Brexit-Realität trifft die britischen Landwirte hart

Neue Programme gleichen die fehlenden Gelder aus Brüssel bei weitem nicht aus – Neu geschlossene Handelsabkommen mit Australien und Neuseeland verschärfen zusätzlich die Lage

Großbritannien: Brexit-Realität trifft die britischen Landwirte hart

Besonders die britischen Schaffarmer leiden wirtschaftlich unter den Folgen des Brexits. Aus Neuseeland importiertes Lammfleisch ist in den Supermärkten günstiger zu haben.

Zu Beginn des Jahres fanden im britischen Oxford gleich zwei nationale Agrarkonferenzen statt. Zur Oxford Farming Conference kommen vor allem konventionelle Landwirte und Vertreter der Agrarindustrie, die alternative Oxford Real Farming Conference ist Treffpunkt für Familien-, Bio- und regenerative Betriebe. Zweckoptimismus prägte die Stimmung auf beiden Veranstaltungen. Man dürfe nicht die Hände in den Schoß legen und auf Lösungen von „oben“ warten, hieß es, aber es müsse endlich Klarheit über die Richtung in der Agrarpolitik geben.

Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben Landwirte in ganz Europa getroffen. Genau wie ihre Kollegen auf dem Kontinent haben auch in Großbritannien Landwirte mit enormen Kostensteigerungen für Energie, Futtermittel und Dünger zu kämpfen. Was sie zusätzlich trifft, sind die Konsequenzen des britischen EU Austritts im Januar 2020. Welche Kosten im Agrarsektor dadurch entstehen und welche Einbußen die Landwirte hinnehmen müssen, wird erst jetzt deutlich.

Eine klare Folge des Brexit ist das Ende der Direktzahlungen aus Brüssel. Die britische Regierung setzt die Subventionierung zwar fort, die Zahlungen werden jedoch von Jahr zu Jahr prozentual verringert und 2027 ganz eingestellt. Die Landwirte in Oxford wollten vor allem Klarheit über die staatlichen Umweltprogramme, die die Direktzahlungen zumindest teilweise ersetzen sollen.

Großbritannien: Brexit-Realität trifft die britischen Landwirte hart

Politchaos bei Subventionszahlungen

Agrarpolitik ist in Großbritannien Ländersache. Die Gesetzgebung für Schottland, Wales und Nordirland wird von den dortigen Parlamenten gemacht, die für England jedoch von der britischen Regierung, die auch darüber entscheidet, wieviel Geld insgesamt zur Verfügung steht. Bereits nach dem Brexit-Referendum 2016 hatte die Regierung erklärt, Steuergelder solle es nur noch für Maßnahmen von öffentlichem Interesse, wie Boden- und Gewässerschutz oder Steigerung der Biodiversität, geben. Lebensmittelproduktion wurde nicht als Zielsetzung erwähnt.

Fünf Jahre lang wurden verschiedene Programme in Pilotprojekten getestet. 2022 war es dann soweit: Rund 85.000 Landwirte konnten ihre Teilnahme an einem dreistufigen Nachhaltigkeitsprogramm SFI1 anmelden, um Zahlungen für Maßnahmen wie Blühstreifen, Zwischenfruchtsaaten oder Baumpflanzungen zu bekommen. Lediglich 2.000 Landwirte machten sich die Mühe, einen Antrag zu stellen. Die Zahlungen seien so niedrig, dass sie den bürokratischen Aufwand nicht lohnten, hieß es. Farmen in England haben eine durchschnittliche Größe von 85 Hektar, und die Zahlungen aus Brüssel lagen bei etwa £ 230 (260 Euro) pro Hektar. Bodenschutzmaßnahmen unter dem SFI Programm werden lediglich mit etwa £ 22 entlohnt2.

Ein weiteres Problem sind die weiterhin unklaren Standards. Zur Erinnerung: Die britische Regierung wurde im letzten Jahr von drei verschiedenen Premierministern geleitet, die jeweils auch die Posten im Ministerium für Umwelt und den ländlichen Raum neu besetzten. Als erste Amtshandlung nahm jedes neue Team das SFI Programm unter die Lupe und änderte die Modalitäten. Und dass die Mitarbeiter der für Anträge und Auszahlungen zuständigen Stelle für einen ganzen Monat streikten, machte das Chaos komplett. ‚„Wir haben die Kritik der Landwirte ernst genommen“, erklärte der für Landwirtschaft zuständige Minister in Oxford und kündigte eine einmalige Zahlung von £ 1.000 (etwa 1.300 Euro) und eine leichte Erhöhung der Pro-Hektar-Zahlungen an. Die Landwirte reagierten wenig begeistert: Man brauche endlich Klarheit über die Konditionen und den finanziellen Nutzen, nicht ständige Anpassungen und Veränderungen.

