Landwirtschaft 4.0 fordert neue Berufsbilder

Die Technische Hochschule Ostwestfalen bietet einen Studiengang Precision Farming. Welche Ansprüche haben Unternehmen aus diesem Bereich an ihre künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

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Nach umfassenden Planungen installieren die Studierenden die Wetterstationen.

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In der praktischen Übung „Vermessung“ vermessen die Studierenden das Hochschulgelände. Anhand eingemessener Referenzpunkte konnten sie dann sehen, wie gut sie mit ihren Messungen lagen.

In der landwirtschaftlichen Praxis ist die Digitalisierung längst angekommen. Das reicht von der einfachen Spursteuerung bis zur kompletten Betriebskartierung von Bodenqualität und Ertragsniveau.

Doch treffen Anspruch und Wirklichkeit hier manchmal sehr hart aufeinander. Erwartungen werden nicht erfüllt. Irgendwo zwischen Himmel und Erde, Hand oder Handy, Touchscreen oder zwischen Front- und Heckscheibe liegt ein Problem. Den Anwender martern die Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, an denen der anderen ganz zu Schweigen.

Die Landtechnik-Branche arbeitet intensiv an der Weiterentwicklung. Gleichzeitig ist ein weitgefächerter Markt von IT-Lösungs-Anbietern entstanden. Die Entwicklung hat Fahrt aufgenommen und so tummeln sich neben der ersten und zweiten Generation bereits die nächsten auf dem Markt. Für den „Endnutzer“ ist das kaum noch zu überblicken. Gleichzeitig verfügen die landwirtschaftlichen Betriebe über jede Menge erfasster Daten, nur können sie diese oft gar nicht auswerten – nicht, weil sie es nicht könnten oder wollten – es fehlt die Zeit und der Überblick über die aktuellen Möglichkeiten.

Vom Improvisieren und Kooperieren

Die Anfänge der digitalisierten Landwirtschaft waren oft gar nicht so kompliziert. Im Lohnunternehmen Osters & Voß, mit Hauptsitz in der Prignitz/ Brandenburg, ist Precision Farming Tagesgeschäft. Das Potenzial hatten die umtriebigen Lohnunternehmer bereits vor Jahren erkannt, als Benedikt Voigt und Miro Wilms ihr Konzept vorstellten, das inzwischen etablierte Programm „trecker.com“. In enger Zusammenarbeit mit den Praktikern ist eine anwenderfreundliche Software, mit der Aufträge und Betriebsdaten, Kraftstoffverbrauch, Applikationsmengen, Zeit- und Kostenerfassung verarbeitet werden, entstanden. Viola Schnehage, unter anderem betreut sie die Ausbildung im Unternehmen: „Das war damals ein sehr interessantes Projekt, das praktisch am runden Tisch entstanden ist.“ Letztendlich ein gelungenes.

Für Nikolai Pukowski von AgraGPS war der Start in die digitalisierte Landwirtschaft und damit ins Precision Farming beinahe ein Zufall. Nach seiner landwirtschaftlichen Ausbildung arbeitete er in Kanada auf den Betrieb von Johannes Heupel. Der, ein ausgebildeter Elektronik-Ingenieur, arbeitete zu dem Zeitpunkt bereits an einer Lösung, alle Maschinen unterschiedlicher Hersteller mit einem GPS-Signal zu lenken. Für den frisch ausgebildeten Landwirt Pukowski, ein Hobby-Fernmeldetechniker, wurde daraus die Basis für die eigenen Unternehmungen. Aus dem anfänglichen Experimentieren und Improvisieren ist letztendlich die Bridge entstanden, die Pukowski, bisher als „Ein-Mann-Unternehmen“ baut, installiert, wartet und die Kunden berät. „Ich suche einen Mitarbeiter, der sich gut in der aktuellen Agrar-Elektronik auskennt, aber gleichzeitig auch die Anliegen der landwirtschaftlichen Kunden versteht.“

Spezialisten zusammen mit Generalisten

Agricon in Ostrau/Sachsen bietet, wie auch FarmFacts in Pfarrkirchen/Niederbayern, ein umfassendes Service-Angebot rund um das Precision Farming, nicht nur für die Landwirtschaft.

