Beginnen sollten wir die Rundschau nach Osten dieses Mal aus gutem Grund vor der eigenen Haustür – nämlich bei den in diesen Wochen eingehenden Bilanzen der großen Agrartechnikhersteller. Ungeachtet der weltweiten Corona-Probleme fallen sie ganz überwiegend positiv aus. Zwar hat John Deere (nicht ohne eigene Schuld) im letzten Jahr ein paar Umsatzfedern lassen müssen, aber AGCO kommt mit satten 8 % Umsatzwachstum um die Ecke (Region EME sogar + 13 %!), und CNH Industrial erwartet in 2021 einen regelrechten Umsatzboost. Solide gearbeitet haben 2020 vor allem auch die in Deutschland produzierenden Landmaschinen- und Traktorenhersteller: Sie können laut VDMA auf eine Steigerung von fünf Prozent verweisen und haben damit einen neuen Umsatzrekord aufgestellt. Das klingt nach Sonne, Sonne, Sonne! Doch wo Licht ist, gähnt bekanntlich auch Schatten: Umsatzsteigerungen bei Landmaschinen in Westeuropa bedeuten steigenden Druck auf dem osteuropäischen Gebrauchtmaschinenmarkt, und das wiederum provoziert Reaktionen der dortigen Regierungen und Hersteller. Diese lassen im konkreten Fall nicht lange auf sich warten:
Förderung für sich selbst
Munter voran meldet die ukrainische Regierung ein Anwachsen der staatlichen Unterstützung der Landwirtschaft 2021 auf 4,7 Milliarden Griwna (ca. 141 Mio. Euro). Dabei steht die Unterstützung des Landtechnikkaufs aus einheimischen Werken an oberster Stelle, auf sie entfällt knapp ein Drittel der Mittel. Förderberechtigt sind mittlerweile 14.573 Maschinentypen aus 191 Werken. Soll also einer sagen, die ukrainische Landtechnikindustrie sei nicht aus ihrem Schlaf erwacht! Für ausländische Hersteller tut der ukrainische Staat hingegen eher wenig. Dennoch kaufen vor allem die großen Agrarholdings nach wie vor Maschinen aus dem Ausland. Allein die zyprisch-ukrainische Ristone Holding gab unlängst Technikkäufe in Höhe von 5 Mio. Dollar bekannt. Eine ähnliche Meldung hatte im Dezember die Kiewer A.G.R. Group abgesetzt, hier ging es um 2,3 Mio. Dollar, die in Landtechnik investiert worden sind. Nachdenklich stimmte mich beim Lesen dieser Meldungen nur, dass in beiden Fällen große amerikanische Marken als Lieferanten genannt wurden. Wo bleiben die Europäer?
Zuckerbrot und Peitsche
Erheblich bleibt auch die Förderung der Inlandstechnik in Russland. Die russische Landwirtschaftsbank (АО «Россельхозбанк») meldete unlängst, sie habe die finanzielle Unterstützung des Agrarsektors im vergangenen Jahr um 24 % auf 1,6 Trillionen Rubel gesteigert. Diese sagenhafte Summe von 1.600.000.000.000 Rubel oder 17,6 Milliarden Euro hat der russische Staat, dem die Bank zu 100 % gehört, in seine Agrarwirtschaft investiert. Zugegeben, etwa ein Drittel des Geldes floss und fließt jedes Jahr in die Umlaufkassen der Betriebe – kaum einer hat genug Geld, um das Saatgut und Saisonarbeiten zu bezahlen. Aber aufgehorcht: Der für den Kauf von Landtechnik bereitgestellte Fonds ist 2020 um 26 % gewachsen. 583 Mio. Euro sind hier allein an Bankmitteln aufgewendet worden. Auch dieses Geld stützt die einheimische Industrie und macht den Gebrauchtmaschinenhändlern aus dem Westen das Leben schwerer. Für uns interessant an dieser Meldung ist noch etwas anderes: Als wichtige und wachsende Zielgruppe sieht die russische Landwirtschaftsbank die Farmerbetriebe an. Nun ist das ein dehnbarer Begriff, und die Geschichte der „Farmer“ in Russland ist 30 Jahre alt und von viel Auf und Ab geprägt. Aber neben all den Megafarmen der einheimischen und zugereisten Oligarchen etabliert sich offenbar doch allmählich eine starke Gruppe unternehmerischer Bauern. Die schon seit 1990 arbeitende Assoziation der bäuerlichen Farmwirtschaften und Agrarkooperativen (AKKOR) beziffert ihren aktuellen Mitgliederstand auf 93.000 und verweist darauf, dass über 50 % der rund 55.000 Agrarorganisationen des Landes kleine Betriebe mit weniger als 15 Mitarbeitern sind. Zudem sind aus den 49.000 Einzelbetrieben des Jahres 1990 aktuell gut 200.000 geworden. Es ist nicht riskant, hier eine gewisse Konsolidierung zu vermuten, denn die Betriebe heute bewirtschaften mit 22 Mio. ha mehr Fläche als die 300.000 Betriebe im Jahr 2012 (17 Mio. ha). Wie dem auch sei, rund 10 % des russischen Agrarlandes wird damit inzwischen von echten Bauern bewirtschaftet, und in Bereichen wie Kartoffelbau (93 %), Gemüsebau (89 %), Milchproduktion (65 %) und Fleischproduktion (32 %) haben die Betriebe zumindest nach eigenen Angaben sehr erhebliche Anteile. Vielleicht sollte man diese Betriebe so ganz, ganz allmählich auch mehr in den Blick für Absatzperspektiven nehmen?