Brexit, Handel und Hürden

Der Austritt aus der EU werde eine Vielzahl neuer Handelsabkommen ermöglichen und Landwirtschaft und Industrie einen globalen Exportmarkt eröffnen, versprachen Brexit Befürworter wie Ex-Premier Boris Johnson. Die bisher neu geschlossenen Handelsabkommen mit Australien und Neuseeland wurden vom britischen Bauernverband von Anfang an scharf kritisiert: Die Tierwohlstandards in beiden Ländern seien deutlich niedriger als in Großbritannien, billige Importe von Rind- und Lammfleisch drohten den britischen Markt zu überschwemmen, sobald die Nachfrage aus China auch nur geringfügig nachlasse. Vor zwei Monaten meldete sich dann auch George Eustice, der (langjährige) ehemalige Agrarminister, zu Wort. Nachdem er nicht mehr der Kabinettsdisziplin unterliege, könne er es ja sagen: Für britische Landwirte sei das Abkommen mit Australien wirklich kein guter Deal. Und der mit Neuseeland ebenfalls nicht: 2022 stiegen die Importe von neuseeländischem Lammfleisch um 11 %, der Verkaufspreis in den Supermärkten lag etwa 30 % unter dem von frischem, britischen Lammfleisch.

Wichtigster Handelspartner Großbritanniens bleibt die EU, aber sowohl Im- als auch Exporte sind durch nichttarifäre Handelshindernisse wie phytosanitäre Nachweise deutlich zeitaufwendiger und teurer geworden. Wissenschaftler an der London School of Economics, LSE, haben die ersten beiden „Brexitjahre“ 2020 und 2021 untersucht und berechnet, dass britische Konsumenten in dieser Zeit fast sechs Milliarden £ (knapp acht Milliarden Euro) mehr für Lebensmittel zahlen mussten. Brexit habe zu einer jährlichen dreiprozentigen Preissteigerung bei Lebensmitteln geführt. Vor dem Brexit Referendum seien 77 % aller Lebensmittelimporte aus EU Ländern gekommen. Nach dem Austritt hätten EU Firmen sofort begonnen, die durch den Brexit verursachten zusätzlichen administrativen Kosten an ihre britischen Kunden weiterzugeben.

Die Talsohle ist damit aber noch immer nicht erreicht: Der Export von landwirtschaftlichen Produkten und Lebensmitteln in die EU könnte nochmals schwieriger werden, wenn ab 2024 alle EU Standards und Regulierungen ihre Gültigkeit in Großbritannien verlieren. Nach Ansicht der Regierung ist das aber eine Voraussetzung für einen möglichen Handelsvertrag mit den USA, und britische Landwirte könnten endlich vom wissenschaftlichen Fortschritt profitieren und gentechnisch veränderte und geneditierte Pflanzen anbauen. Lebensmittel, die mit geneditierten Rohstoffen hergestellt wurden, sollen keiner Kennzeichnungspflicht unterliegen.

Hohe Kosten, geringe Margen

Die Verdienstspannen bei Lebensmitteln sind knapp, aber Supermärkte kassieren den Löwenanteil des Profits, während die Landwirte fast leer ausgehen. Das ergab eine Studie der britischen Nichtregierungsorganisation Sustain. Ein Paket mit vier Hamburgern wird beispielsweise für 3,50 £ verkauft, der Reingewinn liegt bei 8,7 Pence, wovon der Landwirt nur 0,1 (!) Pence erhält. Der Ladenpreis für ein 480 g Päckchen Cheddar Käse ist 2,50 £, die Produktionskosten für den Milchbauern liegen bei 1,48 £, der Gewinn liegt auch hier unter einem Penny. „Landwirte tragen ein überproportional hohes Risiko bei der Produktion von Lebensmitteln, aber sie bekommen einen unverhältnismäßig geringen Anteil am Profit“, so Vicki Hird, die Direktorin von Sustain. Der Sprecher für den Einzelhandelsverband erklärte, man sei sich der Probleme bewusst, aber auch der Handel habe höhere Kosten. Man versuche dennoch, die Preise stabil zu halten, um Konsumenten, die sich selbst Grundnahrungsmittel kaum mehr leisten könnten, nicht noch stärker zu belasten.

Steigende Preise, sinkende Margen, bürokratische Hürden – für die britische Landwirtschaftszeitung Farmers Weekly ein Anlass, zum Jahresbeginn eine Prognose für 2023 zu erstellen. Danach werden die Profite in den landwirtschaftlichen Betrieben im Vergleich zum Vorjahr um bis zu einem Drittel sinken. 2022 seien die Folgen der steigenden Kosten noch abgemildert worden, weil die Landwirte bereits im Vorjahr Dünger vergleichsweise billig eingekauft hatten. Die Energiepreissteigerungen seien erst gegen Ende des Jahres zum Tragen gekommen.

