Arbeit in der Landwirtschaft attraktiver gestalten

Das Thema Arbeitskräftemangel brennt den Landwirten in Europa zunehmend auf den Nägeln. Durch die aktuelle Corona-Pandemie hat das Thema an Bedeutung zugenommen. Die Schließung der Grenzen hat gezeigt, wie stark wir in Europa vernetzt arbeiten, auch in der Landwirtschaft. Anlässlich des 22. Arbeitswissenschaftlichen Kolloquiums des VDI zum Thema „Arbeit unter einem D-A-CH – Automatisierung und Digitalisierung in der modernen Landwirtschaft“ diskutierten am 8. und 9.September 2020 bei Agroscope in Tänikon 50 Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auch über mögliche Lösungen, den Arbeitskräftemangel zu beheben.

VDI-Kolloquium: Arbeit in der Landwirtschaft attraktiver gestalten

Die Landwirtschaft konkurriert mit dem Pflegebereich um Hilfskräfte.

Zunächst stand die Frage zur Diskussion, welche Lösungsansätze anlässlich der Pandemie genutzt wurden, um die Erntearbeiten sicherzustellen. In der D-A-CH Region war dies in der Fachpresse ein heiß diskutiertes Thema zu Beginn der Corona-Krise. In allen drei Ländern wurden zügig Regelungen getroffen, um die Einreise der ausländischen Erntehelfer sicherzustellen. Hier haben die involvierten Organisationen und Ämter pragmatisch zusammengearbeitet und administrative Lösungen gefunden. Die landwirtschaftliche Not ist auch auf große Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung gestoßen. Es haben sich häufig Immigranten, Studierende und viele Arbeitende aus dem Gastgewerbe gemeldet, um auszuhelfen. In der Schweiz gab es beispielsweise extra eine Plattform, um Betroffene in Kurzarbeit und Landwirte zusammenzubringen. Die teilweise sehr anstrengende Arbeit auf den Betrieben und die benötigten Fähigkeiten sind aber nicht für jeden Arbeitnehmenden das Richtige. Die Betriebe schätzen deshalb ihre angestammten Erntehelfer, die oft jährlich wiederkommen, sehr. Die Umsetzung von Hygienekonzepten, um die Arbeitskräfte zu schützen, hat in den meisten Fällen gut funktioniert, zum Beispiel wurden Wohncontainer angemietet, um zusätzliche Kochstellen und mehr Pausenraum zur Verfügung zu stellen. Aus dem Kreis Ahrweiler, Deutschland, wurde berichtet, dass das Gesundheitsamt kostenlos und regelmäßig Erntehelfer auf eine COVID-19 Infektion testete, um eine Ausbreitung zu vermeiden und die Menschen zu schützen.

Ein Mangel an Arbeitskräften in diesem Sommer konnte vermieden werden. Aber wie sieht es damit in Zukunft aus? Wie steht es mit der Entwicklung der Arbeitskräfte unabhängig von Corona?

Die Arbeitskräfte in der Schweiz setzten sich 2019 zu mehr als drei Viertel aus Familienmitgliedern zusammen, davon waren 55 % in Teilzeit beschäftigt (BfS, 2020). Die österreichische Agrarstrukturerhebung von 2013 bestätigt ebenfalls einen hohen Anteil von Familienarbeitskräften von 83 %. Die Anzahl der Betriebe und auch die Anzahl der Familienarbeitskräfte nimmt auch dort kontinuierlich ab, während der Anteil der Fremdarbeitskräfte, genau wie in Deutschland und der Schweiz, steigt.

In Deutschland gibt es starke geographische Unterschiede mit unterschiedlichem Arbeitskraftbedarf zwischen den Großbetrieben in den neuen Bundesländern und dem stärker am Familienbetrieb orientierten Altbundesgebiet. Laut der Agrarstrukturerhebung 2016 waren in Deutschland 48 % aller Arbeitskräfte Familienarbeitskräfte, 22 % festangestellte Fremdarbeitskräfte und 30 % Saisonarbeitskräfte. In den neuen Bundesländern betragen die Familienarbeitskräfte nur 18 %. Aber nicht nur der Anteil der Familienarbeitskräfte prägt das Bild. Es muss zwischen einem Mangel an Hilfskräften und einem Mangel an Fachkräften differenziert werden. Zum einen sind die verschiedenen Betriebszweige unterschiedlich betroffen, abhängig von ihrem Ernte- und Hilfskräftebedarf. Hier sind besonders die Spezialkulturen zu nennen. Außerdem wird eine zunehmende Konkurrenz bei der Rekrutierung von Hilfskräften verspürt, die auf eine steigende Nachfrage an Arbeitskräften in vielen Bereichen der Gesellschaft, wie zum Beispel in der Pflege, zurückgeführt wird. Deshalb gibt es in vielen Ländern Initiativen, die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft attraktiver zu gestalten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die Akzeptanz der landwirtschaftlichen Berufe und der Landwirtschaft in der Gesellschaft spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, damit weiterhin genügend Menschen bereit sind, auszuhelfen. In einigen Ländern werden auch neue produktionstechnische Ansätze diskutiert, wie zum Beispiel die Umstellung auf Einmal-Melken in saisonalen weidebasierten Systemen in Irland und Neuseeland zum Zeitpunkt der Ablamm- und Abkalbeperiode, um die Arbeitsspitzen zu brechen. Dies funktioniert natürlich nur bei extensiven Systemen mit geringer Milchleistung. Für die alpinen Regionen könnten solche Ansätze interessant sein.