Recyclinggebühren werden erhöht
Weniger schön ist das, was verschiedene Quellen über die Entwicklung der russischen Importformalitäten berichten: Hier soll, zusätzlich zu den bestehenden, schon lähmenden Zollvorschriften, noch im ersten Quartal 2021 eine neue Regelung zu Recyclinggebühren greifen. Diese werden schon seit 2013 für Pkw und seit 2016 für Landtechnik erhoben und sind 2018 schon einmal erhöht worden. Nun sollen die für neue Landmaschinen, Straßenbautechnik, Stapler, Krane, Forstmaschinen, Anhänger und andere Fahrzeuge gleich beim Import fälligen Gebühren noch einmal um bis zu 60 Prozent erhöht werden. Für Technik, die älter als drei Jahre ist, sind 300 Prozent Gebührensteigerung im Gespräch. Wenn das wirklich kommt, wird man vor allem im Gebrauchtmaschinenhandel erst einmal wieder tief durchatmen müssen. Dabei ist diese Idee so neu nicht. Schon 2012 hatte Präsident Putin den Gedanken aufgebracht, den Herstellern importierter Autos doch bitteschön auch die Recyclingkosten für ihren im schönen Russland verbleibenden späteren Schrott anzulasten. Wer wollte ihm das verdenken? Offiziell ist das gelebter Umweltschutz. Dass dies ein Weg war, die durch den Beitritt Russlands zur WTO (deren Mitglied Moskau seit 2012 ist) fällig gewordenen Zollsenkungen zu kompensieren und einen neuen Weg des Protektionismus einzuführen, sahen auf den ersten Blick nicht alle. Allerdings ist die WTO offenbar bis heute gegen das vorgeschobene Umweltargument nicht angekommen, denn Zeugnisse über die Beendigung des Schlichtungsverfahrens fehlen bislang im wordwideweb. Nicht schön für den Welthandel, aber aus russischer Sicht nur zu verständlich: Es ist doch schön, ohne Staatsausgaben einheimische Hersteller zu fördern! Und diese wiederum haben Hilfe nötig. Mit der Abschaffung des staatlichen Förderprogramms 1432 ab 2023 (vgl. eilbote 23/2020) wird der Absatz einheimischer Technik deutlich schwieriger. Das gilt umso mehr für Platzhirsch Rostselmash in Rostow am stillen Don: Traditionelle Rostselmash-Kunden sind gerade Betriebe, denen das Geld nicht so locker in der Tasche sitzt. Denen künftig 25 % teurere Technik zu verkaufen, wird kein Spaß, konkurrieren diese Betriebe doch nicht nur mit den anderen Bauern am Weltmarkt, sondern vor allem mit ihren immer mächtiger werdenden Nachbarn: Der inoffizielle Strukturwandel, also die Zusammenfassung großer Landwirtschaftsbetriebe in noch größere Holdings, schreitet in Russland zügig voran. Dementsprechend verringert sich die Zahl möglicher Kunden, denn die Holdings bevorzugen oft den zentralisierten Einkauf von Technik und Betriebsmitteln. Das alles dürfte den russischen Markt in naher Zukunft nicht einfacher machen, erhöht aber andererseits die Chancen auf den Absatz größerer Partien. Wer es als Hersteller und Händler schafft, jetzt, auch in Corona-Zeiten, die Kontakte zu seinen Händlern und Kunden nicht abreißen zu lassen, der hat womöglich viel für seine eigene Zukunft getan.
Marktaufschwung durch Flächenhandel?
