Am Gängelband der Politiker

Weniger die Zyklen der Agrarrohstoffmärkte oder das Wetter als vielmehr die Politik bestimmten 2019 die Investitionsbereitschaft der Landwirte in Landtechnik. Dieser Trend dürfte auch kommendes Jahr die Erfolge der Branche beeinflussen. Dazu kommen neue, disruptive Entwicklungen wie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder neue Antriebskonzepte.

Globale Landwirtschaft: Am Gängelband der Politiker

CNH Industrial-Visionen: Der jetzt präsentierte Iveco Nikola-Lkw soll bereits 2021 vollelektrisch vom Band laufen, 2022 dann per Brennstoffzelle angetrieben.

Globale Landwirtschaft: Am Gängelband der Politiker

Steyr fährt Versuche mit einem Hybrid-Traktor. Getankt werden Diesel und elektrischer Strom.

Die Lichter blitzten in grellen Farben, aus den Boxen wummerte elektronischer Disco-Sound, Kunstnebel tauchte die riesige Halle des einstigen Eisenbahnwerks in Turin in unwirkliches Licht, als sich große Spiegelwände beiseite drehten und den Blick auf das neueste Produkt des Mutterkonzerns von Case IH, New Holland, Steyr und Iveco preisgaben: Den Nikola, einen per Brennstoffzelle, also mit Wasserstoff angetriebenen Elektro-Lkw. Doch bei dem Sattelschlepper auf Strom soll es im Hause von CNH Industrial nicht bleiben, wie CNH-Chef Hubertus Mühlhäuser verkündete: „Wir werden die Technologie bald auch im Off-Highway-Segment einbauen.“ Off-Highway – das sind schlicht Land- und Baumaschinen.

Was immer auch für Mühlhäuser „bald“ bedeutet, für den großen Visionär Jules Verne war die Wasserstofftechnik schon in seinem Roman „Die geheimnisvolle Insel“ von 1874 Realität. Vor 145 Jahren wurde von Wasser als der Kohle von morgen geträumt, der mittels Elektrolyse gewonnene Wasserstoff treibt dann Schiffe und Lokomotiven an – Lkw oder Traktoren gab es zu Vernes Zeiten noch nicht – und erzeugt Wärme. Heutzutage heißt die Kombi aus Strom und Wärme Sektorenkopplung, und wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen sorgten schon beim ersten bemannten Flug zum Mond vor 50 Jahren für Energie.

Testfahrten waren in Turin mit dem Strom-Brummi noch nicht möglich. Es fehlte dem mit viel digitaler Technik ausgestatteten Gerät auf Basis der neuen Iveco S-Baureihe schlicht noch am Herzen. Denn Nikola, der amerikanische Joint-Venture-Partner von Iveco bei diesem Projekt, hatte weder die benötigten Batterien für einen Lkw noch die passende Brennstoffzelle schon parat. Letztere wird von Nikola-Investor Bosch entwickelt, wie Nikola-Gründer Trevor Milton verriet, der Lieferant für die Akku-Pakete wird erst noch bestimmt. Immerhin, einen Zeitplan gibt es: 2021 soll der erste vollelektrische Nikola-Lkw aus dem Magirus-Werk in Ulm rollen, 2022 dann der erste Brummi mit Wasserstoff als Energielieferant.

Ohne den Diesel geht es nicht

Bis die Null-Emission dank Wasserstoff auf Wiesen und Äckern Einzug hält, werden allerdings noch viele Jahre vergehen. Batteriegetriebene Elektro-Schlepper wiederum machen weder technologisch noch von der Energie- und Umweltbilanz her Sinn. „Der Dieselmotor bleibt vorerst der umweltfreundlichste Antrieb, im Vergleich zu stromgetrieben Geräten wird per saldo wesentlich weniger Kohlendioxid bei der Arbeit auf dem Feld emittiert“, erklärte CNH-Chef Mühlhäuser denn auch schon auf der Agritechnica. „Die Elektrifizierung in unserer Sparte geht nicht über Batterien, sondern nur über Brennstoffzellen. Aber leider gibt es noch keinerlei Infrastruktur für Wasserstoff als Treibstoff für die Zellen.“ Auch für die Praxis-erprobung der Iveco-Nikola-Trucks muss erst noch ein eigenes Tankstellen-Netz aufgebaut werden. Doch im Gegensatz zu agrarischen Bedürfnissen fahren viele Lkw feste Touren im Linienverkehr.

