Leere Regale sind in Großbritanniens Supermärkten inzwischen durchaus die Regel. Das britische Amt für Statistik stellte im Oktober fest: Jeder sechste Brite hat bei einem Einkauf selbst Dinge des täglichen Bedarfs nicht vorgefunden.
Die Probleme begannen mit den Lkw-Fahrern. Seit Brexit fehlen 120.000 Fahrer – darunter auch solche für Gefahrguttransporte, weshalb im September und Oktober die Tankstellen nur unzureichend mit Sprit beliefert werden konnten. Das durch Panikkäufe verursachte Chaos der ersten Wochen ist abgeebbt, aber natürlich waren auch die Lieferungen von Diesel betroffen, was auf manchen Farmen nicht nur den allgemeinen Betriebsablauf, sondern auch die Ernte beeinträchtigte. Die meisten Landwirte sind nicht darauf eingerichtet, große Getreidemengen über Wochen auf ihren Höfen zu lagern, bis endlich Fahrer für die Abholung zur Verfügung stehen. Zuckerrübenanbauer in Ostengland wurden daher von der Raffinerie angewiesen, die Rüben am besten selbst mit dem Traktor abzuliefern. Die Landwirtschaftszeitung Farmers Weekly rief dazu auf, ausreichend Futtermittel für Tiere zu lagern, mit mehrwöchigen Lieferverzögerungen sei zu rechnen. Bestellungen von Saatgut, Dünger und anderen landwirtschaftlichen Bedarfs müssten vorgezogen werden.
„Brexit-Bonus“: Schweine leben länger
So fasste ein britischer Satiriker die katastrophale Lage zusammen. Nach Angaben der britischen Vereinigung der Fleischverarbeiter sind derzeit ca. 15.000 Stellen in Schlacht- und Verarbeitungsbetrieben unbesetzt, 11.000 davon sind Stellen für qualifizierte Metzger. Schlachthöfe arbeiten seit Wochen nur mit einer Kapazität von etwa 75 Prozent, weshalb derzeit tausende Schweine nicht geschlachtet werden können und stattdessen auf den Farmen weiter an Gewicht zunehmen. In immer mehr Mastbetrieben geht der Platz aus, aus Tierwohlgründen wurden bereits 14.000 Tiere notgeschlachtet. Über die Zahl der gekeulten Ferkel gibt es keine Angaben, Farmer und Veterinäre beraten derzeit, ob es sinnvoller ist, bei trächtigen Sauen stattdessen einen Abort einzuleiten. Das Fleisch der aus Tierwohlgründen getöteten Tiere ist nicht für den Verzehr zugelassen und muss vernichtet werden, die Kosten trägt der Landwirt. Kate Moore, deren Familie einen großen Schweinemastbetrieb in Yorkshire betreibt, sagte in einem Interview, jedes Tier bedeute derzeit einen finanziellen Verlust von 15 £ (17,50 Euro); wenn nicht rasch eine Lösung gefunden werde, würden nicht nur viele tausend Tiere sinnlos gekeult, sondern es sei das Ende der Schweineproduktion in Großbritannien.
