App setzt neuen Standard für die Gebrauchtmaschinenerfassung

Der ,Inspektion Master‘ leitet den Außendienstmitarbeiter durch die Maschinenbewertung, vereinfacht die Dateneingabe und soll zu besseren Ergebnissen im Verkauf führen. Wir lassen uns die neue App, die für mehr Einheitlichkeit im Gebrauchtmaschinenhandel sorgen soll, durch die Tiemann Landtechnik Geschäftsführer Caspar Plump und Thomas Mauer sowie Sergii Aksonov, Gebrauchtmaschinenverkäufer bei A1-Traktor und verantwortlich für die Prozessoptimierung bei Tiemann Landtechnik, erklären.

Fokus Gebrauchte - Digitalisierung: App setzt neuen Standard für die Gebrauchtmaschinenerfassung

Der ‚Inspektion Master‘ gibt bis zu 30 definierte Fotoeinstellungen vor.

Wir treffen Sergii Aksonov, spezialisiert auf die Bewertung von Gebrauchtmaschinen bei der Tiemann Landtechnik. Er will uns die von ihm entwickelte App ,Inspektion Master‘ vorstellen. Im Büro am Firmensitz bei Sittensen entdeckt der aufmerksame Besucher Hinweise auf Aksonov´s Herkunft: Neben dem ukrainischen Kleingeld auf dem Schreibtisch und den kyrillischen Schriftzeichen am Whiteboard, versteckt sich ein kleiner Modellpanzer mit entsprechender Beflaggung. Später mehr zu diesem Fahrzeug.

„Im Jahr 2015 war Sergii Aksonov der erste Mitarbeiter der Tiemann Gruppe, der aufgrund der räumlichen Distanz nur auf Basis eines Videointerviews eingestellt wurde. Bereits hier zeichnete sich ab, dass wir mit Herrn Aksonov neue Wege gehen wollen“, so Caspar Plump, kaufmännischer Geschäftsführer der Tiemann Landtechnik. Dass der John Deere Partner aus dem Elbe-Weser-Dreieck bereits frühzeitig auf digitale Dienstleistungsangebote setzen würde, zeigt sich in der ersten Online-Vermietplattform www.tractor-rent.eu, über die wir in der eilbote-Ausgabe 9/2015 berichteten.

Die ersten eineinhalb Jahre war Aksonov mit 80 Prozent seiner Zeit für die Prozessoptimierung des Gebrauchtmaschinenhandels im Unternehmen verantwortlich. Seine Aufgabe: Den Vorgang der Datenerfassung vereinfachen und verbessern. „Unser ganzes Leben ist bereits digitalisiert, sei es durch app-gesteuerte Zahnbürsten oder Uhren – die neue Technik hat in der Welt der Gebrauchtmaschinen aber nur in Teilbereichen Einzug gehalten“, so der Gebrauchtmaschinenverkäufer und App-Entwickler.

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Sergii Aksonov zeigt uns am Beispiel eines Schleppers die Funktionsweise der App.

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Der Erfasser kann Auffälligkeiten oder Schäden direkt im Bild markieren.

Die Dateneingabe findet meistens noch per Hand und auf einem Arbeitszettel mit wenigen Vorgaben statt, lässt aber oft viel Raum für Interpretationen. Die Wege, auf denen die Informationen den Händler dann erreichen, seien dabei ebenfalls sehr unterschiedlich – per Fax, E-Mail, Hauspost, etc. Ein weiteres Problem sieht Aksonov in der systematischen Ablage der dazugehörigen Maschinenfotos. „Diese befinden sich meistens nicht am selben Speicherplatz wie die entsprechenden Kennzahlen. Alle Fakten nach mehreren Wochen wiederzufinden und mit den Bildern zusammenzuführen, kostet viel Zeit, die sich einsparen lässt.“

‚Inspektion Master‘ schafft Ordnung im Datendschungel

Einheitlich und schnell: Die App vereinheitlicht das Erfassen der Maschinen durch ein fest vorgegebenes Protokoll ohne Interpretationsspielraum – im Gegensatz zur bisherigen Arbeitsweise. Weiterhin sind die aufzunehmenden Bilder der Maschinendetails bereits klar vordefiniert. Der Außendienst arbeitet das Menü in der App schrittweise ab. So wird vermieden, dass zur Bewertung wichtige Ausstattungsmerkmale weggelassen werden oder Detailfotos fehlen. „Für die Wertigkeit von Maschinen sind Details, wie Klimaanlagen etc. entscheidend, so kommt es zu Differenzen in den Bewertungen, die schnell einige tausend Euro betragen können“, sagt Thomas Mauer, vertriebsseitiger Geschäftsführer der Tiemann Landtechnik.

