Das Ende der großen, schweren Maschinen?

Im Herbst nächsten Jahres sollen die ersten Prototypen autonomer Gerätemodule des Landtechnikkonzeptes „Feldschwarm“ über den Acker fahren. Der eilbote warf einen Blick auf den aktuellen Projektstand.

Forschung: Das Ende der großen, schweren Maschinen?

Modell einer selbstfahrenden Feldschwarmeinheit mit Wechselmodul für Werkzeuge zur Bodenbearbeitung im Maßstab 1:15.

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Hendryk Eidam, stellvertretender Sprecher des Konsortiums „Feldschwarm“ und Geschäftsführer der Eidam Landtechnik GmbH.

Die Vision eines völlig neuen Maschinenkonzeptes für den Pflanzenbau mittels autonomer kleiner Einheiten nimmt Gestalt an. Dies ergab eine Umfrage bei Partnern des vom Bundesforschungsministerium mit 8,6 Mio. Euro geförderten Projektes „Feldschwarm“. Unter diesem Begriff hatten sich im Juli 2017 sechs mittelständische sächsische Unternehmen, das John Deere European Technology Innovation Center in Kaiserslautern, zwei Institute der Fraunhofer-Gesellschaft, die Technische Universität (TU) Dresden und das Zwickauer Forschungsinstitut ILEAG e. V. zu einem Konsortium zusammengeschlossen. Ziel ist die Entwicklung, Produktion und Vermarktung kleiner, elektrisch angetriebener Maschineneinheiten mit auswechselbaren Werkzeugen für die Bodenbearbeitung und Kulturpflege, die sich zu einem Schwarm kombinieren lassen. Während der Feldarbeit sollen die selbstfahrenden Roboter so untereinander kommunizieren und gemeinsam agieren, dass die Arbeitsaufgabe auf dem zugewiesenen Schlag effizient und ressourcensparend erledigt wird. „Das letzte Wort behält jedoch der Landwirt, der das Wirken des Schwarms auf einem mobilen Gerät verfolgt und gegebenenfalls eingreift“, betont Hendryk Eidam, stellvertretender Sprecher des Konsortiums und Geschäftsführer der Eidam Landtechnik GmbH. Der Feldschwarm breche jedoch mit dem Paradigma größer, schneller, schwerer, das für die bisherige technische Entwicklung in der Landwirtschaft galt.

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Das Bedienkonzept für den Feldschwarm über einen Touchscreen kommt aus dem Bereich Technisches Design der TU Dresden. Auf dem Display lassen sich die Arbeit aller Moduleinheiten und ihr Funktionszustand durch den Wechsel zwischen Fahrzeug- und Prozessmodus überwachen. Die Einblendung von Warnungen und wichtigen Informationen erfolgt automatisch (links). Auf dem Display des Feldschwarm-Bedienterminals können Live-Bilder von einer begleitenden Drohne oder den Bordkameras aufgerufen werden.

Prof. Thomas Herlitzius, Inhaber des Lehrstuhls für Agrarsystemtechnik an der TU Dresden, verweist auf den Umstand, dass bei diesem Maschinenkonzept technologiebedingt alle Prozessschritte genau geplant werden müssen und digitalisiert vorliegen. „Dadurch wird die Produktion transparent und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft wirklich nachweisbar. Wir können dann von jedem Brot sagen, auf welchem Feld das Getreide dafür gewachsen ist“, so der Wissenschaftler. Das Feldschwarmprojekt besetze damit eine Nische zwischen konventioneller und ökologischer Landwirtschaft.

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Die Werkzeug der Feldschwarmeinheiten, hier ein Federzinkengrubber, sind mit RFID-Chips ausgestattet. Ein Auslesegerät identifiziert das Gerät . . .

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. . . und auf dem Bedienterminal werden u. a. Nutzungshistorie und fällige Reparaturen angezeigt.