Dauerproblem Arbeitskräftemangel
Die britische Regierung zeigt sich ungerührt. Brexit bedeute, dass die Verarbeiter nicht mehr „am Tropf stets verfügbarer billiger Arbeitskräfte“ hängen könnten, stattdessen müssten sie höhere Löhne zahlen sowie in Ausbildung und Technisierung investieren, erklärte Premierminister Johnson während des Parteitags im September. Für Nick Allen, den Chef der Vereinigung britischer Fleischverarbeiter, ist diese Haltung nicht überraschend. „Von ihrer Philosophie her ist der Import billiger Lebensmittel für diese Regierung immer eine gute Option gewesen“, sagte Allen in einem Interview gegenüber der BBC. „Wir sind auf dem besten Weg, dass in Großbritannien produzierte Lebensmittel zu Nischenprodukten werden, die sich Besserverdienende leisten können, während das Gros der Lebensmittel importierte Billigprodukte sein werden.“
Um eine neuerliche Weihnachtskrise zu verhindern, bewilligte die Regierung 5.000 auf drei Monate befristete Visen für Lkw-Fahrer und 5.000 weitere für auf die Schlachtung von Geflügel (insbesondere Truthähne) spezialisierte Metzger. Dazu kommen 800 Sechs-Monats-Visen für Schweinemetzger. Anfang November veröffentlichte die Vereinigung der Arbeitsvermittler im Agrarsektor die Ergebnisse einer Mitgliederumfrage. Danach konnten in den vergangenen drei Monaten 99 Prozent der Vermittler den Bedarf der Betriebe nicht decken, in einem Drittel der Fälle konnten nicht einmal die Hälfte der benötigten Arbeitskräfte vermittelt werden. Allein für den Geflügelsektor würden auf Dauer zusätzlich 50.000 bis 60.000 Arbeitskräfte gebraucht. Das Visa-Pilotprogramm der Regierung, das in diesem Jahr die Rekrutierung von 30.000 Saisonarbeitern ermöglichte, sei ebenfalls völlig unzureichend, allein für die Obst- und Gemüseernte werden 70.000 bis 90.000 Arbeiter gebraucht. In der Lebensmittelbranche gibt man sich alle Mühe, dass kein britischer Haushalt an Weihnachten auf einen Truthahnbraten verzichten muss, aber 2022 werden trotzdem Lkw-Fahrer, Metzger, Erntearbeiter und Veterinäre nicht auf magische Art plötzlich in großer Zahl verfügbar sein. Der Arbeitskräftemangel in Großbritannien ist ein Dauerproblem!
Böses Erwachen für englische Landwirte
Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU enden auch die Direktzahlungen an die Landwirte. Die britische Regierung wird die Zahlungen über sechs Jahre stufenweise abbauen. Landwirte in England müssen bereits in diesem Jahr mit den ersten Kürzungen leben, die Regionalregierungen in Schottland, Wales und Nordirland zahlen (noch) in vollem Umfang. Nach einer Erhebung der Landwirtschaftszeitung Farmers Weekly bekamen 95 Prozent aller Landwirte bislang EU Direktzahlungen. In England solle es in Zukunft Subventionen nur noch für ‚Umweltleistungen‘ geben, aber wofür Landwirte in welcher Höhe entlohnt werden sollen, ist weiterhin unklar. Klar ist nur, dass über dieses Förderprogramm im besten Fall ein Drittel der Direktzahlungen ausgeglichen werden können. Die Umfrage von Farmers Weekly spiegelt wider, was das bedeutet: Dreiviertel aller Landwirte wissen nicht, ob ihr Betrieb ohne die EU Direktzahlungen wird überleben können, 53 Prozent der Farmer glauben, dass es extrem schwierig sein wird, das verlorene Einkommen anderweitig wettzumachen, weitere 26 Prozent halten das für ihren Betrieb für unmöglich.
Konsequenzen für den Landmaschinenhandel
„Im Moment ist die Nachfrage nach Landmaschinen und Traktoren weiterhin sehr stark“, sagt Stephen Howarth, Agrarökonom beim Verband der Agraringenieure, AEA1. „Zu einem maßgeblichen Teil sind das Maschinenkäufe, die im letzten Jahr wegen der Pandemie und der damit einhergehenden Unsicherheit nicht getätigt wurden.“ Noch betrifft die Krise bei den Schweinemästern den Handel wenig, Getreidebauern und Milchviehbetriebe haben generell deutlich mehr Bedarf an Landmaschinen. Ein zweiter Faktor für den Boom seien die globalen Schwierigkeiten bei den Lieferketten: Der Mangel an Halbleitern und anderen Komponenten habe bei vielen Firmen Lieferschwierigkeiten zur Folge. „Landwirte, die wissen, dass sie definitiv im nächsten Jahr eine Maschine oder einen Traktor neu anschaffen oder ersetzen müssen, ordern wegen der langen Lieferzeiten bereits jetzt“, sagt Howarth. „Angesichts der Engpässe, z.B. bei Stahl, müssen wir vermutlich auch mit steigenden Preisen rechnen. Die Landwirte werden das bei Überlegungen zur Finanzierung sicher mit berücksichtigen.“ Hinzu kommt, dass es im Agrarsektor seit drei Jahren einen Steuerfreibetrag von 1 Million £ für Investitionen gab, der ab 2022 auf 200.000 £ reduziert wird. Der britische Gebrauchtmaschinenmarkt laufe ebenfalls auf Hochtouren, sagt Howarth. Brexit verursache keine Probleme, weil derzeit kaum Geräte in die EU exportiert würden, das werde sich aber vermutlich in den nächsten zwei bis drei Jahren ändern.
