Bald Kerosin aus Abwasser und Gülle?

Das Berliner Unternehmen Graforce entwickelt ein Verfahren, bei dem aus hochbelastetem Abwasser plus Gülle oder Gärrückständen mittels gesteuerter Plasmaentladungen Wasserstoff sowie Ausgangsprodukte für weitere umweltfreundliche Kraftstoffe entstehen.

Forschung: Bald Kerosin aus Abwasser und Gülle?

Graforce-Geschäftsführer Dr. Jens Hanke am ersten Prototyp des Plasmalyzers zur Dissoziation von Abwasser und Gewinnung von Wasserstoff.

Forschung: Bald Kerosin aus Abwasser und Gülle?

Brüdenwasser, das bei der Trocknung von Klärschlamm anfällt, vor und nach der Plasmalyse.

Abwässer aus Siedlungen oder Industrieanlagen sind eine für die Gesellschaft teure Umweltlast. Und auch im Output von Biogasanlagen wird die Fracht aus Harnstoff, Aminosäuren, Nitraten und Ammonium zum Problem, wenn es nicht genügend Fläche gibt, um sie als Pflanzendünger zu nutzen. Für Dr. Jens Hanke können solcherart Flüssigkeiten als Input für die von ihm entwickelte Technologie gar nicht schmutzig genug sein. „Je mehr Ballast darin gelöst ist, desto breiter sind die Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Endprodukte“, sagt der Gründer und Geschäftsführer der Graforce GmbH.

Seine Unternehmensidee klingt ein wenig nach Zauberei. Denn das neuartige Verfahren der Plasmalyse soll es nicht nur ermöglichen, aus den problematischen Einsatzstoffen mit hoher Energieeffizienz Wasserstoff zu erzeugen und zusätzlich andere Gase, die sich für eine Weiterverarbeitung zu umweltfreundlichen Kraftstoffen eignen. Sondern am Ende des Prozesses verbleibt gereinigtes Wasser, das in den natürlichen Kreislauf zurück fließen kann. Mit Zauberei habe das aber nichts zu tun, versichert der studierte Mathematiker, Robotikexperte und Doktor im Bereich der theoretischen Medizin. Eher mit der Nutzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, namentlich über die Wirkmechanismen bei der Auflösung und Entstehung chemischer Verbindungen.

Wie es funktioniert, veranschaulicht Hanke im Entwicklungslabor der Firma im dritten Obergeschoss des Zentrums für Photovoltaik und Erneuerbare Energien Berlin-Adlershof. Hier arbeiten die Graforce-Mitarbeiter an der Modifizierung des Plasmalyse-Verfahrens für unterschiedliche Anwendungsfälle. In einem der Räume schaut Dr. Simon Schneider gerade durch das Sichtfenster einer kühlschrankgroßen Apparatur, dem sogenannten Plasmalyzer. Ein Glasgefäß darin ist knapp zur Hälfte mit Brüdenwasser befüllt, das bei der Trocknung von Klärschlamm anfällt. Wegen der darin konzentrierten Umweltgifte erfordert Brüdenwasser einen besonders hohen Reinigungsaufwand.

Gezähmtes Gewitter im Wasserglas

Hinter der Scheibe des Plasmalyzers herrschen Zustände, wie sie sich vermutlich vor Millionen Jahren auf dem Urmeer der Erde abgespielt haben. Über der Wasserfläche zucken Blitze in so hoher Zahl und Abfolge, dass sie das menschliche Auge als flackernde Plasmawolke über der brodelnden Flüssigkeit wahrnimmt. „Das sind Ladungsausgleiche wie beim Gewitter. Wir erzeugen die Blitze durch ein starkes elektrisches Feld von mehreren Tausend Kilovolt“, erläutert der 34-jährige. Die Entladungen setzen unter anderem Wasserstoff frei. Dieser kann über eine Membran aus dem Gasgemisch separiert und beispielsweise als grüner Kraftstoff für eine emissionsfreie Mobilität eingesetzt werden.

Wasserstoff aus der Schmutzfracht

Doch wozu dieser Aufwand? Schließlich lässt sich mit der herkömmlichen Elektrolyse ebenfalls Wasserstoff herstellen. Dabei werden bekanntlich Elektroden in klares Wasser getaucht und dessen Leitfähigkeit durch die Zugabe von Säuren oder Salzen verbessert. Damit sich aber an der Kathode Wasserstoff und an der Anode Sauerstoff bilden, muss die zugeführte Energiemenge in Form von Elektrizität höher sein als die Bindungskräfte zwischen den Wasserstoff- und Sauerstoffatomen. Diese liegt bei 486 Kilojoule (kJ) pro mol.

