Mit digitalen Helfern

Die abrufbaren Einstellungen eines Mähdreschers waren in den 1990er Jahren ein digitaler Meilenstein. Heute schaut ein Mähdrescher voraus, belastet sich bis zur Leistungsgrenze und optimiert dabei noch die Arbeitsqualität. Der Kundennutzen dieser Techniken wird oft angezweifelt, ist aber eindeutig – der Trend geht zur Automatisierung, wie der folgende Beitrag von Prof. Dr. Thomas Rademacher von der TH-Bingen zeigt.

Erntetechnik: Mit digitalen Helfern

Case IH: Sensoren messen Zustand, Höhe und Dichte des Druschfruchtbestandes.

Erntetechnik: Mit digitalen Helfern

Um den Mähdrescher möglichst gleichmäßig maximal auszulasten, wurde bereits vor 50 Jahren an Durchsatzreglern und Regeltechniken des Dreschprozesses gearbeitet. Heute gehören viele Sensoren sowie Regeltechniken meist zur Serienausrüstung. Doch ihr Entwicklungsweg war sehr lang und ist heute noch nicht beendet.

Mähdrescher mit sogenannten automatischen Einstellungen stehen in allen Preislisten. Doch eine Automatik per Definition ist das oft nicht. Bereits Mitte der achtziger Jahre wurden die Maschineneinstellungen für die jeweiligen Druschfrüchte auf dem Bildschirm im Mähdrescher von Dronningborg, später MF dargestellt. Diese abrufbaren Werte waren die erste digitale Einstellhilfe, die alle Bediener auch aktuell mit eigenen Einstellwerten erweitern können. Von diesen Einstellungen ausgehend wird meistens weiter optimiert - manuell, mit Einstellassistenten und/oder Regeltechniken.

Regeltechnik beginnt beim Erntevorsatz

Der Durchsatzregler nutzt viele Sensorsignale, die möglichst früh gemessen werden. Diese sind unter anderem die Antriebsleistung von Erntevorsatz und Schrägförderer oder die Schichtdicke im Einzugskanal. Doch eine noch frühere Bestandeserkennung ist unter wechselhaften Erntebedingungen sinnvoll. Dazu stellte John Deere 2019 den vorausschauenden Mähdrescher vor. Kamerabilder und die sogenannte NDVI-Karte werden in das System eingespeist und somit erkennt der Mähdrescher quasi, auf welche Erntebedingungen er sich zeitnah einstellen muss.

Case IH hat ein vergleichbares System mit Radarsensoren entwickelt, das zur Agritechnica 2023 vorgestellt wurde. Die Träger des Forward Looking Feedrate Control Systems ragen über die Haspel hinaus. Die Sensoren messen Zustand, Höhe und Dichte des Druschfruchtbestandes als Eingangsgröße für den Durchsatzregler. Darüber hinaus messen die Sensoren das Bodenprofil. Die mit Hilfe neuer Algorithmen berechneten Werte werden zusätzlich zu den Daten der Bodentaster zur Schneidwerk-Höhenführung genutzt. Die patentierte Technik vergleichmäßigt die Erntegutzufuhr und sichert eine Vorsatzführung mit weniger Bodenkontakt. Beide Systeme werden noch nicht vermarktet.

Das Schneidwerk ist der Schlüssel für einen gleichmäßigen Erntegutfluss bei minimalen Verlusten. Die Haspelposition und Länge des Schneidtisches sind ständig an die Bestandesbedingungen anzupassen. Dies regelt CEMOS (Claas elektronisches Maschinenoptimierungssystem) AUTO HEADER für Schneckenschneidwerke. Die Soll-Eindringtiefe der Haspel in den Bestand wird programmiert. Erkennt der Laserscanner eine veränderte Bestandeshöhe, so wird die Haspelhöhe angepasst. Die Schneidtischlänge wird abhängig von den Schwingungen des Schichtdickensensors für den Durchsatzregler im Einzugskanal eingestellt. Bei ungleichmäßigem Erntegutfluss wird der Tisch je nach Ausgangssituation so lange gekürzt oder verlängert, bis sich ein gleichmäßiger Gutfluß mit minimalen Sensorschwingungen eingestellt hat. Auch diese Regeltechnik ist ein weiterer Baustein zur Automatisierung des Mähdruschprozesses.

Dialog-Assistenten

Der Einstellassistent CEMOS ist ein Helfer, der alle Einstellungen von der Halmteilerspitze bis zum Häcksler in der Dialogversion berücksichtigt. Das sind neben den Einstellungen, die während der Erntearbeit durchgeführt werden (Non-Stop-Einstellungen), auch alle Grundeinstellungen (Stop-Einstellungen), die bei stehender Maschine durchgeführt werden. Der Einstellassistent bietet unterschiedlichste, an die Erntebedingungen angepasste Einstellvarianten. Ausgehend von den geladenen Einstellungen optimiert er in Abhängigkeit von den Frucht- und Erntebedingungen, indem er die Bedienperson quasi als Sensor nutzt. Nach jedem Einstellvorgang fragt der Assistent nach dem Ergebnis. Ist es noch nicht zufriedenstellend, werden weitere Einstellalternativen angeboten. Hat sich die Arbeitsqualität reduziert, wird auf die vorherige Einstellung zurückgestellt oder es werden andere Alternativen angeboten.