Hier sitzen die Spezialisten des jeweiligen Fachgebietes zusammen, wie zum Beispiel „Agrarökonomen, Phytopathologen und Spezialisten der Pflanzenernährung, Maschinenbau-Ingenieure, Fachinformatiker, Physiker und Geographen. Dr. Manuel Ermann, Unternehmenssprecher Agricon GmbH, Ostrau: „In der engen Zusammenarbeit lernt man über die Jahre auch einiges aus den anderen Fachgebieten.“ Das kann Dr. agr. Sebastian A. Pauli, Leiter Konzeption und Qualitätssicherung bei FarmFacts GmbH, bestätigen. Aber das reicht inzwischen nicht mehr aus. Einig ist man sich darüber, dass die technische Entwicklung im digitalen Ackerbau erheblich an Fahrt aufgenommen hat und die Einsatzbereiche kontinuierlich erweitert und vertieft werden.

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„Die Einführung des Studiengangs Precision Farming ist ein wichtiger Schritt“, betont Dr. agr. Sebastian A. Pauli, FarmFacts.

Längst geht es nicht mehr nur um smarte Maschinensteuerung, Datenerfassung und Vernetzung unter den verschiedenen Geräten. Auswertung der Daten und daraus abgeleitete Handlungsstrategien sind gefragt. Die Elektronik ist vielseitiger oder vielschichtiger als vor einigen Jahren noch. Die gesetzlichen Vorgaben in den jeweiligen Fachgebieten ändern sich. Politik und Gesellschaft setzen neue Schwerpunkte, die müssen berücksichtigt werden und einfließen.

„So verändern sich auch die Anforderungen an neue Mitarbeiter. Daher halten wir die Einführung des Studiengangs Precision Farming für einen wichtigen Schritt“, betont Dr. Pauli.

Sowohl Allgemeinwissen zur Digitalisierung als auch spezifisches Fachwissen sollten Inhalt einer fundierten Ausbildung sein. „Begriffe, wie Zweifaktorauthentifizierung, Virtualisierung oder Content Management System sollten ebenso wie Farm Management System, ISOXML, AB Curve oder Applikationskarte bekannt sein“, erklärt Dr. Pauli. Dabei besteht nicht der Anspruch, dass in eine agrarwissenschaftliche Ausbildung ein IT-Studium integriert wird oder umgekehrt. Es braucht ein Bindeglied zwischen den einzelnen Disziplinen, die sich jeweils weiterentwickeln.

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Erwartungen der Praxis

Gleichzeitig haben die Erwartungen der Endkunden ein neues Niveau erreicht. Dr. Ermann stellt fest: „Der Anteil an Betriebsleitern mit akademischem Hintergrund nimmt zu. Ebenso das Interesse der Landwirte an digitalen Lösungen in der landwirtschaftlichen Praxis.“ Zur Nutzung des Smartphones sind kaum IT Erfahrungen notwendig. Es ist zu beobachten, dass entsprechende IT Grundlagenkompetenzen, insbesondere im Desktop Bereich bei jungen Mitarbeitern und Landwirten, eher ab- als zunehmen. Heutige Systeme müssen daher „out oft he box“ funktionieren und in der Grundkonfiguration nahezu alle Anforderungen abdecken und gleichzeitig eine gewisse Konfigurierbarkeit bieten“, so Dr. Pauli. Dazu Viola Schnehage: „Mitarbeiter müssen nach kurzer Einweisung mit der Technik zurechtkommen.“ „Dieser Spagat in der Entwicklung neuer Anwendungen kann nur mit dem oben genannten Allgemein- und Fachwissen zur Digitalisierung und Landwirtschaft gelingen“, so Dr. Pauli. Die Landwirte sind sich der gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und suchen nach entsprechenden ökonomisch und ökologisch vertretbaren Lösungen.