Jill Hewitt, CEO des Verbandes der britischen Lohnunternehmer (NAAC), geht davon aus, dass die Umstrukturierungen in der britischen Landwirtschaft mehr Landwirte veranlassen wird, mit Lohnunternehmen zu arbeiten anstatt selbst in Maschinen zu investieren. Umgekehrt hofften Farmer, die sich zum Kauf von großem Spezialgerät entschlössen, diese für Lohnarbeiten auf anderen Farmen nutzen zu können. Das britische Landwirtschaftsministerium, Defra, habe außerdem Subventionen für den Kauf neuer Maschinen in Aussicht gestellt, welche Art von Landmaschinen unter welchen Bedingungen gefördert werden sollen, sei jedoch weiterhin unklar. „Wir warten seit Monaten auf Details“, sagt Hewitt, die vermutet, dass mit Blick auf die Subventionen für Umweltleistungen wahrscheinlich Maschinen, z.B. für Direktsaat, gefördert werden könnten. Wird der Boom anhalten? Stephen Howarth antwortet vorsichtig: „Im nächsten Jahr werden die Faktoren, die jetzt die Maschinenkäufe begünstigen, nicht mehr zum Tragen kommen. Und die Landwirte werden mit Sicherheit das Fehlen der Direktzahlungen zu spüren bekommen“.
1 Der AEA hat inzwischen den Verband der Landmaschinenhändler, British Agricultural and Garden Machinery Association, BAGMA, übernommen.
Agricultural Engineers Association – Traktorenverkäufe legen um fast 20 Prozent zu
Zulassungen von landwirtschaftlichen Traktoren ab 50 PS im Vereinigten Königreich von Januar bis September 2021 mit über 19 Prozent Wachstum
Insgesamt waren die Zulassungen in den ersten neun Monaten des Jahres 2021 um 19 % höher als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres. Im dritten Quartal hatte sich das Wachstum gegenüber dem Vorjahr auf 7 % verlangsamt, was jedoch weitgehend darauf zurückzuführen ist, dass sich die Zulassungen zu diesem Zeitpunkt vor einem Jahr zu erholen begannen.
Im bisherigen Jahresverlauf lagen die Zulassungen in praktisch allen Leistungsklassen über denen von 2020, obwohl es in der Leistungsklasse 161-200 PS nur ein geringes Wachstum gab. Besonders stark war das Wachstum in der Leistungsklasse 121-140 PS. Dieser Bereich verzeichnete auch im dritten Quartal ein solides Wachstum, wurde jedoch von der Leistungsklasse 201-240 PS übertroffen, während in einigen Leistungsklassen in diesem Jahr weniger Zulassungen zu verzeichnen waren. Insgesamt scheint die durchschnittliche Leistung der in diesem Jahr zugelassenen Maschinen etwas niedriger zu sein als vor einem Jahr, wobei der Durchschnittswert für Januar bis September 2021 bei knapp 170 PS liegt, gegenüber 172,5 PS im gleichen Zeitraum 2020. Alle Regionen des Vereinigten Königreichs verzeichneten in diesem Jahr einen Zuwachs bei den Traktorenzulassungen, mit Ausnahme von Yorkshire und Humber, wo sie von Januar bis September 2020 nahezu unverändert blieben. Das stärkste Wachstum wurde in den East Midlands (+62 %) und Nordirland (+50 %) verzeichnet. Neben Yorkshire verzeichneten auch der Nordwesten Englands und Südwales in den letzten drei Monaten leichte Rückgänge gegenüber dem Vorjahr.