Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Fernerkundungsspezialist Andreas Schmidt erstellt aus Satellitendaten und abgleichenden Referenzmessungen am Boden optimierte Applikationskarten für die teilflächenspezifische Frühjahrsdüngung im Raps. Das Verfahren spart Sensormessfahrten im Herbst und ermöglicht auch kleinen Betrieben den Einstieg ins Precision Farming.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Bei den Kontrollmessungen kann Andreas Schmidt auch anhand des Satellitenbildes auf dem Display seines Mobilgerätes ablesen, welcher Vegetationsindex im jeweiligen Feldbereich ermittelt wurde.

Wenn Andreas Schmidt im Spätherbst mit seinem knapp zwei Meter langen Sensorstab über die Rapsfelder schreitet, erinnert das Bild an einen Pilger. Und ganz so schräg ist diese Assoziation gar nicht. Denn tatsächlich baut der 58-Jährige bei dieser Tätigkeit auf Hilfe von oben, wenn auch nicht „von ganz oben“, sondern von den beiden Satelliten des Typs Sentinel, die seit März 2017 mit einer hochempfindlichen Multispektralkamera an Bord die Erde in einer Höhe von rund 780 Kilometern umkreisen.

Die künstlichen Trabanten der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) fotografieren jeden überflogenen Abschnitt der Erdoberfläche und senden die gleichzeitig in 13 unterschiedlichen Spektralbereichen aufgenommenen Bilder an die ESA-Zentrale in Paris. Alle zwei bis drei Tage gibt es neue Schnappschüsse vom Territorium Deutschlands, die jeweils eine Fläche von 100 Quadratkilometern erfassen. Die Aufnahmen mit einer Auflösung von 10 mal 10 Metern können über eine Schnittstelle der ESA kostenlos heruntergeladen werden. „Und das sind keine Rohdaten, wie manchmal behauptet wird, sondern bereits aufbereitete Abbildungen der Landoberfläche, die somit jedem mit ein paar Klicks zur Verfügung stehen“, betont der Diplom-Agraringenieur. So seien beispielsweise Staub, Dunst und kleine Wolken bereits herausgerechnet. Ebenso ließen sich die 13 Kanäle vom sichtbaren bis zum infraroten Spektrum mit dem in der ESA-Cloud bereitgestellten Toolchain miteinander kombinieren, etwa für die Darstellung des Vegetationsindex innerhalb der Rasterflächen. Im Internet gebe es dafür Anleitungen. Er selbst nutze die frei verfügbare GIS-Software QGIS (GIS = GeoInformationsSystem). Das Open-Source-Programm beinhalte das Plugin „Semi-Automatic-Classification“, mit dem man an die Fotos komfortabler herankomme als über den ESA-Viewer. „Das ist kein Hexenwerk. Da kann man sich mit etwas Geduld durchaus reinfuchsen. Gerade für Landwirte jeder Betriebsgröße bieten sich hier tolle Möglichkeiten für agronomische Beurteilungen der Ackerschläge, zumal alle Aufnahmen seit 2017, also über einen Zeitraum von vier Jahren, bereitstehen“, wundert sich Schmidt über die immer noch verhaltene Resonanz auf dieses Angebot der ESA.

Der gebürtige Mecklenburger war nach seinem Agrarstudium in Rostock Anfang der 1990er Jahre als Wissenschaftler an der Universität Karlsruhe auf dem Gebiet der Fernerkundung von Agrarflächen tätig. „Zu jener Zeit gewann gerade die Digitalisierung der Landwirtschaft an Schwung und man entdeckte die Möglichkeiten der Satellitenerkundung“, erinnert sich Schmidt.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Von der ESA bereitgestelltes Satellitenbild in der Echtfarbausgabe. Der dunkle Bereich im unteren Bildteil ist die Müritz in Mecklenburg-Vorpommern.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

In der Multispektralversion der Satellitenaufnahme werden die unterschiedlichen Vegetations-Indizes sichtbar.

Jedes Kilogramm Stickstoff effizient einsetzen

Ganz neu sei das aber schon damals nicht gewesen. Die Amerikaner hätten diese Technologie bereits seit den 1960er Jahren genutzt, um die zu erwartenden Weizenerträge der Russen zu erkunden. Mit den heutigen Rechnern ginge das natürlich deutlich schneller und genauer.