Außerdem kann der Außendienstmitarbeiter das Protokoll schnell und einfach direkt per App dem Bewerter übermitteln. Aufgrund der zeitsparenden Aufnahme durch den Verkäufer sowie die erleichterte Beurteilungsmöglichkeit durch den Bewerter, der aufgrund des standardisierten Protokolls einen passenden Eindruck der Maschine erhält, wird der Prozess verschlankt. Weiterhin hilft der Versand per E-Mail dabei, dass der Verkäufer zum Teil sogar noch bei dem Kunden vor Ort eine erste Preiseinschätzung abgeben kann – ebenfalls ein Mehrwert für den Kunden.

Zentraler Speicherort: Die Softwareanwendung bietet für alle aufgenommenen Fahrzeuge einen zentralen Speicherort der relevanten Informationen und Fotos in nur einer Datei. An zwei Testgruppen – eine mit und eine ohne digitale Erfassung – zeigte sich eine Zeitersparnis von durchschnittlich zweieinhalb Stunden pro Maschine, die sonst anfallen, um offene Punkte zu klären, beziehungsweise die handschriftlichen Protokolle mit den Bildern zusammenzuführen. Dadurch, dass die Maschinen komplett erfasst sind und der Klärungsbedarf minimiert ist, können die Fahrzeuge auch schneller wieder verkauft werden, was zu einer nachweislich höheren Effizienz und kürzeren Standzeiten führt, so Thomas Mauer. Die durch den schnelleren Prozess gewonnene Zeit lasse sich dann sinnvoll nutzen: Zum Beispiel für die Kundenpflege oder eine höhere Anzahl an Maschinenbewertungen.

Abteilungsübergreifend: Einen weiteren Vorteil des ,Inspektion Master‘ sieht Caspar Plump darin, dass die App alle Kennzahlen in den Datenpool der Firma einspeist und so abteilungsübergreifend nutzbar macht. Bei der bisherigen Methode mit den per Hand ausgefüllten Arbeitsblättern hatte häufig nur der jeweilige Bewerter darauf Zugriff. Auf die Frage, wer im Unternehmen mit dem Output der App arbeitet, muss Aksonov schmunzeln. Die Frage, wer nicht damit arbeitet sei einfacher zu beantworten: die Buchhaltung.

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Sergii Aksonov, Bewerter von Gebrauchtmaschinen bei der Firma Tiemann, entwickelte im Rahmen seiner Tätigkeit als Prozessoptimierer die App ‚Inspektion Master‘.

Funktionsweise der App

Die Eingabemaske der App ist einheitlich gestaltet und führt den Anwender schrittweise durch die verschiedenen Bewertungskriterien. Pro Fahrzeugkategorie gibt es ein eigenes Formular, welches herstellerunabhängig ist. Die Reihenfolge der Fragen ist so aufgebaut, dass der Mitarbeiter dreimal um die Maschine herumgehen muss, um alles zu beantworten. Dies stellt laut Aksonov sicher, dass das Objekt einer genauen Betrachtung unterzogen wird.

Dabei bietet das System je nach Fragestellung einen Mix aus offenen Eingabefeldern aber auch Antwortmöglichkeiten als Drop-Down-Menü. Beispielsweise sind Fabrikate vordefiniert; die Reifengröße trägt der Mitarbeiter als Freitext ein. Ein neues Kriterium ist die Schätzung der noch ausstehenden Betriebsstunden bis zum Verkauf, was zu einer noch genaueren Bewertung der Maschine führen soll. Neben den Kennzahlen gibt es eine feste Reihenfolge von rund 30 vordefinierten Fotos. Die kann der Erfasser an entsprechender Stelle im Protokoll direkt mit der Handy- oder Tabletkamera aufnehmen. Eine interessante Zusatzoption ist hierbei, dass der Mitarbeiter Auffälligkeiten direkt im Foto kennzeichnen oder beschreiben kann. Hier zeigt uns Sergii Aksonov sein Lieblingsmotiv bei der Entwicklung der App: Sein Modellpanzer, aus unterschiedlichen Winkeln aufgenommen, fungiert als Testobjekt.

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Zwischen beiden Welten: Die Erfassung auf einem Protokoll per Hand wird von der App ‚Inspektion Master‘ abgelöst.