Markteinführung erster Module für 2022 geplant

Bei der Umsetzung des Vorhabens verfolgen die Projektpartner, die Expertise in den Bereichen Werkstoffwissenschaft, Elektrotechnik, Landmaschinen- und Fahrzeugbau sowie Elektronik und Automatisierung beisteuern, einen ambitionierten Zeitplan. Demnach soll der Prototyp eines Feldschwarmmoduls im Herbst nächsten Jahres auf dem Acker innerhalb des 5G-Testfeldes in Nordsachsen erstmals erprobt werden. Dann läuft die Förderung des Bundesforschungsministeriums im Rahmen des Programms „Regionale Wachstumskerne“ aus. Finanzielle Unterstützung bis zum geplanten Markteintritt 2022 hat das Sächsische Landwirtschaftsministerium unter dem Dach des simul+ InnovationHub zugesagt. In den darauf folgenden Jahren sollen die Produktionszahlen kontinuierlich steigen und ab 2027, ggf. in einem dann zu errichtenden eigenen Fertigungszentrum mit rund 300 Beschäftigten, einen Umfang von jährlich 1.400 Feldschwarm-Einheiten erreichen. Der aktuelle Technologiewandel bietet dem mittelständischen Landmaschinenbau nach Überzeugung der Mitglieder des Konsortiums „Feldschwarm“ die einzigartige Chance, sich durch Bündelung der Kernkompetenzen am Weltmarkt zu etablieren und in zehn Jahren mit einem Jahresumsatz von mehr als 200 Mio. Euro eine führende Marktposition bei autonomen Landmaschinen zu erarbeiten. Zusätzlich rechnet man mit einem jährlichen Umsatz von 10 Mio. Euro bei der Vermarktung der Feldschwarmtechnologie im Sonderfahrzeugbau, etwa im Bereich der Kommunaltechnik.

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Mit Hilfe des Prüfwagens testet die Eidam Landtechnik GmbH Optimierungsmöglichkeiten verschiedener Werkzeuge für die Bodenbearbeitung.

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Das neuronale Netzwerk der Feldschwarmeinheit identifiziert im Kamerabild einzelne Objekte, grenzt sie voneinander ab und ordnet sie einer Klassifikation, in diesem Fall Personen, zu. Rechts die komplette Umfelderkennung.

Bodenbearbeitung mit weniger Kraftaufwand

Bei einer Reihe wichtiger Komponenten für das neuartige Maschinenkonzept habe das Feldschwarm-Projektteam nach Aussage von Hendryk Eidam die vorgesehenen Meilensteine erreicht. Sein Unternehmen selbst sei Kooperationspartner der TU Dresden bei der Konstruktion von Werkzeugen für die Bodenbearbeitung, die sich beispielsweise durch Änderung des Scharwinkels, der Schargeometrie oder der Tiefenführung während der Überfahrt wechselnden Bodenbeschaffenheiten anpassen können. Ziel seien Werkzeuge, in die das selbstfahrende Feldschwarmmodul für das gleiche Arbeitsergebnis weniger Kraft einbringen muss. Für die Untersuchungen wurde bei Eidam ein Prüfwagen gebaut, der die Kraftaufnahme mit hoher Genauigkeit misst und auf einem Display grafisch darstellt. Zusätzlich kann über eine Kamera die Bewegung des Schars, die Wurfweite des Bodens oder das Einarbeiten von Pflanzenresten aufgezeichnet werden.

An der TU Dresden haben Mitarbeiter des Bereichs Agrarsystemtechnik bereits den Grundrahmen für eine Feldschwarmeinheit mit 3 m Arbeitsbreite fertiggestellt. „Er ist deutlich höher angeordnet als bei Geräten dieser Art üblich. So kann das Modul zwischen den Rädern vorn und der Packerwalze hinten, die später mit Elektromotoren für den Vortrieb sorgen, eine breite Palette passiver und aktiver Werkzeugkombinationen aufnehmen“, erläutert Wissenschaftler Martin Hengst. Zur Ausstattung gehören außerdem ein Schnellwechselsystem für Werkzeuge und universelle Kopplungspunkte zur Anbringung von Tanks für Dünger und Saatgut. Jeweils am Vorgewende wird der Scharverschleiß gemessen, um eine automatische Nachjustierung für die Tiefenführung zu ermöglichen. Damit Zinken und Scheiben immer optimal zur Fahrspur laufen, sind sie in der Hochachse lenkbar aufgehangen. Diese Maßnahme gilt ebenfalls der Reduzierung des Energiebedarfs.

