Die „große“ Digitalisierung ist bei Traktoren umgesetzt

Die Agritechnica gilt seit Jahren als die weltweit wichtigste Neuheiten-Plattform für Landtechnik, nicht zuletzt wegen der „Agritechnica Innovation Awards“. Auch im Vorfeld der 2019er-Ausgabe wurden von den Herstellern wiederum zahlreiche Produkte präsentiert und für diesen Innovationswettbewerb angemeldet. Der nachstehende Beitrag soll einen Überblick über die wichtigsten Neuheiten und daraus ableitbare Trends geben.

Trends: Die „große“ Digitalisierung ist bei Traktoren umgesetzt

Seit Januar 2019 müssen Dieselmotoren in neuen Traktoren ab 130 kW (177 PS) die Abgasgrenzwerte der Stufe V einhalten, ab Januar 2020 wird dies auch für die Leistungsklassen von 56 bis 130 kW (76 bis 176 PS) der Fall sein. Bei den Partikelemissionen kommt neben einem verschärften Grenzwert für die Masse (g/kWh) ein zusätzlicher für die Anzahl dazu (#/kWh), was geschlossene Partikelfiltersysteme unumgänglich macht. Einige Traktorenhersteller haben den Wechsel auf Abgasstufe-V-Motoren im Verlaufe des Jahres 2019 ohne großes Aufsehen an bestehenden Baureihen vollzogen, andere koppelten diesen an die Entwicklung und Vorstellung von neuen Modellen.

Common-Rail-Einspritzung, Vierventiltechnik, Turbolader, Ladeluftkühlung, Visco-Lüfter und elektronische Motorsteuerung stellen weiterhin die motortechnischen Grundpfeiler dar, um die Anforderungen an Leistung, Verbrauch und Emissionen unter einen Hut zu bringen. Auch bei den Abgastechnologien wird auf bekannte Technologien zurückgegriffen. Die Abgasnachbehandlungssysteme Dieseloxidationskatalysator (DOC), Dieselpartikelfilter (DPF) und Selektive Katalytische Reduktion (SCR) sind bei Abgasstufe-V-Motoren von Landwirtschaftstraktoren immer vorhanden. Unterschiede gibt es nur noch betreffend Abgasrückführung (AGR) als innermotorische Technologie zur Verminderung der Stickoxid-Bildung. Hier ist insgesamt ein Trend zu verringerten Rückführraten oder sogar komplettem Verzicht erkennbar. Neben CNH als langjährigem Verfechter von „SCRonly“ lässt jetzt beispielsweise auch Fendt bei der neuen Großtraktorenbaureihe Vario 900 die AGR weg.

Die Abgasnachbehandlungssysteme DOC, DPF und SCR werden zunehmend in kompakten Single-Modulen zusammengefasst und außerhalb des Motorbereiches angeordnet. Ein typisches Beispiel hierfür ist die All-in-one-Lösung von Massey Ferguson für die Baureihen 6700S und 7700S. Von CNH werden neu SCRoF-Systeme eingesetzt, bei welchen der DPF eine SCR-Beschichtung aufweist und somit einen Teil der Stickoxid-Reduktion übernimmt. Das komplette Abgasnachbehandlungssystem mit DOC, beschichtetem DPF und kleinerem SCR beansprucht damit kaum mehr Bauraum als die bisherigen Abgasstufe-IV-Systeme mit DOC/SCR. Nach den Mittelklasse-Baureihen mit 4- und 6-Zylindermotoren aller drei Konzernmarken kommen jetzt auch die überarbeiteten Großtraktoren-Baureihen Case IH Magnum AFS Connect und New Holland T8 Genesis mit der SCRoF-Technologie (6 Zylinder, 8,7 l Hubraum).

Beim Thema Boostleistungen kommt es zu einem Paradigmenwechsel. Fendt als bisheriger Vertreter der Nicht-Boost-Fraktion setzt mit „Fendt Dynamic Performance“ beim neuen Topmodell Vario 314 auf eine sensorgesteuerte Lösung, mit der für den eigentlichen Arbeitseinsatz immer die gleiche Grundleistung zur Verfügung steht. Die Boostleistung wird in Abhängigkeit des Leistungsbedarfes von Nebenverbrauchern wie Lüfter, Lichtmaschine, Klimaanlage und Druckluftkompressor variabel zugeschaltet. CNH als Verfechter von üppigen Boostleistungen geht in die andere Richtung und sorgt bei den genannten Großtraktoren-Baureihen dafür, dass Nenn- und Maximalleistungen (397 und 435 PS) unter allen Betriebsbedingungen zur Verfügung stehen.