Die meisten Einstellassistenten optimieren nur die Grundmaschine. Das Interactive Combine Adjustment (ICA) von John Deere gehört zur Serienausrüstung der T-Mähdrescher. Es arbeitet abhängig von der gesetzten Priorität: Kornverluste, Kornbruch, Kornsauberkeit und Strohqualität. Dabei werden alle fruchtabhängigen Non-Stop-Einstellungen inklusive der von der Bestandeshöhe abhängigen Schneidtischlänge aufgerufen. Diese sind Basis für die weiteren manuellen Optimierungsschritte.

CEMOS und ICA fragen vor einer Einstellempfehlung für Non-Stop-Einstellungen die erforderlichen Daten der CAN-Bus-Elektronik ab und schlagen abhängig von den aktuellen Daten der verschiedenen Baugruppen unterschiedliche Einstellschritte vor. Folglich bieten die Assistenten die unterschiedlichsten Variationen und Vorgehensweisen an, agieren also ähnlich wie der erfahrene Top-Fahrer, jedoch mit mehr Extremwerten. Denn ein Fahrer wird bei Erreichen von erfahrungsbedingten Grenzwerten vorsichtiger, der Assistenz weist zwar auf Grenzwerte hin, arbeitet jedoch näher am technischen Limit.

Zum CEMOS-Dialog gehört ein neuer Kalibrierassistent für die Verlustsensorik. Dieser fragt zunächst nach den Eckwerten für die Probennahme, wie nach den Maßen der Verlustschale. Dann gibt er in Abhängigkeit vom Arbeitszustand – Schwadablage oder Häckslerbetrieb – und von der Maschinenausstattung beziehungsweise dem Verteilsystem Empfehlungen, wo die Verlustschalen für ein genaues Ergebnis zu platzieren sind. Die Ergebnisse der Verlustschalenprüfung werden mit den CAN-Daten des Mähdreschers verglichen. Abhängig vom gewünschten Verlustniveau berechnet CEMOS die einzustellende Empfindlichkeit des Kornverlustmonitors. Der Assistent präzisiert die Ernte am vorgegebenen Kornverlustlimit und erhöht somit die Effizienz beziehungsweise Wirtschaftlichkeit.

Die GrainlossCalculatorApp von New Holland ist ein weiterer Helfer zur Verlusterfassung. Die auf dem Boden liegenden Verlustkörner werden fotografiert, die Bildverarbeitungstechnik erkennt die Anzahl Körner pro Flächeneinheit und die dazugehörige App berechnet nach Eingabe der technischen Daten des Mähdreschers sowie des Ertrages die Höhe der Kornverluste. Die Technik verspricht auf jeden Fall eine höhere Genauigkeit als das übliche Freiblasen und Schätzen der Kornverluste. Die für eine präzise Messung zu kleine, gescannte Fläche kann durch Mehrfachscannung kompensiert werden. Ob sich dieses digitale Verfahren zur Kornverlustbestimmung im Markt durchsetzen kann, hängt von der Messgenauigkeit bei Häckslerbetrieb und vornehmlich von der Kornerkennung bei geringem Farbkontrast zwischen Korn und Boden ab. Das System funktioniert bisher nur bei wenigen Früchten. Doch Weiterentwicklungschancen mit Hilfe zusätzlicher KI-Anwendungen sind hoch.

Erntetechnik: Mit digitalen Helfern

Die Automatik regelt die Eindringtiefe der Haspel über einen Laserscanner.

Erntetechnik: Mit digitalen Helfern

Der John Deere Combine Advisor nutzt die Regeltechnik Auto Mainstain.

Einstellautomaten

Selbst Top-Fahrer können sich nicht ständig mit Einstellassistenten beschäftigen. Daher lautete der nächste Entwicklungsschritt: Regeltechnik wie CEMOS-Automatic in unterschiedlichen Ausbaustufen von Claas, ICA 2 von John Deere, IntelliSense von New Holland oder IDEAL Harvest von AGCO.

Das komplexeste System ist das selbstlernende CEMOS Automatic: Je nach Strategie - maximale Druschleistung oder maximale Arbeitsqualität, minimaler Dieselverbrauch oder alle Strategien ausgeglichen -, werden die Dreschtrommeldrehzahl, die Dreschspaltweite und sogar die erste Dreschkorbleiste eingestellt beziehungsweise aktiviert. Hinzu kommen die Drehzahlen des/der Abscheiderotors/en, die Rotorkorbklappenpositionen und damit die Sekundärabscheidefläche sowie die Gebläsedrehzahl und die Ober- und Untersiebweite. Abhängig von der Seitenhangneigung werden zusätzlich die Rotorklappen bergwärts gerichtet, die sogenannte 4D-Reinigung.