Vor etwa fünf Jahren hätten sich erstmals Behörden, aber ebenso Betriebsleiter, mit Problemen zur Rapsdüngung an die Ingenieurgesellschaft EXAgT GmbH gewandt, die Schmidt gemeinsam mit dem studierten Landwirt Arnim Grabo im sächsischen Zschochau führt. Im Kern gehe es dabei immer darum, wie sich trotz Mengeneinschränkungen in der Ausbringung von Stickstoffdünger gute Erträge und Qualitäten erzielen lassen. Besonders für Landwirte mit Flächen in „roten Gebieten“ mit verschärften Düngeauflagen gelte es, jedes Kilogramm N effizient einzusetzen. „Für die zweite, dritte und vierte Düngerapplikation im Raps haben sich hier schon Verfahren auf der Basis von Sensoren und Satellitenbildern etabliert“, weiß Schmidt.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Am Messstab, den Andreas Schmidt für seine Referenz- untersuchungen nutzt, befindet sich neuerdings ein weiterer N-Sensor auf Basis eines kompakten Mikrobauteils.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Hereingezoomter Ausschnitt des Satellitenbildes mit zwei durch die Feldumrisse gekennzeichneten Flächen, auf denen die N-Aufnahme der Rapskultur im Spätherbst ermittelt werden soll.

Ungenutztes Potenzial erkannten die Precision-Farming-Experten von EXAgT dagegen bei der ersten Gabe im Frühjahr. Grundlage für deren Optimierung ist eine möglichst präzise und teilflächenspezifische Erfassung des Zustands der Bestände zum Ende der Vegetationsperiode. Denn hat der Winterraps zu diesem Zeitpunkt bereits eine N-Aufnahmemenge von 50 kg/ha erreicht, kann für jedes darüber liegende Kilogramm die Ausbringmenge bei der Frühjahrsdüngung ohne das Risiko von Ernteeinbußen um den Faktor 0,7 reduziert werden.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

In dieser Bearbeitungsstufe des Satellitenbildes werden bei den beiden erfassten Rapsfeldern große Unterschiede im Vegetationsindex deutlich.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Auf dem weiter vergrößerten Bild einer einzelnen, durch den Feldumriss markierten Rapsfläche sind die Bearbeitungsrichtung und der Vegetationsindex im Raster von 10 mal 10 Metern erkennbar.

Aufnahmen aus dem Orbit aussagekräftig

Da beim Raps die N-Aufnahme ziemlich genau mit der Biomasseentwicklung korreliert, gibt es dafür bereits eingeführte Methoden wie die N-Waage von Rapool, die App „ImageIT“ von Yara oder Überfahrten mit dem N-Sensor im Spätherbst. „Die Crux ist, dass man beim Auswiegen und mit der bildgestützten App nur punktuelle Werte erhält, die nicht die gesamte Fläche repräsentieren. Und selbst in Betrieben, die bei der Kulturführung mit traktorgebundenen N-Sensoren arbeiten, hat man oft wenig Lust, die Technik zum Jahresende, wo traditionell Überstunden abgefeiert werden, noch mal zu aktivieren“, berichtet der Firmenchef.

Bei der Suche nach Verfahren, mit denen sich die N-Aufnahme der Rapspflanzen zum Vegetationsende leichter erfassen lässt, setzte man in dem sächsischen Ingenieurbüro anfangs auf Drohnen mit Multispektralkameras und Referenzerfassungen in klassischer Form mittels Waage. Dies erwies sich jedoch als extrem zeitaufwendig und teuer. „Die Aussagekraft der dann ab 2017 nutzbaren Bilder aus dem Orbit beurteilte ich, wie viele in der Branche, zunächst skeptisch. Doch schnell wurde klar, dass sich aus den Aufnahmen detaillierte und, wie die Kontrollmessungen mit dem Yara-N-Sensor zeigten, ausreichend genaue Daten ableiten lassen“, berichtet Schmidt über die Anfänge des Verfahrens, das EXAgT mittlerweile jedes Jahr bei Auftraggebern auf insgesamt über 1.000 Hektar Ackerfläche anwendet. Der aus den Multispektralaufnahmen der Satelliten ablesbare Vegetationsindex (NDVI) in einem Flächenraster von 10 mal 10 Metern liefert jedoch noch keine N-Aufnahmekarten. Dafür entwickelte der Fernerkundungsspezialist in langen Versuchsreihen und mit dem an der Universität Karlsruhe erworbenen Know-how eine eigene Berechnungsformel.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Bearbeitetes Satellitenfoto eines Rapsfeldes mit den Angaben zur N-Aufnahme im Spätherbst 2021.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Der Yara-N-Sensor ermittelt in diesem Bereich des Rapsfeldes eine N-Aufnahme von 41 kg/ha.

