Mit den Augen einer Kuh den eigenen Stall prüfen

Wenn die Kuh vorm Klauenpflegestand steht und sich keinen Zentimeter mehr bewegt, verlieren Menschen oft die Geduld und greifen zu drastischen Maßnahmen. Doch es geht oft auch ohne Gewalt. Mit der „Kuhbrille“ kann der Mensch die Optik einer Kuh nachempfinden und so Störfaktoren im Stall herausfinden.

Stallplanung: Mit den Augen einer Kuh den eigenen Stall prüfen

Mit der Kuhbrille wird die visuelle Wahrnehmung der Rinder simuliert.

Grundsätzlich meiden Rinder alles, was ihnen Angst macht. Wird ein Rind zum Beispiel von einem dunklen in einen sehr hellen Stallabschnitt getrieben, wird es im ersten Moment geblendet und bleibt mit großer Wahrscheinlichkeit stehen, bis sich die Augen auf die neuen Lichtverhältnisse eingestellt haben. Wird das Rind in dem Moment noch zusätzlich angetrieben, verbindet es diese Situation mit Stress. Im Gehirn wird diese Erfahrung gespeichert und wieder abgerufen, wenn dieselben Bedingungen wieder eintreten. Rinder meiden zukünftig solche Orte. In diesem Fall ist die einfachste Lösung, die Lichtverhältnisse in den einzelnen Aufenthaltsbereichen anzupassen oder dem Rind genügend Zeit zu lassen, um sich darauf einzustellen.

Lichtreflexionen an blanken Metallteilen oder Wasserlachen sind aus Rindersicht scheinbar unüberwindbare Hindernisse. Besonders, wenn diese sich bewegen, sind sie für Rinder unberechenbar und werden gemieden. Im Gegensatz zum Rind stuft das menschliche Gehirn diese Reflexionen als ungefährlich ein und schaltet sie unbewusst weg. Darum ist es oft schwierig, die Ursachen zu ergründen, warum einzelne Rinder nicht das tun, was von ihnen erwartet wird. Wir müssen daher versuchen, die Haltungsumgebung aus der Sicht der Rinder wahrzunehmen, um ihre Reaktionen zu verstehen und darauf zu reagieren.

Kühe sehen die Welt anders als wir Menschen. Das Bildungszentrum Echem hat eine Kuhbrille entwickelt, mit der ansatzweise die visuelle Wahrnehmung der Rinder für Menschen erlebbar wird. Zwei spezielle Kameras, die auf einer Virtual-Reality-Brille befestigt sind, zeichnen die Umwelt auf und senden den Film an ein angeschlossenes Notebook. Durch eine Software werden spezielle Filter über den Film gelegt und dieser an die Brille zurückgesendet. Der Träger der Brille erlebt so in Echtzeit das weite Gesichtsfeld, ca. 30  % Sehschärfe des Menschen, die Rot-Grün-Blindheit, die schwachen Kontraste und die größere Lichtempfindlichkeit der Rinder.

Stroh kann Wunder wirken

Klauenpflegestände oder andere Behandlungsanlagen funktionieren nur dann gut, wenn die Tiere die Wege klar erkennen können. Dabei ist zu bedenken, dass Rinder ein geringeres Sehvermögen haben als Menschen. Starke Farbkontraste am Boden von Treibgängen können sie ebenfalls sehr irritieren. Stroh kann Wunder wirken, wenn es vollflächig eingestreut wird. Wird am Stroh gespart, entstehen starke Farbkontraste. Das kann für Rinder wie ein Weiderost wirken.

Stallplanung: Mit den Augen einer Kuh den eigenen Stall prüfen

Die Beruhigungspunkte am Rind befinden sich beim Haarwirbel, am Ohrgelenk und im Maul.

Arbeiten am Tier positiv abschließen

In den ständig wachsenden Tierbeständen sind die Rinder meist den direkten Kontakt mit den Menschen nicht mehr gewohnt. So bedeutet der Kontakt mit den Menschen außerhalb der Routinearbeiten, wie z.B. dem Melken, Stress für die Tiere, weil sie meist keine angenehmen Erfahrungen dabei machen. Die Betreuungsperson hat hierbei einen besonders großen Einfluss. Rinder reagieren sehr sensibel, wenn wir zu hektisch mit ihnen umgehen. Während oder nach Behandlungen sollen die Tiere durch bestimmte Berührungen wieder beruhigt werden, um mit einer angenehmen Erfahrung aus der Begegnung mit dem Menschen herauszugehen.

Folgende Punkte können zur Beruhigung der Rinder beitragen:

■ Druck durch seitliches Anlehnen an das Tier

■ Sanfter Druck mit der flachen Hand auf den Haarwirbel am Rücken

■ Massieren hinten am Ohrgelenk

■ Reiben im Maul am Gaumen

Rinder reagieren auf Grund ihrer genetischen Veranlagung und Erfahrungen auf das Verhalten von uns Menschen. Somit lernen sie ständig durch die Art wie wir mit ihnen umgehen. Wollen wir von den Rindern respektiert werden, müssen wir auch sie respektieren. Nur wenn wir auf ihre Signale reagieren, und sie nicht ignorieren, können wir ruhig und vor allem sicher mit ihnen arbeiten.

Reinhard Gastecker arbeitet im Referat Nutztierhaltung und Weidewirtschaft der Landwirtschaftskammer Niederösterreich.

Stallplanung: Mit den Augen einer Kuh den eigenen Stall prüfen

Durch Lichtunterschiede können Rinder geblendet werden.

Stallplanung: Mit den Augen einer Kuh den eigenen Stall prüfen

Das Rind kann in diesem Beispiel keinen Weg erkennen.

Hintergrund – Was Rindern Angst macht:

■ Starke Lichtkontraste

■ von Hell nach Dunkel oder Dunkel nach Hell

■ Führungsrinnen von Schubtoren im Boden

■ Starke Schatten von Boxengittern

■ Blenden durch Sonnenlicht beim Verlassen des Stalls

■ Lichtreflektierende Oberflächen

■ Metallisch glänzende Verladerampen

■ Reflexionen in Wasserpfützen

■ Reflexbiesen an Arbeitskleidung bei heftigen Bewegungen

■ Ungewohnte Bodenbeschaffenheit

■ Beton, Spalten, Schotter, Weide

■ Laute Geräusche

■ Quietschen von Metallteilen

■ Schreien von Menschen


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