E-Commerce öffnet neue Wege

Lange Lieferzeiten und hohe Preise: Der Markt für Neumaschinen und junge Gebrauchte ist durch internationale Krisen und Lieferengpässe angespannt. Über die Auswirkungen und Herausforderungen im internationalen Gebrauchtmaschinenhandel berichtet Dr. Nicolas Lohr, Gründer und Geschäftsführer der Online-Plattform E-Farm.

E-Farm: E-Commerce öffnet neue Wege

Export weltweit: Dr. Nicolas Lohr (rechts) besucht Kunden in Sambia.

eilbote: Wie sehen Sie die aktuelle Marktlage?

Dr. Nicolas Lohr: Die Erzeugerpreise sind durch die Decke gegangen. Davon profitieren die Landwirte und damit auch E-Farm, denn die Nachfrage nach Maschinen korreliert sehr eng mit der Preisentwicklung bei Getreide. Zudem hat Corona unserem Geschäftsmodell einen ordentlichen Push nach vorne gegeben, weil die Bereitschaft, hochpreisige Landmaschinen online zu kaufen, enorm gestiegen ist.

Mittlerweile verkaufen wir regelmäßig Maschinen im Wert von über 200.000 Euro ohne eine persönliche Besichtigung, aber natürlich nach einer unabhängigen Inspektion durch die DEKRA. Letztere stellt weitgehend sicher, dass die Maschinen im beschriebenen Zustand beim Endkunden ankommen. Und falls das nicht so sein sollte, greift eine Garantie.

Gute gebrauchte Technik ist gesucht und rar …

Die Störungen in den Lieferketten in Zusammenhang mit der Covid-Pandemie bremsen die Landmaschinenproduktion. Dadurch, dass die neuen Maschinen oft verzögert ausgeliefert werden, kommen weniger Inzahlungnahmen auf den Markt. Dementsprechend sind letztere heißbegehrt, sodass die Preise bis zu 30 Prozent gestiegen sind. Aber auch die Neumaschinenpreise haben angezogen. Eine solche Knappheit und Preisexplosion hat man auf dem Landmaschinenmarkt bisher noch nicht gesehen.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Online-Plattform E-Farm?

Die starke Nachfrage saugt freiwerdende Maschinen schnell auf. In der Folge hat sich der Verkaufszyklus, der normalerweise ungefähr drei Wochen dauert, deutlich verkürzt. Denn das knappe Angebot beschleunigt den Kaufentscheidungsprozess und hat die Verbindlichkeit auf der Käuferseite substanziell gesteigert. Allerdings wird der Zugang zu den Gebrauchten schwieriger. Viele Händler behalten die Maschinen der eigenen Marke in der Region, um dem Kunden zumindest eine Gebrauchtmaschine anzubieten, falls die Neumaschine verspätet kommt. Auf der anderen Seite kaufen jetzt auch Händler – insbesondere deutsche –, die ansonsten lediglich über E-Farm vermarktet haben, im großen Stil Maschinen über uns. Wenn der neue Mähdrescher nicht rechtzeitig ausgeliefert werden kann, dann sucht der Händler nach jungen Gebrauchten. Und wenn er nicht in seiner Region fündig wird, wendet er sich an E-Farm.

Wie hat sich der Umsatz von E-Farm entwickelt?

Wir streben ein jährliches Wachstum von 100 Prozent an, was wir bisher auch stets geschafft haben. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr 750 Maschinen umsetzen und das Jahr mit einem Umsatz von 50 Millionen Euro abschließen werden. Damit ist E-Farm einer der größten Gebrauchtmaschinenhändler in Europa.

Fährt E-Farm mittlerweile auch Gewinne ein?

Hier muss man differenzieren: Was die Vertriebsseite betrifft, sind wir profitabel. Auf der Investitionsseite stehen Themen wie die weitere Digitalisierung des gesamten Transaktionsprozesses sowie die Verbesserung der Preisalgorithmen und der Webseite im Vordergrund, die ein wahnsinnig hohes Investment erfordern, sodass wir insgesamt noch nicht profitabel sind.

Was sind die Herausforderungen bei der Digitalisierung?

Die zentrale Herausforderung ist eine hohe Datenqualität. Wir wollen den gesamten Transaktionsprozess digitalisieren, aber ohne – das ist ganz wichtig – die persönliche Note zu verlieren. Denn wir sind davon überzeugt, dass die Endkunden – insbesondere, wenn es um komplexe hochpreisige Maschinen geht – einen persönlichen Ansprechpartner wünschen. Und das soll auch so bleiben, denn es schafft Vertrauen, sodass die Kunden wiederkommen. Natürlich haben wir bereits einige Elemente, zum Beispiel die Inspektion, digitalisiert; DEKRA nutzt unsere App für den Maschinencheck. Aber es gibt immer noch viele manuelle und zeitaufwändige Schritte, die wir digitalisieren wollen. So bauen wir zurzeit die Händlerlösung SmartTrade auf. Diese App soll den Händler befähigen, sauber und akkurat Inzahlungnahmen durchzuführen, um die Maschinen anschließend leicht online vermarkten zu können. Wir haben bereits Schnittstellen zu den Herstellern aufgebaut, sodass die Maschinendaten durch Eingabe der Fahrgestellnummer automatisch eingelesen werden können. Die App läuft noch voraussichtlich bis Ende des Jahres in der Pilotphase, anschließend werden wir sie sukzessive in unser Partnernetzwerk ausrollen.

E-Farm ist seinerzeit als Start-up gestartet und hat mittlerweile mehrere Geldgeber an Bord – unter anderem ist Claas Minderheitsgesellschafter. Kann die Plattform dennoch unabhängig agieren?