Der ‚Inspektion Master‘ führt die aufgenommen Daten mit den Bildern in einer Datei zusammen. Der Kunde unterschreibt die Richtigkeit am Ende der Erfassung direkt auf dem Tablet. Die App funktioniert dabei auch im Offlinemodus. Das System generiert bei Internetzugang automatisch einen Bericht inklusive aller Informationen mit Bildern und stellt diesen dem Händler, wenn gewünscht auch dem Kunden, als E-Mail zur Verfügung. Die Datenbank komprimiert die Fotos automatisch, der Bewerter kann sie aber durch Anklicken vergrößern oder auch als PDF-Datei abspeichern. Eine Schnittstelle, die es ermöglicht, die Kennzahlen direkt in die firmen- eigene Onlinebörse einzuspeisen, ist derzeit noch nicht vorhanden.

Implementierung beim Kunden

Auf die Frage, warum sich bisher niemand um eine Alternative zur manuellen Datenerfassung gekümmert habe, sagt Aksonov, dass vielen Gebrauchtmaschinenhändlern die Zeit fehle – insbesondere dafür, den ganzen Prozess hinter der digitalen Erfassung zu verstehen. Die Entwicklung hat sechs Monate in Anspruch genommen. Von der ersten Idee, eine eigene App zu programmieren, hat Tiemann schnell Abstand genommen, da dies das Budget überfordert hätte. So wich man auf angebotene Baukastensysteme für Apps aus und gestaltete damit den ,Inspektion Master‘ nach eigenen Vorstellungen. Diesen optimiert Aksonov regelmäßig, inzwischen kann bereits das vierte Update heruntergeladen werden.

Da der bisherige Einsatz der App erfolgreich ist, möchte Tiemann die Integration auch für andere Händler ermöglichen und bietet dies als Dienstleistung an. Bei interessierten Unternehmen führt Sergii Aksonov als erstes eine Bestandsaufnahme durch. Hierbei prüft er, ob die App die gewünschten Anforderungen des Händlers abdecken kann. Im zweiten Schritt wird der ,Inspektion Master‘ auf die jeweiligen Bedürfnisse angepasst und es startet ein Pilotprojekt. Nach erfolgreichem Abschluss der ersten beiden Phasen wird das komplette System im Unternehmen eingeführt. Hierfür finden dann ca. 45 bis 60 minütige Einzeltrainings statt. Aksonov betont, dass sich die Fokussierung auf einzelne Außendienstmitarbeiter bewährt hat, um alle Einwände zu klären und die notwendige Akzeptanz für die App zu schaffen.

Die Informationen der Erfassung liegen auf Servern in Europa, die den aktuellen Datenschutzgrundlinien entsprechen – somit hat auch die Firma Tiemann ohne Einwilligung des Kunden keinen Zugriff auf die Daten. Das Layout ist anpassbar und unterschiedliche Spracheinstellungen sind vorhanden. Weiterhin ist die App kompatibel mit iOS und Android-Endgeräten. Unsere Frage, ob bereits künstliche Intelligenz bei der Bewertung eingesetzt wird, verneint Sergii Aksonov: „Bisher nicht, aber wir könnten uns eine weitere Automatisierung in Zukunft vorstellen.“

Tiemann Landtechnik

Tiemann Landtechnik beschäftigt an fünf Niederlassungen 135 Mitarbeiter und handelt mit einem geschätzten Marktanteil von 26 Prozent rund 1.700 Maschinen pro Jahr. Das Unternehmen wird vom kaufmännischen Geschäftsführer Caspar Plump und dem vertriebsseitigen Geschäftsführer Thomas Mauer geführt.

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Thomas Mauer (li.) und Caspar Plump.

Die Tiemann Landtechnik GmbH & Co KG ist ein Unternehmen der Tiemann Gruppe. Diese wurde 1905 gegründet und hat sich mit mehr als 500 Mitarbeitern im Elbe-Weser-Dreieck und Sachsen-Anhalt an 15 Standorten auf die Bereiche Nutzfahrzeuge und Landtechnik spezialisiert.

Der Gebrauchtmaschinenexperte

Sergii Aksonov kommt aus der Zentralukraine und ist rund 400 Kilometer von Kiew entfernt aufgewachsen. In seinem Heimatland machte er einen Abschluss als Agraringenieur. In Deutschland ist der 31-Jährige seit 2009 und studierte an der Universität in Triesdorf Agrarmanagment. Bereits in seiner Masterarbeit bei dem Landmaschinenhersteller Amazone beschäftigte ihn das Thema Prozessoptimierung, so dass er in diesem Rahmen ein komplettes Digitalisierungskonzept erstellte. Mittlerweile ist er seit fünf Jahren bei Tiemann Landtechnik, Sittensen, in der Gebrauchtmaschinenabteilung tätig und entwickelte dort die App ,Inspektion Master’.


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