Gas geben: Blaupause für Wasserstoff-Motoren

Wasserstoff-Verbrennungsmotoren sind klimafreundlich und theoretisch bestens für Nutzfahrzeug-Anwendungen, aber auch für den Einsatz in Land- und Baumaschinen sowie Pkw geeignet. Die Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr (IAV) betreibt umfangreiche Untersuchungen zum Wasserstoff-Brennverfahren mit dem Ziel, bis 2025 wasserstoffbetriebene „Zero Emission“-Fahrzeuge serienreif zu machen.

Ingenieurgesellschaft für Auto und Verkehr: Gas geben: Blaupause für Wasserstoff-Motoren

Der Einzylinder-Forschungsmotor mit zwei Litern Hubraum ist ein wichtiger Bestandteil der Wasserstoff-Aktivitäten von IAV. Er ermöglicht realitätsnahe Untersuchungen typischer Heavy-Duty-Nutzungsszenarien.

Die Europäische Union hat den Druck auf die Nutzfahrzeughersteller deutlich erhöht: Bereits 2025 müssen ihre Flotten im Vergleich zu 2019 ganze 15 Prozent weniger CO₂ ausstoßen, fünf Jahre später weitere 15 Prozent.

Klar ist: Allein mit hocheffizienten Dieselmotoren lassen sich die Klimaziele der EU nicht erreichen. Zudem erwartet die EU einen Mindestanteil an „Zero-Emission“-Fahrzeugen, also Modelle mit batterieelektrischem Antrieb (BEV) beziehungsweise Brennstoffzelle (FCEV) oder einem Wasserstoff-Verbrennungsmotor (H₂-ICE). Die CO₂-Vorgaben der EU geben der Wasserstoff-Mobilität neuen Schub. Sie kann dort eingesetzt werden, wo batterieelektrische Antriebe systembedingte Nachteile haben – etwa im Schwerlastverkehr auf der Langstrecke oder im Traktor auf dem Acker. Technisch ist der Wasserstoff-Verbrennungsmotor in naher Zukunft reif für den Serieneinsatz in Nutzfahrzeugen und die Wasserstoff-Brennstoffzelle wird bereits in ersten seriennahen Lkw-Flotten erprobt. Und auch bei den Betriebskosten dürfte in wenigen Jahren die Parität zum Diesel hergestellt sein.

Leichter in Nutzfahrzeuge zu integrieren

In bestimmten Fällen kann der Wasserstoff-Verbrennungsmotor seine Vorteile ausspielen. Das macht ihn zu einem schnell verfügbaren Kandidaten für CO₂-neutrale Nutzfahrzeuganwendungen. „Bei der Brennstoffzelle sind noch Fragen offen, etwa zu Kosten, Haltbarkeit und Package“, sagt Dr. Christoph Bertram, Senior Vice President Commercial Vehicle Powertrain bei IAV. „Der Wasserstoff-Verbrenner hingegen lässt sich einfacher in Nutzfahrzeuge integrieren, zudem lassen sich vorhandene Produktionskapazitäten bei den OEMs weiter nutzen.“ Der Wasserstoffverbrauch mit hocheffizientem Motor für Fernverkehr-Lkw mit großem Autobahnanteil ist sehr gut und konkurrenzfähig zur Brennstoffzelle, zeigen Simulationsergebnisse.

IAV hat darum bereits vor drei Jahren seine Aktivitäten beim Wasserstoff-Verbrennungsmotor verstärkt und nimmt dabei besonders Anwendungen in schweren Nutzfahrzeugen und mobilen Arbeitsmaschinen in den Blick. Ein wichtiger Bestandteil der Wasserstoff-Aktivitäten von IAV ist ein Einzylinder-Forschungsmotor mit zwei Litern Hubraum, der realitätsnahe Untersuchungen typischer Heavy-Duty-Nutzungsszenarien ermöglicht. „Wir wollen mit seiner Hilfe beispielsweise die innere und äußere Gemischbildung besser verstehen und die Parameter für den späteren Serieneinsatz optimieren“, erklärt Marc Sens, Fachbereichsleiter für Powertrain Advanced Development bei IAV. „Im Mittelpunkt unserer Untersuchungen steht die Frage, wie man mit einem Wasserstoff-Verbrennungsmotor die geforderte Leistungsdichte und Reichweite erreichen kann.“

Herausfordernde Verbrennung

Dabei gilt es insbesondere, die Verbrennung in den Griff zu bekommen. Denn Wasserstoff hat eine hohe laminare Brenngeschwindigkeit, neigt zu irregulären Verbrennungen und belastet den Motor auch mit hohen Drücken. Der Forschungsmotor ist ideal geeignet, um Maßnahmen gegen die Vorentflammung zu untersuchen. Mit ihm lassen sich aber auch die Stickoxid- und Partikel-Rohemissionen bestimmen sowie unterschiedliche Lösungen für das Einblasen des Kraftstoffs vergleichen – so führt die Saugrohr-Einblasung im Gegensatz zur Direkt-Einblasung zu homogeneren Gemischen im Brennraum. Die Direkt-Einblasung wiederum bietet Vorteile hinsichtlich der erzielbaren Leistungsdichte und bei der Vermeidung von Rückzündungsereignissen. Deshalb favorisiert IAV die Direkteinblasung von Wasserstoff bei künftigen Serienentwicklungen. Die Performance und Umweltfreundlichkeit von Wasserstoff-Verbrennungsmotoren hängen auch vom eingesetzten Tanksystem und der Abgasnachbehandlungsanlage ab. „Wir beschäftigen uns daher neben dem Motor mit verschiedenen Speichermöglichkeiten, zum Beispiel gasförmig oder flüssig“, berichtet Bertram. „Bei der Abgasnachbehandlung geht es um die Frage, welche Komponenten mit Blick auf die Produktkosten wirklich gebraucht werden, wie etwa ein Harnstoff-SCR-Katalysator, möglicherweise in Kombination mit einem H₂-DeNOx-Katalysator für die Stickoxide und einem Filter für ölbasierte Partikel.“

Integrierte, modellbasierte Entwicklungsmethodik

Ziel der IAV-Experten ist es, ihren Kunden fertige Konzepte mit Serientauglichkeit für Brennverfahren, Abgasnachbehandlung und Tanksystem anbieten zu können – immer optimal zugeschnitten auf das gewünschte Einsatzszenario. „Aus unseren Versuchen mit dem Forschungsmotor haben wir allgemeingültige Modelle abgeleitet, die beispielsweise den Brennverlauf oder das Klopfen prädiktiv beschreiben“, sagt Sens. „Das fließt in unsere Entwicklungsmethodik von Konzeption bis zu der modellbasierten Applikation für die Serienentwicklung ein. Eine Übertragung in verschiedene Motorenklassen ist gegeben und wichtig, weil Wasserstoff-Verbrenner auch für schwere SUVs, leichte Nutzfahrzeuge und sogar Pkw interessant sind.“ IAV-Kunden profitieren aber auch von umfangreichen Testressourcen für Wasserstoff-Antriebe – schließlich gilt es häufig, einen Selbstzünder in einen fremdgezündeten Motor umzuwandeln. Bereits 2008 hatte IAV einen ersten Wasserstoff-Verbrenner bis zur Vorserie entwickelt. „Darum könnten wir jetzt sehr schnell vom Forschungs- zum Vollmotor übergehen“, sagt Sens.


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