Statt Reinigungsabfall jetzt Biorohstoff

Durch Bergung der in Vergessenheit geratenen Spreu ließen sich gewaltige Mengen an Biomasse nachhaltig erschließen und die Wertschöpfung beim Getreideanbau erweitern. Eine Lösung dafür ist das Kompakternteverfahren, das überdies eine Reihe pflanzenbaulicher Vorteile bietet. Der sächsische Hersteller Kluge und der Verein Agronym wollen das Konzept jetzt zur Marktreife führen. Eine Demonstration des Ernteprozesses wird auf der Agritechnica zu sehen sein.

Kompakternteverfahren: Statt Reinigungsabfall jetzt Biorohstoff

Der zu einem Kompakternter umgebaute Mähdrescher Arcus 2500 im Einsatz beim Feldtag in Malschwitz auf einem Weizenschlag der Budissa AG.

Kompakternteverfahren: Statt Reinigungsabfall jetzt Biorohstoff

Der MDW-Mähdrescher Arcus mit seinem Schachtrotorsystem bot durch die Lage der Dreschrotoren direkt hinter dem Schneidwerk günstige Voraussetzungen für den Umbau zum Demonstrator für die Kompakternte.

Gunter Niemtschke öffnet beim Feldtag am 25. Juli auf einem Getreideschlag der Budissa AG nahe Bautzen die Seitenverkleidung des Mähdreschers Arcus 2500. Das 1997 auf der Agritechnica mit einer Goldmedaille ausgezeichnete, dann aber nur in einer geringen Stückzahl gebaute Erntegerät aus Singwitz erinnert allerdings nur noch im vorderen Bereich an das Original. Es wurde zu einem Demonstrationsmodell für die sogenannte Kompakternte umgebaut. „Die Maschine ist hiermit für die Industriespionage freigegeben“, sagt Niemtschke schmunzelnd und setzt hinzu: „Bei der nächsten Variante wird ohnehin vieles anders“. Niemtschke ist geschäftsführender Gesellschafter der Kluge GmbH im sächsischen Königswartha. In der Konstruktionsabteilung und den Werkhallen seines Unternehmens soll in den nächsten zweieinhalb Jahren der Technologieträger für eine Kompakterntemaschine entstehen. Dabei kann sich der Firmenchef auf die Expertise von Führungskräften mittelständischer Hersteller und von Wissenschaftlern in Forschungseinrichtungen stützen, die sich Mitte vergangenen Jahres zum Verein Agronym e. V. zusammengeschlossen haben (siehe Kasten). Die Mitglieder vereint das Bestreben, klugen Ideen auf dem Gebiet des Pflanzenbaus und der Bioökonomie den Weg in die Praxis zu ebnen.

Arcus zum Kompakternter umgebaut

Dazu gehört das von Dr. Johann Rumpler entwickelte Kompakternteverfahren. Der Leiter des Dezernats Technik an der Landesanstalt für Landwirtschaft und Gartenbau Sachsen-Anhalt tüftelt an diesem völlig neuartigen Konzept der Getreideernte bereits seit einigen Jahren. Es beruht darauf, dass – bis auf den Teil Stroh, der auf dem Feld für die Humuszufuhr und Bodendeckung verbleiben soll – die Getreidepflanze in Form eines Gemisches aus Korn, Spreu und Stroh geerntet wird, um daraus später in einer stationären Anlage die Bestandteile abzutrennen. Im Gegensatz zu Mähdreschern aktueller Bauart gibt es daher beim Kompakternter keine Reinigung.

„Der MDW-Mähdrescher Arcus mit seinem Schachtrotorsystem eignet sich gut für den Umbau zum Demonstrator für die Kompakternte, weil die Dreschrotoren direkt hinter dem Schneidwerk sitzen und der Raumgewinn durch das Entfernen des Reinigungsaggregats daher besonders groß ist“, zeigt Rumpler auf den entsprechenden Maschinenbereich. Das ausgedroschene Korn und die Spreu rutschen nun für den Weitertransport im modifizierten Erntegerät in einen Sammeltrichter. Das Stroh aus den Rotoren gelangt in einen Häcksler, der sich ansonsten am Heck des Mähdreschers befindet. Ein mittlerer Strohstrom (25 %) des gehäckselten Strohs wird abgezweigt, über einen Kanal auf die nach hinten führende Förderschnecke geleitet und vermischt sich dort mit Korn und Spreu. Die restlichen 75 % des Strohs fallen beidseitig auf die Strohverteilerteller der Kompakterntemaschine.

