Jetzt mit Rückenwind aus Südost

Mit Investitionen hat die Hamburger Investmentgesellschaft DMB Deutsche Mittelstandsbeteiligungen GmbH den Frontlader-Spezialisten auf einen neuen technischen Stand gebracht. Seit neun Monaten ist dieser jetzt Teil des tschechischen Komponenten- und Landtechnikherstellers Agrostroj. Die ersten Synergien beginnen bereits zu wirken.

Stoll: Jetzt mit Rückenwind aus Südost

ProfiLine „Next Generation“: Die Schwingen sind aus einem Stück gekantet.

„Tschechischer Industriekonzern übernimmt Stoll“, so die Schlagzeile im eilboten im August vergangenen Jahres. Die Frontladerspezialisten aus dem niedersächsischen Lengede wechselten zum größten tschechischen Landtechnikunternehmen Agrostroj. Der Name des Unternehmens ist in Deutschland bei Landwirten noch wenig bekannt. In der Landtechnikindustrie aber ist das Unternehmen mit 2.700 Mitarbeitenden und 250 Mio. Euro Umsatz ein namhafter Partner in der Produktion und Montage von Teilen, Komponenten oder kompletten Landmaschinen, hier mit Schwerpunkt Futterernte.

Auf der Kundenliste von Agrostroj stehen unter anderem John Deere, Fendt, Kuhn, Krone, Kverneland, Claas sowie DAF und Volvo aus dem Nutzfahrzeugbereich. Inhaber und Firmengründer ist Lubomír Stoklásek (72), ein in Tschechien angesehener Unternehmer. Zu den Kompetenzen zählt das Schneiden, Pressen, Schweißen, Wärme- und Oberflächenbehandeln von Stahl. Das Werk in Tschechien und ein entstehendes in Russland verfügen über 23 Hektar Hallenfläche, in denen über 250 CNC Maschinen und 44 Laserlinien stehen. Agrostroj investierte kürzlich in eine der modernsten Farbbeschichtungsanlagen Europas mit einer Kapazität von über fünf Millionen Quadratmetern pro Jahr. Die Tschechen produzieren bereits Frontlader für einen Premiumtraktorenhersteller, daher hatte man Stoll bereits im Blick.

Doch zunächst der Reihe nach: Stoll gehörte seit 2013 zur Deutschen Mittelstands Beteiligungen GmbH (DMB), einer Hamburger Investmentgesellschaft, die Stoll von der in Schieflage geratenen dänischen JF-Gruppe übernommen hatte. Mit der DMB kam Guido Marenbach als Geschäftsführer nach Lengede. Er forcierte die Modernisierung der Produktion mit Qualitätsmaßstäben aus dem Automotivesektor. Die Stoll Gruppe absolvierte mit 120 Mio. Euro Umsatz und einem guten Ergebnis 2020 das beste Jahr seiner Firmengeschichte.

650 Mitarbeitende sind in der Stoll Gruppe beschäftigt. In Irxleben bei Mageburg entstehen Konsolen, im polnischen Werk Slupsk baut man Werkzeuge, in Lengede läuft die Entwicklung, Oberflächenbearbeitung, Endmontage und die Auslieferung der Frontlader.

Stoll: Jetzt mit Rückenwind aus Südost

Eine „passgenaue“ Weiterentwicklung: Der Roboterarm verschweißt die eingespannte Schwinge selbstständig.

Stoll: Jetzt mit Rückenwind aus Südost

„Bisher hatten wir einen Investor als Besitzer, jetzt einen Strategen“, so Frank Selent, Produktmanagement und Marketing.

Weniger bekannt ist, dass einer der führenden Frontladerhersteller für Kompakttraktoren in den USA, die Firma KMV, seit 2015 ebenfalls zu Stoll gehört.

Aus rund 25.000 Tonnen Stahl entstehen in der Stoll-Gruppe jährlich mehr als 22.000 Lader und über 30.000 Werkzeuge. Die Synergien, die Agrostroj-Inhaber Stoklásek durch die Stoll-Übernahme erwirken möchte, liegen auf der Hand: Der gemeinsame Stahleinkauf, die hohe Fertigungstiefe in Tschechien und die Standorte in verschiedenen Märkten bieten Potenzial. Mit KMW erhält Agrostroj einen Standort in den USA, den das Unternehmen weiter ausbauen will.

In Tschechien bereitet man sich bereits vor, um vollständig robotisierte Fertigung der Schwingengrundkörper für Stoll zu produzieren. Durch künftig steigende Stückzahlen in der Montage sollen in Lengede alle Arbeitsplätze erhalten bleiben. Wie Agrostroj wird auch bald die jüngste Tochter Stoll mit SAP arbeiten.

