Integrierter Pflanzenschutz mit digitaler Präzision ist der gemeinsame Nenner zweier Fronten

Grüne Woche-Bekenntnisse: Politik, Branche und Kritiker setzen auf Ackerbaustrategie und digitalen „Integrierten Pflanzenschutz“ – Reduzierung des Einsatzes bleibt zentrale Forderung – Neustart für die Debatte gefordert

Industrieverband Agrar/World Wildlife Fund: Integrierter Pflanzenschutz mit digitaler Präzision ist der gemeinsame Nenner zweier Fronten

Die Landtechnikhersteller nutzen die Grüne Woche in Berlin zur Information der Stadtbevölkerung.

Wie sieht die Zukunft des Pflanzenschutzes aus? An dieser Grundfrage für die Landwirtschaft arbeiteten sich in den letzten beiden Wochen Kritiker der „konventionellen modernen“ Landwirtschaft lautstark ab. Der komplette Verzicht auch von chemischem Pflanzenschutz und Mineraldünger gehört zu den Hauptforderungen der „Agrarwende“-Aktivisten. Unversöhnlich standen die Kritiker den „Verteidigern“ in Berlin der konventionellen Agrarbranche gegenüber. Dass es innerhalb der Reihen der Kritiker durchaus auch Realisten gibt, die nicht nur die Einhaltung der Fronten „Biolandwirtschaft ist gut – konventionelle Landwirtschaft ist böse und muss verboten werden“ gibt, sondern dass der Integrierte Pflanzenschutz ein gangbarer gemeinsamer Weg in die Zukunft sein kann, zeigte ein gemeinsames Pressegespräch des Industrieverbandes Agrar e.V. (IVA) und des World Wildlife Fund (WWF) Deutschland auf der Grünen Woche in Berlin.

Mehrgliedrige Fruchtfolgen gefordert

Die Debatte spitzt sich derzeit vor allem am Thema des Glyphosat-Verbots zu. Jörg-Andreas Krüger, Geschäftsleiter Naturschutz beim WWF Deutschland, zeigte sich hier als Pragmatiker: „Ein Ausstieg aus Totalherbiziden bringt ja erst einmal keine Lösung mit sich. Wir setzen auf eine Ackerbaustrategie.“ Krüger bezeichnete die Thesen der DLG hierzu als „gute Anfänge“ der Diskussion. Seine strategische Stoßrichtung beschrieb er in einem Satz: „Wirksamer Boden- und Artenschutz auf dem Acker umfasst neben Änderungen im Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel auch neue Anbaustrategien und mehrgliedrige Fruchtfolgen.“

Die Ernte muss geschützt werden

Der Präsident des IVA, Dr. Helmut Schramm, warb für eine Innovationsoffensive in der Pflanzenschutz-Branche und wandte sich ganz klar gegen ein „Aus“ für die Chemie: „Ja, wir brauchen auch künftig noch Pflanzenschutz, denn auf absehbare Zeit wird die Landwirtschaft ohne chemischen Pflanzenschutz ihre Ernte nicht vor Krankheiten und Schädlingen schützen können. Das müssen wir aber, weil wir ohne moderne Landwirtschaft mit Mineraldüngung und biologischem Pflanzenschutz sowie Biostimulantien die Welt in Zukunft nicht werden ernähren können.“

Schramm stellte die Flächeneffizienz als Ziel in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen: „Im internationalen Vergleich produziert die deutsche Landwirtschaft hohe Erträge. Umgekehrt heißt das: sie wirtschaftet sehr effizient mit den vorhandenen Flächen. Würden wir komplett auf Pflanzenschutz und Mineraldünger verzichten, müssten wir die Anbaufläche verdoppeln, um den Ertrag stabil zu halten.“ Der IVA-Präsident stellte ganz klar die strategische Stoßrichtung seines Verbandes dar und grenzte sich so von seinem Diskussionspartner vom WWF ab: „Ich bin der Meinung, dass es vorrangig nicht um Reduktion geht, sondern um die gezieltere Anwendung.“

Reduzierung der Mengen im Visier

Der WWF-Vertreter Krüger machte klar, dass er die Reduzierung der eingesetzten Pflanzenschutzmittel-Mengen sehr wohl für unabdingbar hält. Dafür könne er sich eine Pestizidabgabe als wirksames Instrument vorstellen. Die Abgabe könnte aus seiner Sicht helfen, die eingesetzten Mengen „etwas“ zu reduzieren. Ein wesentlich stärkerer Hebel für die Mengenreduzierung sind für ihn aber die Prinzipien des Integrierten Pflanzenschutzes: „Da wo etwas eingesetzt wird, was nicht eingesetzt werden muss, müssen wir reduzieren. Dann wird auch die Gesamtmenge reduziert.“ Dies bringe echte Effekte. „In Frankreich geht man davon aus, dass so auf 40 Prozent der Betriebe 60 Prozent der bisher eingesetzten Mittel eingespart werden könnten“, so Krüger. Das Top-Diskussionsthema und wohl meist gebrauchtes Wort der Grünen Woche war die Digitalisierung und so fand sie auch Eingang in dieses Pressegespräch. IVA-Präsident Schram zeigte sich überzeugt von deren Nutzen: „Die Digitalisierung bietet uns enorme Chancen für mehr Nachhaltigkeit. Sie wird die Art, wie wir Pflanzenschutz- und Düngemittel anwenden, verändern. Zusammen mit ständig verbesserten Düsen werden GPS und Satellitendaten den Landwirten helfen, die Mittel noch zielgenauer auszubringen und damit auf das absolut nötige Minimum zu reduzieren.“

