Mähdrescher: Auf dem Weg zur Multiproblemlösungs-Maschine

Mulchvorbereiter, Unkrautvernichter, Stickstoffsparer, Strohverteiler – nebenbei soll der Mähdrescher natürlich auch noch Getreide ernten, und das am besten vollautomatisch. Wie diese Anforderungen zusammenpassen, diskutierten die Teilnehmenden auf der Tagung „Land.Technik für Profis“ des VDI-MEG und der DLG Ende Juni in Harsewinkel bei Claas.

VDI-MEG: Mähdrescher: Auf dem Weg zur Multiproblemlösungs-Maschine

Gut 300 Gäste zählte die VDI-MEG Tagung „Land.Technik für Profis“ bei Claas in Harsewinkel.

VDI-MEG: Mähdrescher: Auf dem Weg zur Multiproblemlösungs-Maschine

Die Veranstaltung fand zu Ehren des im letzten Jahr verstorbenen Mähdruschpioniers Helmut Claas statt.

Die Ansprüche der Politik, der Agronomie, der Gesellschaft und nicht zuletzt der Kunden an den Mähdrescher steigen enorm. Das machte die zweitätige Fachtagung „Land.Technik für Profis“, veranstaltet vom VDI-MEG und der DLG, deutlich.

Zu Ehren des im letzten Jahr verstorbenen Mähdruschpioniers Helmut Claas richtete das Unternehmen Claas diese Veranstaltung aus. Wegen Covid 19 konnte 2021 keine Trauerfeier im größeren Rahmen für den Verstorbenen stattfinden. So entschied sich die Familie Claas, mit einer in die Zukunft gerichteten Tagung Helmut Claas und seinem Lebenswerk zu gedenken.

„If you want to be a leader, you must keep running“, war sein Leitspruch, den seine Tochter Cathrina Claas-Mühlhäuser zitierte, ein gutes Motto und Ansporn für die Ingenieure verschiedener Landtechnikhersteller und Wissenschaftler im Publikum. Über 300 Gäste zählte die Veranstaltung, die sich als Treffpunkt der eben genannten plus Praktikern aus Lohnunternehmen, Maschinenringen und Landwirtschaftsbetrieben versteht.

Der Anteil der Anwender lag geschätzt bei zehn bis fünfzehn Prozent und könnte höher sein, um die Diskussion noch etwas lebhafter zu gestalten. Wo sonst hat man die Gelegenheit, sich persönlich mit Herstellern und Forschern zwanglos auszutauschen?

Beginnen wir mit dem Lastenheft der Mähdrescherkonstrukteure: Die Politik gibt der Landwirtschaft den Rahmen vor. Was hat die Reduzierung der Pflanzenschutzmitteleinsätze um die Hälfte bis 2030 für Konsequenzen auf den Anbau von Druschfrüchten? Was bedeuten ein Fünftel weniger Düngemittel für die Getreidequalitäten? Wie lassen sich die Treibhausgasemissionen um über 50 Prozent senken, ebenfalls bis 2030? Mähdrescher müssen sich auf Kamille an der Haspel, feuchtere Bedingungen durch Klettenlabkrautbewuchs, im Extremfall nicht mehr mögliche Sikkation und ein hohes Samenpotenzial von Ungräsern einstellen.

Die aufnehmende Hand verlangt zunehmend genaue Angaben der Sorten, der Qualität und Rückverfolgbarkeit der Ernte bis auf die Teilfläche, um die Wünsche der Mühlen und anderen Verarbeiter auch mit gelenktem Vertragsanbau zu erfüllen, von Allergenverunreinigungen und Mutterkorn ganz zu schweigen.

Auch die Auswirkungen des Klimawandels stehen im Lastenheft. Es wird tendenziell nassere wärmere Winter, trockenere Frühjahre und Frühsommer sowie mehr Niederschläge im Sommer geben, was die Erntezeitfenster verengt. Im Jahresschnitt steigen die Temperaturen, was zu seltenerer Wintergare führt und die Vegetationsruhe aufhebt. Der Sommer bedeutet häufiger Hitzestress für die Bestände.

