An der Uni und trotzdem auf dem Acker und in der Werkstatt

Wer sich durch ein Studium auf Agrartechnik spezialisiert, muss danach nicht zwangsläufig bei einem Hersteller arbeiten: Auch das akademische Umfeld bietet ein vielseitiges Tätigkeitsfeld mit einzigartigen, wertvollen Erfahrungen. Timo Schempp promoviert derzeit, wobei er auch viel Zeit auf dem Schlepper und im Labor arbeitet.

Promotion: An der Uni und trotzdem auf dem Acker und in der Werkstatt

Timo Schempp promoviert an der Uni Hohenheim und ist dabei nicht selten auch praktisch auf dem Feld.

Promotion: An der Uni und trotzdem auf dem Acker und in der Werkstatt

Eine Platine für das Isobus-Update auszutauschen ist für Timo Schempp keine schwierige Aufgabe.

Wenn man in Baden-Württemberg auf Ingenieur studiert, führt der Weg nicht selten geradewegs in die lokale Großindustrie: Ortsansässige Auto-, Maschinen und Anlagenbauer sowie deren Zulieferer bieten lukrative Technikjobs, der Arbeitsmarkt kann den Bedarf kaum decken. Da können die Hochschulen oft nicht mithalten und vergleichbare Konditionen bieten. Nicht selten verlieren sie deshalb den wissenschaftlichen Nachwuchs an die freie Wirtschaft. Timo Schempp hat sich bewusst für die universitäre Forschung entschieden. Zuvor hat er an der Uni Stuttgart Allgemeinen Maschinenbau studiert und sich dabei später auf Fabrikplanung und Agrartechnik spezialisiert. Für seine Diplomarbeit ging er für sieben Monate über den großen Teich nach Omaha in Nebraska: In der amerikanischen Niederlassung von Claas hat er ein Konzept für ein dreiteilig knickbares Mähdrescherschneidwerk entwickelt. Dessen Flügel verstellen sich hydraulisch mit dem Boden, was speziell bei niedrig zu schneidenden Früchten wie Sojabohnen vorteilhaft sein kann. Direkt im Anschluss fing er Ende 2014 am Institut für Agrartechnik der Uni Hohenheim an.

Es mag Menschen geben, die den Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter als Notfall-Parkplatz nutzen, wenn der Arbeitsmarkt gerade nichts hergibt. Nicht so bei Schempp: „Ich hatte schon länger den Wunsch, an der Uni wissenschaftlich zu arbeiten und auch zu promovieren. Mit den Verlockungen der Arbeitswelt im Rücken musste ich aber schon etwas mit mir ringen. Schlussendlich dachte ich aber, wenn ich das nicht jetzt mache, mache ich es nie.“ Seine Kollegen und er haben durchweg gut bezahlte Vollzeitstellen, im Rahmen seiner Tätigkeit am Institut hält er im Wintersemester auch eine Vorlesung zu Werkstoffkunde oder vertritt seinen Chef in dessen Vorlesungen. Genauso dazu gehört die Betreuung von Studierenden während ihrer Bachelor- oder Masterarbeiten oder das Stellen von Prüfungsaufgaben und sogar Eventorganisation und Öffentlichkeitsarbeit. „In der freien Wirtschaft verdient man sicher einige Euro mehr im Jahr, ich bin hier aber dennoch sehr glücklich, da die Erfahrungen sehr vielfältig und gerade in der Forschung und in der Lehre sehr wertvoll und nirgends anders zu machen sind“, erzählt der Doktorand während des Mittagessens auf dem Ihinger Hof. Der landwirtschaftliche Betrieb fungiert komplett als Versuchslabor und Außenstelle der Uni Hohenheim.

Promotion: An der Uni und trotzdem auf dem Acker und in der Werkstatt

Der Prototyp wurde im 3D-Druck erstellt und in einen Deutz-Fahr 9340 TTV gebaut.