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Bei der Rahmenkonstruktion der Feldschwarmeinheiten kommen innovative Leichtbauverbindungen zum Einsatz. Im Bild der geclinchte Knoten einer Fachwerkstruktur.

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Test des Einsatzes von angetriebenen Werkzeugen für die Bodenbearbeitung für den Vortrieb der Feldschwarmeinheiten in der Bodenrinnenanlage der TU Dresden.

Intelligente Umfelderkennung und Navigation

Die IAV GmbH Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr und das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI arbeiten im Verbundprojekt gemeinsam an der in den Feldschwarmeinheiten integrierten Umfelderkennung sowie der Navigation auf dem Acker. Bei der Sondierung des Geländes muss das System zwischen nicht kartierbaren dynamischen Hindernissen (Fahrzeuge, Menschen, Tiere), statischen Hindernissen (Wasserhydranten, Leitungsmasten, Teiche) und semi-statischen Hindernissen (Strohballen, verlorene Ladung, abgestellte Hänger) differenzieren. Dafür entwickelte IAV eine Sensorkombination aus Laserscanner, Stereo-Kamera und Radarsensor im Frontbereich sowie Kameras an den Seiten und am Heck. Aus den Sensoraufzeichnungen entstehen aktuelle Feldkarten mit statischen und dynamischen Hindernissen, die die Feldschwarmeinheiten untereinander austauschen. „Eine besondere Herausforderung ist die Objektklassifikation der Hindernisse“, sagt Ilja Mai vom IAV Development Center Gifhorn. Nur so könne die Maschine unterscheiden, ob es sich beispielsweise bei der Erhebung am Boden eines Getreidefeldes um Erdschollen oder ein sich abduckendes Tier handele und entsprechend reagieren. Die Lösung seien selbstlernende neuronale Netze, die mit Bilddaten trainiert werden. Anhand typischer Merkmale, beispielsweise Umrisse und Bewegungsabläufe, identifiziert die künstliche Intelligenz Einzelobjekte, separiert sie mit einer sogenannten Bowningbox von anderen Objekten und ordnet sie einer Objektklasse zu. „Für das Training und die sichere Erkennung muss allerdings eine Datenbank mit hunderttausenden Bildern zur Verfügung stehen, beispielsweise von Kulturpflanzen in unterschiedlichen Wachstumsstadien und Beleuchtungssituationen“, sagt Mai. Um den Aufbau der Bilddatenbank für das Training des neuronalen Netzes zu beschleunigen, programmierten Ingenieure der IAV eine fotorealistische Simulation, mit der Szenarien, wie das Auftauchen von Fahrzeugen, Tieren oder Menschen in Feldern mit unterschiedlichen Beständen dargestellt werden können.

Den von der künstlichen Intelligenz und den Sensoren bereitgestellten Datenstrom verarbeitet ein zentraler Rechner, an dem unter anderem Gunter Nitzsche vom Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI tüftelt. Das Robotik Operating System steuert alle Aktoren von der Fahrzeuglenkung bis zu den Werkzeugen und bestimmt den optimalen Pfadverlauf für die Ausführung der Feldarbeiten. „Wir wollen, dass der Landwirt den gesamten Schwarm mit wenigen Handgriffen starten kann und jederzeit den Überblick behält“, so Nitzsche.

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Grundrahmen für eine Feldschwarmeinheit mit 3 m Arbeitsbreite mit Schnellwechsel- system für Werkzeugkombinationen und universellen Kopplungspunkten zur Anbringung von Tanks für Dünger und Saatgut.

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Sensorbestückung der selbstfahrenden Geräteeinheiten im Frontbereich mit Laserscanner, Stereokamera, Radar und RGB-Kamera für die Navigation und Umfeld- erkennung.

