„Der deutsche Markt hat für uns noch Luft nach oben!“

Der eilbote besuchte mit Agritubel aus Westfrankreich einen der größten Hersteller von Stalleinrichtungen in Europa. Im Gespräch mit der Geschäftsführung erfuhren wir mehr über die besonderen Kompetenzen des Unternehmens und die Expansionspläne in Deutschland.

Agritubel: „Der deutsche Markt hat für uns noch Luft nach oben!“

Der französische Hersteller von Stalleinrichtungen, Agritubel, erwirtschaftet jährlich einen Umsatz von über 40 Millionen Euro.

Agritubel: „Der deutsche Markt hat für uns noch Luft nach oben!“

Sie sehen in Deutschland noch Potenzial für ihre Stalltechnik: François Bonneau, Patrice Franke und Karl-Philipp Grau von Agritubel (von links).

Rohre, Rohre, Rohre, rund in 60 und 76 mm Durchmesser oder als Vierkant 100 × 100 mm und viele Abmessungen mehr. Gut 20.000 Tonnen davon verarbeitet der französische Stahlbauspezialist Agritubel jährlich zu Fressgittern, Liegeboxenabtrennungen, Toren, Fanganlagen und Futterautomaten für Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde.

Die erste Frage: Lässt sich so ein umfangreicher Stahlbau nicht günstiger in osteuropäischen Ländern realisieren? Patrice Franke, seit 2021 Geschäftsführer von Agritubel, antwortet auf diesen Einwand: „Der Markt ist vor der Tür, unsere Produktion ist hoch automatisiert, die Logistik optimiert, unsere Mitarbeitenden sind hochqualifiziert – wir beweisen mit unserem Erfolg, dass wir an diesem Standort rentabel produzieren können!“

Agritubel ist in Loudun ansässig. Die 7.000-Einwohner-Stadt liegt rund 350 Kilometer südwestlich von Paris. Hier beginnt das Tal der Loire, das für seine zahlreichen malerischen Schlösser und Weingüter bekannt ist. Franke ist für seine neue Aufgabe mit seiner Familie aus Lothringen hierher gezogen und hat sich in die Region verliebt. Der 58-jährige Diplom-Ingenieur für Maschinenbau arbeitete 23 Jahre lang im lothringischen Amazone-Werk für Kommunaltechnik in Forbach. Davor war er zehn Jahre bei SKF. Franke spricht fließend Deutsch, was den Aktivitäten seines Unternehmens in Deutschland natürlich zugute kommt.

Loudun liegt für einen Stalleinrichter ideal in Frankreich. Im Nordwesten unseres Nachbarlandes, in der Bretagne und der Normandie, gibt es viel Milch- und Fleischrinderhaltung. Südöstlich von Loudun beginnt das Massif Central, eine Region, in der viele Betriebe mit Viehhaltung angesiedelt sind. Der Produktionsstandort Loudun hat eine landtechnisch geprägte Geschichte. Hier gab es einen Standort von Howard Rotavator. Darauf baute der Agritubel-Gründer José Fornes im Gründungsjahr 1986 auf. 2014 verkaufte Fornes sein inzwischen in Frankreich marktführendes Unternehmen mit 140 Mitarbeitern an Philippe Dubouix. Dubouix war bis 2013 CEO von Allflex, einem weltweit führenden Konzern im Bereich Tierkennzeichnung und -überwachung. Im Jahr 2021 hat der als charismatisch und visionär beschriebene Dubouix Patrice Franke als seinen Nachfolger an der Spitze von Agritubel gewonnen. Mit diesem Schritt zog sich Dubouix vollständig aus dem operativen Geschäft zurück.

Agritubel: „Der deutsche Markt hat für uns noch Luft nach oben!“

Gut 20.000 Tonnen Stahl verarbeitet Agritubel jährlich.

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Fließbohrlöcher bilden einen Wulst und stabileren Lochrand.

