Technik zum Insektenschutz
Obwohl die arthropodenschädigende Wirkung der Mahd, wie oben dargestellt, bereits bekannt ist, gibt es bislang nur wenige Versuche, diese Wirkung durch die Entwicklung alternativer Techniken zu vermeiden. Die meisten Ansätze sind in der Kommunaltechnik angesiedelt, etwa zum Mähen von Straßenbegleitgrün. Gemeinsam ist den meisten dieser Ansätze, dass es kaum ökologische Begleituntersuchungen gibt, welche ihre Wirksamkeit belegen. Positiv erwähnenswert sei jedoch der Böschungsmähkopf ECO 1200 von Mulag: Die zentrale Neuerung besteht in einer veränderten Luftführung und einer Abdeckung der Schneideebene zum Boden, die das Ansaugen von Arthropoden verhindert und dadurch Verluste verringert. Zusätzlich besitzt das Gerät als Insektenscheuche eine verstellbare Abstreifvorrichtung aus LKW-Plane, eine erhöhte Schnitthöhe von 10 bis 15 cm, schmale Klingen sowie eine sehr schmale Auflagefläche auf dem Boden. Tierökologen verglichen den ECO 1200 mit dem herkömmlichen Mähkopf MK 1200 des gleichen Herstellers. Je nach Arthropodengruppe verursachte der MK 1200 Mahd- verluste zwischen 29 und 73 %. Beim ECO 1200 konnten für Spinnen, Wanzen, Zikaden und holometabole Larven keine signifikanten Mahdverluste festgestellt werden. Für Fliegen und Hautflügler verminderte sich die Schädigungsrate von 59 beziehungsweise 55 % auf 34 beziehungsweise 40 %.
Eine alternative Form von Insektenscheuchen für Mulchgeräte entwickelte Fischer Maschinenbau: Bei ihrem EcoCut sollen Arthropoden mit einem horizontalen Gebläse vor dem Mähwerk mit einer Luftgeschwindigkeit von 150 bis 260 m/s schonend aus der Vegetation entfernt werden. Die Technik wird inzwischen nicht nur für die hauseigenen Geräte angeboten, sondern kann auf jedes auf dem Markt erhältliche Gerät adaptiert werden, unabhängig vom Hersteller. Das Gebläse wird hydraulisch angetrieben, die Versorgung direkt in die des Mulchers eingebunden. Ein sogenannter Bienenwabentest ergab für diese Methode eine Schutzwirkung von bis zu über 90 %. Was sich nach einem vielversprechenden Ansatz anhört, erscheint wissenschaftlich jedoch wenig fundiert, da im Test nur die Wirkung auf Honigbienen an Bienenwaben untersucht wurde. Der Effekt, den die Scheuche in natürlicher Vegetation auf wildlebende Arthropoden hat, könne mit dieser Methode nach Ansicht der Hohenheimer und Tübinger Wissenschaftler nicht erfasst werden.
Für die landwirtschaftliche Nutzung von Grünland stellen bisher aber nur moderne Doppelmesserbalken oder vor dem Mähwerk angebrachte Insektenscheuchen schonende Alternativen dar. Um die Mahd mit Rotationsmähwerken auf längere Sicht schonender zu gestalten, kann zusätzlich auf modifizierte Mähwerke mit geringerer Sogwirkung gesetzt werden, die nach Ansicht der Wissenschaftler vermutlich ein hohes Potenzial haben, Mahd- verluste zu verringern beziehungsweise zu eliminieren. Im Projekt „InsectMow”, ebenfalls von den Universitäten Hohenheim und Tübingen initiiert, sollen daher nun insekten- und spinnenfreundliche Scheibenmähwerke entwickelt und evaluiert werden. Neben vorhängenden Insektenscheuchen wird das Scheibenmähwerk so modifiziert, dass durch eine verbesserte Luftführung weniger Insekten und Spinnen angesaugt und getötet werden. Die Mähwerkmodifikationen werden in Kooperation mit Claas entwickelt und anschließend auf ihre Wirksamkeit hin in Freilanduntersuchungen evaluiert. Dafür stehen ökologisch bewirtschaftete Flächen zur Verfügung, die zweimal im Jahr gemäht werden. Sie zeichnen sich durch eine diverse Insektenfauna aus.
