Der Blatt-Tod kommt mit dem Wind

Ein Pilz bedroht die globale Naturkautschukproduktion. Wir berichten über einen Farmbesuch in Sri Lanka und die Folgen der Infektion für die Gummibaumplantagen.

Kautschukgewinnung: Der Blatt-Tod kommt mit dem Wind

Immer häufiger werden Gummibäume in den Hauptanbauregionen Südostasiens durch Ölpalmen ersetzt.

Kautschukgewinnung: Der Blatt-Tod kommt mit dem Wind

Die Blätter zeigen die für Pestalotiopsis typischen Schäden.

Der Hauptbestandteil von Reifen ist Gummi – Naturkautschuk, hergestellt aus dem Saft von Gummibäumen, Hevea brasiliensis, und synthetischer Gummi, ein Erdölprodukt. Der Naturgummianteil bei Reifen liegt meist zwischen 30 und 60 Prozent, Flugzeugreifen bestehen sogar zu 100 Prozent aus Naturkautschuk. Der Grund: synthetischer Gummi verformt sich bei hoher Belastung. Um Form- und Fahreigenschaften zu gewährleisten, müssen Traktor- und Lkw-Reifen deshalb einen höheren Naturkautschukanteil als Pkw-Reifen haben. „Je mehr Naturgummi ein Reifen enthält, desto besser ist die Qualität“, heißt es beim Reifenhersteller Firestone1. Seit mehr als einem Jahrzehnt sind die Weltmarktpreise für Naturkautschuk extrem niedrig. Doch ein sich rasant ausbreitender Pilz könnte Naturgummi bald zur Mangelware machen. In Sri Lanka erfuhr Marianne Landzettel, was es mit der Blattfall-Krankheit Pestalotiopsis auf sich hat.

Gut zwei Stunden dauert die Fahrt von Sri Lankas Hauptstadt Colombo bis zur Plantage Panawatte, eine von mehreren Plantagen der Kelani Valley Gruppe. Die Stimmung ist gedrückt, nicht nur wegen der fast täglichen Sturzregen, die es so in der winterlichen Trockenperiode nicht geben sollte. Weit mehr Sorgen macht den Plantagenmanagern Pestalotiopsis, ein Pilzbefall, der sich seit 2019 auch in Sri Lanka ausbreitet. „Inzwischen ist der Rohkautschukertrag um 30 bis 40 Prozent zurückgegangen“, sagt Ranil Fernando, einer der Direktoren.

Die Pilz-Pandemie

2016 wurde auf einer Plantage im Norden Sumatras der erste größere Ausbruch von Pestalotiopsis festgestellt. Seither breitet sich die Krankheit mit rasanter Geschwindigkeit aus. Betroffen sind inzwischen Plantagen in Thailand, Malaysia und Indonesien – 70 Prozent der Weltgummiproduktion stammen aus diesen drei Ländern. Pestalotiopsis grassiert aber auch in Vietnam, dem drittgrößten Gummiproduzent, in Indien und in China. Die Philippinen gehören nicht zu den ganz großen Anbauländern, aber Gummi ist trotzdem eines der wichtigsten Exportgüter. Im März berichtete das Nachrichtenmagazin Rappler2, dass in der Provinz Basilan der Notstand ausgerufen worden sei, weil 90 Prozent der Gummibäume Pilzbefall aufwiesen.

Hohe Luftfeuchtigkeit und starker Wind begünstigen die Verbreitung der Pilzsporen. Auf den befallenen Blättern bilden sich zunächst runde hellbraune Flecken, bei schwerem Befall werden die Blätter braun und fallen ab – daher der Name „leaf fall disease“, Blattfall-Krankheit. Laut einer Studie der landwirtschaftlichen Fakultät einer Universität auf Sumatra geht bei einem Baum, der die Hälfte seiner Blätter verloren hat, die Latexernte um 25 Prozent zurück, sind 75–90 Prozent der Blätter abgefallen, produziert der Baum um bis zu 75 Prozent weniger3. Die nachwachsenden Blätter sind kleiner, die Baumkrone ist lichter, Zweige sterben ab und bei wiederholtem Befall stirbt der Baum.

Die Sporen attackieren Gummibäume rund ums Jahr und in allen Entwicklungsstadien, Setzlinge und junge Bäume genauso wie alte, voll ausgewachsene. Die ersten Symptome sind erst vier bis 16 Tage nach der Infektion erkennbar. Die Wissenschaftler auf Sumatra untersuchten sechs Klone von Gummibäumen und stellten fest, dass die Anfälligkeit für Pestalotiopsis variiert, aber keiner der Klone resistent ist.

Versuche, den Pestalotiopsis-Sporen mit Fungiziden beizukommen, blieben bisher weitgehend erfolglos. Das ist wenig verwunderlich: um in den Baumkronen wirksam zu sein, muss das Fungizid sowohl vom Boden aus als auch von oben mit Drohnen ausgebracht werden. Und wenn die ersten braunen Flecken auf den Blättern aufgetaucht sind, ist es für die Anwendung sowieso zu spät, der jeweilige Baum ist bereits infiziert.

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Baumkronen nach Pestalotiopsisbefall. Die Erträge sinken auf ein Viertel.

