Nokian Hakkapeliitta und Nokian Tractor King trotzen Schnee und spitzen Steinen

Nokian Tyres ist bekannt für seine Forst- und Landwirtschaftspezialreifen. Nun steigern die finnischen Reifenhersteller ihre Produktion und bauen ihre Modellpalette für AS-Reifen deutlich aus. Der eilbote traf im Werk Nokia das Management der Nokian-Sparte „Nokian Heavy Tyres“.

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Der Reifen für die Arbeit in der Forst: Der Nokian Tractor King.

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Bauen das AS- Reifensegment weiter aus (v.l.): Senior Vice President der Nokian Reifensparte Heavy Tyres, Manu Salmi, Vertriebs- und Marketingleiter Heavy Tyres, Toni Silfverberg, Marketing Managerin Rosanna Kivinummi-Lahdenpohja und André Kuhn, Verkaufsleiter Heavy Tyres der deutschen Nokian Tyres GmbH.

Über 60 Spulen, jede mit einem halben Meter im Durchmesser, hängen links und rechts an einem Stahlgestell. Von jeder Spule haspelt sich ein 1,5 mm dicker goldschimmender Stahldraht ab. Diese werden, wie bei einem Webstuhl, zu einer 25 cm breiten Bahn von parallel laufenden Drähten zusammengeführt. Erhitzte Kautschukmasse verbindet die Drähte nun unverrückbar in einem Metall-Gummi Streifen miteinander. Diese Streifen fügt eine Maschine in einem bestimmten Winkel aneinander, so dass eine ca. zwei Meter breite, gut 2 mm dicke und sehr lange Stahl-Gummimatte entsteht. Diese wird mit Stoffbahnen dazwischen auf eine große Haspel gewickelt und in die Reifenbauabteilung transportiert.

Es ist diese Stahl-Gummischicht, die die Nokian Reifen für Harvester und Forwarder im Forsteinsatz nahezu unverwundbar macht gegen kantige Felsen oder aufragende gesplitterte Äste. Sie schützt Forstreifen vor Durchstichen. Diese Forstreifen mit zwei Lagen schräg von links nach rechts und von rechts nach links laufenden Stahlcords baut Nokian Tyres auf einer besonderen Produktionsstraße. Auf einer drei Meter breiten Trommel mit dem Innendurchmesser des Reifens bringen Maschinen Schicht für Schicht verschiedene Lagen von gummierten Textilgeweben auf. Der Felgenwulst, ebenfalls aus gewickeltem Stahldraht und Gummi hergestellt, wird links und rechts von der Trommel mit den Gewebe- und Stahlcordlagen der Lauffläche verbunden.

Zum Schluss bringt ein Roboter extrudierten Kautschuk in Streifen auf diese Trommel auf. Er sieht jetzt aus wie ein schlabbriger, dicker, zwei Meter langer Schlauch. Fertig ist der „grüne Reifen“. Das „Grün“ bezieht sich auf den unreifen Zustand. Erst nach dem Backen in der dampfbeheizten Form erhält der Nokian sein endgültiges Reifenaussehen.

Nokian Tyres ist Weltmarktführer bei Forstmaschinenreifen. Alle großen Forsttechnikhersteller liefern ihre Maschinen auf Nokian-Reifen aus. Manu Salmi leitet als Senior Vice President die Nokian Reifensparte „Heavy Tyres“. Dazu gehören neben Reifen für Lkw und Busse, Hafen-umschlagfahrzeuge, Maschinen für den Bau und Minen und Militärfahrzeuge eben auch Reifen für Fahrzeuge der Forst- und die Landwirtschaft.

In Nokia, gut zwei Autostunden nordöstlich von Helsinki, liegt das Hauptwerk der Nokian Renkaat Oyi. Renkaat heißt Reifen auf finnisch. Das Rotklinker des Verwaltungsgebäudes leuchtet im Januarschnee besonders typisch und deutet auf die über hundertjährige Tradition des Unternehmens hin. Aus dem Büro-fenster im ersten Stock blickt man auf einen Hügel mit einer prunkvollen Villa. Dahinter liegt der Fluss Nokian Virta.

Kleiner geschichtlicher Exkurs: Anfang des 20. Jahrhunderts suchten die Direktoren der finnischen Gummiwerke aus Helsinki einen neuen Standort für ihre Fabrik. Auf ihrer Bahnfahrt von Helsinki Richtung Osten machten sie Station in Nokia. Für die Gummiproduktion gab es hier genügend Süßwasser für die Dampferzeugung und Kühlung. Außerdem verfügte der damals noch kleine Ort über eine Eisenbahnverbindung nach Helsinki. Nokia liegt nur 15 km von der Stadt Tampere entfernt. Dies ist heute mit 225.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Finnlands. In Finnland leben 5,5 Mio. Menschen. Tampere war Anfang des 20. Jahrhunderts bereits eine Industriemetropole, unter anderem bekannt für Textil- und Papierprodukte. Viele dieser frühindustriellen reizvoll gestalteten Klinkerbauten sind jetzt noch, als Bürogebäude umgenutzt, erhalten.