Im Stoll-Management freut man sich über den neuen Eigentümer. „Bisher hatten wir einen Investor als Besitzer, jetzt einen Strategen“, bringt es Frank Selent auf den Punkt. Der 59-Jährige ist bereits 40 Jahre bei Stoll und hat viele Veränderungen im Unternehmen miterlebt. Nach der Lehre zum Industriekaufmann in Lengede übernahm er Ende der 1980er Jahre die Exportverantwortung für einige Schlüsselmärkte in Westeuropa und die Vertriebsleitung D-A-CH. Im Jahr 2018 übernahm Marcus Jankowski dieses Amt von Selent. Jankowski leitet jetzt den Verkauf in den beiden wichtigsten Stoll-Märkten D-A-CH und Frankreich. Für den „Rest of the world“ ist Armin Walter im Export unterwegs. Selent verantwortet nun die neu geschaffene Position „Produktmanagement und Marketing“. Alle drei berichten an Geschäftsführer Guido Marenbach.

Stoll sieht sich nach Ålö weltweit an Platz zwei auf der Rangliste der Frontladerhersteller. Mit 60 Prozent steht die Nachrüstung für den größten Umsatzanteil, 40 Prozent Umsatz macht man gemeinsam mit den OEM-Partnern. Ende letzten Jahres gab es hier eine Neuentwicklung: Case IH meldete die Zusammenarbeit mit dem französischen Frontladerwerk MX , vorher montierte man an die roten Traktoren Stoll. „Die Differenzierung der CNH-Marken Case IH und New Holland bedingte diesen Entschluss. Bei New Holland bleibt Stoll ja Erstausrüster“, erläutert Selent die Hintergründe dieses Wechsels. „Wir sind gemeinsam mit unseren CaseIH/Steyr Händler-Partnern auch weiterhin stark.“

Fast jeder dritte in Deutschland neu zugelassene Traktor ist mit einem Frontlader ausgestattet. Stoll reklamiert in seinem Heimatmarkt für sich einen Marktanteil von mindestens 50 Prozent. Eine Kannibalisierung des Frontladergeschäfts durch Hof-, Rad- und Teleskoplader fürchtet Selent auch künftig nicht: „Der Frontlader macht aus dem Traktor auf dem landwirtschaftlichen Betrieb ein Universalfahrzeug wie kein anderes: Es kann auf dem Acker Bodenbearbeitungsgeräte ziehen, mit dem Anhänger transportieren und mit dem Lader auch noch Waren umschlagen. Diese Vielseitigkeit ist konkurrenzlos!“

Stoll: Jetzt mit Rückenwind aus Südost

Die „Next Generation“ der ProfiLine F2 ging im Februar in Serie.

Stoll bietet Anbaukonsolen für über 3.500 Traktorentypen, sogar bis in das Jahr 1986 zurück. „ Ein großes Team beschäftigt sich bei uns mit der Anpassung der Lader und den Konsolen an den jeweiligen Traktor.“ Das bedinge, so Selent, eine hohe Passgenauigkeit und erleichtere der Werkstatt die Montage.

Mit immer höherer Durchschnittsleistung der Traktorenpopulation wachsen auch die Anforderungen an die Frontlader. Die jüngst vorgestellte Baureihe ProfiLine „Next Generation“ hat Stoll für die nächste Dekade entwickelt. Die Schwingen sind aus einem Blech gekantet und nicht aus zwei U-Profilen geschweißt. Mehr Reichweite, mehr Hubhöhe bei optimaler Sicht, mehr Komfort und Intelligenz bei einem optimierten Gewicht und Anbau nahe am Traktorenschwerpunkt – nennt der Produktmanager als Vorteile. Alle Bolzen sind jetzt noch stärker ausgelegt, die Leitungen in den Holmen geschützt. Die ersten „Next Generation“-Lader in Schwarz, Blau, Rot und Grün mit „Return to Level“ und Nachschöpffunktion verließen im Januar die Werkhallen in Lengede für Werbefotos mit Traktoren gleicher Farben.

Die Frontlader würden künftig noch smarter, kündigt der Produktmanager an. Elektronische Dämpfung, Wiegen, Parallelausgleich und Bereichsbeschränkung sind als weitere Features in Vorbereitung. Als nächster Schritt wäre sogar ein teilautomatisierter Ladeprozess des Traktors mit Lader denkbar.

Wie bewertet man bei Stoll den wachsenden Druck der Traktorenmarktführer auf ihre Vertriebspartner, werkseigene Frontlader zu ordern? „Unser Vorteil: Wir haben den Fokus zu hundert Prozent nur auf diesem Produkt“, so Selent. Und das weltweit: Mit der neuen Mutter Agrostroj gibt es nun ebenfalls eine langfristige Perspektive für Vor-Ort-Initiativen in den landtechnischen Zukunftsmärkten wie Indien und Asien.


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Herstellerdaten Stoll

  • Gründungsjahr: 1878
  • Umsatz in Mio. €: 140
  • Anzahl Mitarbeiter: 410
  • Branche: Maschinenbau
  • Website: www.stoll-germany.com

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