Grüner Wasserstoff direkt vom Bauernhof

In einer Pilotanlage am Niederrhein wird aus Biogas grüner Wasserstoff statt Strom produziert. Interessierte Abnehmer gibt es bereits. Der eilbote hat sich die Anlage vor Ort angesehen.

Biogas: Grüner Wasserstoff direkt vom Bauernhof

Der Lefkeshof bei Krefeld aus der Vogelperspektive. Oben rechts die Biogasanlage mit grüner Abdeckung.

Biogas: Grüner Wasserstoff direkt vom Bauernhof

Auf den ersten Blick wirkt der am nördlichen Stadtrand von Krefeld gelegene Lefkeshof wie ein ganz gewöhnlicher landwirtschaftlicher Betrieb. In der fünften Generation bewirtschaftet hier die Familie Schleupen gemeinsam mit fünf festen Mitarbeitern 200 Hektar Land und besitzt gut 300 Milchkühe mit eigener Nachzucht. Es wird Weizen angebaut, der Futterbau ist eine Mischung aus Kleegras und Silomais. Es gibt Tauschflächen mit Gemüse- und Kartoffelbauern und das Grünland befindet sich teilweise im Kulturlandschaftspflegeprogramm.

Schicksalsschlag als Startschuss für ein neues Projekt

Im Gespräch mit Werner Schleupen, der den Betrieb jetzt an seinen Sohn Bernd übergab, wird deutlich, dass die Familie in Sachen Landtechnik und Umwelt fortschrittlich denkt und handelt. Als 1989 fast der komplette Hof einem Großbrand zum Opfer fiel, wurden die Gebäude wiederaufgebaut, ein zukunftsweisender Kuhstall errichtet und der ideale Standort für die erste von drei Biogas-Pilotanlagen in Nordrhein-Westfalen geschaffen. Das war 2001. Seit acht Jahren wird dieses Biogas-Blockheizkraftwerk mit einem 250 KW Gasmotor der Firma Schnell als Zündstrahler betrieben. Der Fermenter auf dem Lefkeshof hat ein Volumen von 900 m3, das kürzlich erweiterte Endlager kommt auf eine Größe von 5.000 m3. Neben dem Wunsch, ein zusätzliches Einkommen durch die Produktion von Strom zu schaffen, gab es für die Familie Schleupen weitere Gründe, die Biogasanlage zu errichten: „Wir wollten unsere Waren- und Düngerkreisläufe verbessern, zumindest in der Bilanz energieautark werden und unseren eigenen CO2-Fußabdruck verschlanken“, erklärt Werner Schleupen. Zudem ging es der Familie darum, die Geruchsbelästigung beim Ausbringen der Gärreste zu verringern.

Biogas: Grüner Wasserstoff direkt vom Bauernhof

Die schematische Darstellung zeigt den Prozess der Wasserstofferzeugung über Dampfreformierung von der Biogasanlage über die Gasreinigung, den Reformer-Prozess, die Speicherung und Abgabe des Wasserstoffes an der Tankstelle.

Das Ende staatlicher Förderung zwingt zum Umdenken

In den kommenden zehn Jahren wird die staatliche Förderung älterer Biogasanlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auslaufen. Damit ist die reine Stromerzeugung für die Betreiber oft unwirtschaftlich. 17 Prozent der derzeit aus regenerativen Quellen erzeugten Energie wären damit bedroht. Während einige Landwirte überlegen, ihr Biogas ins Erdgasnetz zur Wärmeerzeugung einzuspeisen, wird auf dem Lefkeshof – hier lief die Förderung vor zwei Jahren aus, da die Anlage 2001 in Betrieb ging – gerade eine andere Alternative erprobt: das Herstellen von grünem Wasserstoff aus Biogas.

Die zündende Idee kam beim Feierabendbier

Maximilian Schleupen, jüngster Spross der Familie, studierte am Institut für Industrieofenbau und Wärmetechnik der RWTH Aachen. Dort kam er mit Dr.-Ing. Joachim Wünning, technischer Geschäftsführer der Firma „BtX energy“, in Kontakt. Das Unternehmen aus dem oberfränkischen Hof beschäftigt sich unter anderem mit dem Erzeugen von Wasserstoff durch Dampfreformierung. Diese Technik wird im Industriebereich schon lange zum Herstellen von Wasserstoff aus Erdgas genutzt. Aus Biogas ist dieser Prozess schwieriger. Doch beflügelt durch ein Feierabendbier wollten die beiden beweisen, dass auch dies machbar sei.

