Der Bereichsleiter Landwirtschaft beim Digitalverband Bitkom, Andreas Schweikert, zu Künstlicher Intelligenz im Ackerbau, zur grünen Start-up-Szene und darüber, wie die Digitalisierung den landwirtschaftlichen Betrieb voraussichtlich im Jahr 2040 prägen wird.
Herr Schweikert, warum sollten Unternehmen aus der Agrarbranche Mitglied beim Bitkom sein?
Andreas Schweikert: Als Bitkom wollen wir die digitale Transformation in der Gesellschaft vorantreiben und gestalten – auch in der Landwirtschaft! Digitalisierung funktioniert in der Agrarbranche nur, wenn Anbieter und Anwender von Technologien gemeinsam Lösungen entwickeln. Dazu kommt, dass Landtechnikunternehmen durch die Digitalisierung nicht mehr nur Maschinenbauer, sondern gleichzeitig IT-Unternehmen sind. Oder nehmen Sie die Chemieunternehmen, die mehr und mehr zu Anbietern von Dienstleistungen werden oder die Anbieter von Stalltechnik, wo die Digitalisierung ebenfalls auf breiter Front Einzug gehalten hat. Als Verband bringt der Bitkom die Player aus der Landwirtschaft zusammen und ist so auch hier ein Treiber der Digitalisierung.
Bitkom-Mitglied John Deere hat gerade auf der Technikmesse CES in Las Vegas seinen ersten autonomen Traktor vorgestellt, der aus der Ferne bedient werden kann. Sind denn die Haftungsfragen mittlerweile geklärt?
Das Gesetz zum autonomen Fahren regelt seit 2021 Betriebsbereiche, in denen autonom gefahren werden darf – allerdings vorrangig im Zusammenhang mit Personentransporten im öffentlichen Straßenverkehr. Das ist für den Anwendungsfall autonomer Fahrzeuge auf dem Feld eher zweitrangig. Die Frage nach der Haftung ist sehr komplex und bedarf weiterer Klärung. Fakt ist, dass die Risiken auf dem Feld viel geringer sind als im Straßenverkehr. Trotzdem wird die Haftung bisher regelmäßig von den Herstellern vertraglich an die Maschinennutzer abgegeben. Ob das zivilrechtlich durchgeht, dazu werden sicherlich noch einige Präzedenzfälle vor Gerichten entschieden werden müssen. Die neue Bundesregierung plant zudem laut Koalitionsvertrag, die Haftungsfragen in dieser Legislaturperiode nachzuschärfen.
Werden autonome Traktoren hierzulande demnächst unser Landschaftsbild prägen?
Ich gehe davon aus, dass die Kamera- und Sensortechnik für das autonome Fahren bald zur Serienausstattung eines modernen Traktors gehört, ähnlich wie aktuell die GPS-Steuerung bei vielen Landmaschinen. Es ist doch heute schon so, dass der Landwirt das Lenkrad loslässt und die Spur auf den Zentimeter genau gehalten wird, was die Arbeitseffizienz enorm erhöht und auch eine Arbeitserleichterung für den Fahrer darstellt. Künftig kann der Traktor dann vom Smartphone aus kontrolliert werden – vom Feldrand oder dem Büro aus.
Traktor fahren per Fernsteuerung – können Kollisionen da zuverlässig verhindert werden?
Der Gesetzgeber unterscheidet beim autonomen Fahren insgesamt fünf Stufen, die GPS-Steuerung ist in Stufe 3 eingruppiert, vollautonomes Fahren in die 5. Und das, was John Deere mit seinem R8 anbietet, liegt dazwischen – in Stufe 4. Hier stoppt der Traktor, wenn die Sensoren eine Unregelmäßigkeit im Fahrbetrieb ausmachen. Dann muss der Fahrer manuell eingreifen und ein Hindernis gegebenenfalls umfahren. In Stufe 5 entscheidet der Traktor hingegen eigenständig.
Fahren die meisten Landwirte hierzulande nicht gern Traktor?
Deshalb wird John Deere den R8 bewusst nicht in Deutschland, sondern zunächst in den USA und in Südamerika auf den Markt bringen, wo von angestellten Mitarbeitern riesige Flächen bewirtschaftet werden. Ich kann mir vorstellen, dass der vollautonome Traktor zeitversetzt auch in Deutschland angeboten wird. Aber hierzulande haben die Bauern nicht so dringend auf diesen Digitalisierungsschritt gewartet, dass der Ackerbau dadurch revolutioniert wird.
Auch in der Landwirtschaft gibt es einen immer größeren Fachkräftemangel. Ist dies nicht ein großer Treiber für autonomes Fahren und Robotik?