In der Vergangenheit wurden zahlreiche Traktor-Prototypen mit Gasmotoren vorgestellt, auf den Markt kamen diese aber nie. New Holland präsentiert mit dem Modell T6.180 Methane jetzt als erster Hersteller einen serienreifen Traktor mit Gasantrieb. Zur Verlängerung der Einsatzzeit sind CNG-Zusatztanks vorgesehen, welche in einem speziellen Rahmen an der Fronthydraulik mitgeführt und über Schnellkupplungen mit den Haupttanks am Traktor verbunden werden können. Beim Antrieb greift der Hersteller auf das „Natural Power“–Aggregat mit sechs Zylindern und 6 l Hubraum der Konzernschwester FPT zurück. Dieses arbeitet nach dem Otto-Verfahren und kann damit ausschließlich mit Gas betrieben werden.

Lastschaltgetriebe behaupten sich dank hohen Volllastwirkungsgraden und Langlebigkeit insbesondere auf Betrieben mit hohen Anteilen an schweren Zugarbeiten weiterhin. In der jüngeren Vergangenheit wurden deshalb immer wieder neue oder verbesserte Teil- und Volllastschaltgetriebe vorgestellt.

Trends: Die „große“ Digitalisierung ist bei Traktoren umgesetzt

Auch bei den Case IH Magnum Traktoren kommen sogenannte SCRoF-Systeme zum Einsatz.

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Abgasnachbehandlung in kompakten Single-Modulen außerhalb des Motorbereichs. Für die Massey Ferguson-Baureihen 6700 S (re.) und 7700 S (li.).

Auch CNH erweitert die bekannten 18/4- und 19/4-Versionen für den bereits erwähnten Case IH Magnum 400 und New Holland T8 jetzt zu einem 21/5-Volllastschaltgetriebe, mit welchem sowohl 40 als auch 50 km/h mit reduzierter Motordrehzahl gefahren werden kann.

Valtra bietet mit „Valtra Powershift Revolution“ die vom stufenlosen Direct-Getriebe her bekannte Fahrhebel-Bedienlogik neu auch für das Teillastschaltgetriebe Versu an.

Erstes Getriebe mit elektrisch-mechanischer Leistungsverzweigung

Stufenlosgetriebe mit hydrostatisch-mechanischer Leistungsverzweigung kommen in der Landwirtschaft seit nunmehr über 20 Jahren zum Einsatz. Für elektrische Antriebe mit höherem Leistungsbedarf auf Traktor, Anhänger und Anbaugerät wurden bisher zusätzliche Generatoren vorgesehen. John Deere geht beim eAutoPower-Getriebe für die neuen Großtraktoren (8R, 8RX und 8RT) jetzt einen neuen Weg, indem auf die Hydroeinheit (Pumpe/ Motor) komplett verzichtet und stattdessen auf zwei E-Maschinen gesetzt wird. Diese sind so dimensioniert, dass sie nicht nur die Funktion des variablen Stellgliedes in der leistungsverzweigten Getriebestruktur übernehmen, sondern zusätzlich bis zu 100 kW elektrische Leistung für externe Verbraucher bereitstellen können. Hiermit lassen sich u. a. elektrische Triebachsen von großen Anhängern oder aufgesattelten Pflügen antreiben, was zu höherer Traktion und geringerem Schlupf führt. Dank dieser Traktor-Geräte-Elektrifizierung können z. B. große Güllefässer mit Einarbeitungswerkzeugen mit kleineren Traktoren betrieben werden, was bei Gesamtgewichtsbegrenzungen auf der Straße zu höheren Nutzlasten führen kann. Traktorseitig sollen sich durch die elektrisch-mechanische Leistungsverzweigung unter anderem verbesserte Getriebewirkungsgrade und geringere Unterhaltskosten ergeben. Bei Abnahme von elektrischer Leistung für E-Antriebe außerhalb des Getriebes können zudem die bei leistungsverzweigten Strukturen in gewissen Betriebspunkten auftretenden Blindleistungsflüsse „angezapft“ werden, was den Gesamtwirkungsgrad weiter verbessert.

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Fendt Vario 314 mit „Dynamic Performance“. Die Boostleistung schaltet variabel abhängig vom Leistungsbedarf der Nebenverbraucher zu.

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Die Schweizer Firma Rigitrac zeigt in Hannover ihren weiterentwickelten Prototyp SK 50 Electric mit 50 kW und 80 kWh.

Für kleinere Traktoren werden weiterhin vollelektrische Konzepte mit Batterien in Betracht gezogen. Die Schweizer Firma Rigitrac wird auf der Agritechnica eine weiterentwickelte Version des Ende 2018 erstmals vorgestellten Prototyps SKE 50 Electric mit 50 kW zeigen. Die Lithium-Ionen-Batterie weist eine Kapazität von 80 kWh auf und ist zwischen den Achsen unterhalb der Kabine angeordnet. Über das elektrische 400V-System können bis zu fünf Elektromotoren versorgt werden: Je einer für die Vorder- und Hinterachse sowie für die Heck- und Frontzapfwelle und einer für den Antrieb der Arbeitshydraulikpumpe.

