Vier Fragen an Dr. Tobias Ehrhard, Geschäftsführer des VDMA-Fachverbands Landtechnik

Interview: Vier Fragen an Dr. Tobias Ehrhard, Geschäftsführer des VDMA-Fachverbands Landtechnik

Dr. Tobias Ehrhard, Geschäftsführer des VDMA-Fachverbands Landtechnik.

Herr Dr. Ehrhard, wie bewerten Sie die Bedeutung der Wasserstofftechnik in unserer Branche, der Landtechnik? Wo sehen Sie Chancen?

Dr. Tobias Ehrhard: Unsere Prämisse lautet: Technologieoffenheit, ganz im ursprünglichen Sinne des Wortes. Das heißt, wir setzen auf einen zukunftsfähigen Energie- und Antriebsmix, in dem alle denkbaren Technologien ihren Platz haben, sofern sie einen wirksamen Beitrag zur Energiewende leisten. Im Umkehrschluss heißt das allerdings nicht, dass jede Option zwingend auch in jedem Bereich sinnvoll eingesetzt werden kann.

Für den landtechnischen Antrieb gilt: Flüssige Energieträger mit hoher Energiedichte sind heute und in Zukunft von essentieller Bedeutung. Dabei wird sukzessive auch die Wasserstofftechnologie ins Spiel kommen. Schließlich ist Wasserstoff als Vorprodukt für die Herstellung von E-Fuels von hoher Relevanz. Und diese werden wir zukünftig auch in der Landtechnik sehen. Hinsichtlich der direkten Wasserstoffnutzung in der Brennstoffzelle oder im Verbrennungsmotor bin ich mit meinen Erwartungen etwas zurückhaltender, da wir dafür auch die entsprechenden infrastrukturellen Voraussetzungen im ländlichen Raum benötigen würden. Für die unmittelbare Dekarbonisierung des Antriebs gibt es hingegen schon heute greifbare Optionen, so etwa HVO 100, hydriertes Pflanzenöl aus Reststoffen, das direkt nutzbar ist und CO2-Einsparungen von rund 90 Prozent möglich macht.

Wie bewerten Sie den Wissens- und Forschungsstand Ihrer Mitgliedsbetriebe in Sachen Wasserstoff?

Als Innovationsbranche mit einer beachtlichen Forschungs- und Entwicklungsquote von über fünf Prozent hat die Landtechnikindustrie in Europa natürlich auch Wasserstofftechnologien für den Antrieb im Blick. Diese Ansätze werden im engen Schulterschluss mit der Motorenindustrie verfolgt, die marktreife Wasserstoffverbrenner und Brennstoffzellen im Portfolio hat. Die jüngsten Projekte und Prototypen zeigen, dass es hier auch spannende Erprobungsansätze in der Landtechnik gibt. Der ein oder andere davon wird uns sicher im November auf der Agritechnica in Hannover begegnen.

Was wäre aus Ihrer Sicht an technischer Umsetzung in welchen Zeitraum realistisch? Wie können sich die servicegebenden Werkstätten darauf einrichten?

Bevor Wasserstoff in Reinform in der Landtechnik genutzt werden kann, sind noch viele Hausaufgaben zu erledigen: Dies gilt einerseits für die Infrastruktur, aber auch für die Integration des Energiewandlers – also des Verbrennungsmotors beziehungsweise der Brennstoffzelle – und des Speichers in die landwirtschaftliche Maschine. Daher gehe ich davon aus, dass wir die Nutzung von grünem Wasserstoff zunächst in jenen Branchen sehen werden, in denen die Integration in bestehende Prozesse leichter fällt, so beispielsweise in der energieintensiven Stahlindustrie. Für die Landtechnik werden dagegen, wie schon erwähnt, auf absehbare Zeit vorwiegend flüssige Energieträger mit hoher Energiedichte benötigt. Hier ist das Potenzial biogener und synthetischer Kraftstoffe immens, denn sie stehen für Klimaneutralität und Zukunftsfähigkeit.

Der Weg zum Wasserstoff als einem Element im Energiemix von morgen wird insofern nicht disruptiv, sondern graduell vonstattengehen. Dabei gilt es, zahlreiche Variablen zu berücksichtigen – von der Herstellung über die Aufbereitung und Umwandlung bis hin zur Infrastruktur.

Wie in jedem anderen Technologiefeld unserer Branche, so liegt es auch hier im gemeinsamen Interesse von Industrie, Handel und Werkstatt, für den Endkunden ein leistungsfähiges Gesamtpaket zu schnüren, das dem Service „als Gesicht zum Kunden“ natürlich besondere Priorität einräumt.

Aktuell kann man angesichts der Vielzahl von geförderten Forschungsprojekten im Wasserstoffbereich den Überblick verlieren. Haben Sie als Verband Einfluss auf Projekte, die für unsere Branche spannend sind? Welche wären das?

In der Vielfalt der Projektlandschaft kommt sehr klar zum Ausdruck, wie innovativ und zukunftsfähig der Maschinen- und Anlagenbau im Allgemeinen und die Landtechnik im Speziellen ist. Im Mittelpunkt steht dabei der Wettbewerb um die besten Ideen, der den Erfolg unserer Industrie letztlich ausmacht. Der VDMA versteht sich hier als wichtiges Forum für den Dialog zu branchengemeinsamen Themen, wie sie beispielsweise in der Standardisierung oder in der Technischen Gesetzgebung zutage treten. Ob der Wasserstoffantrieb am Ende des Tages eine praxisgerechte Option im Energiemix sein kann, wird von seiner wirtschaftlichen Attraktivität und regionalen Verfügbarkeit abhängen.

Die Fragen stellte Bernd Pawelzik


Weitere Artikel zum Thema

weitere aktuelle Meldungen lesen