Biogas: Grüner Wasserstoff direkt vom Bauernhof

Drei Generationen auf einem Bild: Für Werner, Maximilian und Bernd Schleupen (hinten v.l.n.r.) sowie die Kinder Emma, Mathea und Marisa (vorne v.l.n.r.) sind neue Technologien wie das Erzeugen von Wasserstoff aus Biogas ein Stück Zukunftssicherung.

Biogas: Grüner Wasserstoff direkt vom Bauernhof

Der Prozess der Dampfreformierung in der grafischen Darstellung. In diesem Prozess wird abgespaltenes CO2 dem Kreislaufsystem wieder zugeführt, um z. B. Biogas und Wasser auf eine Arbeitstemperatur von 700–900 °C zu bringen.

Kleiner Ausflug in die Welt der Chemie

Der komplexe Herstellprozess in der Kurzfassung: Biogas besteht zum Großteil aus CH4 (Methan) und CO2. Der im Biogas enthaltene Schwefelwasserstoff wird durch eine Tiefenentschwefelung mittels Aktivkohle abgeschieden. Zudem sollte sich so wenig Sauerstoff wie möglich im Biogas befinden. Deshalb wird beim An- und Abfahren Stickstoff in die Anlage geblasen, um die darin befindlichen Katalysatoren zu schützen und deren Lebensdauer zu verlängern.

Im sogenannten Reformer wird das Biogas zusammen mit Wasser auf eine Temperatur von 700–900 °C erhitzt und über die genannten Katalysatoren geführt. Anschließend folgt eine Wassergas-Shift-Stufe. Hier werden die Moleküle von Methan (CH4) und Wasserdampf (H2O) aufgespalten. Am Ende der chemischen Reaktionskette stehen dann Wasserstoff (H2), Kohlenstoff (C), grünes CO2 und etwas Schlupf-Methan (CH4). Ein Team der RWTH (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule) testet derzeit, ob Kohlenstoff und CO2 in Treibhäusern zur Förderung des Pflanzenwachstums oder der Folienverpackung von Lebensmitteln einsetzbar ist. Die Hochschule entwickelte darüber hinaus Messinstrumente, mit denen unter anderem der Reinheits- und Wirkungsgrad des Prozesses überwacht und bestimmt werden soll. Die nötige Prozessenergie wird aus einem Teil des Biogases entnommen und die überschüssige Abwärme zum Erwärmen des Fermenters verwendet. So wird fast die gesamte im Biogas enthaltene Energie genutzt.

Während die Familie Schleupen das Biogas liefert und die Basis für die Installation schafft, übernimmt Leon Müller-Noll von „BtX energy“ die Projektleitung. Der Anlagenbau erfolgt durch das Unternehmen „e-flox GmbH“, der Dampfreformer wird von „WS Reformer“ geliefert. Die RWTH Aachen unterstützt mit umfangreicher Messtechnik und Modellrechnungen zur Prozessoptimierung. Finanziell gefördert wird das Projekt zu rund 50% durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Biogas: Grüner Wasserstoff direkt vom Bauernhof

Projektleiter Leon Müller-Noell von BtX Energy vor der Wasserstoff-Tankstelle, die demnächst von 350 bar auf 700 bar umgerüstet wird. In der ersten Ausbaustufe sollen hier täglich bis zu 100 kg Wasserstoff gezapft werden können.

Biogas: Grüner Wasserstoff direkt vom Bauernhof

Seit Dezember 2022 steht ein zwölf Meter langer, 3,2 Meter breiter und 3,5 Meter hoher (ohne Aufbauten) Container auf dem Lefkeshof, der …

Biogas: Grüner Wasserstoff direkt vom Bauernhof

… eine Menge Technik, unter anderem einen Dampfreformer und Messgeräte zum Bestimmen des Methan-, Sauerstoff- und Wasserstoffgehaltes beherbergt. Dieses Konzept zur Gewinnung von Wasserstoff aus Biogas wurde von der Firma „BtX energy“ in Zusammenarbeit mit den Unternehmen „eflox“ und „WSFLOX Reformer“ entwickelt und gebaut.