Kompakternteverfahren: Statt Reinigungsabfall jetzt Biorohstoff

Durch die Lagerung im luftdichten Folienschlauch kann das Trennen des bei der Kompakternte eingefahrenen Gemisches Monate später in einer entsprechenden Vorrichtung auf dem Hof erfolgen.

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Die beim Feldtag vorgeführte Trennvorrichtung soll im nächsten Projektschritt auf einen Durchsatz von 150 t/h des Erntegemisches skaliert werden.

Jährlich zehn Millionen Tonnen Biomasse

Das Gemisch aus Korn, Spreu und gehäckseltem Stroh befördert ein Wurfgebläse auf einen vom Mähdrescher gezogenen Hänger. „Das ist nur eine Interimslösung. Beim Prototyp hängt ein rollender Bunker mit einem Fassungsvermögen von etwa 30 m³ am Gerät. Von diesem übernehmen dann Abfuhrfahrzeuge das Gemisch“, informiert Rumpler. Hilfreich sei hier, dass sich die Teilvolumen von Korn, Spreu und Kurzstroh nicht addieren. Das Gemisch verdichte sich vielmehr selbst auf 250 kg pro m³. Bei einer zusätzlichen Strukturierung des Strohanteils vor dem Einmischen mit einem in der Entwicklung befindlichen Aggregat sind es sogar 300 kg/m³. Dadurch könnten die Trailer ihre Nutzlast von 25 t ausschöpfen und es seien nicht mehr Überladezyklen notwendig, als beim normalen Mähdrusch. „In Kombination mit leistungsfähigen Trennsystemen auf dem Hof ist dies der Schlüssel für eine wirtschaftliche Bergung von Spreu beim Ernteprozess“, sagt Rumpler.

Ausgehend von durchschnittlich 1,5 t Spreu pro Hektar, die Mähdrescher heute als Rückstand bei der Kornreinigung auf dem Feld verteilen, und einer Druschfläche von rund 6,5 Mio. ha in Deutschland ergebe sich ein Potential dieser vielfältig nutzbaren Biomasse von jährlich bis zu 10 Mio. t. Darin stecke das Energieäquivalent von Miscanthus auf einer Anbaufläche von 670.000 ha, die aber nicht ansatzweise zur Verfügung stehen.

Mit der Bergung der Spreu verdopple sich praktisch die aus der Landwirtschaft nachhaltig zur Verfügung stehende Menge an Biomasse ohne zusätzlichen Flächenverbrauch. Im Gemisch werde Stroh sogar aufgewertet. So sei das sogenannte „SpreuStroh“ wegen des niedrigeren Gehalts an Kalium und Chlor sowie der geringeren Feuchtigkeit besser für eine Verbrennung geeignet als reines Stroh. Ohnehin fließe nur ein Viertel der Getreideernte in die Lebensmittelherstellung. In einer nachgelagerten stationären Reinigung könne aber, im Gegensatz zum Mähdrescher, die Intensität der Trennung des Korn-Spreu-Stroh-Gemisches je nach Verwendungszweck erfolgen. Für Biogasanlagen oder bestimmte Futterzwecke sei sie beispielsweise schlicht nicht erforderlich.

Kompakternteverfahren: Statt Reinigungsabfall jetzt Biorohstoff

Aus dem vom Kompakternter geborgenen Gemisch (l.) wurden in einer Demonstration mit der Testanlage beim Feldtag Korn (M.), das noch einer Nachreinigung bedarf, und Strohhäcksel (r.) getrennt. Spreu und Unkrautsamen sammeln sich in der Luftabsaugung.

Lagerung der Ernte im Folienschlauch

Den Mitgliedern des Vereins Agronym gelang es in den vergangenen Jahren, ein Netzwerk von Interessenten zu knüpfen. Diese tragen sich entweder mit dem Gedanken, das Ernteverfahren in ihrem Agrarbetrieb anzuwenden. Andere sehen Einsatzmöglichkeiten für eine energetische bzw. stoffliche Verwertung von Spreu oder sie planen Forschungsprojekte rund um das Kompakternteverfahren und den damit zu erschließenden Rohstoffen. „Somit sind jetzt die Bedingungen gegeben, um die praktische Umsetzung des Projektes Kompakternteverfahren zu starten. Der heutige Feldtag ist der Auftakt dafür“, so Niemtschke auf einem Erfahrungsaustausch im Rahmen des Feldtages.