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Der im Plasmalyzer freigesetzte Wasserstoff wird in der Demonstrationsanlage mit Biomethan vermischt. Geplant ist auch ein Gemisch mit Rohbiogas.

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Herzstück der weitgehend automatisch arbeitenden Demonstrationsanlage von Graforce ist der Plasmalyzer, in dem der Wasserstoff freigesetzt wird.

Das gilt im Prinzip auch für die Blitze im Plasmalyzer. Doch hier kommen nun die als Elektrolyt eingesetzten Flüssigkeiten ins Spiel. Denn wozu reines Wasser mit hohem Energieaufwand in seine Bestandteile zerlegen, wenn die in Abwässern und Gülle enthaltenen Substanzen, etwa Ammonium (NH4), ebenfalls Wasserstoff enthalten. „Hilfreich ist dabei der Umstand, dass die Bindungskräfte in diesen chemischen Verbindungen schwächer sind als beim Wasser. Für die Aufspaltung von NH4 beispielsweise genügt eine Zersetzungsspannung von 90 kJ/mol, also weniger als ein Fünftel der Energie, die für den Aufbruch von H2O aufgewendet werden muss. Ähnlich verhält sich das bei der Dissoziation anderer Verbindungen mit einem oder mehreren H-Atomen. Das machen wir uns bei der Plasmalyse zu Nutze“, beschreibt Hanke den Ansatzpunkt der Innovation. Über die Stärke des elektrischen Feldes, das die Plasmaentladungen hervorruft, lasse sich die Energieeinbringung so dosieren, dass nur die chemischen Verbindungen ausgewählter Bestandteile im Elektrolyt aufbrechen, während die Wassermoleküle unangetastet bleiben. Die aus der Flüssigkeit heraustretenden Gase werden über spezielle Membranen sortiert und ausgefiltert. Stickstoff und Sauerstoff gelangen zurück in die Atmosphäre. Der Wasserstoff wird aufgefangen und steht für verschiedene Anwendungsbereiche beispielsweise als emissionsfreier Kraftstoff oder Energiespeicher zur Verfügung.

Die Herstellungskosten des Wasserstoffs im Plasmalyzer beziffert das Unternehmen mit etwa 3 Euro/kg (bei einem Strompreis von 8 ct/kWh). Dies sei deutlich günstiger als mittels Frischwasser-Elektrolyse. Hier lägen die Kosten gegenwärtig bei 6 bis 8 Euro/kg H. Kommt erneuerbarer Strom zum Einsatz, ist die Wasserstoffproduktion mittels Plasmalyse klimaneutral. Ansonsten verlasse den Prozess nur gereinigtes Wasser.

Biogas mit Wasserstoff aufwerten

Mit der Demonstrationsanlage, die im Oktober vergangenen Jahres am Firmensitz in Berlin-Adlershof den Betrieb aufnahm, will Graforce zeigen, dass die Plasmalyse-Technologie praxisreif ist. In dem weitgehend automatisch arbeitenden Komplex von der Größe eines Buswartehäuschens entsteht Wasserstoff durch die Dissoziation von Zentrat- und Brüdenwasser. Dies stellen die Berliner Wasserbetriebe, die als Projektpartner fungieren, zur Verfügung. Einen Teil des benötigten Stroms liefern die PV-Module am Gebäudekomplex des Zentrums für Photovoltaik und Erneuerbare Energien.

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An der Plasmalyse-Demonstrationsanlage von Graforce befindet sich eine Zapfstelle zum Betanken von Gasfahrzeugen mit einem Gemisch aus Biomethan und Wasserstoff.

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Mit dem gezähmten Blitzgewitter im Plasmalyzer lassen sich gezielt chemische Verbindungen in Abwässern aufspalten und Gase für grüne Kraftstoffe erzeugen.

Der gewonnene Wasserstoff wird direkt in der Demonstrationsanlage mit Biomethan vermischt. Das Gas enthält dann 30 Vol. % Wasserstoff und 70 Vol. % Biomethan. „Als Kraftstoff eingesetzt, erhöht sich dadurch der Brennwert. Die Effizienz von Gasmotoren verbessert sich um sechs Prozent und beim Verbrennungsprozess in den ohnehin emissionsarmen Aggregaten entstehen nochmal deutlich weniger Stickoxide, CO2 und Kohlenwasserstoffe“, benennt Hanke die Vorteile des Gasgemischs. Die Berliner Wasserbetriebe betanken damit künftig einige Nutzfahrzeuge aus ihrem Fuhrpark. In einem nächsten Schritt will Graforce ein Gasgemisch aus Wasserstoff und Rohbiogas testen.

