Streik bei John Deere: „Es ist ein riesiges Schlamassel und es gibt keine Gewinner“

In Nordamerika sind Facharbeiter gesucht – Das stärkt die Gewerkschaften – Eine Einigung der Tarifpartner ist in Waterloo eventuell in Sicht – Während der noch laufenden Ernte werden die Ersatzteile knapp

USA: Streik bei John Deere: „Es ist ein riesiges Schlamassel und es gibt keine Gewinner“

Der prominente Landwirt Tim Burrack aus Iowa fürchtet einen streikbedingten Ersatzteilengpass.

Nach sechswöchigen Verhandlungen war es soweit: Am 1. Oktober, dem Tag, an dem der bisherige Tarifvertrag auslief, hatten sich der US Landmaschinenhersteller John Deere und die UAW1, die Gewerkschaft, die Arbeiter in der Automobil-, Luftfahrt- und Landmaschinenindustrie vertritt, auf neue Konditionen geeinigt. Was die UAW konkret ausgehandelt hatte, erfuhren zunächst nur die Deere Arbeiter, die bis zum 10. Oktober über den neuen Tarifvertrag abstimmen mussten. Das Votum fiel klar aus: 90 Prozent der Belegschaft befanden die angebotene Lohnerhöhung und Zusatzleistungen für unzureichend. Weitere Verhandlungen erbrachten kein Ergebnis, und vier Tage später gingen 10.100 Arbeiter in den Streik – den ersten seit 35 Jahren.

Zustimmung in der Bevölkerung

Der Bundesstaat Iowa im Mittleren Westen der USA ist ländlich und dünn besiedelt. Mit dem Hauptwerk für Traktorenbau im Städtchen Waterloo und Futtererntetechnik in Ottumwa ist John Deere ein wichtiger Arbeitgeber. Oft ist ein Job bei John Deere Familientradition und man weiß um die Arbeitsbedingungen. Freunde, Verwandte, Nachbarn und lokale Geschäftsleute unterstützen die Streikenden mit Spenden und Lebensmittelpaketen.

Die letzten zwölf Jahre waren hart für die John Deere Arbeiter: der Tarifvertrag 2009 musste mitten in der weltweiten Finanzkrise ausgehandelt werden, 2015 gab es erhebliche Probleme im Landmaschinensektor und entsprechend dürftig fielen die Lohnangebote aus. 2021 haben sich die Geschicke gewandelt: Für dieses Jahr werden für John Deere Rekordgewinne in Höhe von fast sechs Milliarden Dollar (knapp 5,2 Milliarden Euro) prognostiziert. Angesichts dieser Zahlen empfanden die Mitarbeiter das Angebot einer Lohnerhöhung von (je nach Job) fünf bis sechs Prozent als viel zu niedrig.

John Deere bessert nach

Firmenvertreter und Gewerkschaft kehrten an den Verhandlungstisch zurück und nach zweieinhalb Wochen lag ein neues Angebot vor: Bis 2027, der Laufzeit des neuen Tarifvertrages, soll der Stundenlohn von derzeit 20,12 – 22,13 U$ (17,38 – 19,12 Euro) um ein Drittel steigen. Dazu kommen Bonuszahlungen, eine Aufstockung der Renten, Lohnfortzahlungen bei auftragsbedingten Entlassungen, vier statt bisher dreieinhalb Wochen Jahresurlaub und zwei Wochen bezahlter Elternurlaub. Insgesamt investiere man zusätzliche 3,5 Milliarden U$ (ca. 2,6 Milliarden Euro) in die Belegschaft, hieß es in einem Statement von John Deere. Und dennoch: Am 2. November lehnten die Arbeiter an zwölf Produktionsstandorten2 den neuen Tarifentwurf mit 55 zu 45 Prozent der Stimmen ab.

Der Streik geht weiter

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten verhandeln US Gewerkschaften aus einer Position der Stärke. Die Pandemie ist ein entscheidender Faktor. Wie die Mitarbeiter in der Lebensmittelindustrie, in Schlachthöfen, in Supermärkten oder im Gesundheitssektor galten auch die Arbeiter bei John Deere als ‚unverzichtbar‘ und standen am Band, während andere die Sicherheit des ‚Home office‘ genossen. Nicht nur bei John Deere sind die Arbeiter erschöpft und frustriert. Allein im August gaben 2,9 Prozent der erwerbstätigen Amerikaner ihren Job auf. In vielen Branchen können auch gut bezahlte offene Stellen nicht besetzt werden – und damit haben Arbeiter und Gewerkschaften eine gute Verhandlungsposition. Gestreikt wird nicht nur bei John Deere, sondern auch beim Lebensmittelkonzern Kellog, in regionalen McDonald’s Filialen, bei Bus- und Transportunternehmen und in Krankenhäusern.

Hält die Solidarität?

