Intelligenter Roboter soll Bäume schneiden

Ein Projekt der Uni Hohenheim soll einen Beitrag zur Pflege wertvoller Biotope leisten: Ein autonomer Roboter wird künftig beim Schnitt von Streuobstbäumen helfen, damit diese gesund alt werden. Das ist allerdings wesentlich komplexer als etwa das Mähen per Roboter.

Streuobstwiesen: Intelligenter Roboter soll Bäume schneiden

Mit Hilfe des Gelenkarms eines Industrieroboters wird der Hochentaster in die richtige Schnittposition gefahren.

Streuobstwiesen: Intelligenter Roboter soll Bäume schneiden

Blick des Roboters: Jede Einzelmessung per Laser markiert einen Punkt im dreidimensionalen Raum, sehr viele davon ergeben eine sogenannte Punktwolke, in der die Struktur des Baumes erkennbar ist.

Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Biotopen in Mitteleuropa. Doch viele Bestände sind akut bedroht: Da sich ihre Bewirtschaftung kaum noch lohnt, werde laut Universität Hohenheim die überwiegende Mehrheit der Streuobstwiesen nicht oder nur schlecht gepflegt. Als Folge werden die Bäume krank oder sterben ab. Eine Grundvoraussetzung für langlebige, gesunde Bäume, die auch einen nennenswerten Ertrag abwerfen, ist ein regelmäßiger und fachgerechter Schnitt. Unterstützung will hier ein Projekt der Universität Hohenheim in Stuttgart mit Hilfe künstlicher Intelligenz leisten.

Gesunde, stabile und langlebige Kronen können sich nur mit einem regelmäßigen, fachgerecht ausgeführten Schnitt ausbilden. Dieser trägt entscheidend zur Lebensdauer und Ertragsfähigkeit der Bäume und demnach auch zum Fortbestand der Streuobstwiesen bei. Doch gerade hier zeigen sich oft große Defizite: Rund 80 Prozent der Bäume werden gar nicht geschnitten. Während heute verschiedene landwirtschaftliche Maschinen wie Baumschüttler und Lesemaschinen dem Obstbauern bei der Ernte und dem Auflesen der Früchte gute Dienste leisten können, muss der für den Erhalt der Bäume so wichtige Baumschnitt immer noch von Hand durchgeführt werden.

Abhilfe soll hier ein autonomer Roboter schaffen, den der Hohenheimer Agrartechniker Dr. David Reiser zusammen mit dem Doktoranden Jonas Straub und der wissenschaftlichen Hilfskraft Jonas Boysen im Fachgebiet für Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion entwickelt.

Roboter-Prototyp lernt Baumstrukturen zu erkennen

„Mit Hilfe des Roboters möchten wir dazu beitragen, dass die Bäume möglichst lange gesund und am Leben bleiben“, beschreibt Reiser das Ziel der Entwicklungsarbeiten, die unter anderem durch eine Förderung von 113.000 Euro aus dem Eliteprogramm für Postdoktorandinnen und Postdoktoranden der Baden-Württemberg-Stiftung möglich geworden sind.

Auf einen an der Universität bereits vorhandenen fahrbaren Prototypen haben die drei Wissenschaftler einen zusätzlichen Roboterarm montiert, wie er auch in industriellen Produktionsstraßen eingesetzt wird. Dieser Gelenkarmroboter ist in alle Richtungen frei beweglich, sodass damit jeder beliebige Punkt in seiner Reichweite angesteuert werden kann. Der Arm ist zudem mit speziellen Sensoren ausgestattet, die bei der Navigation und dem Erkennen der Bäume und ihrer Strukturen helfen: „Während der Roboter um den Baum herumfährt, erfassen wir über einen LiDAR-Scanner dessen dreidimensionale Struktur. Ähnlich wie beim Radar tastet dabei ein Laser die Umgebung ab und misst den Abstand zu den Objekten. Aus vielen einzelnen Abstandsmessungen entsteht dann im Computer eine Punktwolke, die die dreidimensionale Struktur des Baumes abbildet“, erklärt David Reiser die Funktionsweise.