Den Anteil dieselgetriebener Maschinen sieht Mühlhäuser dennoch schrumpfen: „Es geht hin zu mehr Erdgas- oder Biogas-Motoren wie man sie schon bei den Lkw sieht. Auch das nehmen wir schon mit in die Agrartechnik.“ Die CNH-Konzerntochter FPT (früher Fiat Powertrain) als einer der größten Motorenlieferanten weltweit hat auch schon reichlich Erfahrungen mit Gas-Motoren für Lkw und auch erneut einen gasbetriebenen Schlepper auf der Messe in Hannover präsentiert. Zumindest was die Ausgaben für Forschung und Entwicklung angeht, dürfte sich die Landtechnik von CNH nun an die Spitze der Branche gesetzt haben: „Wir planen in den nächsten Jahren 5,6 Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung zu stecken“, so Mühlhäuser.

Premiere aus Weißrussland

Zumindest was „Null-Emission“ angeht, überraschte Anfang Dezember der weißrussische Hersteller Gomselmash. Das Unternehmen stellte einen Mähdrescher vor, der vollständig mit Flüssiggas angetrieben wird und damit die Stage-5-Abgasnormen erfüllt, ohne AdBlue oder Partikelfilter. Seit 2014 hatten die Weißrussen an dem Gerät entwickelt. Der Achtzylindermotor von Cummins leistet 350 PS und soll genug Tankkapazität haben, um damit zehn Stunden unter Volllast oder sogar zwölf Stunden bei leichter Belastung zu laufen. Die Wiederbetankung soll nur zehn Minuten dauern. Als Verkaufspreis gaben die Gomselmash-Entwickler etwa 200.000 Euro für das herkömmliche Dieselmodell an, die Gas-Version soll nur 5000 Euro mehr kosten und diesen Unterschied schnell einfahren, weil Methan rund 60 Prozent günstiger sei als Diesel. Zudem könne der Treibstoff aus hofeigenen Biogasanlagen gewonnen werden.

Doch auch die Gasmotoren werden ihre Praxistauglichkeit erst noch auf dem Feld beweisen müssen. Einen neuen Beleg für einen seit Jahren anhaltenden Trend in der Bodenbearbeitung liefert indes eine diesen Monat veröffentlichte Studie der Stanford-Universität, bei der Künstliche Intelligenz und Satellitendaten kombiniert wurden. Sie kommt zu dem Schluss, dass durch weniger tiefe Bodenbearbeitung gleichzeitig fruchtbare Böden erhalten und die Erntemenge gesteigert werden kann. Dazu verglichen die Forscher Böden im Mittleren Westen der USA, die entweder tief umgeackert oder nur oberflächlich bearbeitet wurden. Studienleiter Jillian Deines: „Weniger Bodenbearbeitung ergibt eine Win-Win-Situation für die Farmer.“ Zumindest auf den typischen Böden des sogenannten Corn-Belts, wo hauptsächlich Mais und Soja angebaut werden. Gesunde, humusreiche Böden speichern mehr Kohlenstoff als degradierte und sie sind widerstandsfähiger gegen Extremwetterereignisse.

Aus ihren Daten errechneten die Forscher für die sanfte Bodenbearbeitung beim Mais eine Steigerung der Erntemenge um 3,3 Prozent, bei Soja immerhin noch um 0,74 Prozent. Je nach Bodenbeschaffenheit könne das Ernteplus aber auch auf mehr als acht Prozent steigen. Was auf den ersten Blick wenig klingt, macht durch die Bedeutung der US-Farmer für den Weltmarkt enorm viel aus: Allein beim Mais würde die Mehrproduktion von elf Millionen Tonnen der Gesamtproduktion von Ländern wie Südafrika, Indonesien, Russland oder Nigeria entsprechen. Für das schöne Szenario der Gelehrten gilt allerdings eine Einschränkung: Die besseren Ergebnisse sind erst nach etwa elf Jahren der Umstellung in der Bearbeitung der Äcker zu erwarten. Dennoch liegt die geringere Bodenbearbeitung im Trend, bereits 35 Prozent der US-Farmer setzen laut der Studie bereits auf Striegel statt Pflug.

