Die Unsicherheit überwiegt

Der Markt für Landtechnik wird global gesehen weiter wachsen. Doch während Schwellenländer noch reichlich Potenzial bieten, wird es für die etablierten Unternehmen in den westlichen Märkten zumindest im nächsten Jahr schwer. Neben den geringen Chancen auf steigende Preise bei Agrarrohstoffen sind dafür vor allem der Handelskrieg zwischen den USA und China und die Unsicherheit um einen Brexit verantwortlich.

Internationale Landtechnikmärkte: Die Unsicherheit überwiegt

Währungsschwankungen, Handelskriege, Witterungsrisiken: Die Zukunft der Agrarmärkte weltweit ist zunehmend ungewiss.

Wo immer auch der neue britische Premier Boris Johnson sich in den vergangenen Wochen in ländlichen Regionen Großbritanniens blicken ließ – der wütende Protest der Landwirte war ihm sicher. Dabei gehören die Farmer auf der Insel traditionell eigentlich zu den Wählern von Johnsons konservativer Partei. Doch wenn Bauern etwas gar nicht mögen, ist das Unsicherheit. Und woher ihre Einnahmen, die zurzeit bis zu 80 Prozent aus EU-Subventionen bestehen, nach einem No-Deal-Brexit kommen sollen, kann ihnen Johnson nicht glaubwürdig erklären.

Die britische Fachpresse bezeichnet nach der Vereidigung von Boris Johnson als Premierminister den möglichen Austrittstag 31. Oktober jetzt schon als „Halloween Horror Story“. Kevin Roberts etwa, Vorsitzender der walisischen Fleischvermarkter, erklärte jüngst auf einem Branchentreffen: „Uns steht hier kein Erdbeben bevor – die Auswirkungen eines No-Deal-Brexit können auf der Richterskala gar nicht mehr erfasst werden.“ Er bezog sich auf eine aktuelle Studie des Agriculture and Horticulture Development Board, nach der der Export von Rind- und Schaffleisch in die EU um bis zu 92,5 Prozent einbrechen könnte. Aktuell werden rund 37.000 Schlachtkörper pro Woche in die restliche EU ausgeführt. Selbst bestens laufende Betriebe könnten dadurch in die Verlustzone rutschen, so Roberts.

Ein neues Referendum?

Die schottische Regierung hat unterdessen schon angekündigt, im Herbst zinslose Kredite fast in der selben Höhe wie die bisherigen Subventionszahlungen an die Farmer auszureichen – allein um die Unsicherheiten rund um einen Brexit auszugleichen. Und Regierungschefin Nicola Stuegeon hat sich nun auch noch mit der linken Labour-Party zusammengetan, um für ein neues EU-Referendum zu kämpfen. Die Landtechnik-Betriebe auf der Insel horten indes immer mehr Verschleißteile, die vom Festland kommen, um für ein Chaos nach einem ungeregelten Brexit gewappnet zu sein.

Während derlei Unsicherheiten nur Europa betreffen, ist der aktuell größte Risiko-Faktor für die globalen Agrar- und Landtechnikmärkte über dem Atlantik zuhause: US-Präsident Donald Trump. Seine Strafzölle auf chinesische Produkte wurden von Peking vor allem mit Beschränkungen von Agrarprodukten aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten beantwortet. Und Trump ist weniger vorhersehbar als das Wetter, was zuletzt den Handelskrieg mit dem Reich der Mitte zu einem Währungskrieg werden ließ.

Welche Folgen Währungsschwankungen für die Landtechniker weltweit ohnehin schon haben, lässt sich an deren Halbjahresbilanzen ablesen (siehe auch Aktien-Besprechungen auf den folgenden Seiten). Weil Rohstoffe wie Stahl oder Bauteile weltweit gehandelt werden, kann aus einem akzeptablen Plus ohne Währungseinflüsse schnell ein Minus dank ungünstiger Umrechnungskurse werden. Ausgerechnet der Branchenprimus John Deere aus den USA ist so zum Beispiel nicht mehr „great again“, sondern muss sich mit höheren Kosten und sinkender Nachfrage herumschlagen.

