Märkte zwischen Bomben, Politik und Spekulation

Die große Lage der Märkte für Getreide, Ölsaaten, Energie und Dünger beschreibt Analyst Dr. Uwe Scheper

Ukraine-Krieg: Märkte zwischen Bomben, Politik und Spekulation

Der globale Handel mit Getreide dürfte 2021/22 wegen des Krieges in der Ukraine kleiner ausfallen als bislang angenommen. Der Internationale Getreiderat (IGC) bezifferte die betreffende Menge letzte Woche auf voraussichtlich 415 Mio. Tonnen; damit würde die Vorjahresmenge um 7 Mio. Tonnen verfehlt.

Unserer Welt stehen unsichere Zeiten bevor. Selbst wenn sämtliche kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine am heutigen Tage ad acta gelegt werden könnten, so müssten sich die ehemals reibungslos funktionierenden Lieferketten rund um den Globus neu sortieren und einen gemeinsamen Rhythmus finden. Spätestens seit Corona wissen wir, wie sensibel die internationalen Handels- und Lieferbeziehungen sind. Die Folgen des Ukraine-Konflikts dürften massiver sein, da die Märkte auch ein zerstörtes Vertrauen kompensieren müssen. Von einem Ende der Kampfhandlungen ist zu Redaktionsschluss (21.3. 12 Uhr) noch nicht die Rede. Bis dahin bestimmen auch Spekulation und Sorge die Märkte, und die sorgen für zusätzliche Kursausschläge und steigende Preise.

Kurzfristig volatil

Folglich fällt es auch schwer, klare Aussagen für die kurzfristige Entwicklung der Märkte zu treffen. Im Grunde reicht ein kleines „Vielleicht“ aus dem Kreml aus, um die Kurse an den Agrar-, Energie-, Rohstoffmärkten und selbst den Weltkapitalmärkten teilweise deutlich zu bewegen. Dies haben wir in den letzten Tagen sowohl bei der Preisentwicklung beim Rohöl sowie bei Weizen gesehen, wo die Preise zunächst kräftig anzogen, dann einknickten und nun wieder anziehen. Grundsätzlich raten Händler unter diesen Bedingungen, die Märkte aufmerksam zu beobachten, die eigenen preislichen und zeitlichen Spielräume zu kennen und gegebenenfalls lediglich Teilmengen zu handeln. Ein Patentrezept für ein erfolgreiches Agieren auf den Märkten gibt es indes nicht.

Getreide und Ölsaaten

Die Kriegsparteien zählen zu den zentralen Exporteuren für Weizen und Ölsaaten. Für die Ukraine stellt sich die Frage, wie der Anbau erfolgen soll. Teilweise fehlt es an Schlepperfahrern, da sich diese an der Front befinden. Es fehlt an Dünger, der ohnehin zu teuer ist. Teilweise ist von Minenfeldern die Rede, die eine Bestellung unmöglich machen. Zudem ist die Frage zu klären, ob die Logistik robust genug ist, um die Ernte im weiteren Jahresverlauf über Straßen an die Seehäfen und damit auf die Weltmärkte zu liefern. Dies stellt die Branche vor große Fragezeichen. Was die Nachfrage anbelangt, so können vor allem finanzschwache Länder kaum noch mitbieten. Das Risiko von Hungersnöten auf dem afrikanischen Raum besteht. Es wird sich zeigen, ob und wie Welternährungsprogramme an den Märkten aktiv werden, um die Ernährung in diesen Regionen zu sichern.

Energie

Zuletzt sind die Kurse für Rohöl nach einer Preisrallye deutlich gefallen. Zu Redaktionsschluss wird das Einknicken der Preise mit positiven Erwartungen über den Verlauf laufender Gespräche zwischen russischen und ukrainischen Verhandlern erklärt. Zudem wird davon ausgegangen, dass neue Coronaausbrüche in China zu einer Konjunkturdelle führen könnten. Zugleich waren zahlreiche Aktien aus dem Reich der Mitte teilweise deutlich eingebrochen. Vor einigen Tagen hatte ein Kollege nach den Konditionen für Heizöl nachgefragt. Angesichts der volatilen Märkte wurde ihm kein konkreter Preis genannt. „Wir können Preise nur noch tagesaktuell nennen“, so der Händler, „akzeptiere das oder eben nicht“. Beobachter bemängeln, dass das jüngste Einknicken der Kurse für Rohöl an den Zapfsäulen nicht oder nur kaum zu bemerken gewesen sei. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte den Mineralölhandel davor, auch sinkende Kurse zügig an die Kunden durchzureichen. Das Bundeskartellamt beobachte den Markt sehr genau, so der Minister.

Mineraldünger

Durch die gegen Russland verhängten Finanzsanktionen kann der Export von Düngemitteln nach Europa nicht mehr abgewickelt werden. Der Deutsche Raiffeisenverband weist darauf hin, dass Russland etwa 20 Prozent des weltweiten Kali-Düngers sowie nennenswerte Mengen an Stickstoffdüngern liefert: „Teilweise kosten Dünger heute viermal so viel wie noch vor einem Jahr. Die Preise für Stickstoffdünger haben die 1.000 Euro-Marke überschritten!“, so Guido Seedler, Getreidemarktexperte des DRV. Versorgungslücken seien nicht mehr auszuschließen. Dies könnte deutliche Konsequenzen für die Qualität der Ernte im kommenden Herbst haben.

Tierische Produktion

Je nach Tierart sind Landwirte in unterschiedlicher Weise von den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine betroffen. Produktionsfaktoren wie Strom, Öl, Gas oder auch die gesamte Futtersparte haben sich deutlich verteuert. Während das Milchgeld sowie die Preise für Schlachtvieh bereits seit einigen Monaten aufgrund der Knappheiten für Milch und Schlachtvieh kontinuierlich angezogen sind, erlebt der Schweinesektor seit einigen Wochen eine deutliche Belebung. Hierfür spielen sicherlich auch Effekte wie die Hoffnung auf verbesserte Absatzmöglichkeiten eine Rolle. Letztlich beklagen gerade Schweinemäster aktuell, dass die gestiegenen Schweinepreise kaum in der Lage seien, die erhöhten Vorkosten zu kompensieren. Schlachtunternehmen bemühen sich indes, die gestiegenen Preise für Fleisch und Milch Richtung Gastronomie und Lebensmitteleinzelhandel zu überwälzen.

Es ist noch nicht ausgemachte Sache, dass dies von Erfolg gekrönt sein wird. Von daher dürfte auch diese Krise letztlich in einem fortgesetzten Strukurwandel münden, den die Landwirtschaft als auch ihre vor- und nachgelagerten Bereiche zu verkraften haben. Doch selbst dies ist angesichts der momentanen Situation nicht sicher. Wir müssen auf Sicht fahren!


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