
Zu Erntezeiten geht es in den landwirtschaftlichen Betrieben hoch her. Da zählen unter anderem ein gut gewarteter Maschinenpark, langjährige Erfahrung, ein Schuss Bauchgefühl und im Vorfeld perfekt aufeinander abgestimmte Abläufe, damit später alles wie am berühmten Schnürchen läuft. Das gerade abgeschlossene europäische Forschungsprojekt „AIPlan4EU“ zeigt vor allem: Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) – und hier insbesondere planbasierte KI-Verfahren – kann tatsächlich mehr Präzision sowie Verlässlichkeit und damit Entspannung in den hektischen Erntealltag bringen.
Logisch ist alle Theorie
Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. In erster Linie wird von lernbasierten Versionen gesprochen. Hier geht es darum, Muster auf Basis von Trainingsdaten zu erkennen. Dadurch sind viele agrartechnische Anwendungen wie die Unkraut- und Krankheitserkennung oder das Auswerten von Luftbildern erst möglich geworden.
Aber auch planbasierte KI-Verfahren als Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz sind einen genaueren Blick wert. Konkret geht es darum, bestimmte Ziele durch Planung und Ausführung von Aktionen zu erreichen. Hierzu werden Planungsalgorithmen eingesetzt. Diese berechnen später eine Abfolge von Aktionen, die durchgeführt werden müssen, damit vom Ausgangspunkt ein bestimmtes Ziel erreicht werden kann. Im genannten Forschungsprojekt selbst wurde mit generischen Planungsalgorithmen gearbeitet. Dieser spezielle Typ kann übergreifend für eine Vielzahl von Problemen eingesetzt werden, ohne dass eine spezielle Anpassung an das jeweilige Problem vorgenommen werden muss.
Internationales Projekt mit wertvollen Erkenntnissen für die Agrarwirtschaft
Im Fokus des stark logistik- und robo- tiklastigen Projektes „AIPlan4EU“ standen branchenübergreifend Anwendungen für die Künstliche Intelligenz. So gehörten Global Player wie der Flugzeugbauer Airbus oder Konsumgüter-Konzern Procter&Gamble zu den Projektbeteiligten, die an KI-Anwendungen für die Luftfahrt beziehungsweise automatisierten Produkttests mit Hilfe von Roboterarmen arbeiteten.
Zwei deutsche Projektbeteiligte – das „Agrotech Valley Forum e.V.“ und das „Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz“ konzentrierten sich in ihrem Anwendungsfall auf die optimierte Planung einer Maishäckselkampagne und setzten dazu die genannten planbasierten KI-Verfahren ein. Aufgrund des insgesamt hohen Aufwandes, des Zeitdrucks und des Einsatzes teurer Maschinen sind Optimierungen bei Ernteaktionen besonders lohnend. Bei dieser Erntekampagne zählen die zu erntenden Flächen, Ertragserwartungen, verfügbare Silokapazitäten sowie einsatzbereite Maschinen wie Häcksler, Absetzer oder Walzschlepper ebenso wie die Nutzlast und Arbeitsbreiten von Maschinen zu den wichtigsten Rahmenbedingungen.
Bei Ernteeinsätzen sind Entscheidungsregeln und zulässige Aktionen das A und O. Dies gilt für grundsätzliche Regeln wie die Tatsache, dass ein Abfahrer seinen Anhänger erst am Silo entleeren muss, bevor er weiteres Erntegut aufnehmen kann. Dazu gehören aber auch Regeln, die bereits Teil der Optimierung des Ernteablaufes sein könnten. Beispiel: Der nächstgelegene Abfahrer wird als Nächster befüllt. Letztgenannte Regelwerke werden von den Experten als Heuristiken bezeichnet, die Planungsprobleme entscheidend vereinfachen können. Für den Einsatz von Planungsalgorithmen müssen sie jedoch formalisiert werden. Genau wie die Aktionen selbst – zum Beispiel das Überladefahrzeug fährt zum Feldzugangspunkt.

© ATV
Jonathan Schulze Buschhoff vom Agrotech Valley Forum sieht in der planbasierten Künstlichen Intelligenz eine wertvolle Entscheidungshilfe für Landwirte.