15 Prozent mehr Bedarf

Die wichtigste Grundlage für Investitionen in Landtechnik sind aber immer noch die Preise für landwirtschaftliche Güter, von denen das Einkommen der Landwirte abhängt. Und da ergibt sich kein einheitliches Bild beim Blick auf die kommenden Jahre. In ihrem im Juli veröffentlichten Ausblick auf die Agrarentwicklung bis zum Jahr 2028 sehen die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und die Welternährungsorganisation (FAO) wachsende Risiken für die Branche rund um den Globus. Zum einen sind das eine Ausweitung von Tier- und Pflanzenseuchen, die schwer einschätzbaren Folgen eines fortschreitenden Klimawandels und schließlich die ungeahnten Folgen weiterer Handelskriege, wie sie US-Präsident Donald Trump mit der EU und vor allem China vom Zaun gebrochen hat.

Um rund 15 Prozent soll demnach der Bedarf an Agrarprodukten binnen des nächsten Jahrzehnts steigen. Gleichzeitig, so schätzen die Autoren des Reports, werden rund zwei Milliarden Menschen von ihrer ländlichen Heimat in die Städte ziehen. Doch obwohl schon die vergangenen Jahre von sinkenden Preisen für Agrargüter geprägt waren, sehen die Studien-Autoren auch in den kommenden zehn Jahren keine wirklich steigenden Preise, sogar weiter sinkende Notierungen seien möglich.

Die auch durch die Landtechnik gesteigerte Produktivität kann diesen Bedarf aber mehr als decken. Regionen wie Sub-Sahara-Afrika, Nordafrika, Indien und der Nahe Osten seien auf diesem Weg.

War die Produktion für Biodiesel und Biosprit von 2010 bis 2015 noch kontinuierlich angewachsen und ein Treiber für steigende Agrareinkommen, erwarten die Experten für das kommende Jahrzehnt eine Stagnation bis hin zu einem Rückgang. Einzig Indonesien dürfte seine Palmölproduktion noch für diese Sparte ausbauen, Brasilien setzt traditionell auf Zuckerrohr, das je nach Weltmarktpreis mehr oder weniger für die Ethanolproduktion genutzt wird.

Einen Schwerpunkt setzt die Studie bei den Aussichten und Herausforderungen für Lateinamerika und die Karibik.

Lateinamerika im Blick

Obwohl die Voraussetzungen für Landwirtschaft in der Region äußerst unterschiedlich sind, hat sie sich zum größten Exporteur von Agrarrohstoffen entwickelt und dürfte in der kommenden Dekade ihren Anteil noch ausbauen. Zugleich wachsen in der Region noch 57 Prozent der globalen Urwälder, sie sorgt für 40 bis 50 Prozent der globalen Biodiversität. Geht es nach den Experten der FAO und der OECD sind die jüngsten Lockerungen des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro in Sachen Urwaldrodung vollkommen unnötig: Der steigende Bedarf etwa an Soja sollte sich allein aus intensiverer Bewirtschaftung bestehender Flächen und mehr Einsatz von Landtechnik verbessern lassen.

14 Prozent der globalen Agrarproduktion erzeugt die Region bereits und ist für 23 Prozent der Weltexportmenge verantwortlich. Das Produktionswachstum aber soll sich auch in dieser Region verlangsamen, immerhin soll Getreide noch um 22 Prozent, die Fleischproduktion noch um 16 Prozent zulegen – was immer noch das größte Wachstum im weltweiten Vergleich darstellt. 2028 soll die Region für mehr als ein Viertel der weltweiten Exporte stehen – wenn nicht Handelsbeschränkungen à la USA die Entwicklung bremsen.

