Eine einzige Lösung für zwei aktuelle Probleme?

Gülle und Gärprodukte gelten als potenzielle Phosphorquelle. Ein Verbund aus Forschung und Recyclingindustrie ist überzeugt, diese Ressource jetzt wirtschaftlich erschließen zu können und will dafür ab 2021 mehrere Großanlagen errichten. Gleichzeitig wäre dies eine Lösung zur Minderung der Gülleüberschüsse in einigen Regionen.

Gülleaufbereitung: Eine einzige Lösung für zwei aktuelle Probleme?

Etwa 200 Millionen Kubikmeter Gülle und Gärprodukte bringen Landwirte in Deutschland jährlich auf Feldern und Wiesen aus. Mit dem BioEcoSIM-Verfahren lassen sich die darin enthaltenen Pflanzennährstoffe für eine gezieltere Düngung herauslösen.

Gülleaufbereitung: Eine einzige Lösung für zwei aktuelle Probleme?

BioEcoSIM-Pilotanlage des Fraunhofer IGB in Kupferzell mit einer Verarbeitungskapazität von bis zu 100 kg Gülle bzw. Gärresten pro Stunde.

Weltweit verbraucht die Landwirtschaft nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) jährlich rund 46 Mio. t Phosphat (P2O5). Vor dem Hintergrund des Bedarfs einer wachsenden Weltbevölkerung an Agrarprodukten könne man davon ausgehen, dass der Verbrauch jährlich um zwei bis drei Prozent ansteigt. Doch die Gewinnung des für alle Organismen lebenswichtigen und als Pflanzennährstoff unabdingbaren Phosphors werde zusehends schwieriger. In Marokko, wo sich derzeit die größten bekannten Lagerstätten befinden, aber auch in den Minen der anderen Herkunftsländer Westsahara, China, Südafrika und Jordanien, sei der Phosphatgehalt im Roherz rückläufig. Zudem erhöhten Verunreinigungen den Aufwand für die Aufbereitung. Besonders problematisch sei die zunehmende Belastung des gewonnenen Phosphaterzes mit Cadmium und Uran.

Da Europa für die Herstellung von Phosphordünger nahezu vollständig auf den Import angewiesen ist, klassifiziert die EU Phosphor inzwischen als „kritischen Rohstoff“ und fordert dazu auf, Phosphor im Kreislauf zurückzugewinnen.

EU-Klassifizierung als „kritischer Rohstoff“

Dies ist im Prinzip tatsächlich möglich. Denn der größte Teil des von Mensch und Tier mit der Nahrung aufgenommenen Phosphors wird ausgeschieden. Damit sind die bei der Abwasserreinigung verbleibenden Klärschlämme als auch Exkremente von Nutztieren für die landwirtschaftliche Düngung an sich gut geeignet. Zumal sie mit Stickstoff einen weiteren wertvollen Pflanzennährstoff enthalten. In der Praxis ist dies jedoch, nicht nur wegen der verkürzten Ausbringzeiten gemäß Düngeverordnung, mit Schwierigkeiten verbunden. Bei Klärschlämmen mindert etwa die Diskussion um Mikroplastik und Arzneimittelrückstände zusehends die Akzeptanz. Die Ausbringung tierischer Exkremente wiederum stößt wegen der territorialen Unausgewogenheit an Grenzen. Besonders in den Veredlungsgebieten ist Gülle wegen des hohen Aufkommens und der damit verbundenen Gefahr einer Nährstoffüberversorgung der Böden ein Entsorgungsproblem.

Gülleaufbereitung: Eine einzige Lösung für zwei aktuelle Probleme?

An diesem Punkt setzten die Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart mit dem von ihnen entwickelten BioEcoSIM-Verfahren an. Als Produkte bei der Aufbereitung von Gülle und Gärresten entstehen hier Phosphorsalz, Stickstoffdünger in Form von Ammoniumsulfatlösung (ASL) und nährstoffarmes organisches Material als Bodenhilfsstoff für den Humusaufbau. Es verbleibt Wasser, das eingeleitet oder zur Bewässerung eingesetzt werden kann.

