Zwei der Fälle drehten sich um den Urlaubsanspruch bei Krankheit. Die Kläger waren der Auffassung, dass sie einen Anspruch auf bezahlten Urlaub für das Jahr haben, in dem sie aus gesundheitlichen Gründen erwerbsgemindert beziehungsweise arbeitsunfähig waren.
Bei Krankheit verfällt der Urlaubsanspruch nach deutschem Recht normalerweise nach 15 Monaten. Der EuGH urteilte hierzu jedoch: Der Urlaubsanspruch verfalle nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub zu nehmen.
Im dritten Fall argumentierte die Klägerin, sie habe ihren Urlaub aufgrund des hohen Arbeitsaufwands nicht nehmen können. Diese forderte eine Abgeltung der Urlaubstage. Ihr Arbeitgeber argumentierte, dass die Urlaubsansprüche nach der im Zivilrecht üblichen Frist von drei Jahren verjährt seien.
Auch hier führte der EuGH aus, dass eine Abgeltung der Urlaubstage wegen Verjährung nur dann ausscheidet, wenn der Arbeitgeber dafür gesorgt hat, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrnehmen konnte. Die mit der Verjährung bezweckte Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe dem Arbeitgeber nicht als Vorwand dienen, unter Berufung auf sein eigenes Versäumnis im Rahmen der Klage des Arbeitnehmers einen Vorteil zu ziehen, indem er sich auf die Verjährung der Ansprüche berief.
Das BAG verschärfte daraufhin seine Rechtsprechung mit folgenden Urteilen, bei denen es die Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers heraushob:
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20
Der Beklagte beschäftigte die Klägerin vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Beklagte an die Klägerin zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen. Der weitergehenden Forderung der Klägerin, Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren abzugelten, kam der Beklagte nicht nach.
Hieraufhin urteilte das BAG:
Der Beklagte hat die Klägerin nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche verfielen deshalb nicht gem. § 7 Absatz 3 Satz 1 BUrlG am Ende des Kalenderjahres oder nach § 7 Absatz 3 BUrlG nach einem zulässigen Übertragungszeitraum. Auch konnte der Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt. Vielmehr habe die Klägerin den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben.
Das BAG entschied dabei in Auslegung des §199 Absatz 1 BGB, dass die Verjährungsfrist mit Schluss des Jahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und seine Verfallsfristen belehrt und der Arbeitnehmer trotz Belehrung aus freien Stücken seinen Urlaub nicht genommen hat.
Da der Arbeitgeber es hier versäumt hatte, seine Angestellte über die Verjährung und den Verfall zu informieren, konnte der größte Teil des Urlaubs nicht verjähren, und die Klägerin konnte noch ihren Anspruch erheben. Der Klägerin wurden daher noch weitere 76 Tage Urlaubsanspruch zugesprochen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Dezember 2022, Az.9 AZR 245/19
Der beklagte Arbeitgeber hatte einen schwerbehinderten Frachtfahrer beschäftigt. Von Dezember 2014 bis mindestens August 2019 konnte der Frachtfahrer wegen voller Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen. In der Folge konnte er somit auch seinen Urlaub nicht nehmen. Der Frachtfahrer wollte mit seiner Klage den Resturlaub aus 2014 geltend machen.
In seiner Urteilsfindung hat das BAG die Rechtsprechung der angesprochenen 15-monatigen Frist weiterentwickelt. Der BGH unterschied dabei, ob der Arbeitnehmer durchgehend seit Beginn des Urlaubsjahres 2014 bereits komplett bis zum zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres 2016 aus gesundheitlichen Gründen gehindert war, seinen Urlaub anzutreten oder nicht.
Da der Arbeitnehmer jedoch in 2014 noch bis November 2014 seine Arbeit verrichtet hatte, blieb ihm sein Urlaubsanspruch erhalten.
Das BAG urteilte dabei, dass der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer im Urlaubsjahr über seinen Urlaubsanspruch und dessen Verfall hätte informieren müssen. Erst dann hätte die Frist zum Verfall des Urlaubs zu laufen begonnen.