Bürokratie bremst Biogasbranche weiter aus

Bei der Vorstellung der aktuellen Branchenzahlen macht der Fachverband Biogas deutlich: Ohne die vielen bürokratischen Hürden könnten die Anlagen deutlich mehr günstige Wärme und Strom liefern. Das könnte auch ohne zusätzliche Flächen gelingen, zeigt eine neue Strategie des Fachverbandes Biogas.

Erneuerbare Energien: Bürokratie bremst Biogasbranche weiter aus

Großes Potenzial für mehr Biogas hat Grassilage.

SCHNELL GELESEN

  • Die Biogasbranche könnte deutlich mehr Gas und damit Strom und Wärme produzieren als heute. 
  • Dazu fordert sie seit Monaten eine Abschaffung von Produktionsdeckeln. 
  • Die Bundesregierung hat darauf sehr spät und nur zaghaft mit dem Energiesicherungsgesetz reagiert.
  • Ohne mehr Unterstützung wird es weiterhin kaum Zubau geben. Dieser lag im Jahr 2021 wieder sehr niedrig, wie aktuelle Branchenzahlen zeigen. 
  • Der Fachverband Biogas hat einen Vorschlag unterbreitet, wie sich die Produktion auch ohne Energiepflanzen ausweiten ließe.

Zum wiederholten Mal hat der Fachverband Biogas sein Unverständnis darüber geäußert, warum die politischen Entscheidungsträger in Berlin das Potenzial der heimischen Biogasanlagen ungenutzt lassen. „Seit Anfang März weisen wir die Politik darauf hin, dass wir sofort mehr Biogas, Strom und Wärme erzeugen könnten, wenn die Deckel weg wären. Aber bis September ist nichts passiert“, kritisiert Horst Seide, Präsident des Fachverbandes Biogas. Erst dann habe es eine Botschaft von Wirtschaftsminister Robert Habeck gegeben, die erst kürzlich in dem Energiesicherungsgesetz umgesetzt worden sei.

Das Gesetz enthält aus Sicht der Biogasbranche zwei wichtige Regelungen:

  • Mit einer Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wird die Höchstbemessungsleistung bis Ende 2024 ausgesetzt. Das bedeutet: Die Anlagenbetreiber erhalten für den insgesamt erzeugten Strom in den jeweiligen Kalenderjahren die volle EEG-Vergütung.
  • Zudem ist bis Ende 2024 die Beschränkung im Baugesetzbuch aufgehoben, wonach privilegierte Anlagen nur 2,3 Mio. m3 Biogas pro Jahr produzieren dürfen. Jetzt dürfen sie diese Grenze überschreiten, ohne die Privilegierung zu verlieren. Wichtig dabei: Die Produktionsausweitung soll laut Gesetzesbegründung nur mit Reststoffen, nicht mit speziell angebauten Energiepflanzen erfolgen.

Diskussion um Gewinnabschöpfung

„Mit dem Gesetz sind aber nur ein Teil der Bremsen gelöst worden“, bemängelt Seide. Und parallel dazu wird jede aufkeimende Euphorie gleich wieder gebremst durch die nebulöse Diskussion um eine Gewinnabschöpfung. Die EU-Kommission hatte vor Kurzem vorgeschlagen, dass zur Bewältigung der Energiekrise unter anderem europäische Stromerzeuger alle Strommarkterlöse von mehr als 180 Euro je Megawattstunde (18 ct/kWh) an den Staat abtreten sollen. Auch bei der Bioenergie sollen – mit Ausnahme von Biomethan – Einnahmen jenseits dieser Preisgrenze abgeschöpft werden. „Es weiß heute noch keiner, wie diese Diskussion ausgeht“, sagt Seide. „Für Vorortverstromungsanlagen müssen wir also eine individuelle Lösung finden“, sagt Seide. Trotz der Versorgungskrise ist momentan sehr viel Bewegung in der Debatte: „Wir können leider nichts Verbindliches sagen“, bedauert Seide.