Während allerdings Landtechniker, Wissenschaftler und zunehmend eigentlich branchenferne Start-ups an der Verbesserung der Effizienz in der Landwirtschaft für die notwendig steigende Produktion bei gleichzeitiger Verbesserung der Umweltbilanz arbeiten, scheint die Politik für die Agrarier nur Kontraproduktives bereit zu halten.

Beispiel Großbritannien: Ähnlich wie hierzulande bereits geschehen, bereiten die Farmer im Vereinigten Königreich für die kommenden Wochen Protest-Rallyes an, die den Bürgern die Bedeutung der Landwirtschaft für die britische Wirtschaft verdeutlichen sollen. Vor allem mit dem Hinweis auf eine Brexit betonte Minette Batters, Vorsitzende des britischen Bauernverbands, dass es überlebensnotwendig für die Farmer sei, dass sie ihren fairen Anteil an der Wertschöpfungskette von Agrargütern bekämen. Das sei auch wesentlich nach einem Brexit, um die hohen Lebensmittelstandards im Inselreich halten zu können. Die Bauern jenseits des Ärmelkanals fürchten nämlich, dass die Regierung in London bei der nötigen Verhandlung neuer Handelsabkommen mit zig unterschiedlichen Staaten zu viele Zugeständnisse machen wird, nur um die Nachteile des Brexits schnell zu verschleiern.

Dabei sind die naheliegenden Probleme der Ökonomen aus dem Königreich noch gar nicht im Ansatz gelöst. Zwar horten sie bereits wichtige Ersatzteile, um Staus bei Zollkontrollen abfedern zu können, doch wie Boris Johnson als möglicher Premier auch nach den Wahlen vom vergangenen Wochenende die EU-Zahlungen an die Landwirte ausgleichen will, ohne in anderen Bereichen massiv zu sparen, hat er nicht verraten. Und wie teuer Landtechnikimporte dann ausfallen ist ebenso ungeklärt.

Indien wächst weiter

Während Großbritanniens Agrarbranche im ablaufenden Jahr auch bei den Einkommen auf der Stelle trat, stehen die Zeichen in der einstigen Kronkolonie Indien weiter auf Wachstum.

Indiens Agrar- und Lebensmittelmarkt ist im zurückliegenden Jahr um rund sieben Prozent gewachsen. Vor allem bei Milchprodukten, Hülsenfrüchten und Zucker legten die Märkte auf dem Subkontinent zu, während bei Getreide und vor allem Reis die Produktionsmengen stagnierten. Die Pläne der Regierung in Neu-Delhi sind trotzdem ambitioniert: Bis 2022 sollen sich allein die jährlichen Agrarexporte auf einen Wert von 60 Milliarden US-Dollar verdoppeln. Eine nicht unwesentliche Rolle sollen dabei Produkte aus der Biolandwirtschaft spielen. In der Vergangenheit konnte Indien überschüssiges Getreide oft nicht international vermarkten, weil die Pflanzen mit Pestiziden behandelt wurden, die etwa in der EU nicht zugelassen sind.

Die Umstellung der indischen Landwirte auf schonendere Anbaumethoden infolge dieser Einschränkungen hat erste Auswirkungen auf die indischen Dünger- und Pflanzenschutzmittel-Hersteller: Ihre Aktienkurse sanken das ganze Jahr über, nachdem auch die Umsätze der Unternehmen gesunken waren. Auch Indiens Landtechniker mussten 2019 mit sinkenden Umsätzen auskommen. Doch nachdem sich die Regierung nach den Wahlen im Frühjahr nun in ihrer zweiten Amtszeit eingerichtet hat, sollte es wieder bergauf gehen, wie etwa Rajesh Jejurikar, Vorstandsmitglied von Indiens größtem Traktorhersteller Mahindra und Leiter der Sparte Landtechnik, überzeugt ist: „Unsere Bauern brauchen Mechanisierung.“ Und zwar bezahlbare. Was das bei Mahindra bedeutet, machte Jejurikar auch klar: „Was in Europa etwa 20.000 Dollar kostet, soll bei uns für die Kleinbauern etwa 3.000 bis 4.000 Dollar kosten.“ Als Leistungsobergrenze bei den Traktoren für den heimischen Markt sieht der Mahindra-Vorstand 65 PS. Für ausländische Landtechnikhersteller bleiben also vorerst nur indische Großbauern interessant.

