Chinas Landwirtschaft ist zweigeteilt: In der nördlichen Hälfte des Landes bestimmen große, bis zu mehrere 10.000 Hektar große Staatsbetriebe die landwirtschaftliche Erzeugung von Getreide, Soja, Raps, Reis, Baumwolle und anderen Kulturen. Im wärmeren südlichen Teil sind überwiegend Kleinbauern aktiv. Von den 1,4 Milliarden Menschen in China leben nur noch 40 Prozent auf dem Land. Prognosen zufolge werden bis zum Jahr 2030 weitere 50 bis 80 Millionen Menschen von dort in die Städte ziehen, viele davon als Wanderarbeiter. Ein Wanderarbeiter verdient circa 5.500 Euro im Jahr, während ein in der Landwirtschaft Beschäftigter nur etwa ein Drittel davon erreicht. Rund 230 Millionen Chinesen verdienen ihr Geld heute in der Landwirtschaft. Ein Großteil baut auf den eigenen Äckern auch Feldfrüchte für den Eigenverbrauch an. Zusätzlich altert die chinesische Bevölkerung nach der jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik. Wenn weniger Menschen auf dem Land die Arbeit verrichten, müssen mehr Maschinen eingesetzt werden. Landwirtschaftliche Betriebe wachsen damit und wirtschaften immer professioneller.
Aktuell brummt die chinesische Wirtschaft nicht mehr so wie früher; zweistellige Wachstumsraten sind passé. Das dämpft auch die für die Landwirtschaft fast schon selbstverständlich gewordenen Subventionen, die Investitionen in Landmaschinen oft erst ermöglicht haben. Die Bauwirtschaft und mit ihr die Maschinenlieferanten befinden sich zur Zeit im Krisenmodus. Nach dem Bauboom der 2000er Jahre sind wichtige Baumaschinenhersteller systematisch und strategisch in die Landtechnik expandiert. Zudem öffnen sich einzelne gut aufgestellte Baumaschinenhändler mit ihren professionellen Werkstätten und gut ausgebildetem Personal als neue Vertriebs- und Servicepartner für Landtechnikhersteller.
Die Bedingungen für die größte Landtechnikmesse Asiens, die CIAME in Changsha in der kleinbäuerlich geprägten Hügellandschaft der Provinz Hunan, sind in diesem Jahr 2024 nicht optimal. Davon betroffen sind natürlich auch die rund 30.000 chinesischen Landtechnikhändler. 6.000 von ihnen erreichen mehr als 800.000 Euro Umsatz jährlich, so der chinesische Händlerverband CAMDA.
Viel Erfahrung im China-Geschäft
Seit 2013 ist Claas mit einer eigenen Vertriebsgesellschaft in China vertreten. Das Team zählt rund 100 Mitarbeitende und ist räumlich an die von Claas 2014 übernommene Mähdrescherfabrik Shandong Jinyee Machinery Manufacture Co. Ltd. (Jinyee) (heute Claas Agricultural Machinery (Shandong) Co. Ltd.) in der Stadt Gaomi, Provinz Shangdong, mit den Marken Claas und Chunyu angeschlossen. Auf dem Messestand hatte der saatengrüne Mähdrescher Claas DOMINATOR 380 Premiere: Claas Qualität aus dem Werk in Gaomi. Hier sind 500 Mitarbeitende beschäftigt. Lokale Wertschöpfung ist wichtig, um Fördergelder für Landtechnikinvestitionen der chinesischen Provinzen zu erhalten.
Claas hat etwa 30 Händler, wovon zwölf als vollwertige Vertriebs- und Servicepartner fungieren. Diese beschäftigen meist zwischen 10 und 30 Mitarbeitende und verfügen im Durchschnitt über mindestens zwei Servicewagen, berichtet Stefan Trendowitz, der als verantwortlicher Produktmanager für Claas in China tätig ist. Trendowitz lebt seit zwölf Jahren in China und begleitet seitdem die Entwicklungen vor Ort. A-Händler arbeiten B-Händlern ohne Werkstattleistungen zu. Diese sind mehr mit der „Aktentasche“ unterwegs. Exklusivität für eine Marke ist hier ein Fremdwort, umso mehr sind Maßnahmen wie Schulungen wichtig, um sich vom Wettbewerb abzusetzen. Der mobile Service professionalisiere sich gerade, oft nutze man dafür Pick-ups, um die Maschinen auf den großen Feldern zu erreichen. Eine duale Ausbildung zum Land- und Baumaschinenmechaniker wie bei uns gibt es hier leider nicht. Auch die Händler leiden unter der hohen Personalfluktuation.
