Olivier Phély wirft einen prüfenden Blick auf die schwarz schimmernde Kautschukmasse: „Naturkautschuk zeigt sich unberechenbar und extrem haftend. Ein einzelner fehlerhafter Parameter in unserem Prozess könnte die gesamte Charge ruinieren.“ Der versierte Kautschuktechnologe Phély, Geschäftsführer von Otico, weltweit führend im Bereich der Spezialreifen, betont die Bedeutung eines hohen Naturkautschukanteils in seinen Reifenmischungen. „Naturkautschuk weist längere Fasern als synthetischer Kautschuk auf. Das verleiht unseren Halbhohlreifen die Balance zwischen Verschleißfestigkeit und Geschmeidigkeit“, erklärt der 61-Jährige bei der Führung durch sein Werk in Chalmaison.
Für seine Produkte lässt Otico von seinem eigenen Labor zehn verschiedene Kautschukmischungen entwickeln, bestehend aus mehr als 20 Komponenten und Additiven. Sie werden von Vorlieferanten erstellt und als 12 cm breite und 8 mm dicke mit Talkum gepuderte schwarzen Kautschukstreifen auf Paletten angeliefert. Die Hauptunterscheidung der Vormischungen erfolgt durch das Verhältnis von Naturkautschuk zu den synthetischen Kautschuksorten SBR und BR, wobei die synthetischen Komponenten etwa für die Flankenstabilität der Reifen essentiell sind. Bestimmte Gummimischungen werden im Sommer sogar mit dem Kühllaster angeliefert und wie guter Wein kontrolliert im Keller kühl gelagert, da sie so reaktiv sind.
Wir steigen nun aus dem unterirdischen Lager auf in die Produktionshalle. Hier ist es deutlich wärmer. Am Start der Fertigung zieht eine Maschine die angelieferten Kautschukstreifen von der Palette in den Trichter. Hier werden etwa 100 °C erreicht, wodurch aus dem Kautschukstreifen eine zähflüssige Substanz wird. Ein Extruder presst diese schwarze Kautschukmasse durch eine Extrusionsdüse, wodurch dann ein Endlosband mit einer speziellen Form, ausgestattet mit Stegen, Lippen und einem Hohlraum, entsteht.
Die Herausforderung besteht darin, die beim Pressen des Kautschuks generierte Wärme mittels Kühlwasser so zu regulieren, dass die Temperatur wieder zurückgeht und eine vorzeitige Vulkanisierung verhindert wird. Das schwarze, bereits mit Typnummern markierte Kautschukband wird in einem 25 Meter langen Wasserbecken gekühlt. Es sollte eine Temperatur von 32 bis 37 Grad beibehalten, bevor es durch ein Sägeblatt auf die gewünschte Länge geschnitten wird. Fotografieren ist hier streng untersagt. Zuviel Know-How steckt in den von Otico selbst oder weiterentwickelten Fertigungsmaschinen. So hält das Unternehmen eine Vielzahl von Patenten, welche die Form und Fertigung betreffen.
Der nächste Fertigungsschritt beinhaltet das Verkleben der bis zu einem Meter langen Gummistücke zu einem Ring. Ein Roboter verschweißt nun bis zu drei Stahlringe mit dem Reifen, um zusätzliche Stabilität zu bieten. Die Vulkanisierung erfolgt dann bei 160 °C in einem der 50 Öfen und dauert, je nach Reifendicke, bis zu 40 Minuten. In der Form erhält der Reifen schließlich sein finales Profil sowie das Markenlogo an der Seite. Abschließend führen Qualitätskontrolleure eine Prüfung durch, indem sie durch eine Spitze Druckluft in das Gummi blasen. Wenn der Reifen dies ohne Verformung übersteht, ist er einwandfrei. „Die einzige Schwachstelle des Reifens ist die Verklebungsstelle, die die Enden zusammenhält. Ein geschulter Kontrolleur identifiziert eine Schwäche in dieser Verbindung unter Druckluft unmittelbar. Jeder Reifen durchläuft diese Überprüfung“, schildert Phély.
Zusätzlich zur Herstellung mittels Extrusionsverfahren produziert Otico auch Hohlkammerreifen durch Injektionsverfahren, das für Reifen mit großen Mengen und kleinerem Umfang verwendet wird, wie z.B. Führungsräder für Sämaschinen. Hier wird die erhitzte viskose Kautschukmasse in eine Positiv-Negativ-Form gedrückt und vulkanisiert in drei Minuten. Nach dem Öffnen der Form entnimmt ein Arbeiter den fertigen Hohlkammerreifen.
