Frisch gezapft: Probiotika fürs Borstenvieh

Ein Agrarbetrieb in Sachsen testet in der Schweinemast die Zufütterung von frischen Algen, die dieser mit einem neuartigen Verfahren selbst produziert. Erste Ergebnisse des Projektes AlgaPork zeigen positive Effekte beim Zuwachs und Sozialverhalten der Tiere.

Schweinezucht: Frisch gezapft: Probiotika fürs Borstenvieh

Die Geometrie der auch als Tannenbaum-Lichtkollektor-Module bezeichneten Reaktoren für die Algenproduk- tion gewährleistet eine maximale Lichtausbeute.

Schweinezucht: Frisch gezapft: Probiotika fürs Borstenvieh

Anzeigen an der Steuerungs- und Pumpeneinheit des Photobioreaktorsystems informieren über Parameter wie ph-Wert, Biomassezuwachs und Sauerstoffgehalt.

Neben der Schweinemastanlage der Agraset-Agrargenossenschaft eG Naundorf im mittelsächsischen Erlau stehen seit einigen Wochen künstliche „Tannenbäume“. Das hat jedoch nichts mit Weihnachten zu tun. Vielmehr handelt es sich um zwei, auch als Tannenbaum-Lichtkollektor-Module (TLM) bezeichnete, Photobioreaktoren zur Kultivierung von Mikroalgen. Dass die etwa zwei Meter hohen Kegelstümpfe tatsächlich einer Tanne ähneln, ist kein Zufall. Das Design ist der Natur entlehnt und gewährleistet, dass die grünen Algen in den transparenten Schläuchen, die das Gestell umlaufen, auf jeder Ebene optimal mit Licht versorgt werden.

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Per Mausklick steuert Christoph Oltmanns das Flüssigfütterungssystem in der Schweinemastanlage von Agraset.

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In den transparenten, doppelwandigen Silikonschläuchen des Photobioreaktors erfolgt die Kultivierung der Mikroalgen.

Technologie bietet Option für die Futterproduktion

Ingenieure der in Dresden ansässigen Gicon-Gruppe entwickelten den Photoreaktor in Kooperation mit Forschungseinrichtungen und Industriepartnern. „Wichtigster Bestandteil des Reaktors ist der doppelwandige Silikonschlauch. Die dadurch mögliche Temperierung sorgt für ein gleichmäßiges Wachstum der Algen“, erläutert Dr. Martin Ecke von Gicon. Ansonsten sei das geschlossene System robust und in der Handhabung bewusst einfach ausgelegt. Jeweils zwei Photobioreaktoren nutzen gemeinsam eine Steuerungs- und Pump- eneinheit. Über sie erfolgt das Animpfen des Mediums, das die gesamte Schlauchspirale in drei bis vier Minuten durchströmt, sowie die Zugabe von Nährsalzen und die Ausgasung des Sauerstoffs, der bei der Photosynthese der Algen entsteht. Über die Dosierung des im Austausch eingeleiteten CO2 lässt sich zugleich der ph-Wert einstellen, da dieser mit dem Anwachsen der Algenmasse steigt.

Mikroalgen nutzen das Sonnenlicht besonders effizient und liefern, bezogen auf die Anbaufläche, mehrfach höhere Biomasseerträge als Pflanzen. „Bei der Suche nach Einsatzoptionen stießen wir auf das Potenzial im Bereich der Tierernährung“, sagt Ecke. Die Erkenntnis, dass Algen als Futterzusatz in der Nutztierhaltung ähnliche positive Wirkung entfalten wie probiotische Zusätze in Lebensmitteln, sei nicht neu. Gicon selbst beteilige sich an Forschungen auf diesem Gebiet. Dabei zeige sich, dass bereits Algenzugaben im einstelligen Prozentbereich im Verhältnis zur normalen Futtermenge zu erstaunlichen Wirkungen im Leistungs-, Gesundheits- und Sozialverhalten der Tiere führen. So habe sich in einem Versuch die Legeleistung von Hennen in einem Biobetrieb auf ein Niveau gesteigert, das sonst nur in der Intensivhaltung erzielbar ist. Auch das in der Geflügelhaltung gefürchtete Hacken der Tiere untereinander nahm spürbar ab. Bei Tests mit Schweinen konstatierten die Wissenschaftler durch Kotanalysen und Gewichtskontrollen deutliche Verbesserungen bei der Futterverwertung.