Die Landwirtschaft bietet verschiedenste Anwendungsfelder für autonome Systeme. Nehmen Sie die Ernte von Sonderkulturen. Wir haben in der Pandemie gesehen, wie schwer Arbeitskräfte in diesem Bereich zu rekrutieren sind. Egal ob im Gewächshaus oder in Obstplantagen, überall gibt es einen Trend zu autonomen Erntemaschinen. Selbst vor dem handarbeitsintensiven Spargel wird der technische Fortschritt angesichts der enormen Arbeitserleichterung nicht halt machen.
Die EU will Pflanzenschutz und Düngung im Rahmen ihres Green Deal reduzieren. Welchen Beitrag dazu kann die Digitalisierung auf dem Acker leisten?
Spätestens 2023 werden erste Verfahren serienreif sein, mit denen Unkräuter per Bilderkennung automatisch erkannt und selektiv behandelt werden. Dieses Verfahren hat das Potenzial zum Game-Changer. Bei optimalen Bedingungen können so 90 Prozent der bisherigen Aufwandmenge eingespart werden. Und das ist auch notwendig, um die deutschen und europäischen Reduktionsziele zu schaffen.
Wie wollen BASF, Syngenta oder Bayer denn künftig Geld verdienen, wenn sie viel weniger Pflanzenschutzmittel verkaufen?
Die Industrie wandelt sich schon jetzt zum Anbieter von „Pflanzenschutz-as-a-service“. Dabei werden dem Landwirt Komplettpakete aus Technik, Beratung und geeigneten Pflanzenschutzmitteln zur Verfügung stellt.
Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz (KI) bei der Unkrauterkennung auf dem Acker?
Künftig müssen riesige Datenmengen von Kameras und Sensoren in Echtzeit abgearbeitet werden. Das kann weder der Mensch noch eine normale Software leisten. Der KI kommt bei der automatischen Bilderkennung eine Schlüsselrolle zu. Eine Künstliche Intelligenz muss aber erst einmal trainiert werden. Bestes Beispiel ist die Unkrauterkennung. Der KI werden verschiedene Bilder gezeigt, wie ein Unkraut auszusehen hat. Nach einer Anlernzeit ist sie in der Lage, das Unkraut auch dann zu erkennen, wenn es nicht exakt so aussieht wie das Muster. Das ist der entscheidende Schritt, weil die Natur keine komplett identischen Pflanzen hervorbringt. Das gleiche gilt für andere komplexe Vorgänge, beispielsweise bei der Bestimmung der optimalen Düngermenge in Echtzeit bei der Überfahrt. Die Liste an Anwendungsbereichen für die KI in der Landwirtschaft ist fast unendlich, und wir kommen in Zukunft in der Agrarbranche um die Künstliche Intelligenz nicht herum.
Entscheidend ist also die Entscheidungsunterstützung in Echtzeit?
Genau! Wurde der Düngeraufwand oder die Wirkstoffmenge im Pflanzenschutz bisher per Ackerschlagdatei über Satellitendaten ausgewertet und per USB-Stick auf das Schlepper-Terminal überspielt, erfolgt die Entscheidung zu Aufwandmengen künftig per Bilderkennung in Echtzeit direkt auf dem Feld – ohne die diversen Vorarbeiten.
Landwirte setzen häufig Maschinen und Geräte unterschiedlicher Hersteller für die Feldarbeit ein. Wird die Kommunikation untereinander durch die Digitalisierung nicht noch schwieriger?
Damit Maschinen und Geräte verschiedener Hersteller miteinander sprechen, muss der ISOBUS in die digitale Welt übersetzt werden. Mit dem Agrirouter von Amazone, Case IH, Fendt, Grimme, Krone, Lemken und New Holland oder mit DataConnect auf Initiative von John Deere und Claas können unterschiedliche Fabrikate schon heute untereinander Daten austauschen, auch wenn die Entwicklung hier noch am Anfang steht. Damit sich digitale Lösungen auf breiter Front durchsetzen, darf es jedenfalls nicht bei Insellösungen einzelner Hersteller bleiben.
Oder kommen die neuen Standards von außen, zum Beispiel aus der Automobilindustrie oder gar von Tech-Giganten wie Apple oder Google?
Die größten Chancen für einen gemeinsamen Standard sehe ich durch die Kooperation innerhalb der Landtechnikbranche. Alle namhaften Hersteller sind in der Agricultural Industry Electronics Foundation (AEF) organisiert, wo man sich schon in der Vergangenheit auf gemeinsame Standards wie den ISOBUS geeinigt hat.
Möglicherweise wird politischer Druck in der EU den Verständigungsprozess beschleunigen. Das hat man zuletzt beim gemeinsamen USB-Ladekabelstandard für Handys gesehen, der gerade von Brüssel durchgedrückt wird.