Zusätzlich gibt es weitere Hemmschuhe wie lange Genehmigungsverfahren oder rechtliche Hürden wie das EEG. So könnten viele Landwirte auch in Güllekleinanlagen aus Gülle und Mist deutlich mehr Biogas produzieren, sind aber per Gesetz in der Produktion gedeckelt. Daran ändert auch das Energiesicherungsgesetz nichts. Das führt dazu, dass die Branche hochgradig frustriert und aufgebracht ist. „Es ist schizophren: Die Bundesregierung sagt ständig, wir bräuchten jede Kilowattstunde. Wir könnten sie verlässlich zu jeder Zeit und zu jedem Nutzen liefern, dürfen aber nicht“, betont Dr. Claudius da Costa Gomez, Hauptgeschäftsführer beim Fachverband Biogas.

Verhaltener Neubau

Unabhängig von der aktuellen Debatte blieb auch im vergangenen Jahr der Zubau sehr verhalten, wie die neuesten Zahlen des Fachverbandes zeigen. Der Zubau an neuen Anlagen (netto, abzüglich der Stilllegungen) lag 2021 bei 138 neuen Anlagen, die meisten davon sind Güllekleinanlagen bis 100 kW Bemessungsleistung. Nur zwei größere neue Vorortverstromungsanlagen sind in Betrieb gegangen sowie zwei Anlagen, die Biogas zu Biomethan aufbereiten und ins Gasnetz einspeisen. Insgesamt 14 Anlagen wurden stillgelegt. „Das waren vor allem kleinere, ältere Anlagen im Süden“, berichtet Fachverbandsgeschäftsführer Manuel Maciejczyk. 2022 werden voraussichtlich 109 neue Anlagen dazu kommen, auch wieder überwiegend Güllekleinanlagen, dazu drei Vorortverstromungsanlagen und sechs mit Aufbereitung von Biogas zu Biomethan.

Die weitere Statistik im Überblick:

  • Beim Zubau der installierten Leistung gab es ein leichtes Plus auf 5.860 MW und eine leichte Erhöhung der arbeitsrelevanten (nicht flexiblen) Leistung auf 3.528 MW. Das bedeutet: Rund 2 Gigawatt (2.000 MW) Leistung sind flexibel und können dem jeweiligen Bedarf angepasst werden. Diese Leistung wächst kontinuierlich.
  • Bei den Bundesländern hat sich nichts verändert: Die meisten Anlagen stehen weiterhin in Bayern (2.641, Stand Ende 2021), gefolgt von Niedersachsen (1.735) und Nordrhein-Westfalen (1.136), Baden-Württemberg (1.012) und Schleswig-Holstein (879).
  • Bei der installierten Leistung dagegen liegt Niedersachsen vorn mit 1.451 MW, gefolgt von Bayern (1.362 MW) und dann mit einem Abstand Baden-Württemberg (560 MW) und Schleswig-Holstein (511 MW).
  • Der Zubau 2021 war mit 56 Güllekleinanlagen in Bayern am größten, gefolgt von Niedersachsen (26 Güllekleinanlagen) und Schleswig-Holstein (16 Güllekleinanlagen).
  • Nach Bayern (64 MW) gab es den größten Leistungszuwachs in Brandenburg (plus 26 MW), sowie Baden-Württemberg und Niedersachsen (jeweils plus 25 MW). „Bayern sticht heraus, weil hier die Installation der flexiblen Leistung verzögert erfolgt. In den Jahren davor war Niedersachsen hier Vorreiter“, sagt Maciejczyk.
  • Die Zahl der Biomethananlagen könnte von 238 im Jahr 2021 auf 244 in 2022 steigen.
  • Im Jahr 2021 haben Landwirte auf 1,2 Mio. ha Energiepflanzen für Biogasanlagen angebaut, davon 940.000 ha Mais und 201.700 ha Getreide (für Ganzpflanzensilage). Der Rest sind Körnergetreide und Sonstiges. Zusätzlich haben die Anlagen Grassilage von 107.000 ha vergoren. „Die Tendenz der Maisanbaufläche ist seit Jahren sinkend und wird auch weiter sinken“, ist der Geschäftsführer überzeugt.
  • Die Anlagen haben 2021 33,5 Mrd. kWh Strom und 15,4 Mrd. kWh Wärme erzeugt. „Die genutzte Wärmemenge steigt im Jahr 2022 auf circa 17,4 Mrd. kWh, weil die Anlagen Wärmenetze ausbauen, aber auch mehr frisches Holz trocknen, das dann sofort als Brennstoff noch in diesem Jahr eingesetzt werden kann“, sagt Maciejczyk. In einigen Regionen ist die Nachfrage nach Biogas-Abwärme so groß, dass gar keine Wärme mehr zur Verfügung steht.
  • Die Umsätze könnten aufgrund der gestiegenen Preise für Strom und Wärme von 9,9 Mrd. Euro im Jahr 2021 auf 11,1 Mrd. Euro im Jahr 2022 steigen.
  • Weil aber weniger Anlagen neu gebaut werden und auch die Nachrüstung auf den flexiblen Betrieb nachlässt, erwartet der Fachverband, dass die Zahl der Arbeitsplätze von 2021 von 50.000 auf 49.000 im Jahr 2022 sinkt.