Dort testet Schempp ein völlig neues Konzept einer multifunktionalen Bedienarmlehne für einen Traktor (siehe unten) im praktischen Feldeinsatz. In dem von der Landwirtschaftlichen Rentenbank geförderten Forschungsprojektprojekt aISA arbeitet er mit der Firma elobau und dem IKTD der Uni Stuttgart zusammen, das Projekt ist seine Doktorarbeit. Den Fachbereich für Fahrerarbeitsplätze hat er erst etabliert, sein Chef, der Geschäftsführende Direktor Prof. Dr.-Ing. Stefan Böttinger, hat ihn eigens dafür eingestellt. „Prinzipiell beschäftigen wir uns sowohl mit kognitiven Abläufen, also wie ein System bedienerfreundlich wird, als auch mit der physischen Ergonomie, also wo welche Schalter und Tasten sein sollten, damit ich sie bequem erreichen kann. Gerade bei Landmaschinen ist eine auf den Menschen zentrierte Arbeitsplatzgestaltung wichtig, um die Belastungen für die Fahrer auch an langen Arbeitstagen so gering wie möglich zu halten“, erklärt Schempp.

Promotion: An der Uni und trotzdem auf dem Acker und in der Werkstatt

Die Bedienelemente für die Finger vor den Displays verändern sich je nachdem welche Maschine angehängt ist.

Zu seinem Alltag gehören neben dem Forschen und Entwickeln verbunden mit den praktischen Tests auf dem Feld aber hin und wieder auch bürokratische Tätigkeiten, ohne die es einfach nicht geht: So musste er sich für den Versuchsschlepper zusammen mit dem Fachanwalt der Uni um eine Menge Papier kümmern, damit sichergestellt war, dass dieser auch mit der Prototypen-Armlehne auf den Feldern bewegt werden darf. Da der Versuchshof aber als kontrollierte Laborumgebung gilt und er als Versuchsleiter immer mit auf dem Schlepper sitzt, konnte auch diese Hürde genommen werden. Eine absolute Punktlandung war die bürokratisch aufwendige Patent- anmeldung kurz vor dem Einsendeschluss der Neuheitenanmeldung zur Agritechnica 2019 (zu sehen beim Projektpartner Elobau). Die neue Bedienarmlehne konnte nämlich erst als Neuheit angemeldet und damit veröffentlicht werden, nachdem das Patent angemeldet worden war – sonst wäre das Patent gefährdet gewesen.

Der Arbeitsplatz der Zukunft

Parallel läuft bereits ein weiteres Projekt an: Zusammen mit Partnern aus Industrie und Forschung wird am Institut für Agrartechnik die Mähdrescherkabine 4.0 entwickelt. Denn die eigentliche Tätigkeit des Fahrers auf dem Feld ist heute die Überwachung, Lenksystem und Bordcomputer steuern die meisten Teile der Maschine automatisch. Der Fahrer könnte daher während der langen Geradeausfahrten auf großen Schlägen andere Arbeiten übernehmen, etwa Bürotätigkeiten wie Abrechnung oder E-Mails. Dafür sind aktuelle Kabinen aber völlig ungeeignet, das Forschungsprojekt soll das lösen. Es gibt also auch zukünftig viele spannende Themen in der Agrartechnik, die nicht nur bei den Herstellern, sondern übergreifend an den Instituten der Hochschulen in Kooperation mit Konzernen und Start-Ups erforscht werden. Eine akademische Karriere in diesem Umfeld bedeutet daher mitnichten nur Zahlenarbeit am Schreibtisch, sondern beinhaltet auch viele Stunden auf dem Feld und in der Werkstatt.