Gestresst und unterernährt

„2022 hatten wir Bäume, die vier bis fünf Male innerhalb von zwölf Monaten die Blätter abgeworfen haben“, sagt Ranil Fernando von der Kelani Valley Plantagengruppe in Sri Lanka. Wir stehen zwischen „erwachsenen“ Gummibäumen, die schon seit mehreren Jahren gezapft werden. Im Gegensatz zu den Gummibäumen, die ich bei Besuchen noch vor zehn Jahren gesehen habe, scheinen mir die Stämme seltsam dünn zu sein. Fernando bestätigt diesen Eindruck. Nachgepflanzt werde inzwischen ein neuer Klon: auf einen schnell wachsenden Wurzelstock wird Material eines besonders ertragreichen Baumes okuliert. Die so erzeugten Bäumchen liefern mehr Latexmilch. Mit dem Zapfen kann ein Jahr bis eineinhalb Jahre früher begonnen werden als bislang üblich. Die Kehrseite ist, dass auch Gummibaum-Hochleistungssorten gestresst und damit krankheitsanfälliger sind als weniger leistungsstarke Bäume.

Düngung sei deshalb extrem wichtig, sagt Fernando, das habe man in der letzten Saison gemerkt, als in Sri Lanka plötzlich kein Minerealdünger mehr zu haben war. Um Devisen zu sparen, hatte die Regierung im April 2021 plötzlich und ohne Vorwarnung den Einsatz von Agrarchemie verboten. Fernando vermutet, dass die massive Ausbreitung von Pestaloptiosis 2022 auch eine Folge des Düngermangels sein könnte. Der Manager einer anderen Plantage bestätigt die Vermutung: man habe noch Düngervorräte gehabt, und der durch den Laubfall verursachte Ertragsrückgang habe deshalb bei „nur“ zehn Prozent gelegen.

Ein weiteres Problem ist der Anbau in Monokulturen. Dort, wo Kleinbauern Mischkulturen unterhalten und Gummibäume einzeln oder in kleinen Gruppen zwischen mehreren anderen Nutzholzarten stehen, ist Pestalotiopsis kein oder zumindest nur ein geringeres Problem. Noch besser als Mineraldünger wäre die Ausbringung von Kompost. Aber was für Kleinbauern machbar ist, lässt sich auf einer Plantage nicht verwirklichen, die benötigten Kompostmengen sind viel zu groß. Das Rubber Research Institut in Sri Lanka empfiehlt deshalb, die erkrankten Bäume zu schonen und nicht zu zapfen. Das sei eine sinnvolle Empfehlung, die allerdings auf einer Plantage nicht umzusetzen sei, sagt Fernando: In ländlichen Gegenden sind Plantagen die größten Arbeitgeber, schon allein wegen ihrer Größe bilden sie eine eigene Welt. Dem Management obliegt deshalb nicht nur die Verantwortung für die Arbeiter, sondern auch für deren Familien. Nicht nur der Rückgang der Erträge ist daher ein riesiges Problem, sondern es geht auch um die Frage, was aus den Zapferinnen und Zapfern werden soll, wenn immer mehr Gummibäume durch den Fungus vernichtet werden.

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Auf einen schnell wachsenden Wurzelstock wird Pflanzenmaterial von einem Baum mit hoher Kautschukmilchproduktion aufokuliert.

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Die neu gezüchteten Gummibäume sind dünn, wachsen schnell und bringen höhere Erträge.

Palmöl statt Gummi

Im März waren Mitarbeiter des Fair Rubber e.V., einer Organisation, die mittels einer Fair Trade Prämie den Zapfenden hilft, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, zu Plantagenbesuchen in Malaysia. Auch hier war auf allen Plantagen Pestalopiopsis bereits ein riesiges Problem. Gummibäume werden nicht mehr nachgepflanzt, die Plantagen unterhalten keine Baumschulen mehr. Stattdessen werden auf großen Flächen selbst noch produktive Gummibäume herausgerissen und durch Ölpalmen ersetzt. Palmöl hat im Gegensatz zu Naturkautschuk einen sehr guten Weltmarktpreis, die Ölpalmen tragen bereits nach vier Jahren, werfen also deutlich früher Gewinne ab. Die Arbeit in Palmölplantagen kann von ungelernten Arbeitern gemacht werden, ist aber körperlich sehr anstrengend, weshalb in der Regel nur Männer beschäftigt werden. Gummizapfen ist physisch weniger anstrengend, aber es will gelernt sein.

Auf dem Panawatte Estate in Sri Lanka werden als Alternative zu Naturkautschuk die Anbauflächen für Tee erweitert, auf einigen Hektaren wird wieder Kaffee angebaut, auf kleineren Flächen wächst Zimt. Aber die schnelle und erfolgversprechendste Lösung heißt auch in Sri Lanka Palmöl.

Angesichts der Verbreitung von Pestalopiopsis ist die Verfügbarkeit von Naturkautschuk nicht mehr selbstverständlich. Wenn Reifenfirmen und andere Verarbeiter verhindern wollen, dass auf immer mehr Plantagen Gummibäume durch Ölpalmen ersetzt werden, dann muss der Teufelskreis aus niedrigen Weltmarktpreisen und dem daraus resultierenden Zwang, in immer kürzerer Zeit immer mehr Latexmilch zu produzieren, unterbrochen werden. Naturkautschuk ist ein wertvoller Rohstoff, der nicht nur für Reifenhersteller unverzichtbar ist. Die Unterstützung der Produzenten durch höhere Preise, Investitionen in Forschung bezüglich Pflanzenernährung und Züchtung resistenter Klone sowie die Förderung des Anbaus in Mischkulturen wären wichtige Schritte.

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Durch Anritzen der Gummibäume fließt die Latexmilch in den Eimer (Foto links). Die frisch angelieferte Latexmilch wird gewogen und der Gummigehalt ermittelt. Das ist nicht nur für die Weiterverarbeitung wichtig, sondern auch für die Zapfer und Zapferinnen, denn ihre Bezahlung richtet sich auch nach der abgelieferten Menge (Foto rechts).


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