Absolut. Für uns ist jede Maschine eine Verkaufschance, egal welche Marke sie hat. Wir wollen E-Farm als europaweite Handelsplattform etablieren und sind komplett offen für andere Hersteller, mit denen wir in sehr gutem Austausch stehen. Denn wenn jeder seine eigene Plattform aufbaut, dann erreicht niemand etwas. Die Zusammenarbeit mit Claas kann sich aber sehen lassen und die Online-Vermarktung der Maschinen funktioniert wirklich gut, da wir den Prozess der Datenbeschaffung deutlich vereinfacht haben.

Wohin verkaufen Sie die Maschinen überwiegend?

Unsere Top-3-Märkte sind Deutschland, Spanien und Griechenland, die jeweils 15 Prozent ausmachen. Weitere wichtige Absatzländer sind Bulgarien, Rumänien und auch weiterhin die Ukraine.

Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg auf den Export in diese Region?

Bis März war die Ukraine der fünftwichtigste Absatzmarkt für uns. Aber nach Kriegsbeginn brach die Nachfrage in der Region komplett ein; alle Kaufverträge wurden von Seiten der Kunden storniert. Zwei Monate lang herrschte absoluter Stillstand, was hart für uns war, doch seit Anfang Juni kaufen die Ukrainer wieder. Die Ackerfläche, die nicht unter den Angriffen leidet, wurde weitestgehend bestellt, sodass Maschinen benötigt werden. Natürlich sind Abwicklung und Logistik dorthin schwierig, aber die Maschinen kommen an.

Welche Maschinen fließen durch Ihre Kanäle und woher stammen sie?

Das Gros machen mit etwa 60 Prozent Traktoren und mit etwa 15 Prozent Mähdrescher aus. Der Rest verteilt sich über alle Maschinengattungen. Wir bilden vom 10.000-Euro-Pflug bis hin zum 400.000- Euro-Selbstfahrer das ganze Spektrum ab. Mittlerweile kommt die Hälfte der Maschinen aus Deutschland, zweitwichtigstes Lieferland ist Frankreich mit 25 Prozent. Der Rest kommt aus ganz Europa.

Wie hoch ist der Anteil der Maschinen, die eine unabhängige Maschineninspektion durchlaufen?

Das ist ungefähr die Hälfte. Es sparen vor allem wiederkehrende Käufer, die unseren Angaben und Videos vertrauen, oder auch Käufer von weniger hochpreisigen Maschinen die 299 Euro für den Maschinencheck ein. Interessanterweise entschieden sich in diesem Jahr auch einige Käufer aus Zeitdruck gegen die Inspektion, für die ungefähr fünf Werktage eingeplant werden muss.

Welche Vorteile genießen die E-Farm-Partnerhändler?

Wir bieten ihnen ein sehr attraktives Modell für die Vermarktung ihrer Gebrauchten und sind so etwas wie der verlängerte Vertriebsarm. So generieren wir europaweit Anfragen für die Maschinen unserer Partnerhändler und kaufen ihnen die Maschinen zum Exportpreis ab. Darüber hinaus kümmern wir uns um den gesamten Ablauf bis hin zur Transportabwicklung und verkaufen die Maschine in unserem Namen. Die Händler haben also keinerlei Risiko und keinen Mehraufwand. Sie zahlen keine monatliche Gebühr und haben auch keine Abgabeverpflichtung. Nicht zuletzt profitieren sie von unseren umfangreichen Fremdsprachenkenntnissen…

… die unter anderen den Import von gebrauchten Mähdreschern aus Rumänien nach Deutschland möglich machen …

Genau. Es herrscht zurzeit eine große Knappheit bei Erntemaschinen, weil die Versorgung mit neuer und auch junger gebrauchter Technik stockt. Aus diesem Grund haben einige deutsche Händler und Endkunden bereits hochwertige Erntemaschinen aus Osteuropa über uns bezogen. Dabei handelt es sich um hochpreisige junge Maschinen aus Großbetrieben und Vorführmaschinen von Händlern, die einen unabhängigen Maschinencheck durchlaufen haben, um Risiken auszuschließen. Vor Jahren hätte man nicht geglaubt, dass die Exportrichtung für Gebrauchttechnik auch mal von Ost nach West laufen würde. In diesem Jahr ist alles ein bisschen anders.

Zur Person

Dr. Nicolas Lohr ist CEO und Gründer der Online-Plattform E-Farm. Das Dienstleistungsunternehmen mit Sitz in Hamburg hat sich auf die Fahnen geschrieben, den internationalen Handel mit landwirtschaftlichen Gebrauchtmaschinen zu vereinfachen. Von Beginn an war das Hamburger Familienunternehmen Cremer als Investor dabei. Mittlerweile stehen neben Claas mit einer Minderheitsbeteiligung auch zwei Finanzinvestoren aus Stockholm und München hinter dem jungen Unternehmen, das 2015 als Start-up gegründet wurde. E-Farm beschäftigt rund 55 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2021 einen Handelsumsatz in Höhe von knapp 25 Millionen Euro. 2022 soll sich der Jahresumsatz auf bis zu 50 Millionen Euro verdoppeln. Aktuell listet der digitale Marktplatz rund 40.000 Landmaschinen von mehr als 1.100 Partnerhändlern aus 20 Märkten.

Kontakt:

Dr. Nicolas Lohr
E-Farm GmbH
D-20457 Hamburg
nicolas.lohr @ e-farm.com

Das Interview führte Annette Schulze Ising

 


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