Innovative Konzepte für Traktion und Energiezelle

Wissenschaftler des Fraunhofer IVI beteiligen sich auch an der Realisierung des Traktionskonzeptes für die Feldschwarmeinheiten. „Wir setzen konsequent auf elektrische Leistungsübertragung mit Fahrmotoren für die Vorderachse und die angetriebene Packerwalze beziehungsweise andere Werkzeuge, die gleichzeitig den Vortrieb unterstützen“, sagt Dr. Holger Fichtl. Da elektrische Antriebe für Landmaschinen am Markt nicht erhältlich seinen, habe man eine Starrachse mit einem 140 kW starken Elektromotor als Antrieb konstruiert. Wie sich diese bei verschiedenen Fahrmanövern, Belastungen und Untergründen verhält, werde gegenwärtig mit Hilfe einer speziellen Software simuliert.

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Fahrantrieb Vorderachse der Feldschwarmeinheit mit E-Motor (140 kW, 450 Nm, max. 6.000 U/min) mit integrierter hydraulischer Lenkung und Bremsung.

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Die dieselelektrische Energiezelle der Feldschwarmeinheiten stellt nicht nur Strom für die Antriebe sondern auch Hydraulik- power und Kühlenergie für die E-Motoren bereit.

Die Rahmenentwicklung und die Montage der Feldschwarmmodule liegt in den Händen der Indikar Individual Karosseriebau GmbH. „Wir bringen dabei neuartige Leichtbautechnologien in die Praxis ein“, sagt Konstrukteur Gunnar Schulz. Es werde nicht geschweißt, sondern alles mechanisch gefügt. Dies erfolge beispielsweise mit ineinander gesteckten Profilen, die nach der Verformung mit Pressluft fest verbunden sind. Durch das Wegfallen von Schweißverbindungen würden punktuelle Veränderungen der Materialeigenschaften durch Schweißhitze vermieden. Außerdem entfalle das Gewicht der Schweißnähte. Statt Stahl kämen bei der Rahmenkonstruktion zudem an vielen Stellen leichte und dennoch hochfeste Verbundwerkstoffe zum Einsatz.

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Mit dem Konzeptfahrzeug „Cäsar“ wird die Navigation der Feldschwarmmodule und die Umfelderkennung getestet.

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Im Energieverteiler der Feldschwarmeinheiten, der Schnittstelle zwischen Generator, Fahrantrieb und elektrischen Werkzeugen, erfolgt auch die Isolationsüberwachung des 600 V-Leistungsnetzes und die Entladesteuerung für einen sicheren Zustand im Fehlerfall.

Ihre Power erhalten die Feldschwarmeinheiten von der Energiezelle, die die Raussendorf Maschinen und Gerätebau GmbH entwickelt. „Die Zelle liefert nicht nur die elektrische Energie für die Antriebe und Werkzeuge, sondern stellt auch die hydraulische Kraft für Lenkung und Bremse sowie die Kühlung für die E-Motoren bereit“, sagt Geschäftsführer Hannes Stefan Hannenheim. Angetrieben werde der Generator im Prototyp von einem Dieselmotor. Dies soll später ein Aggregat übernehmen, das auch mit Rohbiogas betrieben werden kann.

Nach Ansicht von Prof. Herlitzius ist die Zeit für ein Aufbrechen der großen und bodenbelastenden Landmaschinen in Teilsegmente reif. Denn die Entwicklung autonomer Maschinenkonzepte benötige mehrere Jahre. Hier biete sich eine Chance, die Vorreiterrolle Deutschlands in der Landtechnik durch Innovationen in mittelständischen Unternehmen weiter zu stärken. „Die Menschen, die ein bisschen gesünder und nachhaltiger einkaufen wollen, ohne gleich das Doppelte bezahlen zu müssen, werden in ein paar Jahren Lebensmittel essen, die mit Feldschwarmsystemen produziert wurden“, ist der Landtechnikexperte überzeugt.


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