Heute erwirtschaftet das Unternehmen in der „Rue des Forges“ mit 200 Mitarbeitenden einen Jahresumsatz von 42 Millionen Euro, davon gut 40 Prozent im Export. Das Gelände in Loudun umfasst 11 Hektar, wovon 3,5 Hektar bereits mit Hallen bebaut sind. Für den Vertrieb ist François Bonneau zuständig. Der 56-jährige gelernte Landwirt hat in Deutschland eine Ingenieurschule besucht. Er arbeitete in den Bereichen Genetik und Viehhandel, unter anderem als Vertreter französischer Firmen in Deutschland. Als Geschäftsführer einer großen Züchtergenossenschaft lernte er Philippe Dubouix kennen, der ihn später für Agritubel gewann. Auch Bonneau spricht perfekt Deutsch und kennt die Anforderungen der Tierhalter in ganz Europa. Und diese Vielfalt spiegelt sich auch im Programm von Agritubel wider. In dem über 170 Seiten starken Katalog gibt es Fressgitter für jeden Rindertyp: Von der schlanken, hornlosen HF-Milchdiva bis zum massigen, gehörnten Fleischbullen der Rasse Blonde Aquitaine findet sich hier das passende Interieur.

Agritubel: „Der deutsche Markt hat für uns noch Luft nach oben!“

Das Planungsprogramm „Charlie“ erlaubt die dreidimensionale Visualisierung und generiert die entsprechenden Stücklisten.

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Roboterarme formen aus Rohr in einer Minute eine Liegeboxen-abtrennung.

„Die Produkte sind tiergerecht, langlebig, einfach zu montieren und zu handhaben und schützen den Anwender“, erklärt Karl Philipp Grau (43) als Vertriebsleitung in Deutschland. Er betreut hier seit zehn Jahren die Agritubel-Händler und -Kunden. Der gelernte Landwirt, der in Soest studiert hat, lebt im niedersächsischen Badbergen. Neben seiner landwirtschaftlichen Erfahrung sammelte er als Außendienstmitarbeiter eines Schlüsselfertigbauunternehmens auch Projekterfahrung im Bauwesen. Mit „Charlie“ bietet Agritubel derzeit eine interessante Planungssoftware für Stallprojekte an. Mit ihr kann Grau die Stalleinrichtung virtuell planen und dreidimensional betrachten. „Die Möglichkeit, sich virtuell in der Stallumgebung zu bewegen, zeigt dem Kunden das Projekt besser als nur die zweidimensionale Zeichnung“, beschreibt Grau die Beratungssituation am Küchentisch beim Landwirt. „So können wir verschiedene Entwürfe vergleichen und diskutieren.“ Ein weiterer Vorteil: Steht der Plan für die Stalleinrichtung, erstellt Charlie sofort eine exakte Liste aller Teile, die für das Projekt benötigt werden - bis hin zur letzten Rohrschelle. „Das sorgt für einen passgenauen Kostenvoranschlag und minimiert das Risiko einer unvollständigen Lieferung gegen Null“, hebt EU-Exportleiter Bonneau den Vorteil von Charlie hervor.

Die Vielfalt der Elemente und Einzelteile wird bei einem Rundgang durch das Werk in Loudun deutlich. Denn neben Rindern gibt es auch Spezifikationen für eine Vielzahl von Schaf- und Ziegenrassen sowie für Pferde. Nach dem Ablängen der Rohre folgt das Bohren und Biegen. An vielen Stationen übernehmen das Roboter, die zum Beispiel aus einem 6 Meter langen Rohr in einer halben Minute eine feststehende Liegeboxenabtrennung biegen. Eine Besonderheit bei der Herstellung der Fressgitter ist das spanlose Fließbohren der Löcher für die Bolzen. Durch die hohe Drehzahl erhitzt die Bohrspitze die Rohrwand bis zum Glühen und durchbohrt sie. Durch das verdrängte Material entsteht um das Loch herum ein Wulst, der den Lochrand stabilisiert.

Agritubel: „Der deutsche Markt hat für uns noch Luft nach oben!“

Dann folgt das 450° C heiße Zinkbad. Ein logistischer Vorteil: Die Verzinkerei ist direkter Nachbar von Agritubel.