Trump und andere Katastrophen

Was den Briten vielleicht noch bevorsteht, müssen die US-Farmer längst am eigenen Leibe erfahren: Sie werden die Geister nicht mehr los, die sie selbst gerufen haben. Wobei der Geist Donald Trump heißt und mit dem von ihm entfachten Handelsstreit mit China, aber auch mit der EU oder den US-Nachbarländern Mexiko und Kanada, die Agrarmärkte verunsichert, blockiert oder verändert. Wie die Federal Reserve Bank von Kansas City jüngst berichtete, sind ausgerechnet in den typischen Agrarregionen Colorado, Kansas, Nebraska, Oklahoma, Wyoming und Teilen von West-Missouri sowie New Mexico die Farmeinkommen in diesem Jahr deutlich gesunken. Regenfluten verhinderten eine frühe Aussaat, mehr als 460.000 Hektar Ackerland in den USA wurden in Folge nicht bepflanzt. Anschließend sorgten eine Dürre und früher Frost samt Schneefall im Herbst für schlechte oder ausgefallene Ernten. Entsprechend sind auch die Investitionen in Saatgut, Dünger oder Landtechnik gesunken – und dieser Trend wird laut den Bankern auch weiter anhalten.

Als wesentliche Ursache für die sinkenden Einkommen haben die Experten aber auch eindeutig Trumps Handelszwist ausgemacht. Selbst die erhöhten staatlichen Hilfen, mit denen der US-Präsident seine Wähler bis zur Entscheidung über die nächste US-Präsidentschaft im kommenden Herbst beruhigen will, haben für die Farmer negative Folgen: Das zusätzliche Geld im Markt macht Kredite und den Einkauf von Rohstoffen teurer. Wer noch nicht aufgeben will, muss sich trotzdem verschulden. Im Bundesstaat Iowa etwa sind die Schulden der Farmen laut einer Untersuchung der Ohio State University auf den bisherigen Rekordwert von 18,9 Milliarden Dollar gestiegen. 44 Prozent der Mais- oder Eierproduzenten haben nach einem Report der Iowa State Universität Probleme, ihre Schulden zu tilgen.

Die 28 Milliarden Dollar, die Trump zur Abmilderung der Folgen seiner Außenpolitik in den vergangenen zwei Jahren den Bauern zusätzlich ausschütten ließ, zeigen also wenig Wirkung. Im September dieses Jahres stieg die Zahl der Farm-Pleiten auf das höchste Niveau seit 2011, damals hatten Extremwetterlagen die Ernten einbrechen lassen. Dabei haben sich die Milchpreise während der vergangenen Monate mit 40 Prozent plus deutlich erholt. Ein Grund dafür ist allerdings, dass viele Milchbauern Teile ihrer Kuhbestände zum Schlachter brachten, weil der Unterhalt zu teuer wurde.

Globale Landwirtschaft: Am Gängelband der Politiker

Neben der „großen Politik“ sorgt auch die Trockenheit in vielen Ländern für Ebbe in den Kassen der Landwirte.

Die Trumpsche Politik hat Folgen, die weit über eine präsidiale Amtszeit hinausgehen werden, fasste die American Farm Bureau Federation, der größte nationale Bauernverband des Landes, vor kurzem zusammen. Nach ihren Untersuchungen werden die einst freien Bauern der USA, immer stolz auf ihr Unternehmertum, zunehmend von Handelshilfen oder anderen staatlichen Unterstützungsprogrammen abhängig. Fast 40 Prozent ihrer Einkommen – rund 33 Milliarden Dollar insgesamt – stammen schon jetzt aus Subventionen, Handelszuschüssen, Katastrophenhilfen, vergünstigten Krediten oder Versicherungsrabatten.

Das US-Landwirtschaftsministerium, das in der Vergangenheit immer sehr transparent über die Entwicklungen der Branche informierte, hält sich unter Trump-Kumpel und Minister Sonny Perdue dieses Jahr mit Daten sehr zurück. Eine positive Zahl immerhin wurde jüngst von Perdue veröffentlicht: Der Gesamtwert aller US-Farmen, Schulden nicht angerechnet, soll 2019 um 1,8 Prozent steigen. Die Inflation hat die Trump-Administration da wohlweißlich nicht berücksichtigt, gäbe es zu 2018 doch keine Verbesserung.

