Jede Technik muss jetzt auf den Prüfstand

Zur 18. Tagung Land.Technik für Profis. kamen 300 Besucher aus Industrie, Forschung und der landwirtschaftlichen Praxis – Traktoren standen im Mittelpunkt – Bei Maßen und Gewichten ist das Ende der Fahnenstange erreicht – Isobus-Zertifizierung sollte Voraussetzung für Maschinenkauf sein

VDI-MEG: Jede Technik muss jetzt auf den Prüfstand

Über 300 Besucher zählte die von VDI-MEG und DLG organisierte Tagung LandTechnik für Profis bei John Deere in Mannheim.

VDI-MEG: Jede Technik muss jetzt auf den Prüfstand

Traktorbedienung soll intuitiver werden. Für die Entwicklung einer interaktiven Armlehne analysierte man die Bedienvorgänge genau.

Sechs Millionen Zeilen Softwarecode, 3.000 m Kabel verbinden 20 Steuergeräte und 60 Sensoren; das steckt unter der Haube eines 6R-Traktors aus Mannheim. Diese Zahlen nannte Dr. Volker Knickel von John Deere in seinem Plenarvortrag anlässlich der 18. Tagung Land.Technik für Profis. 300 Besucher aus Industrie, Forschung und der landwirtschaftlichen Praxis waren am 12. und 13. Februar zu Gast im John Deere Forum in Mannheim.

Der von den Veranstaltern VDI-MEG und DLG gewählte Tagungsort passte bestens zum diesjährigen Thema „Traktoren“. 1888 entstanden hier in Mannheim die ersten Lokomobile, 1921 rollten die ersten Lanz Bulldogs aus den Werkhallen, bis der Bulldog durch die John Deere-Übernahme im Jahr 1956 grün wurde. Bis heute verließen 1,8 Mio. Traktoren die Traktorenfabrik unter dem Lanz-Turm.

Futter für den Bulldog

Würde man einen 900er Fendt mit einer Batterie als Stromspeicher ausstatten, dann wäre diese 3,8 Kubikmeter groß und 12 Tonnen schwer, rechnete Dr.-Ing. Heribert Reiter, Entwicklungschef bei Agco-Fendt, vor. Diese Zahlen zeigen deutlich die Grenzen der Stromspeicherung in mobilen Maschinen auf.

In der 70 PS Klasse ist das Verhältnis zwischen Speichermedium- und Fahrzeugdimensionen aber deutlich günstiger, wie das Fendt-Traktorenprojekt e 100 zeigt: Die Batterie für den Elektronantrieb des kleinen Stromers aus Marktoberdorf ist nicht größer und schwerer als der Dieselmotor und Abgasstrang des konventionellen 70-PS-Fendt. Bei einer mittleren Auslastung von 40 Prozent kann man die Maschine fünf Stunden pro Tag ohne Aufladen betreiben. Eine Größenordnung, die nach Dr. Reiter für viele Anwendungen ausreicht. Abgasfrei und leise, dies sind vor allem für Kommunen interessante Kaufargumente für einen Elektrotraktor.

Dr. Reiter sieht für viele an den Traktor angebaute Arbeitsgeräte elektrische Antriebe als vorteilhaft. Aus seiner Sicht setzt sich die 48 Volt Bordspannung mehr und mehr durch. Damit lassen sich bis zu 10 kW Leistung vom Trecker für den Betrieb von Aktoren oder kleineren Elektromotoren auf die Maschine übertragen, was für über 80 Prozent der Anwendungen ausreiche.

Roger Stirnimann und Danilo Engelmann von der Berner Fachhochschule Zollikofen widmeten ihren Vortrag einer anderen Futterquelle des Bulldogs: Methangas. Landwirte mit Biogasanlagen könnten eine eigene Energieversorgung für ihren Fuhrpark aufbauen. Methan steht für den Motor als CNG (Compressed Natural Gas) oder durch Abkühlung auf -162 °C verflüssigtes Gas, LNG (Liquified Natural Gas), zur Verfügung. Für diese Tiefkühlung sind aber bis zu 15 Prozent des Methan-Energiegehaltes aufzuwenden.