Digital nachhaltiger wirtschaften

In die gleiche Kerbe hatte in einer vorangegangenen Pressekonferenz am selben Tag bereits Bundeslandwirtschaftsminsterin Julia Klöckner geschlagen und sich für eine flächendeckende Versorgung mit dem „schnellen Internet“ auf 5G-Standard ausgesprochen: „Wenn wir 5G haben, können wir noch nachhaltiger wirtschaften. Das fordert die Gesellschaft. Digital können wir noch präziser arbeiten und so beispielsweise weniger Pflanzenschutzmittel bei gleicher Wirkung ausbringen. So können wir Ressourcen schonen und massiv Kosten sparen.“ Das Fazit der Ministerin: „Digitalisierung kann helfen, Zielkonflikte beim Pflanzenschutz zu lösen.“

Der WWF-Vertreter Krüger ging etwas vorsichtiger in die Diskussion: „Wir warnen davor, die Digitalisierung nur als Mittel der Intensivierung zu nutzen. Digitalisierung ist nur ein Werkzeug. Wenn dabei integrierter Pflanzenschutz und mehrgliedrige Fruchtfolgen nicht mitbedacht werden, dann versagt auch dieses Werkzeug.“

Streitpunkt Artenvielfalt

Mit Blick auf den aktuell intensiv diskutierten Rückgang der Artenvielfalt betonte IVA-Präsident Schramm, dass eine produktive Landwirtschaft und der Schutz der Biodiversität durchaus vereinbar seien. Er widersprach der Auffassung, dass allein durch einen Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz der Rückgang der Insektenpopulation aufgehalten werden könne. „Wären die Landwirte gezwungen, auf moderne Pflanzenschutzmittel zu verzichten, würde dies auf den Nutzflächen kein Problem lösen, aber neue schaffen“, sagte Schramm. Es brauche vielmehr konkrete Maßnahmen in der Agrarlandschaft wie beispielsweise Blühstreifen am Ackerrand oder ausreichende Pufferzonen zwischen Nutzflächen und Gewässern.

Nicht jeder Standort ist geeignet

WWF-Geschäftsleiter Krüger blieb bei seiner Gesamtbetrachtung und wiederholte den Wert mehrgliedriger Fruchtfolgen. Gleichzeitig wurde er doch politisch und zeigte die Verbandsrichtung klar auf: „Wir sprechen als Naturschutzorganisation die Fehler im bestehenden, auf hohe Erträge ausgelegten System und deren Folgen für die Zukunft an. Der Fehler ist das System und nicht der einzelne Landwirt.“ Krüger forderte an dieser Stelle zum Umdenken auf: „Wir brauchen eine Entkopplung des Mechanismus, dass durch den Pflanzenschutzmitteleinsatz überall und unabhängig von der Eignung des Standortes für diese Kultur gewirtschaftet werden kann.“

Zulassungsverfahren bleiben Knackpunkt

Für den WWF-Repräsentanten ist die Überarbeitung der Zulassungsverfahren für neue Pflanzenschutzmittel unabdingbar. Die diesbezügliche Denkrichtung des WWF brachte er in der Diskussion auf den Punkt: „Wenn wir auf dem Acker draußen eine Wirkung sehen, die wir nicht haben wollen, dann müssen wir überlegen, wer was anders prüfen muss, damit unerwünschte Wirkungen künftig vermieden werden können.“

Schramm machte an dieser Stelle die Position des IVA deutlich: „Wir brauchen mehr neue und bessere Mittel und wir brauchen hierfür verlässliche Rahmenbedingungen. Von der Entdeckung eines neuen Wirkstoffs bis zu seiner Markteinführung dauert es besonders in der EU heute zu lange.“ Er wandte sich dagegen, noch mehr Auflagen in die Zulassungsverfahren zu packen: „Für uns ist klar, dass das Vorschreiben von Ausgleichsflächen im Gegenzug zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nicht Bestandteil der Zulassung neuer Mittel sein kann. Das sind ganz klar agrarpolitische Maßnahmen.“ Diese hätten im Zulassungsverfahren nichts zu suchen.

Neustart für die Debatte um Pflanzenschutz

Der Agrarbranche schrieb IVA-Präsident Schramm abschließend eine intensivere Kommunikation nach außen ins Stammbuch: „Die Landwirtschaft den Verbrauchern zu erklären, das ist ein Thema, das wir als Branche in den letzten Jahren nicht hingekriegt haben. Wir haben als Ergebnis eine deutliche Abstandsvergrößerung der Bevölkerung zur Landwirtschaft zu verzeichnen.“

Diesen Ball nahm WWF-Vertreter Krüger gern auf. Seine klare Botschaft verband er mit der Zusage der Diskussionsbereitschaft: „Wir brauchen einen Neustart für die Debatte über Pflanzenschutz, um die bisherige Zuspitzung künftig zu vermeiden.“ Einen Seitenhieb auf die beim Thema Pflanzenschutz zerstrittenen Bundesministerinnen setzte er dabei aber ganz klar: „Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner und Bundesumweltministerin Schulze müssen bei diesem und weiteren zentralen Zukunftsthemen der deutschen Landwirtschaft beherzt und gemeinsam anpacken.“ Landwirte und Natur seien es Wert, dass Klöckner und Schulze gemeinsam arbeiteten und nicht gegeneinander.


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