Häckselketten für riesige Milchviehfarmen
Im Norden des Landes gibt es viele große Milchbetriebe mit mehreren Standorten und Zehntausenden von Kühen. Ihre Versorgung mit Silage organisieren oft sogenannte Agenten, die Lohnunternehmen mit dem Häckseln bestimmter Flächen beauftragen. Claas hält mit seinen Feldhäckslern etwa 80 Prozent Marktanteil am chinesischen Gesamtmarkt an importierten selbstfahrenden Feldhäckslern von rund 130 Einheiten jährlich. „Wenn bei der Probenahme vom Lkw vor dem Einsilieren auf dem Milchbetrieb die Häckselqualität nicht stimmt, fällt das auf unsere Häcksler zurück“, erläutert Trendowitz. Deshalb intensiviert Claas die Schulung der Fahrer und des Werkstattpersonals regional und zentral und im eigenen Werk weiter aus.
Einige Stände weiter präsentiert sich die Firma Schumacher mit Knoter- und Messersystemen für die chinesischen Mähdrescher- und Pressenhersteller. Bei meinem letzten Besuch auf der CIAME 2018 in Wuhan war Geschäftsführer Pang kurz vor seinem Amtsantritt. Diesmal waren Jens und Selina Schumacher sowie Andreas Acimas persönlich auf dem Stand anwesend. „Die chinesischen Hersteller setzen zunehmend auf Zuverlässigkeit, Effizienz und Qualität“, fasst Jens Schumacher die Entwicklung aus seiner Sicht zusammen. Das Entwicklungstempo ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. „Das Produktprogramm nähert sich zunehmend dem europäischen Standard an.“ Die Landtechnikbranche in China bereinigt sich. Von 100 Herstellern für Kleinpackenpressen im Jahr 2018 sind heute nur noch rund 30 übrig. Für Schumacher ist der Knotermarkt relativ stabil, Wachstumspotenzial liege vor allem bei den Messersystemen.
In eine ähnliche Richtung argumentiert Head of Global OEM Sales Jan Meister von Rockinger Agriculture, Teil der Jost Werke. Auf seinem Stand mit Traktor-Anbausystemen ist auch ein Quicke-Frontlader ausgestellt – der einzige seiner Art weit und breit auf der Messe. Denn Frontlader am Traktor sind in China noch wenig bekannt. Jost betreibt unter anderem in China ein großes Werk für Frontladerwerkzeuge in Ningbo. „Lokale Produktion und Anpassung an die örtlichen Anforderungen sind die Hauptaufgaben für die deutschen Zulieferer in China“, so Meister.
Der Düsenspezialist Agrotop ist ebenfalls Ausrüster der chinesischen Landmaschinenhersteller und Lieferant im Nachrüstmarkt für die Landwirte. Joachim Herfort betreut Asien seit vielen Jahren für Agrotop als Exportmanager. Er arbeitet seit über 15 Jahren eng mit einem Importeur zusammen. China zählt zu den zehn wichtigsten Exportmärkten seines Unternehmens. Zum Vertriebsnetz zählen bis zu 20 größere Händler für Düsen und Zubehör im Pflanzenschutz. Direktverkäufe über Internetbestellungen nehmen laut Herfort immer mehr zu.