Der Combine Advisor von John Deere nutzt die Regeltechnik Auto Maintain. Kernstück dieses Systems ist je eine Kamera im Körner- und im Überkehrelevator. Zunächst wird der Mähdrescher passend eingestellt, auch die Eckwerte für die Sensoren werden programmiert. Das Ergebnis wird dann als Soll-Arbeitsqualität gespeichert. Beide aktuellen Kamerabilder werden ständig mit den Sollwertbildern verglichen. Stimmen Ist- und Sollbild nicht überein, wird die entsprechende Mähdreschereinstellung automatisch korrigiert und somit das Arbeitsergebnis ständig konstant gehalten.

Kernstück des IntelliSense von New Holland sind die Drucksensoren in der Reinigung. Deren Werte sind ein Indikator für die Belegung des Obersiebes. Entsprechend dem Solldruck für eine passende Siebbelegung werden Gebläsedrehzahl und Siebweite eingestellt, um die Reinigungsverluste zu minimieren. Das System wird beim neuen Doppel-Axialrotor-Mähdrescher (Agritechnica-Goldmedaille 2023) zusätzlich mit der Querschütteltechnik der Reinigung verknüpft. Bei ungleichmäßiger Verteilung wird das Korn-NKB-Gemisch jeweils quer zur Fehlstelle geschüttelt. Dies gewährleistet eine gleichmäße Gutverteilung auf den Obersieben nicht nur in der Ebene, sondern auch am Seitenhang. Die Regeltechnik dient nicht mehr nur als Hangausgleich, sondern löst auch das Problem der je nach Erntegutdurchsatz und -beschaffenheit ungleichmäßigen Querverteilung des Korn-NKB-Gemisches auf Vorbereitungsboden und Obersieb bei Axialrotor-Mähdreschern.

Neben der Reinigung stellt die Regeltechnik ausgehend von den vorhandenen Stellwerten die Rotordrehzahl und die Leitschienen im Rotorgehäuse für die Gutflussgeschwindigkeit abhängig von den Sensorwerten ein. Die Dreschspaltweite wird manuell eingestellt. IntelliSense und AFS Harvest Command von Case IH sind nahezu baugleich.

IDEAL Harvest heißt das Einstellsystem von AGCO. Strangsensoren sollen die Abscheidefunktionen unter den Rotoren und der Reinigung messen und die Kornqualität soll ebenso wie bei allen anderen Herstellern per Kameratechnik und Bildanalyse erfasst werden. Anhand der Sensorwerte soll die Maschineneinstellung ebenfalls abhängig von der programmierten Strategie optimiert werden. Aktuell werden die Einstellungen jedoch nur über einstellbare Grenzwerte der Sensoren manuell – also ohne Regeltechnik – optimiert.

Erntetechnik: Mit digitalen Helfern

Kernstück des IntelliSense von New Holland sind die Drucksensoren in der Reinigung.

Wo ist der Kundennutzen?

Je weiter die aktuellen Erntebedingungen von den Erntebedingungen abweichen, die der Hersteller den von ihm empfohlenen Standardeinstellungen zugrunde gelegt hat, desto größer wird der Kundennutzen der Einstell-Regeltechniken. Unter schwierigen Erntebedingungen nimmt die Differenz zwischen der Druschleistung mit Standardeinstellung und optimierter Einstellung desselben Mähdreschers relativ zu. Qualitätsverluste durch zu hohen Körnerbruch und unsauberes Korn werden vermieden. Der jährliche Kundennutzen kann je nach Qualifikation des Fahrers und Erntebedingungen durchaus bis zu 15.000 Euro betragen.

Neben den Mehrleistungen beim Durchsatz sind diese Werte auch durch reduzierte Bruchkornanteile und höhere Kornsauberkeit, also auch durch reduzierte Händlerabzüge bedingt. Hinzu kommt der reduzierte Dieselverbrauch, weil vor allem die Motoren von Rotor-Mähdreschern bei höherer Auslastung im kraftstoffeffizienteren Drehzahlbereich arbeiten. Die digitalen Helfer in Form von maschinengestützter Intelligenz sparen somit Energie und bewirken geringere CO2-Emissionen pro Tonne Druschgut.

Grundsätzlich hängt der Nutzen vom erschließbaren Optimierungspotenzial ab. Es kommt jedoch auch vor, dass sich keine Mehrleistung ergibt, eine Optimierung keinen Effekt zeigt. Dann sind die aktuellen Erntebedingungen etwa deckungsgleich mit den Erntebedingungen für die Standardeinstellungen. Würden sich unter allen Erntebedingungen positive Effekte einer Einstelloptimierung ergeben, so wären die Standardeinstellungen des Herstellers falsch. Durchschnittlich ist jedoch von einer Mehrleistung von fünt bis zehn Prozent gegenüber der Ernte mit Standardeinstellung bei intensiver Nutzung von Assistenten und Einstellreglern auszugehen.


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