Agrarwirtschaft geschlossen hinter der Regierung

Versorgung der eigenen Bevölkerung hat oberste Priorität – Beim Agrarbetrieb IMK kann das Milchvieh nur noch notdürftig versorgt werden – Nur ein Zehntel der sonst 2.000 Arbeitskräfte ist noch auf den Hofstellen – An eine normale Frühjahrsbestellung ist laut CEO Lissitsa auf dem 120.000-Hektar-Betrieb kaum zu denken

Ukraine: Agrarwirtschaft geschlossen hinter der Regierung

Die Landwirte in der Ukraine sind besorgt, wie es mit dem Anbau dieses Jahr weitergeht.

Das ukrainische Agribusiness steht geschlossen hinter der Kiewer Regierung um Präsident Wolodymyr Selenskyj. Das betonte Dr. Alex Lissitsa, CEO des Agrarbetriebes IMK, der mit einer bewirtschafteten Fläche von 120.000 Hektar und einer Rohmilchproduktion von jährlich 4.200 Tonnen zu den zehn größten Agrarbetrieben der Ukraine zählt. Er selbst sei von der Regierung beauftragt, die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen. Dabei gehe es niemandem um Geld oder irgendwelche Privatinteressen. „Wir wollen einfach der Bevölkerung helfen und den Krieg beenden“, so der Agrarökonom, der an der Berliner Humboldt Universität promoviert hat und deshalb über ausgezeichnete Kontakte nach Deutschland verfügt.

Der Nachschub an Lebensmitteln gestalte sich aber extrem schwierig, weil die großen Städte zum Teil durch die vorrückenden russischen Truppen abgeschnitten seien, berichtete Lissitsa bei einer Informationsveranstaltung zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die internationalen Agrarmärkte, die Prof. Sebastian Lakner von der Universität Rostock organisiert hatte. In Kiew gebe es zwar noch Lebensmittel; im Norden der Hauptstadt sei die Versorgungslage aufgrund der anhaltenden Kämpfe aber katastrophal. Zudem verschlechtere sich die Lage von Tag zu Tag.

Milch muss weggeschüttet werden

Auf den Betrieben von IMK läuft nach Angaben von Lissitsa nur noch das Allernötigste. Von den insgesamt 2.000 Mitarbeitern seien aktuell nur noch gut 200 auf den Hofstellen. Alle anderen Mitarbeiter seien im Krieg oder bei der Verteidigung von Dörfern und Städten eingesetzt. Die ermolkene Milch müsse entweder verfüttert oder sogar weggeschüttet werden, da die Transportwege zu den Molkereien unterbrochen seien. Viele Tiere seien inzwischen stark abgemagert oder bereits verendet. Deshalb werde es vermutlich schwierig, die Milchproduktion nach Ende des Krieges schnell wieder aufzubauen.

Treibstoff wurde verbrannt

Die Verbindung zu vielen Mitarbeitern sei mittlerweile abgerissen, was es schwierig mache, sich ein aktuelles Bild der Lage zu machen, erklärt der Agrarökonom. In der Feldwirtschaft waren die Vorbereitungen für die Frühjahrsaussaat ihm zufolge gerade abgeschlossen. Ans Drillen sei mangels Personal und Diesel aber überhaupt nicht zu denken.

Zum Teil habe IMK der ukrainischen Armee Treibstoff zur Verfügung gestellt. Wo die Russen bereits vorgerückt seien, habe man diesen auch verbrannt. Zuletzt hat sich Lissitsa in der ostukrainischen Stadt Sumy mit rund 220.000 Einwohnern aufgehalten, von wo aus er alle Aktivitäten koordiniert.

Mais und Zuckerrübe fliegen raus

Derweil versuchen auch andere landwirtschaftlichen Betriebe in der Ukraine, den kriegsbedingt extrem schwierigen Rahmenbedingungen zu trotzen. Niederländische Ackerbauern mit Betrieben in der Ukraine berichteten vorvergangene Woche, sie würden bei der Gestaltung ihres Anbauprogramms vor allem auf die Minimierung der Kosten für Betriebsmittel wie Diesel, Dünger und Pflanzenschutzmittel achten. Diese seien nämlich sehr knapp oder gar nicht mehr verfügbar.

Wie die Landwirte auf eigenen Blogs und gegenüber niederländischen Fachmedien im Einzelnen erklärten, werden deshalb Kulturen, die viel Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel benötigen, aus dem Anbauplan genommen. Die Produktion von Mais und Zuckerrüben werde eingeschränkt – zugunsten der Erzeugung von Weizen und Sojabohnen.

Unterdessen wurden den Landwirten zufolge Mitarbeiter zum Militärdienst einberufen. Deshalb drohe nun auch ein Mangel an Arbeitskräften. Zudem seien Personen- und Lastkraftwagen für den Zivilschutz angefordert worden. Bei der Vermarktung von Ware aus der alten Ernte gebe es ernste logistische Probleme; beispielsweise sei die Bahnlinie zum Hafen in Odessa blockiert.

Der von Russland in der Ukraine angezettelte Krieg zieht auch die dortige Düngerproduktion schwer in Mitleidenschaft. Nach Informationen des Fachmagazins „Fertilizer Daily“ stand mit dem Unternehmen Cherkasy Azot einer der größten ukrainischen Düngerhersteller vor der Schließung. Der Betrieb im Cherkasy Oblast etwa 100 Kilometer südöstlich von Kiew beschäftigt 6.000 Mitarbeiter und verfügt über eine Produktionskapazität von jährlich rund 3,0 Mio. Tonnen Stickstoffdünger, darunter Ammoniumnitrat und Harnstoff. Die Produktionsanlage im Hafen von Odessa mit einer Kapazität von gut 1,0 Mio. Tonnen Ammoniak und 600.000 Tonnen Harnstoff soll die Arbeit bereits eingestellt haben. Grund ist dem Fachmagazin zufolge der Wegfall russischer Vorprodukte, für die unter den jetzigen Umständen in der Ukraine kein Ersatz gefunden werden könne. Angesichts der desolaten Datenlage sind solche Meldungen mit Vorsicht zu genießen. Klar ist dennoch, dass der Krieg die Lieferketten in allen Branchen der ukrainischen Wirtschaft schwer stört oder bereits unterbrochen hat.


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