So wenig Traktoren in Putins Reich?

Eine Agenturmeldung bezifferte die Jahresproduktion der russischen Traktorenwerke auf lediglich 3.255 Einheiten. Die eilbote Redaktion bezweifelte diese Zahl und fragte Dr. Thomas Tanneberger, lange Jahre Agrarjournalist und Projektleiter in Russland und der Ukraine, heute Unternehmensberater bei der IAK Agrar Consulting in Leipzig. Weiterhin beobachtet er den Landmaschinenbau in Osteuropa und Ostdeutschland aufmerksam. Hier kommentiert er die sonderbaren Zahlen.

Landtechnik Russland: So wenig Traktoren in Putins Reich?

Das ehemalige Kirow-Werk, heute Petersburger Traktorenwerk, gehört zu den bedeutendsten russischen Herstellern. Im Bild der K744r.

Zunächst ist zu bemerken, dass die deutsche Nachrichtenagentur einfach falsch abgeschrieben hat: In der Originalmeldung der Branchenvereinigung „Rosspezmash“, die einen Auftritt ihres Präsidenten im Föderationsrat am 24.1.2020 reflektiert, ist die Rede von 3.355 Einheiten, nicht von 3.255. Zudem gibt es tatsächlich gute Gründe dafür, die Zahl an sich anzuzweifeln. Immerhin bestätigen die Werte für die vorangegangenen Jahre ein anderes Niveau: Im soeben erschienenen 2019er Jahresbericht des Staatlichen Russischen Statistikamtes werden 6.300 landwirtschaftliche Radtraktoren (2016), 7.300 Radtraktoren (2017) und 7.100 Radtraktoren (2018) aufgeführt (S. 167). Hinzugerechnet werden müssen 449 Raupentraktoren (2016), 399 Raupentraktoren (2017) und 311 Raupentraktoren (2018), siehe S. 169. Die angegebenen 3.355 Maschinen sind jedenfalls zu wenig als Angabe für die Jahresgesamtproduktion.

Des Rätsels Lösung kam nachfolgend per E-Mail aus Moskau: In die Statistik von „Rosspezmash“ gehen nur solche Maschinen ein, die wirklich und vollständig auf dem Territorium der Russischen Föderation hergestellt worden sind, teilte der Pressechef von „Rosspezmash“, Ivan Afanasjew, auf Anfrage mit. Maschinen, die mehr oder minder aus importierten Teilen zusammengebaut werden, zählen demnach nicht. Das ist natürlich ein wenig irreführend und in der Praxis wohl auch schwer abzugrenzen. Aber es korrespondiert mit Angaben der als verlässlich bekannten Agentur „RiaRating“, die den Anteil der rein russischen Eigenproduktion für die Vorjahre bei etwa 40 % der Gesamtproduktion von 7.000 bis 8.000 Einheiten einordnete und auf eine steigende Tendenz verwies. 50 bis 60 % sind ausländische Fabrikate, wobei man wissen muss, dass rund die Hälfte hiervon in Russland zusammengeschraubte Minsker MTZ-Traktoren sind und lediglich der Rest, also etwa 2.000 Einheiten, vor Ort montierte westliche bzw. ukrainische Maschinentypen darstellen.

Nachvollziehbar wird damit auch die Angabe von „Rosspezmash“, dass 2019 die sechsfache Menge an Maschinen hergestellt worden ist – 2013, nach der Wirtschaftskrise, war die inländische Produktion schlicht und ergreifend am Boden. Umso verständlicher wird die aktuelle Freude der russischen Agrartechniker, dass in den letzten Jahren doch ein gewisser Aufschwung zu verzeichnen ist.

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Mischte vor einigen Jahren den russischen Traktorenbau auf: ATM Terrion. Einige Hundert Einheiten der interessanten Maschine sind mittlerweile gebaut und unterwegs.

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Eines der fortschrittlichsten Produkte des russischen Traktorenbaus – der Rostselmash Versatile 2400. RSM hat nach eigenen Angaben 2019 rund 5.000 Mähdrescher und rund 600 Traktoren gebaut.

Die Tragik indes liegt ganz woanders: Der Maschinenpark in Tausenden von Agrarbetrieben ist nach wie vor stark veraltet. Der einheimische Maschinenbau hat eine beispiellose Talfahrt hinter sich. In der einschlägigen Fachliteratur finden sich Angaben, dass zwischen 1975 und 1990 Kapazitäten für eine Jahresproduktion von über 250.000 Einheiten bestanden haben.

