Der dritte Weg

Neues Agrarsystem zwischen konventionell und ökologisch – Universität Hohenheim koordiniert 5,3-Mio.-Euro-Verbundprojekt für Landwirtschaft ohne chemischen Pflanzenschutz, aber mit optimiertem Düngereinsatz

Forschung: Der dritte Weg
Forschung: Der dritte Weg

Sie stellen eine komplette Neuorientierung in der landwirtschaftlichen Produktion dar: die sogenannten NOcsPS‐Anbausysteme, die auf chemische Pflanzenschutzmittel verzichten, aber Mineraldünger einsetzen. Im neuen Verbundprojekt „LaNdwirtschaft 4.0 Ohne chemisch‐synthetischen PflanzenSchutz“ (NOcsPS), das die Universität Hohenheim in Stuttgart jetzt vorgestellt hat, wollen die Verbundpartner diese neue Ackerbaustrategie entwickeln und untersuchen – vom Feld bis auf den Markt. Das neue „Agrarsystem der Zukunft“ soll die Vorteile der konventionellen und der ökologischen Landwirtschaft miteinander vereinen und deren jeweiligen Nachteile so weit wie möglich reduzieren. Beteiligt sind neben dem Koordinator Universität Hohenheim auch das Julius Kühn-Institut (JKI) und die Universität Göttingen.

Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Nahrungsmitteln und Umwelt, negative Folgen für die Artenvielfalt – der Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel stößt bei Verbrauchern auf immer mehr Skepsis. Doch die Alternative, der Ökolandbau, könnte die Weltbevölkerung nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen.

Dieses Dilemma soll nun ein völlig neuer Ansatz lösen: Landwirtschaft ohne chemisch-synthetischen Pflanzenschutz, aber mit Mineraldünger. „Zum Einsatz kommen modernste automatisierte und digitalisiert vernetzte Technologien, die biologischen Prinzipien folgen“, erklärt der Sprecher des Forschungsverbunds Prof. Dr. Enno Bahrs von der Universität Hohenheim. „Ziel sind hohe Erträge mit qualitativ hochwertigen Produkten bei gleichzeitiger Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, auch durch den Einsatz mineralischer Dünger.“

Versuche zeigen NOcsPSSysteme im Vergleich

Die Forscher nehmen dafür die gesamte Wertschöpfungskette ins Visier – von Züchtung und Produktqualität über das Management von Resistenzen und Schadorganismen bis zur Betriebswirtschaft, der gesellschaftlichen Wahrnehmung und den Effekten auf das Ökosystem. Dazu führen sie Gefäßexperimente, Feldversuche und Laboranalysen aber auch Systemvergleiche, Befragungen und Betriebsanalysen durch.

„Zunächst werden Flächen auf dem Meiereihof, einem Versuchsbetrieb der Universität Hohenheim, auf NOcsPS-Anbausysteme umgestellt“, erklärt Prof. Dr. Ralf Vögele, Dekan der Fakultät Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim. „Parallel dazu laufen Versuche unter anderem auf den Flächen des JKI in Dahnsdorf, und später kommen Flächen von Landwirten in ganz Deutschland dazu.“

Der Versuch in Hohenheim umfasst sechs Anbausysteme – mindestens drei NOcsPS-Systeme sowie zwei konventionelle und ein ökologisches als Vergleichsvarianten. „Die NOcsPS‐Anbausysteme benötigen eine andere Fruchtfolge aus Halm‐ und Blattfrüchten, mit Winter- und Sommerfrüchten“, erläutert Vögele. „Neben Getreide und Mais werden auch Eiweißpflanzen und Zwischenfrüchte integriert. Das dient dem präventiven Pflanzenschutz und dem Humusaufbau im Boden.“

Smart Farming ist zentraler Aspekt

Ziel dieser Versuche sei es zu untersuchen, wie sich der Anbau ohne chemische Pflanzenschutzmittel, aber mit Mineraldünger auf das Pflanzenwachstum auswirkt. „Wir erfassen die Folgen auf Schaderreger, Unkräuter und den Ertrag“, so Prof. Dr. Vögele. „Außerdem prüfen wir die Wirkung auf bestäubende Insekten und auf den Boden.“

Ein zentraler Aspekt sei dabei vor allem der Bereich Smart Farming, hebt Vögele hervor. „Denn ohne chemische Pflanzenschutzmittel gewinnt etwa die Unkrautbekämpfung durch automatisierte und digitalisierte Hacktechniken an Bedeutung.“ Und das gelte auch beispielsweise für die Technik zur Düngerapplikation und für Saat- techniken.

Auch bei den verschiedenen Schadinsekten und Schadpilzen seien Veränderungen durch das neue System zu erwarten, erklärt Prof. Dr. Vögele. „Hier brauchen wir bessere Prognosemodelle, um darauf reagieren zu können – etwa mit den Mitteln des biologischen Pflanzenschutzes oder bereits in der Züchtung.“

Produktqualität bestimmt Vermarktung

Im nächsten Schritt nehmen die Forscher die Produktqualität unter die Lupe. „Denn von den Eigenschaften der Produkte hängt deren Vermarktungsfähigkeit ab“, legt Prof. Dr. Bahrs dar. In Kooperation mit Unternehmenspartnern würden daher Eigenschaften analysiert, die zum Beispiel für Bäcker oder bei der Tofu-Produktion relevant seien.

Die Daten aus den Feldversuchen dienen außerdem dafür, eine Ökobilanz der Systeme aufzustellen. „Auf diese Weise quantifizieren wir sowohl Umwelt- als auch Naturschutzwirkungen wie etwa auf die Biodiversität oder im Wasserschutz“, so Bahrs.

NOcsPS könnte bisher zweigeteilte Märkte zusammenführen

Schließlich bewerten die Forscher auch die ökonomische und soziale Perspektive des neuen Anbausystems. Sie nehmen Risikoanalysen und Stückkostenrechnungen vor und vergleichen diese Daten mit der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten. „NOcsPS könnte die bislang zweigeteilten Märkte von konventionell und ökologisch stärker zusammenführen“, gibt sich Prof. Dr. Bahrs zuversichtlich.

Das stelle besonders im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen einen großen Gewinn dar, fasst Prof. Dr. Bahrs zusammen: „NOcsPS‐Anbausysteme können sich als neues Agrarsystem mit hohem Anpassungspotenzial an zukünftige Rahmenbedingungen entwickeln. Sie können so eine nachhaltige Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen sichern.“

Hintergrund – Verbundprojekt „LanNdwirtschaft 4.0 Ohne chemisch-synthetischen PflanzenSchutz“ (NOcsPS)

Das Projekt NOcsPS startete am 1. Juni 2019 und läuft über 4,5 Jahre. Die Universität Hohenheim koordiniert das Projekt und bearbeitet 16 Teilprojekte an 20 Fachgebieten. Weitere Projektpartner sind das Julius Kühn-Institut (JKI) mit zwei Teilprojekten und die Universität Göttingen mit einem Teilprojekt. Gefördert wird das Vorhaben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Förderprogramm „Agrarsysteme der Zukunft“ mit knapp 5,3 Mio. Euro, davon rund 4,5 Mio. Euro für die Universität Hohenheim.


Weitere Artikel zum Thema

weitere aktuelle Meldungen lesen