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Stephanie Zwintzscher, Leiterin der Schweinezuchtanlage bei Agraset, begutachtet die Entwicklung der Mikroalgen im Photobioreaktor.

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Die Zugabe von organischen Säuren in der Flüssigfütterungsanlage könnte künftig durch die Beimengung von Mikroalgen reduziert werden.

Reaktoren für Algenproduktion direkt am Stall geeignet

In dem Ende 2019 gestarteten Projekt AlgaPork, das die EU im Rahmen des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und der Freistaat Sachsen mit knapp 700.000 Euro fördert, konnten die Beteiligten aus Industrie, Landwirtschaft und Forschung solche Experimente bislang nur in kleinen Tiergruppen durchführen. In der nun gestarteten Projektphase, die bis Ende 2022 läuft, sollen die Ergebnisse in größerem Maßstab verifiziert und durch praktische Erfahrungen bei der Algenzufütterung in einem Schweinemastbetrieb ergänzt werden.

Dem kommen neben dem robusten Aufbau einige Besonderheiten des Photobioreaktors entgegen. Ecke verweist hierbei insbesondere auf die Möglichkeit der Temperaturanpassung in dem doppelwandigen Schlauchsystem. „Dies gewährleistet auch bei wechselnden Umgebungsbedingungen eine gleichbleibend gute Qualität der Mikroalgen als Futterzusatz“, betont der Gicon-Projektleiter. Außerdem würde das lebensmittelechte Schlauchmaterial nicht zu Anhaftungen, dem sogenannten Biofouling, neigen, was den unterbrechungsfreien Dauerbetrieb begünstigt.

Einen weiteren Vorteil sehen die Projektakteure in der Aufstellung des Reaktors unmittelbar neben dem Stallgebäude. So entfallen die ansonsten unumgängliche Konservierung der leicht verderblichen Biomasse als auch der Transport.

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Über die Steuerungs- und Pumpeneinheit des Photobioreaktorsystems erfolgt das Animpfen des Mediums, die Zugabe von Nährsalzen und die Ausgasung des Sauerstoffs im Austausch mit CO2.

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Sensoren messen permanent den Gehalt an CO2, Ammoniak und Schwefelwasserstoff in der Stallluft.

Frisch gezapfte Algensuspension für 300 Schweine

Insgesamt umfasst der Bestand in der Schweinemastanlage von Agraset am Standort Naundorf 4.600 Tiere. Die Versorgung erfolgt über ein Flüssigfütterungssystem. Ein bedeutender Futterbestandteil sind Kartoffelreibsel aus der Kartoffelschälanlage des Tochterunternehmens Agraset Friweika, die über eine unterirdische Leitung in einen Behälter neben dem Stall gepumpt und dort mit Wärme von der Biogasanlage erhitzt werden.

Seit August dieses Jahres wird dem Futter von 300 Schweinen in der Vormast täglich 200 Liter frisch gezapfte Algensuspension zugesetzt. Das entspricht etwa einem Fünftel des Reaktorinhalts. Im Gegenzug fließt die gleiche Menge an Wasser mit Nährsalz in den Ausgleichsbehälter des Photobioreaktors. „Das regelmäßige Ausdünnen der Suspension regt zugleich das Algenwachstum an“, erläutert Ecke. Für die Kühlung verwenden die Landwirte Brunnenwasser, das anschließend beim Anmaischen des als weitere Futterkomponente eingesetzten Getreides zum Einsatz kommt. Dadurch wird weniger Energie für die Temperaturanhebung des Wassers benötigt.