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Der südrussische Konzern „Rostselmash“ hat gemeinsam mit dem kanadischen Hersteller Versatile ein ganzes Sortiment ...

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... unterschiedlich starker, sehr moderner Radtraktoren erarbeitet.

Das Minsker Traktorenwerk war dabei nicht mitgerechnet, denn es liegt auf dem Gebiet der damaligen Belorussischen SFSR, der heutigen Republik Belarus. In den Jahren seit 2010 waren die (vielfach auch noch ungenutzten) Kapazitäten dann auf weit unter 50.000 Einheiten p.a. geschrumpft – dies ist Niveau von 1945. Dass das ein Problem ist, hat der russische Staat längst erkannt. Er gewährte in den letzten Jahren eine erhebliche Förderung für den Landmaschinenbau. Sie hat in den letzten Jahren bis zu 25 % des Selbstkostenpreises der Technik abgedeckt, zuletzt sogar 30 %. Allerdings wird über die Fortführung dieser Programme aktuell heftig gestritten.

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Raupentraktoren erfreuen sich nach wie vor einer gewissen Beliebtheit bei den russischen Landwirten. Neben dem spottbilligen, aber legendären DT-75 gibt es auch modernisierte Varianten wie diesen TG 90 mit Agco-Sisu-Motor und Glonass-Navi.

Das große Argument für eine Förderung ist der enorme Rückstand in den Werken und das Ansinnen, den Bauern robuste, reparaturfreundliche und durchkonstruierte Maschinen zur Verfügung zu stellen, für die die Ersatzteilversorgung ohne Zollschranken erfolgen kann. Das große Gegenargument ist, dass die bereitgestellten Mittel nicht überall so sichtbar konsequent für Wiederaufbau und Modernisierung der Produktion eingesetzt worden sind wie beispielsweise im Werk „Rostselmash“. Da werden in anderen Werken immer noch uralte Maschinentypen zusammengeschraubt, die eben selbst im kummergewöhnten Inland kaum noch einer haben will. Ich habe genug Leute erlebt, die lieber eine Gebrauchtmaschine aus Deutschland gekauft haben statt eines Raupenschleppers aus Volgograd, so robust der angeblich auch sein mag. Andererseits kommen so fortschrittliche Projekte wie der „ATM-Terrion“, der schon vor über zehn Jahren mit allerhand findiger deutscher Unterstützung zusammengezaubert worden ist, irgendwie auch nicht recht in die Massenproduktion. Warum? – Es fehlt auch 30 Jahre nach der Perestrojka an Leuten, die mit unternehmerischem Mut und solider Fachkunde anständige Summen konvertierbaren Geldes in den russischen Landmaschinenbau stecken. Das hat Gründe. Wer die erforscht, wird wissen, wie es im russischen Landmaschinenbau in den nächsten Jahren weitergeht.

Russland – Der Traktorenbau im Überblick

Die Traktorenproduktion Russlands bestreiten heute etwa zwei Dutzend Werke und ihre Zulieferer. Als größte Finalproduzenten zu nennen sind das „Petersburger Traktorenwerk“ in St. Petersburg (ehemals Kirow-Werk, große Knicklenker, Standard-Radtraktoren), „Rostselmash/Versatile“ in Rostow am Don (Knicklenker und Standardschlepper), „Agromasch“ in Tscheboksary (mittelschwere Radtraktoren), „ATM Agrotechmasch“ in St. Petersburg und Tambov (Modellreihe Terrion), „KamTZ/KamAZ“ in Nabereshnye Tschelny (Standardtraktoren), das Volgograder Traktorenwerk (DT-75 u.a. Raupen), das Tschelyabinsker Traktorenwerk (Baumaschinen, Schwermaschinen T-10), „Altaiskij Traktor“ in Rubzowsk (Forsttechnik, Stahlraupen), „Lipetskij Traktor“ (Leichttraktoren, Baumaschinen, Kommunaltechnik). Tichwin, Petra-ZST und Baltijez bauen/bauten in und um St. Petersburg im kleinen Stil alte K700-Versionen nach. Dazu kommt als zugewanderter Hersteller „Claas“ in Krasnodar, aktuell mit dem Axion 820/850/920/930/940/950 und dem Xerion 4000/4500/5000.

Der Autor

Landtechnik Russland: So wenig Traktoren in Putins Reich?

Dr. Thomas Tanneberger, Unternehmens- berater IAK Agrar Consulting, Leipzig.

 


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