Wie reagieren Unternehmen auf Lieferkettenstörungen?

Mehr als 4.000 Unternehmen wurden bei der ifo-Konjunkturumfrage zur aktuellen und zukünftigen Beschaffungsstrategie befragt

ifo Institut: Wie reagieren Unternehmen auf Lieferkettenstörungen?

Seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie sind internationale Lieferketten verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Pandemiebedingte Produktions- und Transportstörungen haben dazu geführt, dass die Zuverlässigkeit internationaler Produktionsnetzwerke häufig hinterfragt wurde. Darüber hinaus hat der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen gegen Russland ein neues Licht auf die geopolitische Bedeutung wirtschaftlicher Interdependenzen mit autokratischen Regimen geworfen. Wie reagieren Unternehmen auf diese Entwicklungen, und haben sie bereits Anpassungen an ihren Beschaffungsstrategien vorgenommen? In diesem Beitrag stellen wir die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage von mehr als 4.000 Unternehmen in Deutschland vor, die neue Erkenntnisse darüber liefert, wie Unternehmen auf Lieferkettenstörungen reagiert haben und welche Prioritäten sie für die zukünftige Ausrichtung ihrer Lieferketten setzen.

Änderungen der Beschaffungsstrategien

Im Rahmen der ifo Konjunkturumfragen im Juli 2022 wurden mehr als 4.000 Unternehmen des deutschen Verarbeitenden Gewerbes sowie des Groß- und Einzelhandels zu ihrer aktuellen und zukünftigen Beschaffungsstrategie befragt. Der Umfrage zufolge hat die überwiegende Mehrheit der Unternehmen in Deutschland bereits Maßnahmen ergriffen, um ihre Lieferketten nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie anzupassen. Mehr als 87 Prozent der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes gaben an, dass sie als Reaktion auf Lieferkettenstörungen konkrete Änderungen an ihrer Beschaffungsstrategie vorgenommen haben. Im Großhandel liegt der entsprechende Anteil bei 76 Prozent, im Einzelhandel bei 63 Prozent. Diese Zahlen sind überraschend hoch, wenn man bedenkt, dass in einer früheren ifo Konjunkturumfrage (Mai 2021) weniger als die Hälfte der Unternehmen angab, Pläne zur Anpassung ihrer Beschaffungsstrategie zu haben. Dies deutet darauf hin, dass viele Unternehmen die Risiken in der Lieferkette in der Zwischenzeit neu bewertet und in der Folge Anpassungen an ihrer Beschaffungsstrategie vorgenommen haben.

Welche Maßnahme ergreifen Unternehmen in Folge von Lieferkettenstörungen? Im Verarbeitenden Gewerbe ist die am häufigsten genannte Maßnahme die Erhöhung von Lagerbeständen: 68 Prozent aller Unternehmen gaben an, dass sie ihre Lagerhaltung seit Ausbruch der Pandemie verstärkt haben. Dies lässt darauf schließen, dass viele Betriebe die Kosten und Vorteile der Lagerhaltung neu bewertet haben und aus diesem Grund zumindest teilweise von der Just-in-Time-Produktion abgerückt sind.

Verstärkte Lagerhaltung und Diversifizierung als häufigste Maßnahmen

Die Diversifizierung von Lieferketten hatte für die Unternehmen seit dem Ausbruch der Pandemie ebenfalls eine hohe Priorität. Mehr als 65 Prozent haben Maßnahmen ergriffen, um ihre Zulieferbasis durch die Aufnahme neuer Lieferanten zu erweitern. Darüber hinaus berichteten 38 Prozent der Betriebe von Umschichtungen zwischen bereits bestehenden Lieferverhältnissen. Eine weitere wichtige Maßnahme angesichts von Unterbrechungen betrifft die Transparenz von Lieferketten. Die Hälfte der Unternehmen gaben in der Umfrage an, die Überwachung ihrer Lieferketten verbessert zu haben. Eine Erhöhung der eigenen Fertigungstiefe wurde dagegen nur von wenigen Betrieben in Folge von Lieferkettenstörungen in Erwägung gezogen: Lediglich 13 Prozent aller befragten Unternehmen haben seit der Pandemie verstärkt auf Insourcing (also der Eigenproduktion von Vorleistungen, die zuvor von unabhängigen Zulieferern bezogen wurden) gesetzt.

Es gibt beträchtliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Unternehmensgrößenklassen hinsichtlich der Änderungen der Beschaffungsstrategie (vgl. Abb. 1). Zum einen haben Großunternehmen im Durchschnitt mehr Maßnahmen infolge von Lieferkettenstörungen ergriffen als kleine und mittlere Unternehmen (KMU).

Wichtige Unterschiede zwischen KMU und Großunternehmen

Zum anderen lag der Schwerpunkt der Maßnahmen von Großunternehmen stärker auf der Diversifizierung von Zuliefererstrukturen und dem Lieferketten-Monitoring, während KMU im Vergleich dazu eher auf eine verstärkte Lagerhaltung gesetzt haben. Diese Unterschiede können zum Teil durch die mit den jeweiligen Maßnahmen verbundenen Fixkosten erklärt werden. So kann insbesondere die Diversifizierung von Zulieferern mit erheblichen Kosten verbunden sein, die für KMU nicht immer leicht zu tragen sind.

Unternehmen wollen ihre Lieferketten weiter diversifizerien

Obwohl ein Großteil der deutschen Unternehmen bereits seine Beschaffungsstrategien geändert hat, planen viele Firmen innerhalb der nächsten zwölf Monate noch zusätzliche Maßnahmen. Am häufigsten wird von Unternehmen dabei eine noch stärkere Diversifizierung von Lieferbeziehungen angestrebt. Jedes zweite Unternehmen plant, innerhalb eines Jahres zusätzliche Lieferanten zu finden. Darüber hinaus beabsichtigen rund 30 Prozent der befragten Unternehmen weitere Umschichtungen zwischen bestehenden Zulieferbetrieben. Pläne zur verbesserten Überwachung von Lieferketten und zur Erhöhung von Lagerbeständen werden von rund einem Drittel aller Unternehmen genannt.


Weitere Artikel zum Thema

weitere aktuelle Meldungen lesen