Tim Burrack ist Landwirt und bewirtschaftet eine 1.200 Hektar Farm im Nordosten von Iowa. Er baut Mais und Soja an, und seine Maschinenhalle hat die Größe eines Flugzeughangars. Als regelmäßiger Gast in einer Landwirtschaftstalkshow weiß er die Stimmung unter Landwirten gut einzuschätzen. „Es ist ein riesiges Schlamassel und es gibt keine Gewinner“, sagt Burrack. Dass das erste Angebot den Arbeitern zu niedrig gewesen sei, habe er verstanden, aber „mit der Ablehnung des zweiten Angebots haben sie bei mir jegliche Sympathie verspielt. Und andere Farmer sehen das genauso“, teilte er mir in einer E-Mail mit. Das drängendste Problem sind derzeit die fehlenden Ersatzteile, denn in vielen US Bundesstaaten wird bis in den späten November noch geerntet. Laut Bloomberg News müssen Vertragshändler inzwischen oft mehrere Wochen auf Ersatzteile warten. Wer eine neue Maschine braucht, muss sich in Geduld üben. John Deere nehme Bestellungen weiterhin an, sagt Tim Burrack, die Firma mache aber inzwischen keinerlei Angaben zu einem möglichen Liefertermin. Und die Nachfrage nach gebrauchten Landmaschinen sei deutlich gestiegen – und damit natürlich auch die Preise. Der Fernsehsender NBC News berichtet, der Index für gebrauchte Traktoren bei Ritchie Bros., einem globalen Auktionshaus für Gebrauchtmaschinen, sei seit 2020 um 19 Prozent gestiegen. Und die Teilnahmen an Online Auktionen im Oktober sei um 15 Prozent höher gewesen als im selben Monat des Vorjahres.

USA: Streik bei John Deere: „Es ist ein riesiges Schlamassel und es gibt keine Gewinner“

Nach 35 Jahren gibt es bei John Deere einen Streik.

Wie geht es weiter?

In einer Pressemitteilung bezeichnete John Deere den Tarifvertrag, den die Arbeiter am 2. November ablehnten, als ‚bestes und letztes Angebot‘. John Deere hat sein letztes Angebot nun leicht modifiziert und aufgebessert. Die Zeitung ,Des Moines Register‘ zitiert John Deere Mitarbeiter in Ottumwa, die das Angebot wie folgt bezeichnen:

„Enttäuschend, es unterscheidet sich kaum vom vorherigen.“ Die Arbeiter gehen jedoch davon aus, dass viele ihrer Kollegen dennoch zustimmen könnten. Es sehe nicht so aus, als ob John Deere noch zu größeren Zugeständnissen bereit sei. Außerdem haben viele inzwischen Mühe, mit dem von der Gewerkschaft gezahlten Streikgeld auszukommen und für die Streikposten wird es inzwischen empfindlich kalt. Die Temperaturen sinken nachts bis auf -5 Grad Celsius ab, tagsüber liegen die Höchsttemperaturen bei zehn Grad. Die Abstimmung über das Angebot findet in dieser Woche statt, ein Ergebnis könnte zum Wochenende hin vorliegen.

Während des letzten Arbeitskampfes 1986 stellten die Deere Arbeiter aber unter Beweis, dass sie einen langen Atem haben können: der Streik dauerte 163 Tage.

1 UAW steht für United Automobile, Aerospace and Agricultural Implement Workers of America | 2 An zwei Standorten – in Denver, Colorado und Altlanta, Georgia – stimmten die Arbeiter für den Tarifvertrag. Quelle: https://www.farmprogress.com/print/447533

Hintergrund – Nicht nur der Streik ist schuld an den Schwierigkeiten der Lieferketten

Lieferprobleme gibt es nicht nur bei John Deere. Schon vor Beginn des Streiks fehlten Rohmaterialien und Komponenten, insbesondere Elektronikteile und Computer-Konsolen aus China. Die Engpässe bei den Lieferketten machen auch anderen amerikanischen Unternehmen zu schaffen, und sie werden durch den Mangel an Arbeitskräften weiter verschärft. Güter aus Asien erreichen die USA meist über die Häfen an der US Westküste. Nach Angaben von Bloomberg News lagen Containerschiffe Anfang November im Schnitt zwei Wochen auf Reede, bevor sie im Hafen von Los Angeles oder Long Beach gelöscht werden konnten. Zwei Wochen ist die Zeit, die ein schnelles Schiff für die Überquerung des Pazifiks braucht; inzwischen ist es wirtschaftlich durchaus sinnvoll, Häfen in Texas oder sogar an der Ostküste anzulaufen, statt auf einen Liegeplatz an einem Westküstenhafen zu setzen. Von den 77 Anfang November vor Los Angeles wartenden Schiffen hatten 23 eine Kapazität von mehr als 10.000 TEUs (20-Fuß-Container Äquivalenz), von denen jeder per Lkw oder Zug weitertransportiert werden muss. Nach Angaben der Amerikanischen Vereinigung der Fernfahrer fehlen in den USA jedoch rund 80.000 Trucker. Es wird also eine Weile dauern, bis die Containerstaus aufgelöst und die Lieferengpässe beseitigt sein werden.

ML

USA: Streik bei John Deere: „Es ist ein riesiges Schlamassel und es gibt keine Gewinner“

Lkw warten auf die Abfertigung im Hafen von Los Angeles.


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