Keine Impulse aus den USA

Unter diesen Voraussetzungen ist klar, dass vom größten und wichtigsten Agrartechnik-Markt der Welt im kommenden Jahr keine Impulse für ein Wachstum der Branche ausgehen werden. Im Gegenteil, die bis zu fünf Prozent globaler Umsatzrückgang, die von Fachverbänden prognostiziert werden, dürften zu einem guten Teil auf das Konto der US-Politik gehen. Der Großstädter Donald Trump wird das nicht verstehen, ebenso wenig, wie seine Behauptungen mit der Realität standhalten können. So erklärte er Anfang Dezember zum Handelsstreit mit China, das kommunistische Land hätte ihm zugesagt, den USA 2020 Agrarprodukte im Wert von 40 bis 50 Milliarden Dollar abzunehmen. Die Fakten zum Vergleich: Der höchste Jahreswert chinesischer US-Agrarimporte vor Beginn des Handelskrieges waren 24 Milliarden Dollar im Jahr 2012, 2018 waren es rund 9,2 Milliarden.

Chinas Horror Schweinepest

Die Parteiführung in Peking hat sich längst nach anderen Quellen umgesehen. 2017 machte Soja noch rund zehn Prozent der US-Exporte nach China aus, Wert damals 12,5 Milliarden Dollar. Inzwischen stützt der Sojahunger der Chinesen die großen Agrarproduzenten in Südamerika, Brasilien und Argentinien. Die für Landwirtschaft und Ernährung zuständigen Parteikader haben ohnehin andere Sorgen: Die Hälfte des chinesischen Schweinebestandes fiel bereits der Afrikanischen Schweinepest zum Opfer oder wurde vorsorglich gekeult. Ende vergangenen Jahres war der Bestand noch auf 300 bis 350 Millionen Tiere geschätzt worden. Zum Vergleich: In Deutschland wurden im Mai dieses Jahres knapp 26 Millionen Schweine gehalten. Experten schätzen den direkten wirtschaftlichen Schaden für Chinas Schweinebauern bereits auf umgerechnet rund 127 Milliarden Euro.

Auf der anderen Seite hat die Seuche auch Chinas Nachfrage bei Soja für die Schweinemast einbrechen lassen. Seine Zahlen für Agrarimporte gibt das Reich der Mitte traditionell nicht bekannt, um auf den internationalen Märkten bessere Einkaufsbedingungen aushandeln zu können. Doch Anbieter von Schweine-, Rind und Geflügelfleisch von Neuseeland bis nach Deutschland berichten von stark steigender Nachfrage aus China. Für die westlichen Landtechniker erfüllt sich so die Hoffnung auf eine schnellere Mechanisierung von Chinas Landwirtschaft – auch durch die anhaltende Landflucht – vorerst nicht, die Exporte dorthin wachsen im niedrigen einstelligen Bereich.

Afrika weiter im Aufbruch

Der Appetit Chinas auf Agrarrohstoffe aus Afrika wächst hingegen deutlich. Auch deshalb waren am 10. Dezember rund 500 Agrarexperten aus vielen Staaten Afrikas beim ersten Agrarforum der China-Africa Cooperation in Sanya in der Provinz Hainan zu Gast. Um etwa 14 Prozentpunkte jährlich steigt das Handelsvolumen für Agrargüter zwischen dem Kontinent und der Volksrepublik – wobei die Waren im Prinzip nur in Richtung Asien wandern. 2018 betrug der Wert des Handels rund 6,9 Milliarden US-Dollar, so Chinas Landwirtschaftsminister Han Changfu, bis Ende des Jahrzehnts soll die Summe auf mindestens zehn Milliarden Dollar gewachsen sein.