„Auch wenn das Wachstum nur leicht ist: Angesichts der früheren Prognosen verschiedener Institute, dass die Biogasbranche schrumpft, sind das positiv stimmende Ergebnisse“, sagt Horst Seide. Das Wachstum ist zudem marktgetrieben. Das führt dazu, dass auch Anlagen weiter betrieben werden können, die nach zwanzig Jahren keine Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mehr erhalten.

Er sieht den Biomethanmarkt weiterhin wachsen. Dieses werde nicht nur durch die aktuelle Lage getrieben, sondern war schon vor dem Krieg da. Grund ist der Anreiz, der sich mit dem Verkauf von Treibhausminderungsquoten im Kraftstoffmarkt ergibt.

„Wir haben aber noch viele bürokratische Hemmnisse, um eine Biomethananlage ans Netz anzuschließen. Das dauert zwei bis fünf Jahre, je nach Standort“, bemängelt Seide. Die Branche selbst hätte großes Interesse: Weit über ein Drittel der Anlagen beschäftigt sich mit dem Thema Biomethan, schätzt der Präsident.

Erneuerbare Energien: Bürokratie bremst Biogasbranche weiter aus

Zielkonflikt bei der landwirtschaftlichen Fläche

Wären die bürokratischen Hemmnisse nicht vorhanden, könnten deutlich mehr Biogas- beziehungsweise Biomethananlagen gebaut werden. Die Rohstoffe dafür wären vorhanden. Das zeigt ein neuer Vorschlag des Fachverbandes. „Bis 2050 könnten wir danach 150 Mrd. kWh beziehungsweise 150 Terawattstunden (TWh) Biogas nur auf Basis von Abfällen, Reststoffen, Zwischenfrüchten, Gülle, Mist, Gras von Dauergrünlandflächen und landwirtschaftlichen Nebenprodukten erzeugen“, zählt Dr. Stefan Rauh auf. Er ist ebenfalls Geschäftsführer beim Fachverband. Die Hälfte des Biogases könnte zu Biomethan aufbereitet werden. Die andere Hälfte würde in Blockheizkraftwerken wie heute üblich vor Ort genutzt werden und damit ebenfalls zur Versorgungssicherheit beitragen.

Weitere Potenziale, die die Studie nicht berücksichtigt hat, gibt es mit dem Aufwuchs von Moorflächen („Paludikulturen“) oder mit dem Aufwuchs von Ökoflächen, zum Beispiel Leguminosen.