Dirk Brannolte und Ralph Reichenstätter vom Getriebelieferanten ZF zeigten sich bei meinem Standbesuch mit ihrer Messepräsenz auf der diesjährigen CIAME äußerst zufrieden. Im Jahr 2023 verzeichneten sie einen Professionalisierungsschub der Messe, der sich dieses Jahr fortsetzte, so die beiden Produktexperten. Sie hatten viele ihrer OEM-Kunden, darunter alle bedeutenden chinesischen Traktorhersteller, auf ihrem Stand zu Besuch. „Die Professionalisierung der Landwirte zieht die Professionalisierung der Landtechnikindustrie nach sich. Die Entwicklung verläuft viel rasanter als in Europa“, berichtet Brannolte. „Es ist durchaus möglich, dass eine gesamte Entwicklungsstufe einfach übersprungen wird“, ergänzt Reichenstätter.
Auch deutsche Hersteller wie Amazone und Lemken waren vor Ort. Amazone zeigte unter anderem den Selbstfahrer Pantera. Lemken Produktmanager Pflüge, André Hahn, stellte auf der CIAME den speziell für China entwickelten Opal-Pflug, den Sinopal, vor. Oliver Tiede von Amazone ist schon viele Jahre im Asiengeschäft in China unterwegs. „Die kleinste Zeiteinheit in China ist nicht die Minute, sondern die Sekunde“, erläutert er. Um im China-Geschäft erfolgreich zu sein, muss man das Vertrauen bei den Geschäftspartnern langsam aufbauen. Das kann mehrere Besuche erfordern. Entscheidungen reifen hier relativ langsam, können dann aber auch schnell einmal umgeworfen werden, berichtet Thorsten Schütte, Manager Export bei Krone. „Man muss hier immer auf Überraschungen gefasst sein“, so seine Erfahrung.
Amazone ist in China mit elf Mitarbeitenden vertreten. Tiede bemerkt bei seinem Großkunden zunehmend eine „China First“-Mentalität bei den Maschineneinkäufen. Ohne „Local Content“ aus China gibt es bei subventionierten Maschinen Preisprobleme.
Lemken hat eine Montage im chinesischen Quingdao. Im Westen Chinas wird der Boden fast zu 100 Prozent gepflügt. Für die Bedingungen mit viel Körnermais- oder auch Baumwollpflanzenresten, die beim Pflügen einen hohen Durchgang erfordern, entwickelte Lemken mit dem „Sinopal“ eine chinesische Version des bei uns bekannten Opal-Pflugs. Die hohe organische Schicht auf den Äckern macht auch einen Düngereinleger erforderlich.
Die chinesischen Hersteller sind auf dem Sprung: Die Größe der Stände auf der Messe CIAME 2024 zeigt bereits die Verschiebung. Die chinesischen Player hatten deutlich mehr Quadratmeter gebucht als noch vor sechs Jahren. John Deere und CNH waren dagegen mit kleineren Ständen vertreten.
Der Messebesuch ist internationaler geworden. Man hört häufig Russisch und Hindi. Gerade in Russland öffnet die Wirtschaftsblockade den chinesischen Landmaschinenherstellern und -zulieferern Chancen, da westliche Unternehmen den Markt verlassen haben. Trotz vieler eigener Landtechnikhersteller ist auch Indien ein interessanter Partner für kleinere Maschinen und Komponenten „Made in China“.
„Man bekommt in China die Qualität, die man bereit ist, zu zahlen“, erklärt ein indischer Einkäufer. „Zahle ich 500 Euro für eine Drillmaschine, erhalte ich Qualität für 500 Euro. Zahle ich 2.000 Euro, erhalte ich die Qualität, die ich mir vorstelle.“
Deutsche Landtechnik muss also den chinesischen Betrieben einen messbaren Mehrwert bieten, um ihren Mehrpreis zu rechtfertigen.
Lohnt es sich für deutsche Hersteller überhaupt noch, weiter in China zu investieren? Der Präsident des chinesischen Landwirtschaftsverbands CAMDA, Fan Jianhua, beantwortet meine Frage so: „Es ist die richtige Zeit für Deutsche, um in Chinas Landtechnikmarkt zu investieren. Die chinesische Landtechnikindustrie befindet sich in einer kritischen Phase der Transformation und des Upgrades, mit einem Fokus auf große, intelligente und umweltfreundliche Maschinen. Deutsche Landtechnik passt daher bestens zu den aktuellen Anforderungen des chinesischen Marktes.“