John Deere beschreibt sich neuerdings als Smart Industrial Company. Man hat eine der größten Umstrukturierungen in der Firmengeschichte vollzogen. Der Konzern hat sich in allen Bereichen weltweit mit den drei Geschäftsfeldern Produktionssysteme, Technologie-Lösungen und Lebenszyklus-Lösungen neu aufgestellt. Das gilt auch für die Struktur der Vertriebs- und Marketingorganisation in Europa (eilbote 47/2020).
Wir sprachen mit Markwart von Pentz, Präsident der John Deere Landmaschinensparte, und Alejandro Sáyago, Vice President Sales & Marketing EAME, über die neu ausgerichtete Unternehmensstrategie.
eilbote: Herr von Pentz, Herr Sáyago – Ihr neues Geschäftsmodell basiert auf den drei Bausteinen Produktionssysteme, Technologie-Lösungen und Livecycle-Lösungen. Bei den Produktionssystemen soll nicht mehr die einzelne Maschine, sondern das Produktionssystem im Vordergrund stehen. Damit wollen Sie dem Landwirt Einsparmöglichkeiten für seine gesamte Produktionskette aufzeigen. Können Sie uns dies genauer erläutern?
Alejandro Sáyago: Wir haben detaillierte Analysen der Produktionssysteme durchgeführt und erkannt, dass signifikante Einsparungen beispielsweise im Weizenanbau möglich sind. Allerdings macht die Reduzierung der Maschinenkosten nur 10 bis 20 Prozent der Produktionskosten aus, das heißt darüber kann der Landwirt seine Margen nur unwesentlich steigern. Viel größer ist das Potential bei den übrigen 80 bis 90 Prozent, zum Beispiel bei Düngung und Pflanzenschutz. Hier wollen wir den Kunden zu mehr Profitabilität verhelfen, indem sie die Aufwendungen an Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie Arbeits- und Maschinenstunden auf intelligente Art und Weise reduzieren, ohne dadurch das Ertragsniveau zu gefährden. Dies erhöht die Gewinnmargen für die Landwirtschaft und verringert die negativen Auswirkungen auf die Umwelt.
Für John Deere hat der Fokus auf die Betriebssysteme den Vorteil, dass wir viel besser erkennen können, wie hoch das Kosteneinspar- und Wertschöpfungspotential unserer derzeit in der Entwicklung befindlichen Technologien ist. Außerdem gibt uns die neue Betrachtungsweise einen besseren Überblick, welche unserer Entwicklungsprojekte in verschiedenen Unternehmensbereichen beziehungsweise Produktionssystemen genutzt werden können.
Passt das Modell „Produktionssysteme“ für die entwickelte Landwirtschaft hier in Mitteleuropa, wo die Zukunftsbetriebe über hohe Marktkenntnis und Expertise im Anbau sowie Einkauf von Betriebsmitteln verfügen?
Markwart von Pentz: Vollkommen richtig, die Landwirte in Mitteleuropa sind exzellente Betriebsleiter, die ihr Handwerk verstehen. Aber auch in der Landwirtschaft wird die Welt immer komplexer, und die Reform der europäischen Agrarpolitik zeigt, dass die Landwirte zukünftig mit weniger Pflanzenschutz und Dünger auskommen müssen. Das heißt, die Landwirte müssen zukünftig die begrenzten Betriebsmittel noch viel exakter und zum richtigen Zeitpunkt einsetzen. Hier kommt die zweite Säule unseres neuen Geschäftsmodells ins Spiel, die „Technologie-Lösungen“. Wir sind überzeugt, dass die Digitalisierung den Landwirten helfen wird, mit weniger Intput den gleichen oder mehr Output zu erzielen. Dabei sind sie vor allem in der Zusammenführung der Hardware, Software, des pflanzenbaulichen Knowhows, der Wetterdaten und vielem mehr gefordert.
Die Digitalisierung hilft der Landwirtschaft aber nicht nur bei der Optimierung ihrer Produktion, sie unterstützt auch bei der Dokumentation der durchgeführten Maßnahmen. Hier werden die Landwirte durch die Politik und durch die Verbraucher zukünftig noch viel stärker gefordert als bisher und müssen im elektronischen Feldtagebuch den Nachweis erbringen, welche Düngungs- und Pflanzenschutzmaßnahmen sie wann und unter welchen Bedingungen durchgeführt haben.