In der Landtechnik präsentierten bisher CNH, Agco-Valtra und Deutz-Fahr verschiedene Traktorenstudien mit Gasmotoren, mit reinem Gasbetrieb über das Otto-Verfahren und in der Kombination Gas-Diesel als Dual Fuel. Die volumenbezogene Energiedichte von CNG sei im Vergleich zu Diesel niedrig. Daher sind die Einsatzzeiten mit den üblichen Tankinhalten von rund 300 l CNG auch recht kurz. Zudem ist Diesel als Treibstoff aktuell auch günstig. Deutlich längere Arbeitszyklen als mit CNG könne man mit LNG erreichen. Die Nutzfahrzeughersteller gehen hier mit gutem Beispiel voran. Der Haken an der Sache: Im ländlichen Raum gibt es keine Infrastruktur zum Tanken von LNG. Ein Tankwagen müsste das tiefkühle Gas auf den Hof liefern. Ist LNG einmal im Traktorentank, so muss es zügig verbraucht werden. Ansonsten gibt es Methanverluste, die sehr klimaschädlich sind.

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Dr.-Ing. Heribert Reiter, Fendt: „Elektrischer Antrieb beim 70 PS Fendt Traktor geht in Serie!“

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Roger Stirnimann, Berner Fachhochschule: Methangas aus der eigenen Biogasanlage tanken?

Wie bekommt man die Kraft auf den Boden?

Landmaschinen wuchsen in den letzten Jahrzehnten in Größe und Gewicht beachtlich. Schreibt man das bisherige Größenwachstum linear fort, dann hat ein Schlepper im Jahr 2030 gut 800 PS und wiegt 33 t. Ein Mähdrescher hätte 900 PS und 50 t Gewicht rechnete Dr. Reiter augenzwinkernd vor. Die Vorgaben der Straßenverkehrszulassung und die Belastung des Biosystems Boden zeigen bereits heute die Grenzen auf. Ein weiterer Trend: Bei zunehmenden PS-Zahlen werden moderne Traktoren leichter, ihr spezifisches Leistungsgewicht sinkt im Vergleich zu früher.

Wie gelingt es nun, einen bestmöglichen Kompromiss zwischen höchster Traktion, Bodenschutz auf dem Acker sowie Komfort und Verschleiß bei Straßenfahrt zu finden? Hierzu gab es in Mannheim drei interessante Beiträge:

Patrick Vervaet von der Forschungsabteilung des Reifenherstellers Michelin zeigte die Entwicklung vom früher eingesetzten Diagonalreifen zum heutigen AS-Radialreifen. In IF- und VF-Bauweise erlaubt dieser eine extrem flexible Flanke und für wenig Bodendruck auf dem Acker bei niedrigem Luftdruck einen erwünscht langen „Latsch“. Als neueste Michelin-Entwicklung stellte Vervaet das Evobib-Konzept vor. Dieser Reifen hat eine geteilte Stollenstruktur. Auf der Straße rollt er mit hohem Reifeninnendruck über die mittlere Lauffläche ab, bei Zugarbeit auf dem Feld reduziert man dann den Druck, sodass sich die Reifenschulter absenkt. Dann greifen auch die weiter seitlich positionierten Stollen in den Boden und steigern die Traktion.

Um mit modernen Traktoren, die z.B. beim Pflügen geforderte Zugkraft zu realisieren, ist bei modernen konventionellen Radtraktoren die Ballastierung erforderlich. Hierzu hat die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen Versuche angestellt, die Dr. Norbert Uppenkamp präsentierte. Ballastgewichte sollten unbedingt variabel und schnell an- und abzubauen sein, lautet seine Forderung. In der Praxis sieht dies aber häufig anders aus: Radgewichte bleiben auch außerhalb der Zugarbeit angebaut und fressen bei der Straßenfahrt unnötig Diesel. Bei der Ballastierung des Traktors sei die optimale Gewichtsverteilung von 60 Prozent auf der Hinter- und 40 Prozent auf der Vorderachse zu beachten. Neben Rad-, Front- und Heckgewichten gibt es mit dem EZ-Ballast von John Deere ein Zwischenachssystem. Der Traktor nimmt dies mit einem hydraulischen Haken selbst auf und fixiert es zwischen seiner Vorder- und Hinterachse. Hierbei bleibt die Gewichtsverteilung von 60:40 erhalten. Unter feuchten Test-Bedingungen der Landwirtschaftskammer reduzierte das Frontgewicht des Traktors den Schlupf effektiver als das Zwischenachsgewicht, sogar deutlich besser als das Radgewicht. Diese Ergebnisse ließen sich jedoch unter trockenen Bedingungen im Folgejahr nicht wiederholen.