Modulares Verfahren zum Recyclen von Phosphor

„Unser patentiertes Verfahren basiert auf der in dieser Form erstmaligen Verknüpfung mehrerer, zum Teil bereits bewährter Technologien. Das modulare Konzept ergänzen darüber hinaus eigene Innovationen, die einen weitgehend automatisierten Betrieb ermöglichen“, erläutert IGB-Wissenschaftler Dr. Iosif Mariakakis. Um Gülle und Gärreste vollständig aufzubereiten, werde der in der Regel neutrale bis leicht basische Input zunächst durch die Zugabe von Säure konditioniert. Ziel der Absenkung des ph-Wertes auf 5 ist die Herauslösung des Phosphors, der zu 90 Prozent in den Feststoffen gebunden ist. „Ein nützlicher Nebeneffekt ist die Vermeidung von Stickstoffemissionen, da ein saures Milieu die Ammoniakbildung bremst“, ergänzt Projektleiterin Dr. Jennifer Bilbao.

Gülleaufbereitung: Eine einzige Lösung für zwei aktuelle Probleme?

Dr. Jennifer Bilbao leitete am Fraunhofer IGB das Forschungsprojekt BioEcoSIM zur Aufbereitung von Gülle und Gärprodukten.

Im nachfolgenden Modul erfolgt die Separation der festen Phase, zunächst mittels groben Filtern auf einen Feststoffgehalt von etwa 5 % und in einer zweiten Phase durch Mikrofiltration. „Die zweistufige Fest-Flüssig-Trennung war eine der verfahrenstechnisch größten Herausforderungen, weil es sich zum Teil um sehr feine Partikel handelt“, bemerkt Mariakakis. Die Verwendung von Flockungsmitteln habe man aber von vornherein ausgeschlossen. Diese würden zwar ein Verklumpen der Schwebeteilchen bewirken und so deren Separation erleichtern, aber die abgetrennte Organik könnte dann wegen der mitgeschleppten Zusätze nicht als Bodenhilfsstoff zum Einsatz kommen. Für die Trocknung der entwässerten festen Phase entwickelten die Wissenschaftler am Fraunhofer IGB ein Verfahren, das mit überhitztem Wasserdampf in einem geschlossenen System und daher besonders energieeffizient arbeitet. Zudem lässt sich die thermische Restenergie in anderen Anlagenmodulen als Prozesswärme einsetzen.

Nährstoffe konzentrieren sich in Flüssigkeit

Während die feste organische Matrix durch die Vorbehandlung weitgehend nährstofffrei ist und sich so ohne Gefahr für die Stickstoff- und Phosphorbilanz auf Ackerböden als humusbildendes Substrat einsetzen lässt, enthält die flüssige Fraktion reichlich gelöste Pflanzennährstoffe. Eine Fällungsreaktion (Prezipitation), ausgelöst durch die Zugabe von Lauge, bewirkt in der nachfolgenden Verfahrensstufe die Herauslösung des Phosphors. Bei der Filtrierung des Sediments, das dabei entsteht, kommt ebenfalls eine Innovation des Frauenhofer IGB zur Anwendung. Mariakakis erklärt, worum es dabei geht: „Die Partikelgröße des als Calciumphosphat, Magnesiumphosphat und Magnesiumammoniumphosphat gefällten Rohstoffs liegt üblicherweise bei 10 bis 30 Mikrometer (μm). In unserem Verfahren wachsen die Partikel auf eine Größe von mindestens 50 μm. Dies vereinfacht die Weiterverarbeitung des recycelten Phosphors beim Düngemittelhersteller.“

Gülleaufbereitung: Eine einzige Lösung für zwei aktuelle Probleme?

Das BioEcoSIM-Verfahren liefert neben mineralischen Ammonium- und Phosphordüngern auch humusbildende Bodenverbesserer.

Gülleaufbereitung: Eine einzige Lösung für zwei aktuelle Probleme?

Mit dem BioEcoSim-Verfahren entstehen aus Gülle wertvolle Phosphordünger (hinten), Stickstoffdünger (rechts) und Bodenverbesserer (vorn).

Abschließend wird Stickstoff zurückgewonnen. Hierzu leitet das System die wässrige Fraktion in eine Zelle mit Polymer-Membrankontaktoren. Sie sind nur durchlässig für Gase, sodass in der Flüssigkeit gelöstes Ammoniak über die Membran diffundiert und durch Zugabe von Schwefelsäure zu Ammoniumsulfatlösung (ASL) reagiert. Die Weiterverarbeitung des Flüssigdüngers zu einem Pulver ist durch Kristallisation möglich. Übrig bleibt Wasser, das nur noch Spuren von Phosphor und Stickstoff, aber viel Kalium enthält und optimal zur Bewässerung eingesetzt werden kann. „An den Technikumsanlagen in Kupferzell gelang es, 90 % des im Input enthaltenen Phosphors und Stickstoffs zu recyclen, nämlich aus 1,2 t Input 83 kg Feststoff, 7 kg Phosphatsalze und 21 kg Ammoniumsulfat“, informiert Bilbao. Hochgerechnet ließen sich aus der Aufbereitung von 2 Mio. t Gülle oder Gärresten, das entspricht knapp 1 % der Menge, die Landwirte in Deutschland jährlich auf Feldern und Wiesen ausbringen, 14.000 t Phosphorsalze zurückgewinnen. Das wären neun Prozent des Imports an mineralischem Phosphor.