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Die Traktor- und Flotation-Reifen baut Nokian Tyres im finnischen Nokian.

Die Gummifabrik in Nokia war ebenfalls die Wurzel für das weltbekannte Unternehmen namens Nokia, vielen als einst führender Mobiltelefonanbieter bekannt. In den späten achtziger Jahren trennte man das Gummi- und Reifengeschäft vom Nokia-Mischkonzern. Seit 1995 ist es ein eigenständiges Unternehmen. Dieser Bereich firmierte nun unter dem Markennamen „Nokian Tyres“.

Bei meinem Besuch in Nokia Ende Januar waren es minus 19 Grad Celsius mit Schneefall. Ein Wetter, das Fahren ohne Winterreifen unmöglich macht. Viele Straßen in Skandinavien sind im Winter nicht bis auf den Asphalt vom Schnee befreit. Die Autos und Lkw fahren auf einer festen Schnee-/Eisschicht, die maximal mit etwas Splitt zur Abstumpfung bestreut ist.

Die Gummispezialisten aus Nokia brachten 1934 den ersten Winterreifen für Lastkraftwagen auf den Markt. Da zu der damaligen Zeit sich die Reifengrößen von Pkw und Lkw noch nicht so stark unterschieden wie heute, folgten Winterreifen für Pkw als weitere Entwicklung. Heute macht das Geschäft mit Pkw-Reifen bei Nokian Tyres über zwei Drittel des Umsatzes in Höhe von 1,6 Mrd. Euro (31.12.2018) aus. Gut die Hälfte der 4.719 Mitarbeiter fertigt in Nokia und im russischen St. Petersburg Nokian Pkw-Reifen.

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Nokian Tyres und Valtra haben den Weltrekord im Schneeräumen mit einem autonomen Traktor gebrochen. Der Geschwindigkeitsrekord wurde im März 2018 erreicht – mit einem fahrerlosen Valtra T254 Versu Traktor ausgestattet mit Nokian Hakkapeliitta TRI Reifen. Ohne Fahrer „pflügte“ der Traktor den Schnee mit 73,171 km/h auf einer abgesperrten Straße in Südfinnland.

Chef von Nokian Tyres ist eine Frau. Hille Korhonen ist CEO des profitabelsten Reifenherstellers weltweit. Die Erträge vor Steuern erreichten 2018 23,2 Prozent vom Umsatz. Auch im Bereich „Nachhaltigkeit der Produktion“ belegen die finnischen Reifenproduzenten weltweit Platz 1 in der Reifenindustrie. Mit 40 Prozent der Verkäufe ist Skandinavien der wichtigste Absatzmarkt. Es folgen Mitteleuropa mit 28, Russland und die CIS-Länder mit 21 und Nordamerika mit 11 Prozent der Umsatzerlöse.

2020 wird Nokian Tyres in Tenessee, USA, ein weiteres Pkw-Reifenwerk eröffnen. Ziel ist, die Lieferzeiten in den USA zu verkürzen. Gut 20 Prozent des Nokian Tyres Umsatzes erwirtschaftet die eigene Reifenhandelskette namens Vianor. Mit weltweit 1.200 im Franchisekonzept betriebenen Filialen sind diese ein wichtiger Vertriebskanal für Nokian-Reifen. Rund zehn Prozent vom Nokian-Umsatz, erwirtschaftet die Sparte Heavy Tires.

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Der Nokian Country King soll auf der Straße geräuscharm und gleichmäßig rollen.

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Zur letzten Agritechnica präsentierten die Finnen diesen Konzeptreifen.

Fokus auf Europa und Nordamerika

Die Wachstumspläne der Finnen sind auf Europa und Nordamerika fokussiert. Bisher war die Produktionskapazität in Nokia der Flaschenhals für zusätzlichen Absatz der schweren Reifen. Mit einem dreijährigen Investitionsprogramm von 70 Mio. Euro baut Nokian Tyres seine Kapazität aus, allein die der Sparte Heavy Tyres um 50 Prozent.

Eine zweistellige Zahl zusätzlicher Vulkanisieröfen ist bereits bestellt. Die Bauarbeiten für die neue Halle starten, sobald der Schnee geschmolzen ist. In vier Jahren will man den Umsatz mit Heavy Tyres verdoppeln. Für 7 Mio. Euro entsteht gerade ein neues Forschungs- und Testzentrum für diese Produktoffensive – hier hat man die Sparte Landwirtschaft besonders im Blick.