Dieses Netzwerktreffen fand auf dem Gelände der BAG Budissa Agroservice GmbH in Malschwitz statt. Das Unternehmen ist eine 100-prozentige Tochter des Agrarkonzerns Budissa AG und beteiligt sich an dem Projekt durch die Bereitstellung von Technik und Knowhow zur Konservierung des Kompakterntegemischs im Folienschlauch. Diese Technologie ermöglicht beispielsweise eine Lagerung am Feldrand vor der Reinigung und Verarbeitung zu einem späteren Zeitpunkt, etwa im Winter. Durch den luftdichten Abschluss kann dies nach Auskunft von Budissa-Verkaufsberater Marko Rehde bis zu einer Materialfeuchte von 30 % ohne Konservierungsstoffe erfolgen. Bei einer Stopfdichte von 550 kg/m³ ließen sich pro Schlauchmeter 10 m³ des Korn-Spreu-Stroh-Gemisches ohne die Gefahr einer Verunreinigung einlagern und je nach Bedarf auch Teilmengen entnehmen. Andererseits könne man die Lagerung im „Reinstraum“ Folienschlauch durch die Zugabe von Bakterien und ähnlichen Stimulanzien für einen gezielten Voraufschluss von SpreuStroh zum Einsatz als Substrat in Biogasanlagen (Spreulage) nutzen. Laut dem Deutschen Biomasseforschungszentrum DBFZ wäre es in Deutschland theoretisch möglich, die Maisanbaufläche für Biogasanlagen durch die Verwendung von Spreu und Stroh um etwa 500.000 Hektar zu reduzieren. Besonders die kleinfaserige Spreu eigne sich gut für die Vergärung.

Die Gesamtkosten des Projekts, das für einen Realisierungszeitraum von sechs bis acht Jahren angelegt ist, beziffert Dr. Claudia Scholta von der Beratungsgesellschaft e-hoch-x mit 45,8 Mio. Euro. Die Finanzierung soll über verschiedene Förderprogramme und zu 20 % über die Budgets für Forschung und Entwicklung der beteiligten Partner erfolgen. Die elf Teilprojekte des Vorhabens spiegeln die ganze Breite der verfahrenstechnischen Aspekte bei der Kompakternte und der Aufbereitung des Erntegemischs wider sowie die Möglichkeiten des Aufbaus von Wertschöpfungsketten durch die Nutzung von Spreu und Stroh separat oder als „SpreuStroh“. Die Palette reicht hier vom Einsatz als Einstreu und Futter in der Tierproduktion über die energetische Verwertung in Kombination mit verschiedenen Aufschlusstechnologien, die stoffliche Nutzung etwa als Dämmmaterial oder für Bauelemente bis hin zu Vermarktungsstrategien. Als neuer Aspekt kam während des Projekttreffens in Malschwitz die Weiterverarbeitung der beim Kompakternteverfahren mit eingefahrenen Unkrautsamen zur Sprache, an deren Inhaltsstoffen es Interesse seitens Herstellern von Gesundheits- und Fitnessprodukten gebe. Die im Reinanbau nicht wirtschaftlich produzierbaren Samen fallen als Abfallprodukt bei der Reinigung an und lassen sich nach Aussage von Prof. Jürgen Schoenherr, Institutsleiter an der Hochschule Zittau/Görlitz, bereits mit heutigen Technologien aufkonzentrieren und abtrennen.

Wie eine Trennvorrichtung für das Gemisch aus Korn, Spreu und Strohhäcksel funktioniert, demonstrierten die Agronym-Mitglieder am Beispiel einer kleinen Testanlage auf dem Betriebshof der BAG Budissa Agroservice. Das für etwa 8.000 Euro gebaute Gerät arbeitet wie eine Vorreinigung und trennt das Gemisch in relativ reines Korn und Stroh. Spreu, Staub und Unkrautsamen sammeln sich in der Luftabsaugung. Das Prinzip soll auf einen Durchsatz von 150 t/h des Erntegemisches skaliert werden.