Die Wiesenbewirtschaftung durch Mahd ist essentiell, um das Ökosystem Wiese zu erhalten, da nur so die dauerhafte Offenhaltung der Fläche garantiert werden kann. Gleichzeitig stellt diese Art der Bewirtschaftung eine Gefahr für wiesenbewohnende Wirbeltiere bis hin zu Arthropoden (zum Beispiel Insekten, Tausendfüßler und Spinnen) dar. Die tierschonende Mahd ist daher in Deutschland mit einem Dauergrünlandanteil von circa 28,5 Prozent (Stand 2020) der landwirtschaftlichen Fläche eine Herausforderung. Wissenschaftler der Universitäten Hohenheim und Tübingen haben sich angeschaut, inwieweit die Auswirkungen der Grünland-Mahd auf Insekten und Kleinlebewesen bereits erforscht sind. Laut ihrer Recherche gab es dazu bis Ende der 90er-Jahre kaum entsprechende Literatur. In den darauffolgenden Jahren rückte die Bedeutung des Grünlandes für den Erhalt und die Förderung von Biodiversität immer stärker in den Fokus, es wurden mehrere Untersuchungen durchgeführt, um Verluste der Grünlandfauna zu erfassen und praxisorientierte Empfehlungen zur Schonung zu erstellen. Aktuell liefern nach Erkenntnissen der Wissenschaftler mehrere Studien Belege dafür, dass ein Großteil der auf landwirtschaftlichem Grünland lebenden Arthropoden bei der Mahd direkt verletzt und/oder getötet wird. Zudem wiesen Studien immer öfter auf die indirekten Folgen hin, welche zum Beispiel durch eine hohe Mahdintensität entstünden.
Für das Mähen von Grünland werden in der Praxis zwei verschiedene Schnittprinzipien verwendet: Der Scherenschnitt ist im Balkenmäher umgesetzt, hier wird das Grüngut entweder entlang einer feststehenden Gegenschneide (Fingerbalkenmähwerk) oder einer bewegten Gegenschneide (Doppelmessermähwerk) geführt und geschnitten. Die Messer bewegen sich mit etwa 2,5 m/s. Messerbalken zeichnen sich unter anderem durch einen sauberen Schnitt, geringen Leistungsbedarf und leichte Bauweise aus. Ihr Nachteil sei der höhere Wartungsaufwand durch den Verschleiß der Messer, die hohe Anfälligkeit für Defekte, sowie die rund doppelt so hohen Kosten (inklusive Aufwand je Hektar) im Vergleich zu den heute üblichen Rotationsmähwerken. Diese schneiden das Grüngut mit einem freien Schnitt, bei dem im Gegensatz zum Scherenschnitt keine Gegenschneide vorhanden ist. Dafür müssen sich die Messer mit circa 80 m/s sehr viel schneller bewegen, um die Trägheits- und Biegekräfte des Halms als Gegenkräfte für den Schnitt nutzen zu können. Rotationsmähwerke zeichnen sich durch eine höhere Arbeitsgeschwindigkeit und größere Flächenleistung aus.
Als Erweiterung fungieren Aufbereiter, welche sowohl an Trommel- als auch Scheibenmähwerken angebaut werden. Er soll das Grüngut knicken, quetschen und spleißen, wodurch die stabilisierende und verdunstungshemmende Wachsschicht der Pflanzenhaut verletzt und der Wasseraustritt beschleunigt wird. Dadurch trocknet das Gut schneller und der Ernteprozess wird verkürzt.
Schlegelmähwerke beziehungsweise -mulcher bilden eine dritte Mähtechnik. Sie sind konzipiert, um den gesamten Pflanzenbestand mehrfach zu zerkleinern, anzuschlagen und zu quetschen. Die an der Welle frei aufgehängten Messer oder Schlegel können dabei eine Geschwindigkeit von 45 bis 65 m/s erreichen.
Die Geschwindigkeit der Werkzeuge bildet für die Wissenschaftler die Grundlage ihrer Gefährdungseinschätzung. Dafür berechnen sie die Fläche, die von den Klingen eines Mähwerks in einer Sekunde überstrichen beziehungsweise beeinflusst wird. Das Gefährdungspotenzial für die Kleintierfauna steige dabei mit der Größe der überstrichenen Fläche. Die Mähwerke wurden in der Aufsicht betrachtet, es wird also nur die auf den Boden projizierte Bewegung der Klingen ermittelt, nicht das von den Klingen durchfahrene Volumen. Als Testkandidaten dienten ein Pöttinger Novacat 305 H, das ESM System Bidux der Kersten Maschinenfabrik sowie ein Mulcher der Baureihe RM von Kuhn. Für das Doppelmessermähwerk beträgt das Verhältnis von überstrichener Fläche zur real gemähten Fläche je Sekunde 1,3. Das heißt, die Klingen des Mähwerks überstreichen je Sekunde nur etwas mehr Fläche als vom Mähwerk je Sekunde bearbeitet wird. Beim Scheibenmähwerk ist der Wert etwa fünfmal größer und beim Schlegelmäher zehnmal größer als die gemähte Fläche je Sekunde. Zusätzlich wird die potenzielle Schadwirkung von Rotationsmähwerken durch die Verwendung von Aufbereitern und den entstehenden Sog erhöht, der Arthropoden vom Boden in die Schnittebene saugen kann. Das Doppelmessermähwerk scheint daher für Arthropoden wie Insekten das am wenigsten schädliche Mähwerk zu sein, da die Bewegung der Messer über dem Boden vergleichsweise gering ist.