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Lkw fahren Agritubel Vertriebspartner in regelmäßigen Abständen an. Die Gebinde sind für jeden Händler verschiedenfarbig gekennzeichnet.

Nach dem Biegen der Rohre und dem Zuschneiden der Bleche kommen die Einzelteile in die Schweißerei. Neben 25 Schweißrobotern gibt es für komplexe Teile oder Kleinserien auch manuelle Schweißstationen. Die fertigen Stahlelemente kommen nun in die Verzinkerei. Diese, und das ist ein enormer Standortvorteil, befindet sich in direkter Nachbarschaft.

Die Agritubel-Stapler fahren die Stahlteile direkt in den Hof der Verzinkerei. Die betreibt zwei große Becken, gefüllt mit 55 Tonnen silbrig glänzendem, 450 Grad heißem Flüssigzink. Ein Becken ist für das Material von Agritubel reserviert. Nach einer Vorbehandlung – Reinigung und Entfettung ähnlich wie beim Lackieren – tauchen die hängenden Einzelteile in das 8,40 Meter lange, 1,50 Meter breite und 3 Meter tiefe Zinkbecken. Danach kommen die nun silbrig glänzenden Teile in die Nachbehandlung, um eventuelle Tropfen zu entfernen. Anschließend fahren Gabelstapler die Elemente zurück in die Agritubel-Hallen, wo sie montiert und konfektioniert werden. An den Fressgittern werden zum Beispiel die Polymeranschläge angebracht, die das Klappern der Gitter beim Fressen reduzieren.

Viel Know-how steckt auch in der Beladung der Lastwagen. Wie beim Computerspiel Tetris beladen erfahrene Staplerfahrer die Auflieger so, dass viel Ware mit möglichst wenig Hohlraum transportiert wird. Fahren die Lkw auf regelmäßigen Touren mehrere Händler an, werden die Elemente mit verschiedenfarbigen Etiketten gekennzeichnet. „Unser Ziel“, betont Franke, „ist eine perfekte Lieferung an unsere Kunden und ein einfaches Handling für unsere Vertriebspartner. Jedes Einzelteil ist mit einer Nummer und einem Barcode versehen, sodass es neben dem Lkw-Auflieger stehend identifiziert werden kann.

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Kleinteile sind so konfektioniert, dass nichts verloren geht.

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Von Loudun aus in die ganze Welt: die Ladung für einen Lkw wartet auf den Transport.

Es sind die Details, auf die man in Loudun besonderen Wert legt. Das zeigt sich auch bei der Verpackung der Kleinteile. Die für die Stalleinrichtung benötigten Schellen und Schrauben werden wie bei IKEA abgezählt und in Tüten eingeschweißt. So soll bei der Montage nichts fehlen und den Baufortschritt bremsen. Agritubel investiert jährlich rund 2,5 Millionen Euro, unter anderem in die Optimierung der Produktion und in neue Hallen für die Unterdachlagerung der Teile.

Das finanzstarke Unternehmen hat sein Portfolio durch den Zukauf von Andrieu, einem Spezialisten für Fanganlagen mit zehn Mitarbeitenden, und Rototec, die mit 40 Mitarbeitenden Kunststoffbehälter zum Beispiel für große Weidetränken herstellt, verstärkt. Franke ist offen für weitere Akquisitionen, sofern sie strategisch passen.

Ganz oben auf der Agenda steht der Ausbau des deutschen Händlernetzes. Seit der letzten EuroTier unterstützt Antonia Haeckel als Gebietsleitung für den süddeutschen Markt Karl Philipp Grau bei der Betreuung der gut 30 aktiven Vertriebspartner in Deutschland. Beide arbeiten auch mit vielen namhaften Systemhallenherstellern zusammen, die schlüsselfertige Hallen anbieten.

„Die professionelle Planung, die passgenaue Lieferung und die Qualität unserer Produkte ‚Made in France‘ sind gute Gründe, uns näher kennenzulernen“, lautet das Credo von Karl Philipp Grau bei meinem Besuch in Loudun. Und Patrice Franke ergänzt: „Der deutsche Markt hat für uns auf jeden Fall noch Luft nach oben“.


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