Am Anfang ist Künstliche Intelligenz viel Fleißarbeit
Die beiden Forschungspartner (AVF & DFKI) haben genau diese Formalisierungen für die Silomaisernte entwickelt. Zunächst galt es laut Jonathan Schulze Buschhoff vom „Agrotech Valley Forum“, umfangreiche Daten zum Thema „Silomaisernte“ zu sammeln. So wurden in Zusammenarbeit mit einem Lohn-unternehmen mehrere Häcksler mit Sensoren ausgestattet, um zum Beispiel Durchflussmengen zu erfassen. Andere Projektbeteiligte entwickelten das Software-Framework “Unified Planning“, mit dem verschiedene Planungsalgorithmen für den Anwendungsfall „Silomaisernte“ eingesetzt werden konnten. Zukünftig könne laut Jonathan Schulze Buschhoff dieser Ansatz genutzt werden, um Lohnunternehmern und Landwirten optimierte Planungsvorschläge direkt im Farm Management System“ (FMIS) anzuzeigen und dadurch Einsparpotenziale offenzulegen.

Arbeiten mit planbasierter KI: Die Grafik zeigt das Ergebnis der durchgeführten Planung. Die schematische Anordnung der Felder und des Silos (links) sowie die Abfolge der Aktionen für jedes Fahrzeug. Geplant wurde für drei Abfahrer (tv_1 - tv_3) und einen Häcksler (untere Zeile der Grafik). Die Zeitangaben sind in Sekunden (X-Achse).
Optimistischer Ausblick in die Zukunft
Das Framework ist jetzt als sogenanntes Open-Source-Werkzeug öffentlich zugänglich. Software-Entwickler können dieses Programmier-Gerüst nutzen, um es in ihre Software einzubinden. Vorstellbar wäre, dass auf diesem Wege planungsbasierte Künstliche Intelligenz dazu genutzt werden kann, bereits existierende, ernteorientierte Apps wie „Harvest Assist“ (siehe eilbote Nr. 21/2023) ganz im Sinne der Anwender noch besser zu machen.
Im Forschungsprojekt wurde deutlich, dass die Künstliche Intelligenz den Landwirt nicht ersetzen will. Je mehr diese Technologie jedoch als Entscheidungshilfe verstanden und genutzt wird und die Erfahrungen sowie das berühmte „Bauchgefühl“ des Landwirtes ergänzt, umso mehr wird die Künstliche Intelligenz in der Landwirtschaft ihren Platz finden. Generell sieht Jonathan Schulze Buschhoff die KI-Zukunft optimistisch. Er hat zusammen mit anderen Projektbeteiligten gerade in der Landwirtschaft viel Potenzial für automatisierte Planung entdeckt. Aus Sicht des engagierten Wirtschaftsinformatikers ist es dazu einerseits wichtig, dass beteiligte Landwirte dieser neuen Technologie offen und angstfrei begegnen und so viele betriebsbezogene Datensätze wie möglich bereitstellen. Und wenn dann noch die Landmaschinenhersteller Anwendungen schaffen, in deren Hintergrund KI läuft und dem Landwirt hohen Nutzen bieten, habe Künstliche Intelligenz in der Landwirtschaft eine große Chance.
Die Projektbeteiligten
Agrotech Valley Forum e.V.: In der Region um Osnabrück im Nordwesten Deutschlands hat sich über Jahrzehnte großes Wertschöpfungsnetzwerk im Bereich der Landwirtschaft entwickelt. International bekannte, meist inhabergeführte Unternehmen der Agrarsystemtechnik gehören dazu. Der Verein „Agrotech Valley Forum“ e.V. mit Sitz in Bohmte bei Osnabrück dient nach eigener Aussage der Kooperation der genannten Unternehmen mit in der Region ansässigen wissenschaftlichen Einrichtungen. Dadurch soll der Wissenstransfer zwischen Entwicklern und Anwendern angeregt und Vernetzungspotenziale über die gesamte bioökonomische Wertschöpfungskette gehoben werden.
DFKI: Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) mit Standorten in Kaiserslautern, Saarbrücken, Bremen und Niedersachsen, Laboren in Berlin und Darmstadt sowie Außenstellen in Lübeck und Trier wurde 1988 gegründet. Das Institut forscht an KI für den Menschen und orientiert sich an gesellschaftlicher Relevanz und wissenschaftlicher Exzellenz in den entscheidenden zukunftsorientierten Forschungs- und Anwendungsgebieten der Künstlichen Intelligenz
Der DFKI-Forschungsbereich Planbasierte Robotersteuerung (PBR) in Osnabrück beschäftigt sich mit einer Vielfalt von KI-Themen im Agrarbereich, von klassischen Methoden wie Prozessplanung und Navigation für Maschinen und Feldroboter über Expertensysteme bis zu modernen Anwendungen Neuronaler Netze, wofür die gesamte Entwicklungskette von der Datenaufnahme im Feld und Generierung synthethischer Trainingsdaten bis zum cloudbasierten KI-Training abgebildet ist.