Als einer der wichtigsten Punkte, um die Wettbewerbsfähigkeit der Länder im Agrargeschäft zu erhalten und zu erhöhen, sehen die Autoren der Studie den Ausbau der Infrastruktur in Lateinamerika an. Nach wie vor geht auf den Transportwegen ein beachtlicher Teil der Agrarproduktion verloren oder verdirbt. Gleichzeitig müsste die jeweilige Politik auf Gefahren wie den Verlust fruchtbarer Böden und Wasserknappheit reagieren. Hier werden Investments in effektivere und sparsamere Bewässerung oder veränderte Bodenbearbeitung vorgeschlagen.

Internationale Landtechnikmärkte: Die Unsicherheit überwiegt

Die indische Regierung will die Durchschnittseinkommen der Landwirte bis zum Jahr 2022 verdoppeln.

Für Kleinbauern von Mexiko bis Feuerland sieht die FAO vor allem im Bereich der hochwertigen Früchte oder beim Gemüse die besten Entwicklungschancen. Die Forscher haben bei ihrer Analyse der Märkte in Lateinamerika auch eine ungewöhnliche Feststellung gemacht: Der Anteil der Frauen unter den Bauern legt beständig zu. Hier müsste nun auch in die entsprechende Ausbildung investiert werden, denn klassisch lassen die Gesellschaften der Entwicklungsländer nur männlichen Nachkommen entsprechende Bildung zukommen, obwohl die Frauen die meiste Arbeit auf den Feldern verrichten. 

Ein wichtiger Punkt in der Analyse ist auch die Ernährungssicherheit: Obwohl die Region der größte Exporteur ist, leiden immer noch große Bevölkerungsschichten Hunger oder zumindest unter Mangelernährung. Schon um die Gefahr von politischen Unruhen zu mindern, müsste hier die jeweilige Regierung auf eine gute Versorgung der eigenen Bevölkerung achten.

Mehr Technik für Indien

Eine nach wie vor wachsende Bedeutung für Landwirtschaft – und damit Landtechnik – hat Indien. Im Land mit der zweitgrößten Bevölkerung der Welt war die erste Hälfte des Jahres durch die Parlamentswahlen geprägt, die sich über rund sechs Wochen hinzogen. Bei 1,34 Milliarden Einwohnern und 900 Millionen Wahlberechtigten dauert so etwas eben sein Zeit.

Am Ende ging dann die Partei des bereits seit fünf Jahren amtierenden Narendra Modi als deutlicher Sieger hervor. Das sollte der Wirtschaft auf dem Subkontinent, die sich in den ersten Monaten bei Investitionen noch zurückhielt, nun wieder deutlichen Schwung verleihen. Vor allem aber in der Landwirtschaft dürfte sich Modis Wiederwahl bemerkbar machen: Der Premierminister hat den ambitionierten Plan, das Durchschnittseinkommen der Landwirte bis zum Jahr 2022 zu verdoppeln. Möglich wird das nur über eine deutliche Mechanisierung der Agrarwirtschaft. Profiteure sind dabei die Landtechniker. Mahindra etwa, mit mehr als 40 Prozent Marktanteil bei den Traktoren, hat deshalb eine ganze Reihe von Ernte- und Bodenbearbeitungsmaschinen entwickelt. Zusätzliches Knowhow kauften sich die Inder durch eine Beteiligung an der finnischen Sampo Rosenlew ein, deren Mähdrescher auch von Kaschmir bis Bangalore auf die Äcker sollen. Für die Professionalisierung der Reisernte kaufte sich Mahindra bei Mitsubishi Agriculture in Japan ein. Und Shubhabrata Saha, Chef der Landtechnik beim Mischkonzern Mahindra & Mahindra, will auch noch in der Kartoffeltechnik bald neue Maschinen präsentieren – entwickelt vom belgischen Partner Dewulf Group. Feldspritzen sind ebenfalls geplant.