Mit der Gummiraupe stellte Dr. Eberhard Nacke von Claas eine Alternative zum Reifenantrieb vor. Claas hat mittlerweile 10.000 Raupenlaufwerke im Markt, 80 Prozent der großen Lexion-Mähdrescher liefert Harsewinkel mit Raupenlaufwerk aus. Die im Vergleich zum luftgefüllten Reifen längere Aufstandsfläche der Raupe beugt Schadverdichtungen des Bodens vor. Äcker sind so auch unter widrigen Bedingungen länger befahrbar. Sie sind bei schwerer Zugarbeit auch dieseleffizienter. Raupenlaufwerken fehlt aber der Federungseffekt eines luftgefüllten Reifens, das sollte man, so Dr. Nacke, bei der Auswahl des Fahrwerks beachten. Claas habe beispielsweise auch gefederte Raupenlaufwerke im Angebot. Das bekannte „Radieren“ der Raupen sei konstruktiv zu lösen. Mit dem Laufwerk für den Jaguar-Häcksler, das bei der Kurvenfahrt seinen vorderen Bereich anhebt, hat Claas eine Serienlösung im Programm. „Die Mehrkosten eines Gummiraupenlaufwerks sind erheblich, die Vorteile bezüglich Pflanzenwachstum, Befahrbarkeit, Leistung und Dieseleffizienz überkompensieren diese aber“, so Dr. Nacke in seinem Fazit.

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Der Traktor in der Wolke

Der Traktor ist heute die mobile vielseitige Energiequelle für Arbeiten auf dem Acker. Mehr und mehr ist er aber auch Rechenzentrum und Datenschnittstelle zu den angebauten Geräten, stellte Benjamin Neermann von John Deere heraus. Über die TIM (Tractor Implement Management) Schnittstelle kann das Anbaugerät den Traktor steuern. Die Ballenpresse, die abhängig von der Schwadstärke die Vorfahrtgeschwindigkeit des Traktors steuert, war eine der ersten TIM Anwendungen.

Für 2019/2020 kündigt die für den Isobus-Standard verantwortliche Agrar Electronic-Foundation (AEF) einen verbindlichen Übertragungsstandard für die Traktor-/Gerät-Schnittstelle TIM an. Diese Traktor-Geräte-Automatisierung mache die Arbeit effizienter. Das Gespann ist gleichzeitig Datenlieferant für das zentrale Farmmanagementsystem. Zukünftig bietet die Kommunikationstechnik in Echtzeit dem Gespann weitere Automatisierungslösungen. Der Fahrer wandelt sich mehr und mehr vom Betreiber zum Fernüberwacher der Maschine, so Neermann.

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Landwirt Jörg Schrieber: „Die AEF muss ihre Arbeit beschleunigen, sonst überholt die technische Entwicklung die Isobus Standards.“

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Timo Schempp von der Universität Hohenheim: „Der Prozess definiert die Bedienung.“

Die Maschine besser beherrschen

Timo Schempp vom Institut für Agrartechnik der Universität Hohenheim stellte das Projekt eines Traktorbediensystems vor, das sich bestmöglich an das jeweils an den Traktor angebaute Gerät anpasst. Je nach angebautem Gerät verändern hier Dreh- und Kippschalter und Joystick ihre Farbe je nach Belegung oder Drehwiderstand. „Der Prozess definiert die Bedienung, nicht die technischen Vorgaben der Maschine“, so Timo Schempp. In der Praxis können Bedienelemente, die z.B. das hydraulische Ausheben auslösen, beim Pflügen anders definiert sein als beim Mähen. Ziel ist eine logische und intuitive Steuerung, die Bedienfehler vermeidet und Ermüdung vorbeugt. Aktuell laufen in Hohenheim Messungen eines im Traktor verbauten Armlehnenprototyps. Auf der Agritechnica wird das fertige Bediensystem dann ausgestellt.