Raupenlaufwerke bei größeren Traktoren weiterhin auf dem Vormarsch

Für hohe Traktion und geringe Bodendrücke werden große Standardtraktoren zunehmend mit Raupen-Laufwerken ausgerüstet. Hierfür stehen einerseits Nachrüstlösungen in Form von Triangel-Laufwerken von spezialisierten Herstellern zur Verfügung, andererseits bieten die Traktorenhersteller zunehmend Lösungen „ab Werk“ an.

Trends: Die „große“ Digitalisierung ist bei Traktoren umgesetzt

Der Größte aus Harsewinkel: Claas Xerion in Trac TS-Version mit vier Raupenlaufwerken von Zuidberg.

Trends: Die „große“ Digitalisierung ist bei Traktoren umgesetzt

Die Grenzen zwischen Traktor und Büro verschwimmen. Hier als Beispiel die neue FendtONE Bedienphilosophie.

CNH ist mit den Halbraupen-Versionen Case IH Magnum Rowtrac und New Holland T8 SmartTrax bereits seit einigen Jahren mit eigener Technik auf dem Markt (Triangel-Laufwerke). Claas wird mit dem bereits zur Agritechnica 2017 vorgestellten Halbraupen-Traktor Axion 960TT mit gefedertem Terratrac-Laufwerk jetzt ebenfalls in Serie gehen, ganz neu stehen auch die Xerion-Modelle 4500 und 5000 in der Version „Trac TS“ mit Vierraupen-Fahrwerk ab Werk zur Verfügung (Triangel-Laufwerke von Zuidberg). Mit der neuen Baureihe 8RX bietet John Deere als erster Hersteller Standardtraktoren mit Vierraupen-Fahrwerk an. Mit einer speziell dafür ausgelegten Vorderachse, angepasstem Chassis und weiterentwickelter Kabinenfederung wurde das gesamte Traktorkonzept auf diese neue Fahrwerkversion ausgelegt.

Verbesserter Komfort bei Arbeiten mit Großpackenpressen

Mit John Deere und New Holland stellen gleich zwei Hersteller Systeme zur Verminderung der von Großpackenpressen verursachten Stöße in Traktorkabinen vor. Diese sind für Fahrer sehr unangenehm und können zu gesundheitlichen Problemen führen. John Deere bietet für die eigenen Großpackenpressen in Kombination mit Traktoren der Baureihe 7R eine intelligente Schwingungstilgung an, bei der die Kolbenstöße durch eine kurzzeitige Geschwindigkeitsänderung im Stufenlosgetriebe kompensiert werden. Berücksichtigt werden hierfür verschiedene Sensorsignale, zusätzliche Hardware ist nicht erforderlich.

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Premiere in Hannover: Baureihe 8RX mit Vierraupen-Laufwerk.

New Holland geht einen etwas anderen Weg und stattet die Traktorbaureihe T7 mit einem Pressenmodus aus, der auch mit Großpackenpressen anderer Hersteller funktioniert. Die Kolbenstöße werden hier mit einer veränderten Abstimmung der Vorderachsfederung und einer steiler eingestellten Motor-Abregelkurve abgefangen.

Digitalisierung für die Praxis

Die „große“ Digitalisierung ist bei Traktoren definitiv angekommen. Mehrere Hersteller stellen Telemetrie-Systeme vor, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Bei Valtra Connect geht es um effizientes Flottenmanagement, bei der TIM Ferndiagnose von Kubota um eine vereinfachte, markenunabhängige Fehleranalyse von Traktor-Geräte-Kombinationen und bei TracLink Smart von Lindner um automatische Geräteerkennung über SmartTags und webbasierte Einstellempfehlungen.

Fendt präsentiert mit FendtONE eine neue Bedienphilosophie, dank welcher die Grenzen zwischen Onboard-Welt auf dem Traktor und Offboard-Welt im Büro verschwinden sollen. In der komplett neu gestalteten Kabine, verfügbar vorerst für die Baureihe 700 sowie für das 300er-Topmodell 314, gibt es insgesamt vier Monitore, für welche die Inhalte der Anzeigeflächen frei ausgewählt werden können. So lässt sich beispielsweise die Spurführungsanzeige im elektronischen Armaturenbrett genauso anzeigen wie im Dachmonitor, der halb oder ganz ins Dach geschoben werden kann. Fast alle Tasten in der neuen Bedienarmlehne können überdies mit individuellen Traktorfunktionen belegt werden. Über ein dynamisches Farbkonzept lässt sich die aktuelle Belegung schnell erkennen.


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