Bevor der Marktführer Mahindra das Geschäft mit den Kartoffeln ganz allein bestreitet, hat sich der deutsche Kartoffel-Spezialist Grimme mit dem indischen Landtechniker Shaktiman zusammengetan, um speziell für Schwellenländer Geräte für die Knollen zu entwickeln. 70-PS-Traktoren gelten dabei als Maximum an Zugkraft, denn die meisten indischen Bauern sind nicht mit viel mehr als 50 Pferdestärken auf dem Feld. Die Wachstumsmöglichkeiten sind bestens: Mit mehr als zwei Millionen Hektar Fläche hat Indien das zweitgrößte Kartoffelanbaugebiet der Welt (nach China, dort wird die Anbaufläche auf fünf Millionen Hektar geschätzt).

Trendwechsel in Russland

Ähnlich großes Potenzial wie die Schwellenländer in Asien oder Südamerika hat Russland. Deshalb setzen die (westlichen) Landtechniker nach wie vor große Hoffnungen auf den russischen Markt. Die vergangenen Jahre waren allerdings von Handelsbeschränkungen im Zuge der Krim-Krise und hohen Einfuhrzöllen für westliche Maschinen zur Unterstützung heimischer Produkte geprägt. Diese Stagnation scheint sich nun aufzulösen. Bestes Beispiel dafür ist die deutsche Firma Ekotechnika, mit ihrer Tochter Ekoniva größter Händler von John Deere in Wladimir Putins Riesenreich. Für das „saisonal bedingt schwächere“ erste Halbjahr vermeldete das Walldorfer Unternehmen einen Gesamtumsatz in Russland von 51,8 Millionen Euro, was einem Plus von rund 15 Prozent entspricht. Das Neumaschinengeschäft legte deutlich um circa 22 Prozent von 24,9 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2017/2018 auf 30,4 Millionen Euro im Berichtszeitraum 2018/2019 zu. Ob auch andere Landtechniker in Russland solche Erfolge feiern können, ist unklar, weil sie nicht wie das deutsche Unternehmen berichtspflichtig sind. Einen Trendwechsel – besonders für die Importeure hochwertiger Landtechnik – könnte das immerhin bedeuten.

China im Wandel

Weil staatlich gesteuert, ist Russlands Nachbar China in Sachen Landwirtschaft ohnehin schwer einzuschätzen. Noch schwieriger wird das aber, nachdem die chinesische Regierung ihre staatlichen Unternehmen aufgefordert hat, den Kauf von US-Agrarprodukten einzustellen. Auch private Importeure sollen daraufhin ihre Käufe von US-Rohstoffen gestoppt haben. Bereits im Jahr 2018 sind die US-Agrarexporte nach China auf 9,1 Milliarden US-Dollar eingebrochen, 2017 lagen sie noch bei 19,5 Milliarden Dollar. Auch andere – nicht politische – Einflüsse von außen treffen die chinesische Landwirtschaft und damit die Investitionen in Landtechnik. So ist die Nachfrage bei Futtermitteln stark zurückgegangen, nachdem die Schweinebestände durch die Afrikanische Schweinepest drastisch reduziert wurden.

Stephan Werner, Manager des Fonds DWS Invest Global Agribusiness, der auch in Landtechnik-Aktien investiert, fasste die Situation in Euro am Sonntag so zusammen: „Die historischen Überschwemmungen in den USA, der Handelskonflikt und die afrikanische Schweinepest in China sind im laufenden Jahr die wichtigsten Treiber mit massiven Implikationen für den Agrarmarkt.“

Globale Lieferströme haben sich dadurch verschoben, manche womöglich dauerhaft. Wenigstens der professionelle Aktieninvestor sieht die Entwicklung positiv, denn „für Anleger ergeben sich somit neue Chancen in einem ohnehin für langfristige Investments attraktiven Sektor“. Jetzt gilt es nur, die Unternehmen mit den besten Chancen zu erkennen.

Der Autor

Internationale Landtechnikmärkte: Die Unsicherheit überwiegt

Carl Batisweiler

Carl Batisweiler ist Textchef und Ressortleiter bei der Finanz-Wochenzeitung €uro am Sonntag sowie dem Monatsmagazin €uro. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Agrarrohstoffmärkten sowie den börsennotierten Landtechnikherstellern weltweit.


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