Precision Farming auf dem Studienplan

Im vergangenen Jahr startete der bundesweit erste Studiengang Precision Farming an der Technischen Hochschule Ostwestfalen in Höxter. Die Hochschule liegt im Süden Höxters am Hang des Ziegenberges mit weitem Blick auf die Stadt und ins Land. Visionäre Aussichten. Nur wenige Kilometer die Weser abwärts, im Norden Höxters, liegt das Kloster Corvey, seit 2014 in der Liste der Weltkulturgüter. Von diesem Kloster gingen schon einmal Reformen aus.

„Mit diesem Studiengang soll eine wichtige Voraussetzung zur Umsetzung von Landwirtschaft 4.0 geschaffen werden“, so Prof. Dr. Burkhard Wrenger, University of Applied Sciences Ostwestfalen-Lippe am Standort Höxter. Inzwischen haben die 30 Studierenden das erste Studienjahr absolviert.

Die Lehrveranstaltungen in den Hochschulgebäuden, mitten im Botanischen Garten Höxters, umfassen unter anderem die Grundlagen der Agrarwissenschaft, Auswertung und Interpretation landwirtschaftlicher Daten, Erfassung von Umweltdaten, Satellitenbildauswertung, Geoinformationssysteme und Big Data Anwendungen. Zur Theorie kommen zahlreiche Exkursionen und Praktika.

Fester Bestandteil des Studiums sind zahlreiche Exkursionen. Feldtage, Ausstellungen und Fachmessen und wichtige Institutionen der Agrarwirtschaft, wie die IPK in Gatersleben (Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, mit einer bedeutenden Saatgutbibliothek) gehören ebenso dazu, wie die SmartFactory OWL in Lemgo und das Real-Labor für Industrie 4.0 in Ostwestfalen-Lippe. Bei den Besuchen auf landwirtschaftlichen Betrieben, die das Konzept von Precision Farming von Anfang an begleiten, erfahren die Studierenden viel über den aktuellen Stand der Datenverarbeitung, über Entwicklungen und Fehlerquellen.

Beispiele für den praktischen Anteil des Studiums sind z.B. die Ausbildung an der Flugdrohne mit wissenschaftlicher Auswertung. Lukas Brinkmeier, Studierender: „Die bei den Flugübungen gemachten Luftaufnahmen, hier nach einem Starkregen, haben wir anschließend anhand der Bilder und Daten quantitativ und qualitativ ausgewertet.“

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Eine weitere Übung: Planen, Installieren und Warten einer Wetterstation. „Mein Team hat die Wetterstation anschließend aufgebaut“, so Janik Sanftenberg, Studierender. Die damit erfassten landwirtschaftlich relevanten Parameter, wie Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Sonneneinstrahlung, Windgeschwindigkeit, Bodentemperatur, -feuchtigkeit und Salinität werden kontinuierlich auf Cloud-Servern gespeichert. Ihno Riesener, Studierender: „So kann jeder von uns und natürlich der Landwirt, bei dem wir die Station aufgebaut haben, jederzeit auf die Daten zugreifen.“ „Wir betreuen inzwischen verschiedene dezentrale Wetterstationen in absoluter Eigenregie“, ergänzt Andreas Upmann, Studierender. Die kontinuierliche Datenerfassung und Auswertung obliegt dem jeweiligen Team.“ Dabei sind viele verwertbare Ergebnisse herausgekommen. Ihno Riesener: „In den Morgenstunden ist das Aufnahmevermögen der Blätter besonders hoch. Das heißt in der praktischen Anwendung – optimaler Zeitpunkt zum Pflanzenschutz.“

Ein weiteres spannendes Projekt ist der Versuchshof Landwirtschaft 4.0. Die Planungen sind bereits abgeschlossen und das Betriebskonzept steht. Dabei waren die Studierenden in den Diskussionen und der Erarbeitung des Konzeptes einbezogen. Der Versuchshof wird ein Netzwerk von Landwirtschaftsbetrieben, Landmaschinenherstellern und weiteren Unternehmen bzw. Forschungseinrichtungen sein.