Zahlen, Daten, Fakten

Im Januar 2022 startete das ein Jahr zuvor beantragte und bewilligte Projekt mit der Lieferung des circa 12 x 3,2 x 3,5 m (L x B x H) großen Containers. Dieser beherbergt unter anderem die Dampfreformer-Technik und ist jetzt in die Infrastruktur des Hofes eingebunden. Die Investitionskosten für Dampfreformer, Tankstelle und Peripherie liegen bei circa 1,7 Millionen Euro. Das gesamte Team hofft, im Laufe dieses Sommers mit der Wasserstoffproduktion starten zu können. Produziert werden derzeit 50 m3 Biogas/Stunde. Dies entspricht 250 kW bzw. 100 kW elektrisch. Laut „BtX energy“ sind die Dampfreformer-Anlagen mit einem Wasserstoffertrag von 100 kg/Tag modular skalierbar. Damit ließen sich 50 Pkw mit einer Reichweite von 200 km/Tag oder drei Lkw (400 km/Tag) bzw. ein gewöhnlicher, durch Wasserstoff angetriebener Regionalzug mit grüner Energie versorgen. Wasserstoff aus Gülle und Mist vermeidet zudem Methanemissionen auf dem Feld und hat somit eine Klimabilanz von circa 300 % CO2-Minderung gegenüber Diesel.

Rückblickend betrachtet sieht Werner Schleupen den Wirkungsgrad des aus Biogas erzeugten Stroms nach vielen Verbesserungen bei 40 %. Circa 20 % der anfallenden Wärme werde ebenfalls, zum Beispiel zum Beheizen der Gebäude, genutzt.

Sichere Technologie mit höherem Wirkungsgrad

Zukünftig sollen 65 % der Energie in Wasserstoff umgewandelt und die gesamte, anfallende Wärme im Prozess genutzt werden. So sei die Wasserstoffproduktion im Vergleich zur Stromerzeugung aus Biogas insgesamt günstiger, wettbewerbsfähig und die eigene Biogasanlage könne langfristig betrieben werden, sagt der Seniorchef des Hofes. Ganz abgesehen von den positiven Einflüssen, die diese Technologie auf die Landwirtschaft und den Klimawandel hat. Leon Müller-Noell ergänzt, dass Sicherheit bei der Dampfreformertechnik an oberster Stelle stehe. So informiert ein Sensor-Frühwarnsystem die Betreiber rechtzeitig über mögliche Gasaustritte. Und wenn Wasserstoff austreten würde, würde es gefahrlos in die Umgebung des Dampfreformers oder der Tankstelle nach oben abgeleitet, wo es sich durch seine geringe Dichte sofort verflüchtigt, erklärt der Projektleiter.

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Der „EOX175“ des niederländischen Herstellers EOX Tractors soll ab Ende 2023 auch mit Brennstoffzellen-Antrieb verfügbar sein und ist dann mit Wasserstoff betankbar.

Instandhaltung ist kein Hexenwerk

Noch gibt es bei „BtX Energy“ Überlegungen, ob der Instandhaltungsservice selbst oder durch Vertragspartner, zum Beispiel durch Werkstätten für Landtechnik, durchgeführt wird. Auf jeden Fall sei der Wartungsaufwand der Aggregate überschaubar, und wer als Techniker bislang Biogasanlagen betreut habe, käme auch mit einem Dampfreformer klar, meint Projektleiter Leon Müller-Noell.

Werner Schleupen erklärt, dass die EU einen Quotenhandel für Treibhausgase eingeführt habe, um dadurch die Verkehrswende zu beschleunigen und den Einsatz klimaneutraler Kraftstoffe zu fördern. Ab Mitte dieses Jahres würde die Wasserstoffproduktion aus Biogas dabei auch in Deutschland gesetzlich berücksichtigt und der TÜV wird die Anlage demnächst zertifizieren. Da die Biogasanlage vorwiegend mit Mist und Gülle aus der eigenen Rinderhaltung betrieben werde und es somit zu deutlichen Einsparungen von Treibhausgas-Emissionen käme, rechnet Familie Schleupen mit deutlichen Erstattungen seitens der EU. Dies habe sicher einen wesentlichen Einfluss auf den Abgabepreis für grünen Wasserstoff, heißt es abschließend.

Interessierte Abnehmer für den Wasserstoff vom Lefkeshof

Maximilian Schleupen hat errechnet, dass rein rechnerisch 25 % der derzeit installierten Biogasanlagen ausreichen würden, um alle in Deutschland verkehrenden Busse umweltfreundlich mit Wasserstoff zu betreiben. Werner Schleupen sucht für die Startphase nach circa 50 Pkw-Nutzern, die ihre Fahrzeuge auf Wasserstoff umstellen wollen. In der ersten Ausbaustufe werden täglich 100 kg Wasserstoff am Lefkeshof produziert. Damit könnten Pkw 10.000 km weit fahren. Die auf 350 bar Druckstufe laufende „Tankstelle“ der Familie Schleupen dient weiterhin als Betriebshoftankstelle und Demonstrator. Ein Update der Anlage auf 750 bar sei laut Werner Schleupen denkbar, zumal Unternehmen wie „H2 Mobility Deutschland“ derzeit nach Standorten mit vorhandener Infrastruktur für H2-Tankstellen suchen.