Roboter auf dem Vormarsch

Neben der Anstellung von Fremdarbeitskräften wurden auch andere Möglichkeiten diskutiert, die Arbeit bei wachsenden Betrieben zu bewältigen. Bei ökologisch wirtschaftenden Betrieben sollen zukünftig Hilfsarbeiten durch Hackroboter ersetzt werden. In der Tierhaltung und im Ackerbau wird ebenfalls oft auf steigende Mechanisierung und Automatisierung gesetzt. Eine groß angelegte empirische Studie von Agroscope zum Stand der Mechanisierung der Schweizer Landwirtschaft hat gezeigt, dass es gerade in der Tierhaltung noch viel Spielraum gibt, die Arbeitsproduktivität zu steigern und Handarbeit einzusparen. Durch eine steigende Digitalisierung der Betriebe gibt es allerdings auch einen steigenden Bedarf an gut ausgebildeten Mitarbeitenden. Es werden zunehmend Stimmen laut, dass nicht nur ältere Menschen mit der zunehmenden Digitalisierung überfordert sind. Auch beim zeitweisen Bedarf von Unterstützung über den Maschinenring oder den Betriebshelfer wird es bei digitalisierten Betrieben oft schwierig, Menschen für kurze Zeit einzuarbeiten, z.B. bei einem Krankheitsfall oder einer Ferienvertretung. Hier sollten die Betriebsleitenden auf jeden Fall vorsorgen. Eine Zusammenstellung der Lösungsansätze für einen Fachkräftemangel aus der Gruppendiskussion der einzelnen D-A-CH Länder finden Sie in Tabelle 1.

Die Wahrnehmung für einen zukünftigen Fachkräftemangel stellt sich in den verschiedenen Ländern der D-A-CH Region sehr unterschiedlich dar. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) der Schweiz hat 2014 keinen Fachkräftemangel für die Landwirtschaft prognostiziert. Es entsteht in den nächsten Jahren in der Schweizer Landwirtschaft zwar ein demographischer Ersatzbedarf, die rückläufige Zahl der Betriebe wirkt dem aber entgegen. Für Deutschland stellen Gindele et al. im Mai 2016 in den Berichten über Landwirtschaft hingegen fest, dass in ihrer Umfrage 62 % der Betriebsleitenden einen Mangel bereits bestätigen. Dies hat aber möglicherweise auch mit dem niedrigen Lohnniveau in diesem Bereich zu tun. Dadurch entsteht eine Konkurrenzsituation mit besser bezahlten Arbeitsplätzen in anderen Branchen. Bisher scheint die Lage in keinem der Länder prekär zu sein. Es lohnt, sich Gedanken zu machen, wie man die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft auch für zukünftige Generationen attraktiv gestalten kann.

Erarbeitete Lösungsansätze aus der Gruppendiskussion, um den erwarteten Fachkräftemangel einzudämmen

Gruppe Deutschland

■ Digitalisierung und Automatisierung machen Arbeit in der Landwirtschaft attraktiver

■ Attraktivität der Ausbildungsberufe in der Öffentlichkeit darstellen

■ Weiterbildung für gute Fachkräfte unerlässlich (Stichwort: Digitalisierung)

■ Honorierung der Arbeit durch die Gesellschaft

■ Arbeitszeiten so optimieren, dass nicht ständig Überstunden gemacht werden müssen, ist ein entscheidender Faktor (z.B. Einsatz von Robotern, Betriebsgemeinschaften, Kooperationen)

■ Landwirt wird Studium benötigen, um Smarte Technologien in der LW zu beherrschen → Beruf wird für Menschen interessant, die nicht aus der LW kommen

■ Es werden auch für Fachkräfte in der Landwirtschaft flexible Arbeitszeitmodelle gebraucht, die auch eine breite Akzeptanz finden

Gruppe Österreich

■ Maschinenring sollte künftig verstärkt geschulte Fachkräfte für Urlaubs- und Krankheitsvertretung anbieten

■ Die Arbeitsstellen für Maschinenringarbeiter sollten so organisiert sein, dass sich eine
40-Stunden-Woche ergibt, z.B. über Rotation nach Betrieben - entspricht den DorfhelferInnen)

■ Einsatz von Zivildienstleistenden

■ Es benötigt ein Zusammenspiel von sozialer Arbeit und Landwirtschaft, damit z.B. die Integration von Ayslbewerbenden in die Landwirtschaft funktioniert

Gruppe Schweiz

■ Der erhöhte Arbeitsbedarf bei Milchvieh- und Ackerbaubetrieben wird zukünftig eher über eine höhere Automatisierung abgedeckt

■ Es wird auf Nachbarschaftshilfe gesetzt, um Arbeitsspitzen zu brechen


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