Internationaler Austausch und Kooperation

Selbstverständlich ist der internationale Austausch. Im März besuchte eine Studiengruppe der Universität Missouri die TH, um sich über die Umsetzung des Themas Precision Farming in der Ausbildung der Hochschulen in Deutschland zu informieren. Prof. Wrenger: „Der Studiengang umfasst sieben Semester inklusive eines Praxissemesters, das die Studierenden auch als Auslandssemester umsetzen dürfen. Zudem sind wir seit März dieses Jahres Mitglied in der Agricultural Industry Electronics Foundation (AEF), getreu unserem Motto: Verstehen durch Mitgestalten.“

Fazit

Die Anfänge von Precision Farming liegen inzwischen einige Jahre zurück. Das war oft noch eher ein Improvisieren und Experimentieren auf hohem Niveau. Die Fachspezialisten und IT Spezialisten haben gemeinsame Lösungen für Fragestellungen entwickelt.

Der Zug hat inzwischen rasant Fahrt aufgenommen. Das Angebot und die Anforderungen in Richtung Landwirtschaft 4.0 sind umfassender als zu Beginn. Der noch junge Studiengang in Höxter ist eben dieses Bindeglied zwischen der technischen Entwicklung und den Fachdisziplinen. Und ganz nebenbei, auch das zeigt der Studiengang: Begeisterung für Elektronik, das Engagement für Umweltschutz – alles auf einer ökonomisch stabilen Basis – muss kein Widerspruch sein.

AEF

Die AEF (Agricultural Industry Electronics Foundation) arbeitet an der hersteller- übergreifenden Kompatibilität von elektronischen und elektrischen Komponenten in landtechnischen Geräten sowie Transparenz bei Kompatibilitätsfragen. Im vergangenen Jahr feierte die Organisation das zehnjährige Bestehen. Inzwischen sind es weit über 200 Unternehmen und Verbände, Institutionen und Forschungseinrichtungen, die sich unter dem Dach der AEF zusammengefunden haben. Zu den Projekten, mit denen sich die international besetzten Teams auseinandersetzen, gehören Themen wie funktionale Sicherheit, Isobus-Automatisierung, Wireless Infield Communication. Die verschiedenen Projektgruppen sind mit erfahrenen Spezialisten besetzt. Doch gleichzeitig ist man offen für Anregungen aus der Praxis, auch von landwirtschaftlichen Betrieben. Bisher gibt es noch nicht viel Erfahrungen mit Praktikanten oder der Begleitung von Abschlussarbeiten. Mut zur Initiative und bewerben oder melden unter Telefon +49 (0) 52 41 - 3 05 79 08, <link>office@aef-online.org.

Die SmartFactoryOWL

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In der SmartFactoryOWL wird Technik entwickelt und getestet, die zukünftige Arbeitsplätze gestalten wird.

Die SmartFactoryOWL, eine Initiative des Frauenhofer Institutes ISOB-INA, Institut für industrielle Informatik und der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe, ist eine offene Forschungs- und Demonstrationsplattform für die digitale Transformation. Als „Industrial IoT Experience Center (IIOT)“, können hier neue Technologien erprobt und getestet werden. Mit der Unterstützung eines interdisziplinären Expertenteams fließen die gewonnenen Erkenntnisse und Untersuchungsergebnisse in Produktions-, Arbeits- und Geschäftsprozesse ein. Die SmartFactoryOWL ist das Real-Labor für Industrie 4.0 in Ostwestfalen-Lippe und bietet Unternehmen und Forschungs- einrichtungen umfangreiche Dienstleis- tungen für die Entwicklung und Erprobung neuer Produkte und Technologien an.

SmartFactoryOWL

Campusallee 3, D-32657 Lemgo

Telefon +49 (0) 52 61 – 9 42 90 - 60

office@SmartFactory-OWL.de

<link http: www.smartfactory-owl.de>www.SmartFactory-OWL.de

 

 

 


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