Für seine Doktorarbeit plant Schempp, die erste Fassung bis März 2020 fertigzustellen, denn dann verlässt er den akademischen Betrieb in Richtung freie Wirtschaft. „Das ist hier nicht untypisch, dass man quasi außerhalb zu Ende promoviert“, so Schempp. „In der Regel dauert es noch ein Jahr bis die Promotion abgeschlossen ist, nachdem man das Institut verlassen hat – manchmal auch länger.“ Wohin es ihn verschlägt, ist noch nicht sicher, wenn sich die Möglichkeit bietet, würde er gerne beim Thema Fahrerarbeitsplatz bleiben. Er könnte aber durchaus auch in anderen Bereichen arbeiten, da er als Ingenieur eine breite Ausbildung genossen hat. Denn auch in der Industrie gibt es Erfahrungen, die wo anders nicht zu sammeln sind, etwa die Serienentwicklung: Zwischen Prototyp und fertigem Produkt ist es nämlich meist ebenfalls noch ein langer Weg. Und auch eine später weitergeführte akademische Karriere muss er durch seinen Schritt in die freie Wirtschaft nicht aufgeben, im Gegenteil: Zum Professor kann schließlich nur jemand von außerhalb der Uni berufen werden.

Promotion: An der Uni und trotzdem auf dem Acker und in der Werkstatt

Auch ein Zunhammer Güllefass kann schon über die neue Armlehne gesteuert werden.

Auf jeden Fall soll es aber weiterhin die Agrarbranche sein, denn der ist er schon seit der Kindheit verbunden: Seine Großeltern bewirtschafteten einen klassischen Bauernhof mit etwa 40 Stück Vieh und 50 ha Acker- und Grünland. „Da wurde man natürlich für die Arbeiten in der Ernte schon früh eingespannt, was mir immer viel Spaß gemacht hat. Große Teile der Sommerferien verbrachte ich fast komplett dort“, erinnert sich Schempp. Der Hof wird nun von seinem Onkel betrieben, beherbergt heute aber Pferde statt Kühe.

Die Armlehne im Detail

Die Armlehne dient als Erprobungsträger, kein Hersteller wird sie exakt so kaufen. Sie soll lediglich zeigen, was mit dem Konzept prinzipiell möglich ist. Und das ist eine ganze Menge: Sobald das gewünschte Gerät angehängt und vom Terminal erkannt ist – entweder über Isobus oder Bluetooth-Beacons – passt sich die Armlehne adaptiv an das Gerät an.

Promotion: An der Uni und trotzdem auf dem Acker und in der Werkstatt

Aktuell wird die Armlehne noch durch ein Zwischengerät gesteuert, später wird das nicht mehr benötigt.

Wenn Hydrauliksteuergeräte benötigt werden, sind sie sichtbar und bedienbar und wenn sie nicht benötigt werden verschwinden sie automatisch in der Armlehne. Noch dazu können sie entweder auf und ab oder vor und zurück bedient werden je nachdem was das an den Traktor gekoppelte Gerät eben fordert. Kleine Displays zeigen per Symbol oder Schrift an, welcher Knopf gerade welche Funktion am Gerät bedient. Die Armlehne konfiguriert sich für jedes gekoppelte Gerät neu. Denn bei manchen Geräten ist die wichtigste Funktion die Zapfwelle oder ein Isobus-Befehl, der über die Armlehne bedient werden kann, beim nächsten Gerät benötigt man ständig Zugriff auf möglichst viele Hydrauliksteuergeräte.

Promotion: An der Uni und trotzdem auf dem Acker und in der Werkstatt

Bedienschema für einen Pflug mit Knöpfen und Joystick.

Die Armlehne ermöglicht das, auch ein Joystick kann in mehreren Stufen ausgefahren werden, zunächst ist er nur als Drehrad nutzbar, dann sind zwei davon verfügbar, in der letzten Stufe ist ein vollwertiger Joystick verfügbar. Künftig sollen Gerätehersteller ein Template bekommen, mit dem sie die Tastenbelegung bestimmen können. Der Fahrer muss dann nach dem Anhängen nichts weiter tun, die Armlehne passt sich automatisch an das jeweilige Gerät an. Mehr technische Details dazu in der Ausgabe Nr. 42/2019 der Landtechnikfachzeitschrift eilbote.

Promotion: An der Uni und trotzdem auf dem Acker und in der Werkstatt

Bedienschema für Güllefass mit Knöpfen, Wippen und Einzeldrehrad.


Weitere Artikel zum Thema

weitere aktuelle Meldungen lesen