Untersuchungen zeigen, dass das Kompakternteverfahren neben der wirtschaftlichen Erschließung des gegenwärtig weltweit weitgehend ungenutzten Biomasse-Rohstoffs Spreu eine Reihe weiterer ackerbaulicher und ökonomischer Vorteile bietet. So vermindert sich durch die Mitnahme von Spreu, Unkrautsamen und Restkorn die Gefahr der Übertragung von Pflanzenkrankheiten. Durch die verbesserte Feldhygiene sinkt wiederum der Bedarf an chemischen Pflanzenschutzmitteln. Gegebenenfalls kann die Anwendung von Glyphosat in der Stoppel ganz entfallen.

Mehr Erlös und weniger Chemie

Jörg Ortmaier von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) hat im Rahmen seiner Promotion zum Thema Kompakternte errechnet, dass durch die Umstellung auf dieses Verfahren ein Mehrerlös von 150 Euro/ha erzielbar ist. Hinzu komme ein erhöhter Bodenschutz, zum einen durch eine regelmäßige erosionsmindernde Mulchdecke trotz Strohbergung und zum anderen durch den Wegfall einer gesonderten Stroherntekette und den damit verbundenen Überfahrten auf dem Acker. Denkbar sei es, den Biomasseanteil teilflächenspezifisch zu ernten, je nach Humusbedarf oder Strohüberschuss.

Johann Rumpler verweist darauf, dass der um 25 % verminderte Stoffstrom an Stroh, der auf dem Feld verbleibt, die Möglichkeit biete, Restkörner mit einer zusätzlichen Körnerfalle nahezu vollständig herauszuziehen. Dann wäre der Kompakternter der erste Mähdrescher mit einer gegen Null gehenden Körnerverlustquote. Über den Stand der Entwicklung des Kompakternteverfahrens wird die Firma Kluge und der Verein Agronym auf der diesjährigen Agritechnica berichten (Halle 21 B15). Dort soll auch ein Demonstrationsmodell der Körnerfalle „GrainTrap“ zu sehen sein. Ziel der Präsentation auf der Landtechnikschau sei es, das Kompakternteverfahren publik zu machen und das Netzwerk an Interessenten zu erweitern. „Mitstreiter mit technischen Lösungs-vorschlägen oder Ideen für die Nutzung der Biomasse ,SpreuStroh‘ sind jederzeit willkommen“, sagt Agronym-Vorstandsmitglied Gunter Niemtschke.

Kompakternte aus Vogelperspektive

Die Entwicklung des Kompakternteverfahrens lässt sich auf der Website www.kompakternte.de nachverfolgen und auf der Plattform Youtube findet man unter dem Stichwort „SpreuStroh“ ein Video vom Einsatz des Kompakternte-Demonstrators beim Feldtag in Malschwitz, das zum Teil mit einer Kameradrohne aufgenommen wurde.

Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis

Am 15. August 2018 gründete sich der Verein Agronym e. V. mit dem Ziel, Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der nachhaltigen Bioökonomie zu verbreiten und ihre Anwendung in der landwirtschaftlichen Praxis zu befördern.

Gründungsmitglieder:

Peer Leithold, AGRI CON GmbH; Jens Kluge, Dr. Jürgen Kluge, Doppelacker GmbH; Dr. Jan Schubert, EBF Dresden GmbH; Torsten Eidam, Eidam Landtechnik GmbH; Gunter Niemtschke, Steffen Exler, Kluge GmbH; Jens Kröhnert, Maschinenfabrik Stolpen GmbH; Udo Heller, PROTECH GmbH; Prof. Thomas Herlitzius, TU Dresden, Agrarsystemtechnik; Johann Varga, e-hoch-x Beratungsgesellschaft mbH

Assoziierte Partner:

Fraunhofer IVI, Fraunhofer IWU; Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH; BBG Bodenbearbeitungsgeräte Leipzig GmbH & Co.KG

Geschäftsstelle Agronym e. V.

c/o e-hoch-x Beratungsgesellschaft mbH, Dr. Claudia Scholta;
Nevoigtstraße 19, 09117 Chemnitz, Telefon (03 71) 77 41 44 65;
E-Mail: <link>scholta@e-hoch-x.de


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