Das bestätigen auch Feldversuche, von denen die ersten bereits in den 1980ern durchgeführt wurden: Beim Balkenmäher wurden die geringsten Schäden ermittelt. Bei einer Schnitthöhe von 10 cm lagen diese teilweise sogar unter 10 %. Das Scheibenmähwerk beschädigte in etwa 30 %, während bei den verschiedenen Schlegelmähwerken Schädigungsraten von 50 bis über 90 % festgestellt wurden. Eine Studie zu Honigbienen lieferte ähnliche Ergebnisse: So wurden bei der Mahd mit einem Rotationsmähwerk ohne Aufbereiter lediglich 5 % der Honigbienen getötet beziehungsweise verletzt, während es mit einem Aufbereiter 35 % waren. Hochgerechnet auf einen Hektar blühender Wiese ergaben sich dadurch Verluste von 2.000 Honigbienen ohne Aufbereiter beziehungsweise 9.000 bis 25.000 mit Aufbereiter.
Die bisher umfangreichsten Untersuchungen zur Mahd in Zusammenhang mit Insektenfauna wurden vom schweizer Forschungszentrum Agroscope durchgeführt. Hier wurde neben Balken-, Trommel- und Scheibenmähwerken auch die Schadwirkung eines Aufbereiters auf lebende Insekten (Heuschrecken und Schmetterlingsraupen) sowie auf verschieden große Wachsmodelle erfasst. Dabei ergaben sich mit dem handbetriebenen Balkenmäher Schäden zwischen durchschnittlich ca. 11 % bei den Wachsmodellen und bis circa 20 % bei den Raupen. Beim Mähen mit dem Trommelmähwerk wurden im Schnitt 17,2 % der Wachsmodelle beschädigt und je nach Position der Raupen in der Vegetation etwa 40 % getötet. Die Verwendung eines zusätzlichen Aufbereiters erhöhte diese Mortalität auf bis zu 70 %.
Vielversprechende Versuche
Die ersten Versuche im Juli 2022 waren bereits vielversprechend: Das Claas Disco wurde mit einer Scheuche aus Lkw-Plane ausgestattet, wodurch bereits 40–50 % weniger Insekten in den Fallen landeten. Zu bedenken ist jedoch, dass relativ langsam gefahren wurde, wodurch mehr Zeit für die Flucht blieb. Der Sog des Mähwerks wird dagegen am Computer simuliert, denn so müssen nicht alle Änderungsideen am Mähwerk wirklich real umgesetzt, sondern können schnell am Rechner auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Im Juni 2023 startete die zweite Mahdsaison. Dieses Mal testeten die Biologen und Techniker ihre Insektenscheuche am Scheibenmähwerk mit praxisnaher Geschwindigkeit von 12 km/h. Außerdem wurde die erste Mähwerksmodifikation im Vergleich zum Balkenmäher und Hochschnittkufen getestet. Die Ergebnisse werden aktuell noch ausgewertet.
Um sicherzustellen, dass insekten- und spinnenschonende Mähwerke in Zukunft nachgewiesen wirken, möchte man zusammen mit der DLG-Prüfstelle ein standardisiertes Testverfahren für ein Nachhaltigkeitslabel entwickeln. Um auch für den Endkunden den Aufwand so gering wie möglich zu halten, sollen möglichst viele der im Projekt entwickelten Maßnahmen auch an Bestandsmaschinen nachrüstbar sein.
Sollten die Entwicklungen Schule machen und Einzug in Seriengeräte finden, könne nach Einschätzung der Forscher ein erheblicher Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt und zum Erhalt der Ökosystemfunktionen von Grünland geleistet werden – bei geringen wirtschaftlichen Produktivitätseinbußen. Wer schon heute etwas für die Kleinlebewesen auf seinen Wiesen tun möchte, kann einfach einzelne Fluchtstreifen stehen lassen: Dorthin können sich die Insekten zurückziehen, da sie sonst auf den gemähten Flächen auch mit größerer Hitze zu schaffen haben.
Tobias Meyer