Die Felge spielt dabei ebenfalls eine zentrale Rolle. In Abhängigkeit vom jeweiligen Einsatzgebiet kommen bei den Felgen Materialien wie Kunststoff, Stahl oder auch eine Mischung aus beiden zum Einsatz. Je nach Bedarf werden ein- und zweireihige Kugellager oder Rollenlager von namhaften Herstellern wie INA, Koyo, NSK, SKF, Beham und Peer verbaut. „Wir beraten unsere Kunden zur idealen Gesamtkombination von Reifen, Felge und Lager, abgestimmt auf seine speziellen Bedürfnisse“, betont Phély. Fast alle namhaften OEM aus der ganzen Welt stehen auf der Otico-Kundenliste.
Über 400 Werkzeuge für unterschiedliche Reifenformen und -größen lagern im Regal von Otico. Ein bestimmter Anteil davon ist bestimmten Kunden exklusiv vorbehalten, da sie gemeinsame Entwicklungen sind. Fünf Entwickler kooperieren eng mit den Maschinenherstellern, um ein Raddesign zu kreieren, das präzise auf das Maschinengewicht, den Verwendungszweck und die Bodenverhältnisse abgestimmt ist.

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Der französische Hersteller Otico besetzt mit seinen Rädern für Andruckrollen und Packer- walzen weltweit eine Nische.
Neben den Aspekten wie Gummimischung, Breite und Profil sind ebenso die Selbstreinigungseigenschaften der Reifen bedeutend. Olivier Phély und sein Team sind oft auf verschiedenen Kontinenten unterwegs, um selbst Erfahrungen mit diversen Bodentypen zu sammeln. Wie verändern sich Anbaumethoden? Wie lässt sich das Material weiterentwickeln, um auch mit besonders aggressiven Ernterückständen klarzukommen? „Ein Reifenmodell, das in Kanada exzellent performt, könnte in Australien komplett unpassend sein“, erläutert der Chef von Otico während der Werkführung.
Die 150 Mitarbeitenden verarbeiten gut 3.200 Tonnen Kautschuk jährlich zu 1,2 Millionen Rädern und Reifen. 2022 erreichte man einen Umsatz von 41 Millionen Euro, davon 90 Prozent in der Erstausrüstung, den Rest im Nachmarkt. Gerade die Märkte in Übersee bieten laut Phély viel Wachstumspotenzial, die Produktentwicklung und Fertigung erfordern weitere Investitionen und neue Hallen.
Frisches Kapital für Expansion
Seit 2018 ergänzt die Schwester von Olivier Phély, Caroline Phély, die Firmenleitung. Als Chief Operating Officer optimierte die EDV-Expertin die Produktionssteuerung. Sie ist auch Gesellschafterin von Otico. Ebenfalls seit über fünf Jahren ist Vertriebsleiter Henri Zinck, der perfekt deutsch spricht, im Team. Das Marketing verantwortet seit über sieben Jahren Jean-Baptiste Lours.

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Das neue Bürogebäude in Chalmaison begrüßt die Besucher.
Um das Geschäft insbesondere auf internationaler Ebene zu beschleunigen, entschied man sich in dem Familienbetrieb, zusätzlich zu zehn Managern des Unternehmens, die beiden Investmentfonds Unigrains und Bpifrance, als Minderheitsaktionäre aufzunehmen. Die beiden Fonds halten zusammen 30 Prozent der Anteile.
Unigrains, eine Investmentfirma mit spezieller Ausrichtung auf den Agro-Sektor, bringt neben finanziellen Mitteln auch sein Netzwerk und Know-how in der Agrar- und Lebensmittelbranche mit, um Otico bei der Umsetzung seiner Wachstumspläne vor allem auch in Nordamerika und Südamerika zu unterstützen. Mit einem verwalteten Vermögen von einer Milliarde Euro und Partnerschaften mit fast 80 Unternehmen ist Unigrains ein bedeutender Player in diesem Bereich.
Bpifrance ist eine öffentliche Investmentbank, für die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen, des Mittelstands. Bpifrance stuft Otico als besonders innovatives Unternehmen ein, das mit seinem hohem Exportanteil eine strategische Bedeutung für die Branche in Frankreich hat. Die Investmentbank will Otico unterstützen, sich in den weltweit größten Agrarregionen langfristig zu etablieren und den Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft zu bewältigen.
„Unser Hauptaugenmerk liegt auf internationaler Expansion, insbesondere auf dem amerikanischen Kontinent. Mit unseren neuen Gesellschaftern erhalten wir mehr Ressourcen und ein größeres Netzwerk. Wir freuen uns auf die erweiterten Möglichkeiten“, so Olivier Phély optimistisch.
Wer mit Otico in das Gespräch kommen möchte, ist eingeladen auf den Agritechnica-Messestand in Halle 12, Stand A39.