Ein kleines bisschen mehr Optimismus flößen die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine ein. Hier soll am 1. Juli dieses Jahres nach weit über 20 Jahren Abstinenz tatsächlich der landwirtschaftliche Bodenmarkt freigegeben werden. Der Novelle vom April 2020 nach sollen Privatleute ab Juli bis zu 100 Hektar Agrarland kaufen können. Ab 2024 werden, soweit absehbar, auch juristische Personen bis zu 10.000 Hektar erwerben können. Zwar bleibt der Verkauf von staatlichem Boden ausgeschlossen, und ob Verkäufe an Ausländer jemals zulässig werden, wird erst noch ein Referendum klären. Dennoch rechnen viele Experten damit, dass diese Änderung, falls sie wirklich kommt, zu einer Belebung der ukrainischen Agrarentwicklung führen wird. Das Verkaufsmoratorium betrifft bislang eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 41 Mio. ha; das sind 96 % der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche des Landes. Wenn darauf nun mehr Verantwortung, mehr Unternehmergeist und mehr Generationendenken einzieht, wäre das für die Agrarwirtschaft absehbar ein Gewinn. Auch für die Landtechnikbranche dürfte das positiv sein, denn die Nachfrage nach „vernünftiger“ Technik wird infolge der Bodenmarktreform anziehen, einfach weil die Leute nunmehr Kredite auch besichern können und damit der Zugang zum Kapitalmarkt auch für kleinere Landwirtschaftsbetriebe besser wird. Steigen die absetzbaren Stückzahlen, wird die Überlegung einer Fertigung von Technik vor Ort wieder interessanter - so manches in den 90ern und Nullerjahren angefangene Projekt hat inzwischen ja schwere Zeiten durch. Bei alledem bleibt allerdings die Unsicherheit der Gesamtlage weiter bestehen: Die Ukraine steht, machen wir uns nichts vor, weiterhin im Spannungsfeld zwischen den USA, Russland und den Querströmungen im eigenen Land. Das ist, wie die inzwischen fast 15.000 Toten im Donbass-Krieg beklagen, ein explosives Gemisch.
Weit weg, aber interessant
Abschließend ein Blick nach Kasachstan. Das Land ist für uns weit entfernt, aber nicht gerade arm, und es nimmt eine interessante Entwicklung. Die Getreide- und Rapsproduktion entwickelt sich gut, viele Betriebe sind auf die Beine gekommen, die Erträge sind vorzeigbar, es gibt staatliche Förderung. Jüngst hat Claas mit der Ankündigung einer lokalen Mähdrescherproduktion gemeinsam mit dem örtlichen Vertreter „ST Agro“ (die Tucanos sollen kommen!) im letzten Sommer Schlagzeilen gemacht. Die Ankündigung kam wie gerufen, denn erst im Juni des vergangenen Jahres hatte der Landwirtschaftsminister beklagt, dass das Land 2020 nur 139 Mähdrescher gebaut hat und die Hälfte aller Erntemaschinen älter als 17 Jahre ist. Und das, obwohl John Deere seit über 20 Jahren im Land Aufbauarbeit leistet und mit seinem lokalen Partner „Eurasia Group“ einen sehr professionellen Vertreter hat, der sich über moderne Digitalisierungslösungen und eine Schule des Agrarmanagements darum kümmert, dass die Kundenbetriebe mit dunkelgrüner Technik technologisch und finanziell rund laufen. Und wenn trotz der 12.000 von Eurasia in den letzten Jahren verkauften Neumaschinen noch so viel Alttechnik im Markt ist, dass der Minister jammert, dann weist das schon auf Potenziale hin. Kurz – der Blick Europas geht wahrscheinlich zunehmend weiter nach Osten als bis zum Moskva-Fluss. Und irgendwie gefällt mir auch der Umgang Kasachstans mit der Altmaschinenproblematik besser als der russische Ansatz: In einer Agenturmeldung Ende Dezember wurde berichtet, dass das „Programm zur Aufarbeitung von Altmaschinen“ wieder anläuft und allein seit November schon 120 Einheiten Alttechnik gegen Rabattcoupon aufgekauft und recycled worden sind. 2021 sollen in dem Programm über 2.000 Altmaschinen einer geordneten Wiederverwertung zugeführt werden. Aha, dachte ich mir da: Es geht auch ohne Recyclinggebühr an der Grenze!
Fazit
Die Verkaufserfolge der internationalen und vor allem westeuropäischen Landmaschinenhersteller bewirken weiteren Druck auf den Gebrauchtmaschinenmarkt Osteuropas. Dem Abverkauf guter Gebrauchter in Richtung Osten stehen administrative Hindernisse, aber auch eine erhebliche Direktförderung der einheimischen Maschinenbau-Industrien entgegen. Unternehmerisch ausgerichtete Agrarholdings kaufen dennoch weiterhin ganze Großmaschinenpartien am internationalen Neumaschinenmarkt. Die Agrarstrukturentwicklungen in Russland und der Ukraine versprechen jedoch auch für kleinere Gebrauchtmaschinen eine gewisse Marktbelebung. Das sollte man im Hinblick auf Marktstrategie und Verkaufspolitik der nächsten Jahre genau im Blick behalten.