetz zur Produktion und Beimischung von „Biosprit“. Von 2006 bis 2022 wurde eine zügige Steigerung von 15 Milliarden Litern auf 121 Milliarden Liter festgelegt. Nicht nur in den USA war die Ölindustrie entsetzt, sogar bei der Vereinigung Erdöl exportierender Länder OPEC sorgte man sich um eine sinkende Nachfrage, die zu niedrigeren Ölpreisen führen würde.
Ölindustrie gegen Agrarlobby
Zuständig für die Umsetzung der RFS Zielvorgaben ist die US Umweltbehörde EPA. Die meisten Fahrzeugmotoren verkraften nur eine begrenzte Beimischung von Biosprit. Damit den Kunden tatsächlich E10, Benzin mit zehn Prozent Biospritanteil, an der Zapfsäule zur Verfügung steht, müssen die Raffinerien bestimmte Mischquoten erfüllen. Kleinere Raffinerien können Ausnahmegenehmigungen beantragen, um die es in den letzten Jahren immer wieder heftigen Streit und gerichtliche Auseinandersetzungen gegeben hat. Während die Mineralölindustrie versucht, die Biospritmengen möglichst zu begrenzen, kämpft die Agrarlobby seit Jahren um E15 mit einem Biospritanteil von 15 Prozent. Die Ölindustrie argumentiert nicht nur, dass E15 für Kraftfahrzeugmotoren weniger geeignet sei und die Fahrleistung pro Liter mindere, sondern eine höhere Beimischung führe auch zu einer höheren Verdunstung des Kraftstoffs, im Sommer komme es daher zu vermehrter Smogbildung. E15 war deshalb zunächst nur in den Wintermonaten verfügbar, doch 2019 erstritten Agrarlobbyisten, dass der Kraftstoff ganzjährig angeboten werden darf. Die Biospritverbände argumentieren, unterstützt von den Gouverneuren in den ‚Maisgürtel Staaten‘ im Mittleren Westen, dass es nicht um die Nachfrage gehe, sondern der Gesetzgeber habe vorgegeben, dass Biokraftstoff landesweit verfügbar sein müsse.
Wie umweltfreundlich ist Biosprit wirklich?
Das RFS Biospritgesetz hat die Landwirtschaft im Mittleren Westen massiv verändert. Nach Angaben der US Regierung wurden 2021 auf 37 Millionen Hektar Land Mais angebaut, wovon 40 Prozent für die Ethanolherstellung genutzt werden. Inzwischen gibt es mehr als 200 Anlagen für die Produktion von Ethanol, fast alle sind im US ‚Mais-Gürtel‘, allein in Iowa gibt es 42 Anlagen. (Sojabohnen werden weiterhin vorwiegend als Viehfutter angebaut, lediglich fünf Prozent der Ernte werden zu Biodiesel verarbeitet.)
Eine Klausel im RFS Biospritgesetz legt als Voraussetzung für die Beimischung fest, dass die Biospritemissionen mindestens 20 Prozent unter denen von Kraftstoffen auf Mineralölbasis liegen müssen. Laut einer Analyse der US Umweltbehörde von 2010 liegen die Emissionen von Maisethanol um 20 – 21 Prozent niedriger als die von Benzin.
Allerdings gab es bereits zu diesem Zeitpunkt global große Zweifel an der Umweltfreundlichkeit von Biokraftstoff: 168 internationale Wissenschaftler haben schon 2011 in einem gemeinsamen Schreiben an die EU vor dem sogenannten „Biosprit“ gewarnt. „Biosprit als klimaneutral zu behandeln, wird ganz klar nicht von der Wissenschaft unterstützt“, so die Forscher, heißt es in einer Studie der Bodenwissenschaftlerin Andrea Beste.
Biosprit verursacht mehr Emissionen als Benzin
Jetzt zieht eine gerade über die Akademie der Wissenschaften in den USA veröffentlichte, interdisziplinäre Studie unter Federführung der Universität Wisconsin eine für die Mais- anbauer und den gesamten Mittleren Westen verheerende Bilanz: Biosprit verursacht mindestens 24 Prozent mehr Emissionen als Benzin. Grund dafür ist die veränderte Landnutzung.
Der RFS ließ die Preise für Mais in die Höhe schießen, die Landwirte reagierten und pflügten Ausgleichsflächen und Dauergrünland um. Zwischen 2008 und 2016 bauten sie auf zusätzlichen 2,8 Millionen Hektar Land Mais an. „Die EPA nahm zunächst an, dass Änderungen der Landnutzung in den USA Kohlenstoffe sequestrieren und so den CO2-Fußabdruck von Ethanol senken würden. In der Rückschau stellen wir fest, dass das Gegenteil passierte“, sagte Tyler Lark, einer der Autoren der Studie.
Die Autoren hätten ein völlig fiktives, irreführendes Bild gezeichnet, sagte Geoff Cooper, der Präsident der Renewable Fuels Association. Argumente für seine Behauptung lieferte er nicht.
Wendepunkt
Die Veröffentlichung kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt: die Regierung muss in diesem Jahr die Zielvorgaben für die Beimischung von Biokraftstoff ab 2023 festsetzen. Und nach dieser jüngsten Studie lassen sich die von Präsident Biden gesetzten Klimaziele wohl kaum mit einer Beibehaltung oder gar Erhöhung der Biospritmengen vereinbaren. Aber wohin mit dem Mais, wenn er nicht für die Ethanolgewinnung gebraucht wird? Selbst eine graduelle Verringerung des Bedarfs hätte dramatische Folgen für die Saatgut- und Agrarchemieindustrie, für Landmaschinenhersteller - und natürlich vor allem für die Farmer. Niemand weiß das besser als die beiden Senatoren des „Maisstaates“ Iowa. Am 10. März legten sie angesichts des Kriegs in der Ukraine einen Gesetzentwurf vor, demzufolge Ölimporte aus Russland sofort durch heimischen Biosprit zu ersetzen sind. Die gegenwärtigen Ethanolüberschüsse beliefen sich derzeit auf 83 Millionen Barrel, beinahe genug, um die 87 Millionen Barrel Öl aus Russland auszugleichen. Ein Schuft, der sich Böses dabei denkt.
Die Autorin
Marianne Landzettel ist Fachjournalistin, Schwerpunkte ihrer Berichterstattung sind Landwirtschaft und Agrarpolitik in Großbritannien, wo sie seit 1998 lebt, und den USA. Sie begann ihre journalistische Laufbahn beim Landfunk des SDR. Als SWR Korrespondentin für Großbritannien und Irland kam sie nach London. Es folgten zehn Jahre beim BBC World Service. Seit 2013 schreibt und bloggt sie für Medien in Deutschland, Großbritannien und den USA.
Twitter: @M_Landzettel