Das Thünen-Institut hat berechnet, dass aufgrund des Klimawandels in den nächsten fünf Jahren eine Milliarde Bäume gepflanzt werden müssen, die EU spricht inzwischen sogar von drei Milliarden – nur um den Status quo der Wälder zu erhalten. Baumschulen und Pflanzgärten können aber nur einen Bruchteil davon liefern. Auf die stark gestiegene Nachfrage können diese zudem auch nicht einfach mit einer entsprechenden Skalierung reagieren, da dafür entsprechend größere Flächen und Mitarbeiter nötig wären. Die Frage ist also nicht nur, welche Baumarten klimaresilient genug sind, sondern auch, wie man diese überhaupt in ausreichender Menge qualitätssicher und logistisch klug produziert. „Wir wollen daher, dass der Forstbetrieb handwerklich wieder selbst verantwortlich sein kann, statt sich auf die Qualität eines Zulieferers verlassen zu müssen“, erklärt Ulrich Grauvogel vom Forstdienstleister Bison Forest. Durch eine lokale Produktion möchte man die bisher weitläufige Logistik aus Saatgutanbietern, Baumschulen und Forstbetrieben großteils entflechten und auf den jeweiligen Betrieb reduzieren.
Die Basis dafür stammt von seinem Kollegen und jetzigem Geschäftsführer Johannes Wagner: Der Forstwirt kombinierte vor einigen Jahren einen verrottbaren Topf für Waldpflanzen mit einem Schutznetz aus Biokunststoff wie etwa Holz-Zellulose oder auf Milchsäure-Basis. Der Samen kann darin in kontrollierter Umgebung keimen und kommt anschließend samt der vollständig abbaubaren Erfindung in den Boden. Der Prototyp fand aufgrund der guten Wurzelausbildung in der Branche viel Anklang, hatte bis zur massenproduzierbaren Version aber noch ein Stück Weg vor sich. Dieses zu beschreiten war für Wagner alleine jedoch sehr schwierig. Hilfe fand er bei Ulrich Grauvogel: Der selbständige Interimmanager ist Ingenieur für Fertigungstechnik mit Erfahrung in vielfältigen Projekten rund um den Globus. Als Waldbesitzer befasst er sich zudem seit langem auch mit der Forstwirtschaft.
Pflanzen im Franchise-System
„Für die Skalierung dachten wir aber um. Ansonsten wären wir auch nur eine weitere Baumschule geworden“, sagt Grauvogel. Per Franchise-System sollen Kunden eine automatisierte Aufzuchtstation bekommen, in der Forstpflanzen nah bei Bedarfsort und Saatgut aufwachsen. Dafür werden derzeit solaraktiv verglaste Container entwickelt, sprich die Fensterflächen erzeugen auch Strom. Als Partner dafür fungiert die auf entsprechende Fassadenverglasung spezialisierte Firma Grenzebach Envelon sowie Siemens mit seiner Automatisierungstechnik für Gewächshäuser. Letztere musste für die Forstpflanzen etwas angepasst werden, da hier die gesunde Wurzel das entscheidende Kriterium ist, im Gegensatz zum bisherigen Gemüsebau-Fokus, wo der Spross wichtiger ist.
Durch die Mobilität einer solchen Station kann man in heißen Zeiten dem Regen folgen, denn der Niederschlag wird gespeichert. Ebenso ist es möglich, nahe der künftigen Pflanzung zu stehen oder auf einen kurzen Weg zum eigenen Saatgut zu setzen. In einem Pilotprojekt macht sich das die Stadt Nürnberg zunutze: Die Roteichen in einem Freibad fungieren als Samenspender, genügend Platz für eine Station gibt es dort ebenfalls. Jährlich produziert diese etwa 60.000 Setzlinge für die eigenen Wälder. In dieser Dimension liegt auch die Rentabilität für eine eigene Station.
Pilotprojekte zeigen Erfolge
Natürlich können die Systeme künftig aber auch von den klassischen Baumschulen betrieben werden. Diese verfügen bereits über das notwendige Wissen, können oft aber nur schwer expandieren. Durch die unabhängigen Stationen, die sie direkt auf dem Gelände eines Kunden betreuen könnten, würde sich das auf einmal ändern. Zudem kann in den Containern ganzjährig aufgezogen werden, es gibt keine Saison. Eine Verzehnfachung der Setzlingskapazität soll laut Grauvogel so möglich sein. Im Jahr 2023 sind bereits vier Pilotanwendungen in der Pipeline. Dass das Konzept für die Pflanzen generell funktioniert, hat man bereits unter Beweis gestellt: „Wir ziehen bereits unter Glas in unserem patentierten Treetobee Pflanzpatronensystem. Die Setzlinge kamen in hohen Stückzahlen beispielsweise auf eine Kalamitätsfläche in Thüringen. Selbst während der Sommermonate können sie dort dank ihres guten Wurzelhauses offen gepflanzt werden, ohne Schaden zu nehmen. Die Flächen sind inzwischen zu einer Art Pilgerstätte für Förster aus dem ganzen Land geworden.“
Bison Forest möchte also durch industrielle Methoden punkten und diese gleichzeitig mit ökologischen Ansätzen kombinieren: „Wir müssen den handwerklich geprägten Pflanzprozess mit Ingenieurswissen verdichten. Das Potenzial ist in der Forstbranche enorm, denn dort wurde produktionstechnisch bisher kaum hinterfragt, warum die Dinge eigentlich sind, wie sie sind“, weiß Grauvogel. Oft werde seiner Erfahrung nach noch in zehnjährigen Trail-and-Error-Turnussen gearbeitet. Dabei könne heute aber vieles auch schnell berechnet werden. „Beim Blick in die Computer-Kristallkugel geht es ja nicht darum, die perfekte Waldbau-Lösung zu finden, sondern lediglich die größten No-Gos zu identifizieren.“ In der eher konservativ-traditionell geprägten Forstbranche fällt so etwas aber nicht sofort auf fruchtbaren Boden. Das klassische Forstdienstleister-Geschäft hilft Bison Forest dabei aber als Vertrauensanker: „Ein reines Start-up hätte es schwer. Wir dagegen können handfest zeigen, dass wir wissen, wovon wir reden“, so Grauvogel. Daher möchte er seinen Kunden nicht nur die notwendige Technik bieten, sondern auch passende Pflanzrezepte anbieten.
„Biologischer“ Wegebau
Seine Kompetenz will Bison Forest auch nutzen, um die Potenziale des Waldes als Kohlenstoffsenke greifbar zu machen. Dazu zählen auch neue Ansätze, wie etwa das Bepflanzen von inaktiven Rückegassen: In größeren Betrieben werden diese nur in den Einschlagjahren befahren und sind ansonsten ungenutzt. Durch die starke Verdichtung des Bodens wächst auf ihnen kaum etwas. Die von Bison Forest gezogene Robinie aber kommt hier durch. In mehrjährigen kurzen Umtriebsphasen kann so auf den Gassen Biomasse erzeugt werden, die anschließend CO2-positiv verarbeitet wird, etwa als Pflasterstein-Ersatz oder in Form von Pflanzenkohle. Durch die immer wieder ausschlagenden Wurzeln soll sich ein unterirdisches Netz bilden, das später ähnlich einem befestigten Weg befahrbar sei. Zudem versickere dort das Wasser besser, statt auf der verdichteten Gasse in Sturzbächen abzufließen.