Das Ganze führt zu einem wassersparenden Anbau mit vielfältigeren Fruchtfolgen, als es heute der Fall ist, mehr Beikräutern und einer weiteren Aufteilung der Düngung in mehr Teilgaben.

Die Strohverteilung soll gleichmäßig über die ganze Arbeitsbreite des Mähdreschers erfolgen, was jenseits der neun Meter bei Seitenwind zur Herausforderung werden kann. Eine konstruktive Herausforderung ist es, all die aufgeführten Aufgaben mit einer möglichst leichten, Boden schonenden, Diesel sparenden Maschine unter 3,50 Metern Breite zu vereinen, die einsatzsicher ihr Geld verdient.

Was fordert die Praxis?

Das Schneidwerk schnell an- und abzubauen, soll auch Bestände mit geringen Verlusten dem Dreschwerk zuführen und sich bei tiefsitzenden Kulturen gut dem Boden anpassen. Die Dreschorgane sollen auch bei feuchtem und grünem Stroh stabile hohe Leistung und beste Qualität bei Hangausgleich bieten. Eine zuverlässige Verlustmessung mit praxisnaher Kalibrierung ist gewünscht. Das Fahrwerk soll den Boden schonen, der Strohhäcksler das Stroh exakt zerkleinern und verteilen, dabei wenig verschleißen und sicher funktionieren. Am besten sollte Samenpotenzial der Ungräser neutralisiert werden. Der Korntank muss genug fassen und schnell entleert werden können, der Motor drehzahlstabil und sparsam, das Lenksystem in der geräumigen Kabine mit guter Sicht intuitiv bedienbar sein. Eine Selbstlöscheinrichtung sollte Feuer am Drescher früh detektieren und gleich im Keim ersticken können.

Eine Online-Fehlersuche, Frühwarnsysteme und eine Ersatz- und Verbrauchsteilanalyse für die schnelle Reparatur steht auf dem Wunschzettel der Lohnunternehmer. Viele der genannten Anforderungen sind von den Herstellern bereits in der Umsetzung oder es gibt Ideen und Projekte dazu. Auch die Automatisierung trägt zur Effizienz der Maschine bei, dazu aber später mehr.

VDI-MEG: Mähdrescher: Auf dem Weg zur Multiproblemlösungs-Maschine

Auch der Einsatz der Maschine vor Ort ist wichtig

„Bei den hohen Stundensätzen des Mähdreschers darf es ein Abtanken im Stand nicht mehr geben“, so ein Lohnunternehmer. „Das ist die einfachste Steigerung der Produktivität. Die Prozesszeit, die Maschine arbeitet, die Dreschtrommel dreht sich und das Erntegut fließt, muss gegen hundert Prozent gehen, erst dann ist die Maschine effizient!“ Eine Erkundung der Flächen und Zufahrten sowie eine Optimierung der Routenplanung und Transportlogistik auf dem Feld biete gerade bei Lohnunternehmen mit häufigerem Feldwechsel mehr Prozesszeit in wenigen Erntetagen. Auch klappbare Schneidwerke können hier ein Beitrag sein.

„Die Gesamtkosten der genannten Verfahrenskette bis in die Halle oder zum Landhandel sind entscheidend“, so ein Landwirt. Der Mähdrescher ist also passend zum Betrieb oder Einsatzgebiet zu konfigurieren.

VDI-MEG: Mähdrescher: Auf dem Weg zur Multiproblemlösungs-Maschine

Daran arbeiten die Entwickler

Das Lastenheft der Praktiker ist Pflichtlektüre für die Mähdrescheringenieure. Eine interessante Diskussion entwickelte sich beim Thema Automatisierung. So regelt die Automatisierung Cemos von Claas acht Bewertungsgrößen an Haspel und Dreschorgan und 13 Einstellgrößen vom Rotor bis zu den Siebweiten. Mit Strohfeuchte- und Neigungssensor werden die Störgrößen „Wassergehalt im Stroh und Hangneigung“ kompensiert (Abb. 1).