Ins Schwärmen geraten

„Die Grenze der Größe und Auslastung von Traktoren ist erreicht. Wir müssen über einen Konzeptwechsel nachdenken“, forderte Prof. Thomas Herlitzius von der TU Dresden. Er stellt bei seiner Betrachtung die Frage `Welche Arbeit lässt sich am effizientesten wie erledigen` in den Mittelpunkt. Automatisierung und Elektrifizierung bieten Alternativen zum heute üblichen Modell „Mensch auf einem Traktor bedient angebautes Arbeitsgerät“. Eine Alternative dazu seien Schwarmmodelle. Ein Lkw bringt z.B. eine Reihe von selbstständig arbeitenden Maschinen hinaus auf den Acker, wo sie ihre vorher vom Landwirt und Algorithmen definierte Arbeit verrichten. Diese Maschinen können durchaus kleiner und leichter sein und weniger Diesel benötigen als ein heutiger Großtraktor. Mehrere Unternehmen und Institute forschen an diesen Feldrobotern. Treiber der Entwicklung sind personal- und deckungsbeitrag-intensive Sektoren wie Wein- und Obstbau. Für Arbeitschritte, die Traktion erfordern, kann der konventionelle Schlepper als mobiler Geräteantrieb seine Berechtigung behalten. Denkbar wären auch Konzepte, bei denen sich selbstfahrende Bodenbearbeitungsgeräte auf ihren eigenen Werkzeugen , wie z.B. Zahnscheiben, fortbewegen. „In zehn bis 15 Jahren sind kleinere modulare Konzepte in landwirtschaftlichen Nischen Praxis“, ist Prof. Herlitzius überzeugt.

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Und was sagen die Praktiker dazu?

Mit Jörg Schrieber und Joachim Pfannstiel-Wolf äußersten sich zwei Praktiker auf dem Podium. Pfannstiel-Wolf bewirtschaftet 1.150 ha im Rheinland, einen großen Teil davon mit Gemüse. Alle fünf Jahre erneuert er seine Traktorenflotte, deren betriebswirtschaftliche Kennziffern er genau auswertet. Aus seiner Sicht ist bei den Traktorpreisen die Grenze erreicht. Die Anschaffungskosten eines Schleppers liegen heute bei 811 Euro/kW. Mit der Preissteigerung der Schlepperpreise könnten die Reinerträge seines Betriebes nicht in gleichem Maße Schritt halten.

Jörg Schrieber, Landwirt aus Helmstedt, Niedersachsen, gehört zu den Pionieren in der Digitalisierung des gesamten Farmmanagements. Er mahnte die Hoheit des Landwirts über seine Daten an. Außerdem forderte er die Landmaschinenhersteller auf, die Standardisierung der Schnittstellen von Traktor und Geräte schneller als bisher voranzutreiben. Ansonsten überhole die technische Entwicklung die Arbeit der AEF an den erforderlichen Isobus-Standards.

In der Diskussion im John Deere Forum empfahl Dr. Reiter den Praktikern, bei der Auswahl der zu ihrem Traktor passenden Maschine zur Prüfung der Kompatibilität die AEF Datenbank zu nutzen.

Auf den Einwand hin, dass bisher nur ein Bruchteil der Maschinenpopulation AEF Isobus-zertifiziert und damit in dieser Datenbank verzeichnet ist, motivierte er die Landwirte, mehr Druck auf die Hersteller auszuüben: „ Machen Sie doch die Isobus-Zertifizierung zur Voraussetzung Ihres Maschinenkaufs.“


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