„Der erste Versuch mit konservierten Mikroalgen in einer kleinen Tiergruppe über eine Futterperiode von fünf Wochen hatte erstaunliche Ergebnisse gezeigt. Nun bin ich wirklich gespannt, ob sich diese Effekte in der Kohorte mit 300 Tieren ebenso oder, wegen der Verwendung von frischen Algen als Futterzusatz, vielleicht sogar deutlicher nachweisen lassen“, sagt Christoph Oltmanns, der die Schweinehaltung der Genossenschaft leitet. Das betreffe die bessere Futterverwertung, also einen geringeren Futterverbrauch bei gleichem Zuwachs, und insbesondere die Ausgeglichenheit innerhalb der Gruppe. So habe man im Verlauf des Tests deutlich weniger Tiere wegen unzureichender Gewichtszunahme zurückstallen müssen. „Besonders bemerkenswert finde ich, dass sich diese Ausgeglichenheit beim Zuwachs in der Hauptmast fortsetzt, obwohl dort keine Algen mehr im Futter enthalten sind. Die Zufütterung mit Mikroalgen in der Ferkelaufzucht bewirkt offensichtlich eine Prägung bis zur Erreichung des Schlachtgewichtes“, so der 58-jährige Diplom-Agraringenieur.

Diese Beobachtung bestätigt Stephanie Zwintzscher, die den Bereich der Schweinehaltung übernehmen soll und gegenwärtig die Schweinezucht mit 600 Sauenplätzen im nahe gelegenen Wiederau verantwortet. Sie hat im ersten Algen-Fütterungstest zudem wahrgenommen, dass sich die Tiere seltener aggressiv verhalten und in der Gruppe mehr Ruhe herrscht. „Am Anfang waren die Ferkel von der Farb- und Geruchsänderung durch den Algenzusatz irritiert. Aber das hielt nicht lange an“, berichtet die 31-Jährige.

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Die Zugabe der Mikroalgen zum Flüssigfutter in der Ferkelaufzucht erfolgt mit einem Arzneimitteldosierer.

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Nach anfänglicher Zurückhaltung nehmen die Ferkel in der Vormast den Algenzusatz im Futter gut an.

Zeitnahe Rückschlüsse auf die Verdauungseffizienz

Zu den Beteiligten am Projekt AlgaPork gehört die fodjan GmbH aus Dresden. Das auf digitales Fütterungsmanagement spezialisierte Unternehmen stellt die Software für die computergestützte Auswertung der Fütterungsversuche zur Verfügung. „Wir haben im Stall Umweltsensoren installiert, und zwar im Bereich mit Algenzusatz im Futter, als auch dort, wo die 300 Schweine der Kontrollgruppe das normale Flüssigfutter erhalten“, informiert fodjan-Geschäftsführer Carsten Gieseler.

Die von den Geräten permanent erhobenen Messwerte zum Gehalt von CO2, Ammoniak und Schwefelwasserstoff in der Stallluft ermöglichten in Kombination mit entsprechenden Algorithmen zeitnahe Rückschlüsse auf die Verdauungseffizienz der Schweine. Jan Gumpert, Vorstandsvorsitzender der Agraset-Agrargenossenschaft, sieht hier als interessanten Nebeneffekt einen Ansatz zur Verbesserung der CO2-Bilanz in der Schweinemast. Wenn durch die Zufütterung von Mikroalgen mehr Biomasse im Schwein verbleibt, emittiere es weniger Klimagase. „Sollte es nun noch gelingen, den Stickstoff aus der Abluft des Stalls als Input für den Photobioreaktor zu verwenden, wäre das die sprichwörtliche Kirsche auf der Sahne“, blickt der Landwirt bereits weiter. Angedacht sei außerdem, die thermische Energie der Biogasanlage zur Temperierung des Algenschlauchsystems zu nutzen, um eine zu starke Abkühlung bei niedrigen Außentemperaturen zu vermeiden. Ein Teil der von den Biogas-BHKW erzeugten elektrischen Energie wiederum könnte künftig in der lichtarmen Jahreszeit den Strom für Speziallampen zur Anregung des Algenwachstums bereitstellen.