Im Flotation-Segment sind robuste und langlebige Reifen wie der Nokian Country King oder der Nokian CT für den Straßentransport etabliert. „Unsere Reifen sind – bezogen auf die Kosten je Betriebsstunde – am günstigsten“, rechnet Toni Silfverberg, Vertriebs- und Marketingleiter Heavy Tyres, vor. Er spielt dabei auf den im Vergleich zum Wettbewerb höheren Anschaffungspreis der Nokian-Reifen an. Trotz gesunden Selbstbewusstseins beobachtet man die Mitbewerber in diesem Segment sehr aufmerksam und mit Respekt. „Das treibt uns an, unsere Produkte mit neuen Ideen noch besser zu machen“, so Silfverberg.

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Nokian Tyres ist bei Forstmaschinenreifen Weltmarktführer.

André Kuhn nickt zustimmend: „Wir hören unseren Kunden und Vertriebspartnern genau zu, welche Lösungen sie für ihre Arbeit benötigen!“ So ist Kuhn als Sales Manager Heavy Tyres Deutschland oft selbst vor Ort im Gespräch mit land- und forstwirtschaftlichen Lohnunternehmen. Bei Traktorreifen müssen die Reifenentwickler die Ansprüche von Straßenfahrt, Arbeit auf dem Acker, Aspekte wie Traglast, Fahrkomfort, Selbstreinigung, Wärmeableitung bei hohen Traglasten, Vibrationen und Geräusch, Haltbarkeit und Wirtschaftlichkeit in einem Reifen vereinen.

Aufhorchen ließen z.B. die Praxisversuche der Fachhochschule Kiel: Der Vergleich eines konventionellen Nokian-AS-Stollenreifens mit dem Nokian TRI Blockprofilreifen zeigte, dass der Reifen mit Blockprofil bei schwerer Zugarbeit vor dem Pflug in der Traktion fast gleichauf mit dem konventionellen Stollenprofil war. Bei Fahrkomfort, Verschleiß sowie der Grünlandeignung ist das Blockprofil den Stollenreifen sogar überlegen. Der eilbote berichtete darüber in Heft 13/2018.

2018 präsentierte Nokian Tyres mit dem Nokian Tractor King ein neues ungewöhnliches Stollendesign für Forsttraktoren. Zwischen den großen Stollen liegen kleinere kürzere Stollen. Sie erhöhen die Aufstandsfläche des Reifens und bieten durch die vielen Kanten auch unter schwierigen Bedingungen erhöhte Traktion.

Der nagelneue Show-Truck von Nokian Heavy Tyres steht im Schnee vor dem Verwaltungsgebäude in Nokia. Mit Decken-, Fußboden-, Umluft- und Scheibenheizung ist er auch im strengen skandinavischen Winter einzusetzen, auf der Interforst in München war er das erste Mal in Deutschland im Einsatz. Interessierte Landwirte, Lohnunternehmer sowie Händler lädt André Kuhn auf Messen zum Besuch in den Truck zum Fachgespräch über das Produktprogramm ein, das sehr viele Nischenanwendungen abdeckt.

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Zur Agritechnica 2019 kündigt Kuhn weitere Neuheiten an. Die Besucher des Nokian Tyres Stands erwartet eine Weiterentwicklung des 2017 in Hannover gezeigten Konzeptreifens mit einem neuen Stollendesign. Auch im Flotation-Segment wird es etwas Neues zu sehen geben, verspricht Kuhn. In Deutschland unterstützen ihn zwei Heavy Tyres-Vertriebskollegen im Norden und Süden. Zusätzlich berät Philipp Menges als Technischer Kundendienstleiter Händler und Anwender.

„Wir verkaufen nicht Nylon, Kautschuk und Stahl, sondern bieten den Kunden Lösungen für ihre Arbeit und Logistik. Deshalb sind wir so erfolgreich und profitabel“, so Manu Salmi. Er und sein Team wissen, dass ein Wachsen des eigenen Marktanteils im landwirtschaftlichen Reifensegment nur auf Kosten des Wettbewerbs zu realisieren ist. Trotz der nordischen Zurückhaltung meiner Gesprächspartner: Nokian nennt seine Winterreifenbaureihe für Traktoren Hakkapeliitta, ein volkstümlicher Name für die berittenen finnischen Soldaten, die im Dreißigjährigen Krieg für Schweden in Deutschland kämpften. Das Wort stammt ab vom finnischen hakkaa päälle, was soviel bedeutet wie „Hau drauf!“.

 


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