Für Getreideproduzenten sieht die Lage vergleichsweise günstig aus, sofern sie in der Lage sind, noch effizienter zu arbeiten. Schaffarmer werden nach Ansicht von Farmers Weekly die Subventionskürzungen, die in vielen Betrieben bis dato bis zu 90 % des Einkommens ausmachen, besonders deutlich zu spüren bekommen. Die Zahlungen sind in diesem Jahr um 35 % geringer als vor dem britischen EU Austritt. Bereits im letzten Jahr haben neben den Exportschwierigkeiten Dürre und eine entsprechend geringe Heuernte zu den Problemen bei Schafen und auch Fleischrindern beigetragen. Schweinezüchter haben in den letzten zwei Jahren Verluste von 600 £ Millionen (knapp 680 Millionen Euro) gemacht. Neben Futter- und Energiekosten sowie den Folgen der Afrikanischen Schweinepest war die geringe Kapazität in den Schlachthöfen eine der Hauptursachen. Es dauerte Monate, bis die Regierung zusätzliche Visen für Metzger bewilligte, die dann schließlich in den Philippinen angeworben werden konnten. Der Verband der Schweinezüchter geht davon aus, dass 80 % der Schweineproduzenten in den nächsten zwei Jahren aufgeben werden, wenn sich die Situation nicht grundlegend ändert.

Ebenfalls brisant ist die Lage im Obst- und Gemüseanbau. Zum Jahresende 2022 hat die Regierung 45.000 Visen für saisonale Arbeitskräfte bewilligt. Das sind 10.000 mehr als 2022, aber gebraucht werden 70.000 bis 90.000. Der Bauernverband NFU schätzt, dass im letzten Jahr Obst und Gemüse im Wert von 60 Millionen £ verrottete, weil Erntearbeiter fehlten. Viele Anbauer reduzieren die Anbauflächen oder geben ihre Betriebe ganz auf. Ähnliches gilt auch für Eier- und Geflügelproduzenten. Die gesetzlich geforderten besseren Haltungsbedingungen machen oft hohe Investitionen notwendig. Die Supermärkte sind nicht bereit, den Produzenten mehr zu zahlen und importieren stattdessen Eier aus Italien. Angesichts steigender Energie- und Futterkosten wird es auch in diesem Sektor weitere Betriebsaufgaben geben.

Wie gravierend die Lage, ist wurde in einer Rede der ehemaligen Chefin des britischen Geheimdienstes MI5, Baroness Manningham-Buller, deutlich. Für die nationale Sicherheit Großbritanniens hätten Lebensmittelproduktion und die Verfügbarkeit der für Anbau und Ernte notwendigen Arbeitskräfte eine Schlüsselstellung, sagte Manningham-Buller, beides sei zu lange als selbstverständlich hingenommen worden, und das stelle inzwischen ein Sicherheitsrisiko dar. „Die Verdopplung von Düngerpreisen, steigende Energiekosten, der Mangel an saisonalen Arbeitskräften, sowie Handelsverträge zugunsten von Ländern mit geringeren landwirtschaftlichen Standards und störanfällige Lieferketten – all das hat einen negativen Einfluss auf die Landwirte, die unsere Nahrung produzieren, und wir müssen dringend Strategien entwickeln, dies zu ändern.“

Was heißt das für den Landmaschinensektor?

Effizienz steigern, Kosten sparen und diversifizieren – das sind wohl die wichtigsten Ziele für britische Landwirte. Neue Maschinen können dabei helfen, aber für die meisten wird sich die Frage stellen, ob eine Neuanschaffung unter den gegenwärtigen Bedingungen finanzierbar ist.

Im Dezember 2022 wurden 29 % weniger Traktoren verkauft als im Vergleichsmonat des Vorjahres, insgesamt lagen die Verkäufe 4 % unter denen von 2021, heißt es bei der AEA (Agricultural Engineering Association), dem Ingenieursverband für Agrarmaschinen.

Landmaschinen waren auch Diskussionsthema in Oxford. George Young hat eine Farm östlich von London, er baut Getreide und andere Feldfrüchte an und hält Fleischrinder. Landwirte müssten endlich lernen, Kostenfaktoren richtig zu verstehen, sagte Young bei einer Podiumsdiskussion. Die Abschreibung eines Traktors sei für die Steuer relevant, aber für sonst gar nichts. Man könne seinen Traktor auch anständig warten oder reparieren und das Geld anders einsetzen. Sein Rat: „Stell deinen Betrieb auf regenerative Landwirtschaft um, dann hast du geringere Inputkosten, sparst Energie und deine Maschinen halten länger.“ Damit wären zumindest die Aussichten für den Handel mit Ersatzteilen in Großbritannien blendend.

aus London: Marianne Landzettel

1SFI steht für Sustainable Farming Initiative und hat drei aufeinander aufbauende Stufen mit jeweils höheren Anforderungen. SFI ist Teil von ELMs, dem Environmental Land Management scheme. Die beiden anderen Programme – Local Nature Recovery und Landscape Recovery – sind für größere Flächen und die Zusammenarbeit von mehreren Landwirten und Landbesitzern gedacht und bislang erst in einer frühen Erprobungsphase.

2 Mehr als 30.000 Landwirte haben außerdem noch „alte“ Verträge unter dem Countryside Stewardship Programm CS. Wer große Ackerflächen durch das Pflanzen von Grasstreifen aufbricht, bekommt dafür 624 £ p/ha. CS wird in ELMs überführt werden, aber freiwillig gibt natürlich niemand einen CS Vertrag zugunsten von SFI auf.


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