Doch eigentlich bräuchte Afrika seine Agrargüter selbst, schließlich hat es die am schnellsten wachsende Bevölkerung der Welt. Gleichzeitig sorgt eine unerwartet lang anhaltende Dürre im Süden des Kontinents für massive Ernteausfälle. Allein in Südafrika, dem zuverlässigsten Lebensmittelproduzenten des Kontinents, sind jetzt schon fast 40 Prozent der aktuellen Ernte durch die Dürre in Gefahr. Selbst durch den neuen Freihandelsvertrag, dem die meisten afrikanischen Staaten vor Kurzem zugestimmt haben und der den Warenaustausch sowie den Ausbau der Infrastruktur im Binnenland verbessern soll, kann diese Verluste nicht ausgleichen. Umso mehr tut die Mechanisierung und Professionalisierung der afrikanischen Landwirtschaft Not. Afrikanische Experten fordern deshalb Kreditabsicherungen etwa für Landtechnik-Importe aus Europa und die Ausbildung professioneller Landwirte.

Nachholbedarf in Russland

Dennoch wird Afrika, und hier vor allem der Norden mit Agypten oder Marokko, noch viele Jahre extrem auf Agrarimporte angewiesen sein. Diese decken die Nordafrikaner, aber ebenso der Nahe und Mittlere Osten, zunehmend aus Russland. Nachdem das Reich von Wladimir Putin wegen westlicher Sanktionen aufgrund der Krim-Krise viele Agrarimporte gestoppt hatte, musste sich die Landwirtschaft zwischen Sankt Petersburg und Wladiwostok auf ihre eigenen Fähigkeiten besinnen. Mit Erfolg: Die Ernten 2028/2019 fielen trotz regionaler Trockenheiten gut aus und die zunehmende Professionalisierung sorgt für auskömmliche Margen. Die Gewinne aber investierten vor allem die Groß- agrarier im ehemaligen Zarenreich weniger in neue Technik, als in den Ankauf von Land, berichtet zumindest Bjoerne Drechsler, Mitglied des Vorstands der Ekotechnika. Das Unternehmen ist einer der größten Landtechnikhändler Russlands und setzte im Geschäftsjahr 2018/2019 mit Produkten von John Deere oder JCB rund 160 Millionen Euro um. „Für das laufende Geschäftsjahr gehen wir aufgrund des dringend notwendigen Investitionsbedarfs in den Maschinenparks vieler russischer Landwirte allerdings von einer deutlichen Steigerung beim Neumaschinen-Absatz aus“, so Drechsler. Solchen Optimismus konnte Reinhard Grandke, Hauptgeschäftsführer der DLG, auf der Agritechnica für Westeuropa nicht verbreiten. Er sieht die Geschäftserwartungen für die Landtechnik in Deutschland, Frankreich, Polen unverändert durchschnittlich – auch in Großbritannien, trotz der weiterhin unklaren Brexitlage – „also auf hohem Niveau“.

Trotz unterschiedlicher Investitionsbereitschaft liegen laut Grandke insbesondere die Schwerpunkte in Deutschland, Frankreich und Russland bei der Bodenbearbeitungstechnik. Einerseits durch den Trend zu mehr mechanischer Unkrautbekämpfung, andererseits aber auch aufgrund des hohen Verschleißes.

Mehr Sorgen machten einer Expertenrunde auf der Messe neue Forderungen der Politik oder von Nichtregierungsorganisationen an die Bauern. DLG-Präsident Hubertus Paetow etwa klagte: „Wir kommen von der Produktivitätssteigerung und müssen uns nun mit den Herausforderungen um Wasser, Umwelt, Klima und Tierwohl stellen.“ Dabei würde das wichtigste Ziel der Landwirtschaft – Ernährungssicherheit – zu Unrecht in den Hintergrund gedrängt. Unterstützung bekam er von Hubertus Mühlhäuser („Die Sicht der Menschen auf die Landwirtschaft ist gefühlsgetrieben und Fakten zählen nicht viel.“) sowie von Wilfried Aulbur, Senior Partner bei Roland Berger: „Der romantischen Story der Landwirtschaft, wie sie die Städter sehen, müssen wir die Fakten entgegenhalten.“ Die geringste Sorge droht Bauern und Landtechnikern hingegen, weil Schweinefleisch verstärkt nach China geht und die Ernte bei der Braugerste schmal ausfiel. Dadurch, so DLG-Funktionär Grandke, erwarte man allenfalls „eine regionale Schnitzel- und Bierknappheit“.

Was für die Aktienkurse der großen börsennotierten Landtechnik-Konzerne in 2020 zu erwarten ist, lesen Sie auf den nächsten Seiten.

Carl Batisweiler


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