Satellit und Sensor: ein ideales Paar

Die teilflächenspezifische Ermittlung der optimalen N-Mengen für die Frühjahrsdüngung auf Rapsflächen erfolgt heute nach einer festen Routine. Hat der Auftraggeber die Feldumrisse aus den Agrardaten des Betriebes übermittelt, werden im Bildfundus der ESA wolkenfreie Spätherbst-Aufnahmen der betreffenden Flächen herausgesucht. „Das klappte bislang immer. Im vergangenen Jahr war beispielsweise am 28. und am 30. Oktober über nahezu ganz Deutschland der Himmel blau“, sagt Schmidt. Später erfolgen Referenzmessungen mit dem Yara-N-Sensor in Feldabschnitten, die anhand der Satellitenbilder einen hohen, mittleren und niedrigen NDVI-Index aufweisen. Nach Aussage des Dienstleisters ergeben sich aus den NDVI-Messungen am Boden nur selten geringfügige Abweichungen gegenüber den Daten aus dem Orbit. Dennoch bleibe man vorerst bei dieser Verfahrensabfolge, um sicher zu gehen und um einen eigenen agronomischen Blick auf die Fläche zu werfen. Auf dieser Datengrundlage erfolgt die Berechnung der N-Aufnahme, die nach bisherigen Erfahrungen zwischen 20 und 140 Kilogramm schwankt, und daraus abgeleitet schließlich die Erstellung der DüV-konformen Applikationskarte. „In den meisten Fällen ergeben sich so Einsparungen von 15 bis 25 Kilogramm pro Hektar“, verweist Schmidt auf den erzielbaren Effekt. Eine differenzierte Andüngung führe zudem zu einheitlicheren Beständen, die sich einfacher führen lassen und einer Frühsommertrockenheit besser begegnen könnten.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Auf dem Display des Mobilgerätes wird die aktuelle Messposition angezeigt.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Für die abgleichenden Kontrollmessungen auf den Flächen nutzt Andreas Schmidt einen geeichten Yara-N-Sensor.

Gute Nachfrage

Infolge der ansteigenden Düngerpreise und einer gleichzeitigen Ausweitung der Anbaufläche für Raps als Alternative zum Palmöl, das Biokraftstoffhersteller ab 2023 nicht mehr auf die nationale Quotenverpflichtung anrechnen können, verzeichnet Schmidt gegenwärtig eine steigende Nachfrage nach Karten zur N-Aufnahme und zur darauf abgestimmten N-Andüngung.

Parallel entstehen neue Herausforderungen. Dazu gehören die bislang nicht interpretierbaren Mischsignale aus Rapskulturen mit Beisaaten. Auch die Weiterentwicklung der Messtechnik darf der Precision-Farming-Experte nicht aus dem Auge verlieren. Am Stab für die Ermittlung des NDVI-Index im Feld zur Überprüfung der Satellitendaten befindet sich daher neuerdings ein zweiter Sensorkopf Marke Eigenbau. Darin steckt ein in Österreich entwickelter Multispektral-Sensor. In dem winzigen Chip ist schon die gesamte Optik in Form geätzter Filter integriert.

„Was in jedem Fall bleibt, ist unser Motto für die Düngung insgesamt und die Andüngung im Raps im Besonderen“, versichert Andreas Schmidt. „Nicht zu viel bei den guten Pflanzen und nicht zu wenig bei den schlechten“.

Rapsanbau: Herbstscan aus dem Orbit für die erste Gabe

Auf der Grundlage der Satellitendaten und der Kontrollmessung erstellte DüV-konforme Applikationskarte für die Andüngung des Rapsbestandes im Frühjahr.


Weitere Artikel zum Thema

weitere aktuelle Meldungen lesen