Auch im Stall schreitet die Digitalisierung in großen Schritten voran. Wie weit sind wir hier?
In der Tierhaltung sind wir in Sachen Automatisierung weiter als auf dem Feld. Das liegt auch daran, dass Vorteile wie Zeitersparnis oder Arbeitserleichterung bei einem Melk-, Reinigungs- oder Fütterungsroboter sofort für den Tierhalter greifbar sind.
Was bringt die Digitalisierung fürs Tierwohl?
Bei der Messung von Tierwohl spielt die Sensorik eine entscheidende Rolle. Sensoren am Ohr oder im Pansen der Kuh liefern in Echtzeit Daten zum Gesundheitszustand des Tieres, wodurch auch das Wohlbefinden des Tieres beurteilt werden kann. Krankheiten können dadurch viel früher erkannt und prophylaktisch behandelt werden. Ein möglicher Seuchenherd wird früher entdeckt. Gerade in größeren Beständen erleichtert die Sensorik die Einzeltierkontrolle erheblich, denn die Wahrnehmung über menschliche Sinne ist begrenzt. Gleichzeitig hilft die Digitalisierung auch dabei, die Transparenz gegenüber dem Verbraucher herzustellen, beispielsweise mit Blick auf das Antibiotika-Monitoring.
Könnte die Digitalisierung auch einen Beitrag zur Objektivierung der Tierwohldebatte leisten?
Dazu müsste die Wissenschaft zunächst objektiv ermitteln, was Tierwohl bedeutet. Denn Tierwohl ist ja viel breiter gefasst als die Tiergesundheit, für deren Erfassung Kriterien wie Körpertemperatur, Herzfrequenz, ph-Wert im Magen oder Bewegungsmuster schon heute zur Verfügung stehen. Durch die Technik könnten menschliche Maßstäbe und Emotionen ausgeblendet werden, da diese bei der Beurteilung von Tierwohl heute eine große Rolle spielen.
Die Digitalisierung produziert immer größere Datenmengen. Behält der Landwirt auch in Zukunft die Datenhoheit?
Daten sind keine Besitzgegenstände wie Stühle oder Tische. Man kann und muss sie vielfältig nutzen, damit ein Mehrwert für den Landwirt geschaffen werden kann. Nichtsdestotrotz muss die Datenhoheit bei ihm bleiben. Der Betriebsleiter muss am Ende entscheiden können, was mit seinen Daten passiert.
Dazu kommen Fragen der IT-Sicherheit. Hackerangriffe werden sich auch im Agribusiness häufen. Je mehr Prozesse digitalisiert werden, desto mehr Einfallstore gibt es auch für Kriminelle. Auf dem landwirtschaftlichen Betrieb fängt IT-Sicherheit damit an, dass starke Passwörter vergeben werden und eine Firewall vorhanden ist, die das betriebliche Netzwerk schützt.
Wie müssen wir uns mit Blick auf die Digitalisierung einen landwirtschaftlichen Betrieb im Jahr 2040 vorstellen?
Der Betriebsleiter wird nach wie vor eine zentrale Rolle spielen. Er wird auf jeden Fall mehr mit Technologie umgehen müssen, muss aber kein ITler sein, weil die Technologie dann so nutzerfreundlich ist, als würde er ein Smartphone bedienen.
Miniroboter und autonome Maschinen bestimmen das Landschaftsbild. Speziellere Maschinendienstleistungen werden beim Lohnunternehmer bestellt. Auch die Feldkartierung übernimmt die Drohne eines externen Dienstleisters. Digitale Techniken unterstützen den Landwirt im Pflanzenbau, wo tradiertes Wissen durch den fortschreitenden Klimawandel einen immer geringeren Wert hat. Datenströme vom Hof bis in den Laden sorgen in 20 Jahren für volle Transparenz. Bis 2040 werden Robotik und Sensorik Einzug in den meisten Ställen gehalten haben. Trotz allem wird der Landwirt am Ende die zentralen Entscheidungen treffen, die durch die Unterstützung technischer Hilfsmittel noch besser werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Andreas Schweikert ist Bereichsleiter für die Digitalisierung in der Landwirtschaft beim Bitkom. Aufgewachsen in der Region Stuttgart, studierte er bis 2017 Politik- und Verwaltungswissenschaft in Konstanz, Grenoble und Utrecht und sammelte Erfahrung im Agrarausschuss des Europaparlaments in Brüssel sowie dem Landwirtschaftsministerium in Berlin.
In seiner Rolle beim Bitkom fördert er den Austausch zwischen Agrar- und Digitalunternehmen, Start-ups, Wissenschaft und Politik und sieht in der digitalen und vernetzten Landwirtschaft eine Chance für mehr Nachhaltigkeit, Artenvielfalt und Tierwohl.