John Deere will professionellen Kunden zukünftig keine „Stand-alone“-Lösungen, sondern „alles aus einer Hand“ bieten. Für diese Paketlösungen kooperiert John Deere mit anderen Unternehmen, das sind Betriebsmittellieferanten, Softwareentwickler und Beratungsdienstleister. Wie wollen Sie das – auch für Ihre Händler – praktikabel realisieren, bis hin zur Fakturierung?
von Pentz: Es wird auch zukünftig viele Spezialisten in den unterschiedlichen Bereichen geben und der Landwirt will selber entscheiden, von welchem Anbieter er Wetterdaten, Nährstoffkarten, Pflanzenbauempfehlungen, Warnhinweise und so weiter bezieht. Die Kunst der Digitalisierung liegt in der Zusammenführung dieser Daten, ohne dass der Landwirt ständig zwischen verschiedenen Datenportalen wechseln muss. Die Smartphones mit den vielen Apps und Diensten zeigen, wie es geht. Für die Landwirtschaft bietet John Deere als Einsatzzentrale das Operations Center an. Etwa 200 verschiedene Anbieter haben sich diesem cloudbasierten Portal bereits angeschlossen. Damit hat der Landwirt alle Daten für seine Produktion permanent im Zugriff, egal ob vom Smartphone, Tablet oder PC.
Wollen sich die Kunden in Europa so eng an einen Lieferanten binden? Unabhängigkeit ist für viele ein sehr hohes Gut. Die genossenschaftlichen Wettbewerber, die Landtechnik und Produktionsmittel sowie Dienstleistungen mit regionalem Bezug anbieten, wären, wenn die Kunden alles aus einer Hand wünschten, doch schon viel weiter, oder?
Sáyago: Wir arbeiten in Europa vorwiegend mit privaten Vertriebspartnern zusammen. Sie sind in der Regel auf den Handel und Service mit Landtechnik fokussiert und damit extrem erfolgreich und profitabel. Eine Abkehr von dieser Strategie zu einem gemischten Sortiment sehen wir nicht, eher eine weitere Konzentration auf das Kerngeschäft. Denn die Herausforderungen der Digitalisierung mit integrierten Softwarelösungen, autonomen Fahrzeugen, der Elektrifizierung oder Künstlicher Intelligenz werden uns alle in den nächsten Jahren fordern und lassen wenig Spielraum für Aktivitäten außerhalb der Kernkompetenz.
John Deere will weniger, aber stärkere Vertriebspartner – entsprechende Veränderungen im Vertrieb haben bereits stattgefunden und folgen noch. Bitte beschreiben Sie uns den deutschen John Deere Partner, wie er in fünf bis zehn Jahren auftritt. Wie groß ist sein Einzugsgebiet, sein Personalbesatz und die verkauften Einheiten? Welche Services über die heutigen hinaus wird er vorhalten?
Sáyago: Ziel ist vor allem, dass die Vertriebspartner in der Lage sind, ihre Kunden mit dem kompletten Maschinenprogramm und der Technologie aus dem Bereich der Präzisionslandwirtschaft zuverlässig zu versorgen. Nur so kann es gelingen, die Digitalisierung der Landwirtschaft voranzutreiben und den entsprechenden Service anzubieten. Dafür müssen aus meiner Sicht zwei wichtige Voraussetzungen erfüllt sein. Die Vertriebspartner sollten auf die wachsenden Kundenansprüche und -wünsche zukünftig noch stärker reagieren. Gleichzeitig müssen sie den Service per Remote Control perfekt beherrschen, damit Maschinenausfallzeiten vermieden werden. Beides ermöglicht den Kunden, profitabler und nachhaltiger zu wirtschaften.
Der Landmaschinenhandel benötigt dafür die besten Talente, und die bekommt man nur, wenn das Arbeitsumfeld sowie die Karrieremöglichkeiten stimmen. Mit zunehmender Technisierung und Spezialisierung ist dafür eine gewisse Betriebsgröße notwendig. Nur so gelingt es den Vertriebspartnern, gute Mitarbeiter zu rekrutieren, aus- beziehungsweise weiterzubilden und zu halten. Die Jobmöglichkeiten verändern sich deutlich, und das Image der Branche steigt.
Auch wenn die Vertriebspartner durch Kooperation oder Übernahme wachsen, darf die Kundennähe nicht verloren gehen. Dieses stellen wir sicher, indem die Standorte in der Anzahl erhalten bleiben. Wir werden uns aus der Fläche also definitiv nicht zurückziehen. Wie das geht, haben verschiedene Veränderungen in der Vertriebspartnerstruktur in den letzten Wochen und Monaten gezeigt.
Der jüngste DSI der CLIMMAR zeigt deutliche Rückgänge in der Bewertung, was anlässlich Ihres Konsolidierungskurses von Ihnen sicher auch erwartet wurde.
Die letzten Händlerbefragungen zeigten bei Ihrer Marke Schwächen in der Gebrauchtmaschinenvermarktung und der Profitabilität. Wollen Sie das verändern?