Roboter muss Philosophie verstehen

Mit Hilfe des Arms wird auch der Hochentaster in die richtige Schnittposition gefahren. „Aktuell arbeiten wir daran, dem Computer beizubringen, wo der Roboter die Säge ansetzen soll“, sagt David Reiser. „Denn Baumschnitt ist eine Wissenschaft für sich, man könnte auch fast von Philosophie sprechen.“ Je nach Baumart und dem erwünschten Ziel gibt es sehr unterschiedliche Schnittweisen. So soll manchmal beispielsweise ein durchgehender Hauptstamm stehen bleiben, bei dem dann die Verzweigungen gekürzt werden müssen. In anderen Fällen muss der Hauptstamm gekürzt werden, um eine lichte Krone mit vielen Verzweigungen zu bekommen. Der Nutzer soll später die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Möglichkeiten auszuwählen. Eine Herausforderung ist es, den langen Arm so durch die Äste zu steuern, dass die Säge am richtigen Punkt ansetzt und dort auch fachgerecht schneiden kann: Erst muss von unten kurz angesägt werden, dann von oben an der gleichen Position der finale Schnitt folgen – ohne dass dabei Brüche und Schäden durch gerissene Borke entstehen. „Wir arbeiten uns von den einfachen zu den speziellen Fällen vor, denn bestimmte Äste wie Wassertriebe müssen ja immer weg. Diese versuchen wir zuerst zu erkennen und zu schneiden“, erklärt David Reiser. Langfristig müsse man aber auch Faktoren wie den Ertrag aus dem letzten Jahr oder das Ziel des Baumes mit berücksichtigen. Denn der Schnitt erfolgt unterschiedlich, je nachdem ob ein Baum nur gesund erhalten oder auf guten Ertrag optimiert werden soll. Prinzipiell versuchen die Ingenieure aber, mit möglichst wenigen, dafür eventuell etwas größeren Eingriffen zum Erfolg zu kommen. „Es gilt, die wichtigen Punkte im Baum zu identifizieren und dann zu bearbeiten“, so Reiser. Für kleinere Äste könnte künftig zudem statt der Mini-Kettensäge auch eine Schere am Arm montiert werden.

Noch muss der Roboter von Hand zu den einzelnen Bäumen und Schnittstellen gesteuert werden. Die aktuell im Bau befindliche Version 2.0 soll sich dann auch innerhalb der Krone zurechtfinden und verschiedene Werkzeuge nutzen können. Ziel ist, den Roboter völlig autonom auf einer Streuobstwiese arbeiten zu lassen und Äste bis zu einer Höhe von sieben Metern zurückzuschneiden. „Eine besondere Herausforderung liegt in der hohen Variabilität der Streuobstwiesen“, erklärt David Reiser. „Um dort autonom arbeitende Roboter einsetzen zu können, ist noch viel Entwicklungsarbeit erforderlich.“ Derzeit habe man noch nicht den Anspruch, ein marktreifes Produkt herzustellen, vielmehr überprüfen Reiser und sein Team erst einmal, ob der Schnitt von Obstbäumen durch einen autonomen Roboter prinzipiell machbar ist. „Unser Ziel ist es aber natürlich, diese Aufgabe zu lösen!“

Auch falls nur Teile der Aufgabenstellung machbar sind, würde David Reiser das nicht als Scheitern betrachten: Denn selbst, wenn der Roboter die kompliziertesten Äste nicht geschnitten bekommt, dafür aber die restlichen 80 Prozent, wäre das eine immense Arbeitserleichterung. Zumal das Erkennen der notwendigen Schnittpunkte ja trotzdem erfolgreich sein könne. Der menschliche Spezialist müsste dann nur diese Äste noch nachträglich entfernen, markieren könnte sie der Algorithmus des Roboters in einer Grafik, wodurch der nacharbeitende Bediener auch weniger über die komplexe Philosophie des Baumschnittes wissen muss. Ebenso ist auch das gegenteilige Modell denkbar: Der Roboter legt nur die Grafik des Baumes an, der Experte bestimmt dann, wo er schneiden soll.

Hier geht es zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=3NOyP7eOhxo

Was sind Streuobstwiesen?

Streuobstwiesen dienen gleichzeitig dem Arten-, Boden- und Wasserschutz, wirken als Klimaausgleich und als Genreservoir für rund 3.000 Obstsorten allein in Deutschland. Mit über 5.000 Tier- und Pflanzenarten gehören sie zu den artenreichsten Biotopen in Mitteleuropa: Neben Grünspecht, Wendehals und Baumläufer finden auch Fledermäuse und Siebenschläfer, Wildbienen und Hornissen, unzählige Käferarten und andere Insekten sowie Flechten und Moose hier einen Lebensraum. Aber Streuobst hat, hauptsächlich in verarbeiteter Form, durchaus auch eine wirtschaftliche Bedeutung: Für den wichtigsten Produktionszweig, die Apfelsaftproduktion, liefern die Streuobstbestände in Deutschland je nach Erntejahr zwischen 500.000 und etwas über einer Million Tonnen Äpfel. Trotzdem nehmen seit Jahrzehnten die Streuobstbestände immer weiter ab. Neben wirtschaftlichen Gründen liegt eine Ursache in der mangelnden Pflege der Bestände, wodurch die Lebensdauer der Obstbäume erheblich verkürzt wird.


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