„Der Bediener muss allein für das Dresch- werk fünf Einstellgrößen steuern und dazu vier Bewertungsgrößen ausbalancieren und diese an die Bestandsbedingungen permanent anpassen“, formuliert der Cemos-Entwickler. Auf die Frage aus der Praxis: „Ist Cemos besser als mein bester Fahrer?“ lautet die Antwort des Experten: „Über einen kurzen Zeitraum kaum. Aber kann ein Mensch lange Zeit so hochkonzentriert arbeiten?“

Eine anonyme Auswertung von Mähdreschern via Telematics ergab im Vergleich: Die Aggregate werden bei Mähdreschern mit Cemos automatisch deutlich mehr verstellt. Die Mehrleistung der Cemos-Drescher lag zwischen zehn bis zwanzig Prozent. Der Automatik-Drescher fordere gerade wegen der elektronischen Assistenzsysteme einen besser ausgebildeten Fahrer als der Mähdrescher ohne Automatik, lautete ein Einwand aus der Praxis. Und gute Fahrer, die sich auf die Elektronik einlassen, seien schwer zu bekommen!

Der Fahrer sollte bezüglich der agronomischen Ziele (Leistung, Kornqualität usw.) sicherlich gut bis besser ausgebildet sein. Nach seinen Zielvorgaben stellt sich die Maschine selbst ein. Welche Einstellvorgänge mit seinen Zielvorgaben verbunden sind, muss er nicht mehr im Detail wissen, so eine Erläuterung zur Herausforderung Personal.

VDI-MEG: Mähdrescher: Auf dem Weg zur Multiproblemlösungs-Maschine

Diskutieren auf dem Podium: Dr. Lars Fliege (Agrargesellschaft Pfiffelbach), Mortimer von Rümker (SaatGut-Friedrichswert, Geert Nerincks (CNH Industrial Belgium), Matthias Berger (John Deere) und Dr. Thomas Barrelmeyer (Claas) (v. l.).

Stickstoff sparen beim Dreschen

Um die Heterogenität im Feld abzubilden, sei die Erfassung des Ertrages mit dem wertbestimmenden Proteingehalt auf dem Mähdrescher online bei der Ernte notwendig, schlug ein Herstellervertreter vor. Mit dem Nahinfrarotsensor (NIRS) kann alle 8 bis 30 Quadratmeter ein Datenpunkt je Sekunde für den Proteinertrag ermittelt werden. Ein 20-Tonnen-Zug Weizen erlaubt lediglich einen Datenpunkt je zwei bis vier Hektar. Eine genaue räumliche Verteilung der Erträge und Proteingehalte kann durch gezielte Düngemaßnahmen die lokale Stickstoffeffizienz ergänzen und Ressourcen schonen, gerade bei den aktuell hohen Stickstoffpreisen ein Thema.

Wie Mähdrescher das Unkraut bekämpfen: technische Möglichkeiten

Die zunehmenden Resistenzen der Unkräuter und Ungräser gegenüber Herbiziden fordern Bekämpfungsmaßnahmen bereits in der Erntezeit, zum Beispiel die Verbreitung der Samen zu minimieren. Hier sind es häufig kleinere Unternehmen, die Innovationen für diese Nische entwickeln. In Australien beschäftigt man sich schon lange mit dieser Aufgabe, beschreibt ein Herstellervertreter. Zu den üblichen Lösungen zählen Abbrennen des Schwads, gezieltes Lenken des Kaffstroms hinter den Mähdrescher, Auffangen oder sogar Zermahlen der Nicht-Korn-Bestandteile in angehängten Hammermühlen. Für Letzteres entwickelten Ingenieure eine im Mähdrescherheck integrierte sogenannte Seed Control Unit (SCU). Diese fährt gemeinsam mit dem Strohhäcksler in Arbeitsposition. Zwei Rotorringe mit jeweils 16 Rundstiften und zwei Statorringe mit 24 Carbid-beschichteten U-Profilen sind darauf angeordnet. Die Lüfterschaufeln in der Mitte beschleunigen mit 2.850 U/min das Kaff und schleudern es mit den enthaltenen Unkrautsamen gegen das Rundstiftlabyrinth (Siehe Abb. 3). Die Samen schlagen mehrmals gegen Metall und werden so mechanisch zerstört. Wenn sie nun gemeinsam mit dem Gutfluss des Häckslers verteilt werden, sind sie zu 95 Prozent zerstört. Dies könne ein Beitrag zur Minimierung der Unkrautverbreitung, gerade bei häufigem Feldwechsel, sein. Vor der Ernte ausgefallene Samen und das Reservoir im Boden sind nicht erfasst. Geräusche, Staub und Leistungsbedarf des Mähdreschers nehmen bei der Ernte mit der SCU zu.