Zur Vermeidung langer Transportwege wäre es nach Ansicht von Hanke denkbar, die kaskadenförmig erweiterbare Plasmalyse-Technologie auf dem Gelände von Klärwerken sowie in Regionen mit einer hohen Dichte von Biogasanlagen anzusiedeln. „Insbesondere wenn bei der Biogasproduktion stickstoffhaltige Substrate wie Hühnermist zum Einsatz kommen, ist der für die Wasserstofferzeugung förderliche Ammoniumgehalt im Gärrest mit 6 bis 7 kg pro Tonne deutlich höher als in der flüssigen Fraktion abgepresster Gärreste aus Faultürmen“, erläutert Hanke. Daher liege es nahe, den Ammoniumgehalt des Zentratwassers aus der Klärschlammvergärung vor der Aufbereitung mittels Plasmalyse durch die Zugabe von Gärresten oder Gülle zu erhöhen. Dies würde nicht nur die Ausbeute an Wasserstoff erhöhen, sondern gleichfalls der Nitratbelastung des Grundwassers durch Überdüngung von Agrarflächen entgegen wirken. Die Gefahr der Überdüngung bestehe vor allem in Gebieten mit hoher Viehdichte und vielen Biogasanlagen, wie dies zum Beispiel im Nordwesten Deutschlands der Fall ist. „Wir sind diesbezüglich unter anderem mit den Klärwerksbetreibern, Emschergenossenschaft und Lippeverband im Gespräch“, sagt Hanke. Allerdings bedürfe die Vermischung von Gärresten bzw. Gülle mit Zentratwasser aus Faultürmen noch einer abfallrechtlichen Regelung.

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Dr. Simon Schneider überwacht am Plasmalyzer im Entwicklungslabor von Graforce den Prozessablauf der Dissoziation von schadstoffbelastetem Brüdenwasser zur Gewinnung von Wasserstoff.

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Das in der Graforce-Demonstrationsanlage produzierte Gemisch aus Wasserstoff und Biomethan erhöht den Wirkungsgrad von gasbetriebenen Motoren und senkt die Emissionen deutlich.

Kombinierbar wäre das Verfahren zudem mit der Rückgewinnung des für die Düngung im Pflanzenbau so bedeutsamen Phosphors. Dieser ließe sich aus dem Stoffstrom entweder vor der Plasmalyse beispielsweise durch Luftstrippung oder vor der Einleitung mittels Filtertechnologien eliminieren.

Der aus dem mit Ammonium angereicherten Zentratwasser durch Plasmalyse gewonnene Wasserstoff wiederum könnte dem Rohbiogas direkt im Gasspeicher über dem Fermenter von Biogasanlagen beigemischt werden. Versuche zeigen, dass dies die Bildung von zusätzlichem Methan anregt. Der Brennwert des Biogases ließe sich dann gegebenenfalls durch nachfolgend weitere Zumischung von Wasserstoff soweit anheben, dass das Gasgemisch vor Ort als Kraftstoff in Fahrzeugen oder Landmaschinen einsetzbar ist.

Plasmalyse als Molekülbaukasten

Zunächst sind jedoch Pilotanlagen in den Berliner Klärwerken Waßmannsdorf und Schönerlinde geplant. Hier steht die Kopplung von Abwasserreinigung und Wasserstoffproduktion im Vordergrund. Diese Kombinationsmöglichkeit stößt nach Aussage von Hanke auch bei Kommunen auf Interesse, die durch ihr schnelles Wachstum zunehmend vor Entsorgungsproblemen stehen. Dies hätten Anfragen aus Neu Delhi und Peking gezeigt.

Bei Graforce ist man überzeugt, dass die Plasmalyse-Technologie darüber hinaus weitere Perspektiven für eine klimafreundliche Energiebereitstellung und Mobilität eröffnet. Denn im 400 bis 600 Grad heißen Blitzgewitter des Plasmalyzers brechen auch Kohlenstoffketten auf und es entstehen unter Hinzuziehung von Elektronen aus anderen Molekülcrashs neue Bindungen. „Gegenwärtig arbeiten wir in Kooperation mit dem e-gas-Projekt von Audi daran, durch eine entsprechende Steuerung der Dissoziation von Abwässern im Plasmalyzer gezielt auch Kohlendi- bzw. -monoxid zu erzeugen, das in einem nachfolgenden Prozessschritt mit Wasserstoff zu Methan (CH4) oder synthetischen Kraftstoffen, beispielsweise grünem Kerosin, reagiert“, gibt der Graforce-Geschäftsführer einen Einblick in die aktuelle Entwicklungsarbeit.


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