Erneuerbare Energien: Bürokratie bremst Biogasbranche weiter aus

Substratbasis ändert sich

Laut Rauh ist eine Ausweitung der Biogasproduktion von heute 95 auf 130 TWh und eine Steigerung der Biomethanproduktion von 10 auf 65 TWh bis 2030 möglich, ohne zusätzliche Flächen in Anspruch zu nehmen. „Dazu wollen wir beginnen, die heutige Substratbasis bis 2030 zu verändern. Einen kompletten Ausstieg aus der Energiepflanzenproduktion könnten wir bis 2050 schaffen“, sagt er. Der Ausstieg müsse allmählich und nicht überstürzt erfolgen, da ansonsten viele Biogasanlagen vorzeitig aussteigen würden und damit der große Vorteil eines funktionierenden Anlagenbestands verloren ginge. „Denn wir haben einen über 20 Jahre gewachsenen Bestand, bei dem sowohl Technik als auch Genehmigungsauflagen nicht von heute auf morgen geändert werden können“, gibt er zu bedenken.

Fokus auf Biomethan

Bei der künftigen Ausrichtung der Anlagen schlägt der Fachverband folgendes vor:

  • Viele Anlagen sollten, wo es sinnvoll ist, auf die Biomethanproduktion umstellen, also anstelle eines BHKW eine Gasaufbereitung installieren oder Rohbiogas zusammen mit anderen Betreibern zu einer gemeinsamen Aufbereitung leiten. Auch neue Anlagen sollten ausschließlich in die Biomethanproduktion einsteigen.
  • Das Gas kann vielseitig eingesetzt werden: Als Erdgasersatz, in der Mobilität oder zur Stromproduktion.
  • Dennoch wird es auch weiterhin eine Vorortverstromung im BHKW geben. Der Strom ist im Energiekonzept der Zukunft wichtig. Auch haben viele Anlagen ein nachhaltiges Wärmekonzept, das erhalten werden muss.

Der künftige Rohstoffmix

Erneuerbare Energien: Bürokratie bremst Biogasbranche weiter aus

Maisstroh als Nebenprodukt der Körnermaisernte ist ein günstiger Reststoff mit hohem Gasbildungspotenzial.

Die dafür nötigen Rohstoffe könnten nach den Vorstellungen des Fachverbandes im Jahr 2030 überwiegend aus Substraten ohne zusätzlichen Flächenbedarf bestehen, die zusammen knapp 80 TWh Biogas beziehungsweise Biomethan bereitstellen können. Diese sind:

  • 22,9 TWh Gas aus Gras, das für die Tierfütterung nicht mehr benötigt wird,
  • 18,3 TWh aus Gülle und Mist,
  • 16,3 TWh aus landwirtschaftlichen Reststoffen,
  • 10,5 TWh aus Zweinutzungskulturen,
  • 9,7 TWh aus Abfällen der Lebensmittelindustrie,
  • 2,0 TWh aus Klärschlamm,
  • 0,9 TWh aus Straßenbegleitgrün.

Nur noch 52,5 TWh Gas werden mithilfe von klassischen Energiepflanzen wie Mais bereitgestellt. Bis 2050 soll es dann kein Gas aus klassischen Energiepflanzen mehr ge- ben.

Damit diese Vorschläge jetzt umgesetzt werden, müssen sich Bundes- und Landesregierungen endlich bewegen. Deshalb fordert der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) Nordrhein-Westfalen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene einen Biogas-Gipfel, an dem die Politik, Betreiber von Biogasanlagen, der Deutsche Bauernverband und auch die Landwirtschaftskammern teilnehmen sollen. „Wir müssen endlich den Energieträger Biogas entfesseln, dessen Stellenwert für die heimische Energieversorgungssicherheit angesichts der ausbleibenden Erdgasimporte aus Russland einfach größer werden muss“, fordert nicht nur LEE-Geschäftsführer Christian Mildenberger.


Weitere Artikel zum Thema

weitere aktuelle Meldungen lesen