VDI-MEG: Mähdrescher: Auf dem Weg zur Multiproblemlösungs-Maschine

Wie läuft die Getreideernte in zehn Jahren?

Die Tagung zeigt: Nach der Optimierung der Maschinen und der Ernteprozesse durch Automation gilt es, die Anbauverfahren für Druschfrüchte zukünftig anzupassen. Neue Maschinenformen, wie zum Beispiel der Nexat Geräteträger, befinden sich in der Entwicklung. Alternative Anbausysteme, zum Beispiel die Mischung von Kulturen, sind in der Erforschung. Mit Kulturmischungen müssen neue Erfahrungen gesammelt werden (Abb. 2). Früher gab es viel Menggetreide, beispielsweise gestaltete sich Roggen mit Weizen unproblematischer als Hafer mit Sommergerste. In einigen Disziplinen also „back to the roots“. Unsere Vorgängergenerationen haben auf diese Art Risikominimierung im Pflanzenbau betrieben – das gilt für viele Verfahren wie zum Beispiel auch Untersaaten – das Wissen ist im Laufe der letzten Jahrzehnte abhanden gekommen und muss nun wieder reaktiviert – nicht neu erfunden – werden, so eine Ergänzung aus der Wissenschaft.

Die Teilnehmer der abschließenden Podiumsdiskussion erwarten in den nächsten zehn Jahren jedenfalls im Weizenschlag noch keinen Einsatz autonomer Systeme mit kleineren Maschinen in Schwarmform.

Tagung Land.Technik für Profis 2022 am 21./22. Juni bei Claas in Harsewinkel

Gemeinsame Tagung von DLG e.V. und Max-Eyth-Gesellschaft Agrartechnik im VDI e.V. – Die Referenten

 

Ernte und Ernteprozesse für eine immer vielfältigere Landwirtschaft, Thomas Böck, CEO Claas KGaA, Harsewinkel

Der Green Deal der EU und seine Bedeutung für die Getreideproduktion, Prof. Dr. Enno Bahrs, Universität Hohenheim, Stuttgart

Klima (-wandel) für den Pflanzenbau, Wo geht die Reise hin?, Prof. Dr. Bernhard Bauer, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Weidenbach

Perspektiven aus Sicht eines Ackerbauern, Dr. Lars Fliege, Agrargesellschaft Pfiffelbach mbH, Ilmtal-Weinstraße

Perspektiven aus Sicht der aufnehmenden Hand, Anja Twietmeyer, Saalemühle Alsleben GmbH, Alsleben

Betriebsspezifische Erntetechnik, Prof. Dr. Thomas Rademacher, Technische Hochschule Bingen, Wilhelm Jaeger, Westfarm GmbH Co. KG, Geilenkirchen

Innovationen in der Schneidwerkstechnik, Aaron Jacobs, Carl Geringhoff Vertriebsgesellschaft mbH & Co. KG, Ahlen

Beikraut-Lösungen für das Samen-Management, Philipp Heck, John Deere GmbH & Co. KG, Zweibrücken

Ausnutzung der installierten Leistung, Automatisierung der Maschineneinstellung, Dr. Joachim Baumgarten, Claas KGaA mbH, Harsewinkel

Optimierung der Verfahrenskette – Potenziale bei der Organisation, Klaus Pentzlin, Landtechnisches Lohnunternehmen, Schönweide

Mähdruschfrüchte ernten – Dokumentation erweitern, Dr. Carsten Struve, John Deere GmbH & Co. KG, Kaiserslautern

Digitale Entscheidungsunterstützung in landwirtschaftlichen Prozessen, Prof. Dr. Patrick Ole Noack, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Weidenbach

Bestellung – Nach der Ernte ist vor der Ernte, Detlev Dölger, Hanse Agro, Gettorf

Betriebswirtschaftliche Bewertung digitaler Technologien, Prof. Dr. Peter Breunig, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Weidenbach


Weitere Artikel zum Thema

weitere aktuelle Meldungen lesen