Bundesweit sollen sechs Anlagen entstehen

Mit dem BioEcoSIM-Verfahren ließen sich also zwei Probleme gleichzeitig lösen: Die Entschärfung des Gülleüberflusses und der sich abzeichnende Phosphormangel bei der Düngerherstellung. Daher plant das Entsorgungsunternehmen SUEZ Deutschland GmbH, das die Lizenz für die Technologie erwarb, die Errichtung großtechnischer Anlagen mit einer Verarbeitungskapazität von 15 bis 20 m³/h auch in Regionen, wo infolge der Viehdichte das Interesse an einer Gülleaufbereitung besonders groß ist.

„Wegen der zu geringen Marktpreise können sich die Anlagen nicht allein aus dem Erlös der Produkte amortisieren“, sagt Kai Bastuck, Leiter Geschäftsfeldentwicklung Recycling und Recovery bei SUEZ. Bei den Annahmepreisen werde man sich aber in Zusammenarbeit mit der Güllebörse daran orientieren, was bislang für die Entsorgung gezahlt wird, so dass sich für die Viehhalter schon durch die kürzeren Transportwege ein Vorteil ergebe. Als möglichen ersten Standort nennt Bastuck den Landkreis Grafschaft Bentheim, wo es bereits Gespräche mit Kooperationspartnern gebe. Der Baustart soll möglichst noch in diesem Jahr, falls sich durch die Corona-Pandemie Behinderungen ergeben, spätestens Anfang 2021 erfolgen. Insgesamt will SUEZ in den nächsten Jahren bis zu sechs Anlagen mit einer Jahreskapazität von jeweils bis zu 150.000 m³ in Schleswig-Holstein, Ostfriesland, NRW, Niedersachsen und Bayern errichten.

Bereits seit Mitte vergangenen Jahres testet SUEZ mit Sitz in Wesseling (NRW) das Verfahren in einem eigens dafür errichteten Technikum mit einer Kapazität von maximal 2.000 l/h am Standort Zorbau (Sachsen-Anhalt). „Bei den Versuchen im Dauerbetrieb mit unterschiedlichen Einsatzstoffen hat sich gezeigt, dass Schweinegülle besonders unprob-lematisch ist. Während Gärreste doch mehr Aufmerksamkeit bei der Anlagensteuerung erfordern, insbesondere wegen der Schwankungen beim Trockensubstanz-anteil“, berichtet der Manager. Auch spiele der Eisengehalt eine Rolle. Der sei beispielsweise in Gärprodukten aus der Bioabfallvergärung mit Fleischanteil besonders hoch. Da Eisen Phosphor bindet, entstehe als Produkt dann eher Langzeitdünger für die Rasenpflege.

Qualität der Produkte entspricht den Erwartungen

Abgesehen von Kinderkrankheiten, die man inzwischen im Griff habe, arbeite die Versuchsanlage stabil. Die Analyse der separierten Feststoffe habe bestätigt, dass sie nährstoffarm sind. Ein Erdenwerk möchte daraus ein neues Bodensubstrat als Torf-ersatz auf den Markt bringen. Die Phosphatsalze hätten zwar eine andere Konsistenz als importiertes Rohphosphor, ließen sich aber in der Düngemittelindustrie verarbeiten. ASL habe inputunabhängig einen Stickstoffgehalt von 38 bis 42 % und erfülle somit die Anforderungen an einen marktfähigen Dünger.

„Jetzt müssen nur noch die Behörden vor allem bei der Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz mitspielen, dann kann es los gehen“, meint Bastuck und hofft beim Recyclen des „kritischen Rohstoffs“ Phosphor auch auf eine entsprechende, im vergangenen Jahr gestartete, EU-Initiative.


Weitere Artikel zum Thema

weitere aktuelle Meldungen lesen