Sáyago: John Deere verfügt über eine der besten Händlerstrukturen in Europa und wir sind stolz darauf, was die Vertriebspartner in den letzten Jahren geleistet haben. 2020 haben sie ihre professionelle Arbeit ganz besonders unter Beweis gestellt. Durch die Nutzung der Connected Support Lösungen haben sie es geschafft, die Maschinen der Kunden am Laufen zu halten und so Ausfallzeiten auf den Betrieben auf ein Minimum zu reduzieren. Gleichzeitig wurde weiter in die Unterstützung der Kunden investiert, insbesondere auch in die Weiterbildung und Entwicklung der Spezialisten für die technologischen Lösungen. John Deere leistet ebenfalls seinen Beitrag, damit die Vertriebspartner nachhaltig profitabel wachsen können. Denn davon profitieren letztendlich auch unsere gemeinsamen Kunden.
Der Handel ist das wichtigste Bindeglied zu den Landwirten und Lohnunternehmern. Deshalb führen wir regelmäßig interne Umfragen durch. Die Ergebnisse spiegeln die Situation im Handel wider und zeigen uns, wo wir unterstützen können, damit die optimale Betreuung der Kunden gewährleistet ist. Ein wichtiges Beispiel ist die Vermarktung von Gebrauchtmaschinen. Der Wiederverkaufswert von John Deere Maschinen ist sehr hoch und wir bieten verschiedene Werkzeuge an, um die Maschinen entsprechend vermarkten zu können.
In unserem letzten Interview Mitte des Jahres mit Ihnen, Herr von Pentz, sprachen wir über den wachsenden Abstand zur deutschen Nummer eins, Fendt. Sie blickten damals zuversichtlich auf das zweite Halbjahr. Der Abstand zum Marktführer hat sich aber jetzt gerade im Großtraktorensegment noch vergrößert. Woran liegt das?
Sáyago: Die Umsetzung Vertriebspartner-Initiative fokussiert sich nicht nur auf die Veränderung der Handelsstruktur, sondern auch auf die Bündelung der Vertriebsaktivitäten auf die Maschinen mit dem größten Potential. Das heißt, die Vertriebspartner und wir konzentrieren uns im Tagesgeschäft zum Beispiel sehr stark auf die größeren Traktoren. Dadurch bekommen sie im Handel ein sehr großes Momentum, und gleichzeitig können wir die Fabriken mit diesen umsatzträchtigen und wichtigen Produkten besser auslasten und die Profitabilität erhöhen.
Sehr erfolgreich sind wir bisher bereits mit der Baureihe 6R von 110 bis 250 PS, die in Mannheim produziert wird. Daran knüpfen wir jetzt mit den 6M Traktoren an. Wir haben den Vorteil, dass wir das gesamte Technik-Spektrum vom günstigen einfachen Schlepper bis hin zur Highend-Variante mit Vollausstattung über sämtliche Baureihen anbieten können. Neu auf der Agritechnica 2019 vorgestellt wurden außerdem die 7R und 8R Großtraktoren. Sehr groß ist das Interesse an den 8RX Modellen mit vier Bandlaufwerken. Wie bei jeder Produkteinführung ist die Verfügbarkeit der neuen Modelle zunächst begrenzt und oftmals geringer als die Nachfrage. Das haben wir auch bei den 6M und Großtraktoren zu spüren bekommen. Aktuell spüren wir jedoch den anziehenden Markt und profitieren von der vollen Verfügbarkeit der Modelle. Über 150 PS verzeichnen wir beim Marktanteil sogar einen Zuwachs von zwei Prozent. Das spürt unter anderem auch die Mannheimer Fabrik, in der für nächstes Jahr ein Bauprogramm von über 30.000 Traktoren geplant ist, wofür aktuell 100 zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden.
Zum Abschluss ein Diskurs in die Politik: Wie bewertet man aus John Deere-Sicht den Ausgang der Präsidentenwahl in den USA? Ab dem 10. November wurden beim Import in die EU Strafzölle auf Traktoren unter 130 kW aus den USA fällig. Was sind die Konsequenzen für John Deere? Rechnen Sie mit einer kurzfristigen Rücknahme?
von Pentz: Bei Statements zu politischen Themen sind wir sehr zurückhaltend. Und wenn Sie mal auf unsere 183-jährige Firmengeschichte zurückblicken, sind wir damit gut gefahren. Es waren in dieser Zeit sehr unterschiedliche US-Präsidenten im Amt. Unabhängig davon hat sich John Deere zum weltweit größten Landmaschinen-Hersteller entwickelt. Für uns ist dabei immer wichtig gewesen, dass wir ethische und soziale Grundsätze nicht verletzen.
Wir sind gespannt, wie die Wirtschafts- und Landwirtschaftspolitik des neuen US- Präsidenten aussieht. Große Hoffnungen setzen wir natürlich auf die Rückkehr zu einem offenen und fairen Welthandel ohne Sanktionen. Das betrifft auch die EU mit den verhängten Strafzöllen. Zum Glück sind die Großtraktoren aus Waterloo aber aufgrund der 130-kW-Grenze nicht betroffen.
Die Fragen stellten Jürgen Boomgaarden und Bernd Pawelzik