Erste Kunden gibt es bereits: So werden die Stadtwerke Krefeld circa 13 Millionen Euro in die Baumaßnahmen für eine Wasserstofftankstelle und die Beschaffung von zehn mit Wasserstoff betriebenen Bussen investieren. Die ersten drei Busse sollen 2024 über die Straßen rollen und mit Wasserstoff vom Lefkeshof betankt werden.

Demnächst könnten Traktoren mit Wasserstoff betankt werden: „EOX Tractors“ aus dem niederländischen Arnheim ist seit Projektbeginn im Kontakt mit dem Lefkeshof. Das Unternehmen stellt unter anderem den neuen „EOX175“ für den Einsatz im Controlled Traffic Farming (CTF) her. Der allradgetriebene Traktor hat einen kleinen Wendekreis von 9,6 m und lässt sich per Pirouetten-Drehung um seine eigene Achse drehen. Neben anderen Features verfügt der „EOX175“ über eine einstellbare Spurweite von 2,25 (Straße) – 3,20 m (Feld) und eine hohe Bodenfreiheit von 70 cm. Der somit vielseitig einsetzbare Traktor ist wahlweise mit elektrisch betriebenem Antriebsstrang und einer variablen Batteriekapazität von 50-300 kWh und als Hybridversion mit Euro 6-Diesel-Range-Extender lieferbar. Derzeit wird eine „EOX175“-Pilotversion mit Antrieb über Wasserstoff für einen niederländischen Kunden erstellt. Die Serienversion ist ab Ende 2023 nur über Direktverkauf oder Leasing verfügbar.

Zwar sind am Lefkeshof noch einige technische und behördliche Hürden zu überwinden. Doch es scheint, als lieferten die Projektbeteiligten eine zukunftsweisende Alternative für den wirtschaftlichen und ökologisch vorbildlichen Weiterbetrieb von Biogasanlagen.

Umweltbundesamt – Noch viel Luft nach oben!

Nach einer Erhebung des Bundesumweltamtes (UBA) werden nur 30 % der verfügbaren Gülle von den in Deutschland befindlichen 7.500 Biogasanlagen mit Gülleeinsatz und den 582 Gülle-Kleinanlagen genutzt (Stand: 2016). In der Annahme, dass 50 % des bislang noch unerschlossenen Potenzials an Gülle unter günstigen Rahmenbedingungen in Biogasanlagen verwertet würde, könnten jährlich weitere 4 TWh elektrischer Strom produziert werden. Dazu hat das UBA Handlungsempfehlungen, zum Beispiel eine Treibhausgas-Quote oder treibhausgasabhängige Vergütung für Strom und Wärme aus erneuerbaren Energieträgern, für den Ausbau des Gülleeinsatzes in Biogasanlagen entwickelt.
www.umweltbundesamt/publikationen.

„BtX energy“ Geschäftsführer Dr. Gradel hat basierend auf einer Studie des Statistischen Bundesamtes über „Transportleistungen und Energieverbrauch im Straßenverkehr (2005–2016)“ errechnet, dass der aus bislang ungenutzter Gülle, Mist und Abfall produzierte Wasserstoff den für den Busverkehr in Deutschland benötigten Treibstoff gleich fünfmal und den für den Schwerverkehr zu einem Drittel abdecken könnte. Und dies, ohne eine Bestandsanlage in der Stromproduktion anzugreifen.

Georg Kälble

Hintergrund BtX Energy GmbH

Das Start-up-Unternehmen „BtX energy“ aus Hof entstand im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes der von Dr. Joachim Alfred Wünning gegründeten WS Wärmeprozesstechnik GmbH mit der Hochschule Hof. Der Unternehmer entwickelte zusammen mit Dr. Andy Gradel ein patentiertes Verfahren zur sauberen Vergasung von Biomasse durch Adsorption von Teeren an prozesseigener Aktivkohle. Es arbeitet ohne Verwenden zusätzlicher Filter und Gaswäscher. Parallel wurde gemeinsam mit der „WS Reformer GmbH“ und der „eflox GmbH“ eine Technologie zum Aufwerten von Biogas durch Dampfreformer (Steam-Reforming) entwickelt. Die genannten Firmen begleiten von Beginn an das Wasserstoff-Projekt auf dem Lefkeshof.
www.btx-energy.de.

Georg Kälble


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