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Jan Gumpert, Vorstandsvorsitzender der Agraset-Agrargenossenschaft eG (r.) und Prof. Jochen Großmann, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Gicon-Gruppe (M.), bei der Inbetriebnahme des Photobioreaktors im Gespräch mit einem Besucher der Veranstaltung.

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Zur Kontrolle der Futterverwertung wird die Gewichtszunahme der Tiere regelmäßig auf der Waage bestimmt.

Der Algenzusatz im Futter fördert die Darmgesundheit

Die wissenschaftliche Begleitung des Projektes AlgaPork erfolgt durch die Universität Rostock. Hier untersucht ein von Prof. Petra Wolf geleitetes Forscherteam in sogenannten Ankom-Flaschen, in denen die Verdauungsvorgänge bei Schweinen nachgebildet werden, die Veränderungen der Darmflora bei Zugabe unterschiedlicher Algenmengen. Festgestellt wurde dabei eine verminderte Gasbildung und Senkung des pH-Wertes. „Die Analyse der Gase auf flüchtige Fettsäuren zeigt bei Algenzusatz einen höheren Anteil von Butyrat und Propionat“, informiert Wolf. Beide Substrate spielten eine herausragende Rolle bei der Ernährung der Enterozyten (Darmschleimhautzellen) und seien wichtig für die Bildung der bei den Schweinen angestrebten Mikrobiota. Zusammen mit der pH-Wert-Absenkung unterstütze dies die Darmgesundheit. „Wenn die Schweine bei einer Algenzufütterung so reagieren wie bei unserem künstlichen Magen-Darm-Trakt im Labor, nehmen Durchfallerkrankungen ab, enthält die Stallluft weniger Ammoniak und die Tiere erreichen früher ihr Endmastgewicht“, vermutet die Professorin für Ernährungsphysiologie und Tierernährung.

Für Christoph Oltmanns sind das Lichtblicke angesichts der desaströsen Marktlage. Aktuell blickt er jedoch mit Sorge in die Zukunft. „Was die Effizienz anbelangt, befinden wir uns sicher im oberen Viertel der Schweinehalter in Deutschland. Dennoch werden wir in diesem Jahr wohl erstmals keine schwarzen Zahlen schreiben", befürchtet der Leiter der Schweinehaltung bei Agraset mit Blick auf den Preisdruck bei Schlachtschweinen.

Steckbrief Agraset

Für die Muttersauenhaltung stehen 600 Sauenplätze zur Verfügung. Die Sauen sind eine Kreuzung aus Dänischer Landrasse und Dänischen Yorkshire-Schweinen, die mit Ebern der Rasse Duroc angepaart werden. Bei derzeit 2,3 Würfen werden 33 Ferkel je Sau und Jahr lebend abgesetzt. Diese verbleiben nach 28 Säugetagen weitere 38 Tage bis zu einem Gewicht von 18 kg in der Anlage. Die Aufzucht aller im Betrieb geborenen Ferkel erfolgt in Schweinemastanlagen mit 1920 Ferkelaufzucht- und 3200 Mastplätzen. Die Mastdauer beträgt rund 105 Tage.

Die Agraset-Agrargenossenschaft eG Naundorf mit mehr als 300 Mitgliedern und 138 Beschäftigten hält außerdem 950 Milchkühe, eine Mutterkuhherde mit 200 Tieren der Rassen Charolais, Fleckvieh und Limousin sowie 80 Gänse und bewirtschaftet eine Fläche von 5.260 ha, davon 673 ha Grünland.

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Blick auf die Schweinemastanlage der Agraset-Agrargenossenschaft eG im Erlauer Ortsteil Naundorf. Vor dem Stallgebäude links der Behälter zum Erhitzen der Kartoffelreibsel für die Flüssigfütterung, in der Mitte der Photobioreaktor für die Algenproduktion, rechts die Biogasanlage mit einer installierten Leistung von 700 kW.


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