Die digitale Reise des Landwirts Mustermann

Bereits seit einigen Jahren zieht die Digitalisierung mit zunehmendem Tempo auch in die Landwirtschaft ein. Zum Beginn noch vorsichtig, nimmt die moderne Technik immer mehr Raum im Betrieb ein, fordert den Betriebsleiter – bevor sie ihn entlasten kann – und verändert die praktischen Arbeitsabläufe spürbar. Der Wandel zieht auch die vor- und nachgelagerten Bereiche mit – so auch den Landmaschinenhandel. Für ihn ist möglicherweise nicht immer sofort nachvollziehbar, warum der landwirtschaftliche Betrieb die eine oder andere Lösung nachfragt. Trotzdem wird eine kompetente Beratung erwartet. Und sobald es Probleme im Einsatz gibt, dann muss die Werkstatt ohnehin helfen. Also sollte sich der Handel auskennen, damit er von Anfang an kritisch vergleichen und den Landwirt vor der Entscheidung beraten kann. Wie behält man bei der rasanten Entwicklung aber den Überblick? In einer mehrteiligen Serie erläutern wir die Zusammenhänge an dem Beispielbetrieb von Landwirt Mustermann.

Digitaler Wandel – TEIL 1: Einstieg in das Precision Farming: Die digitale Reise des Landwirts Mustermann

Der digitale Wandel – Technischer Fortschritt erleichtert die Arbeit auf dem Acker.

Digitaler Wandel – TEIL 1: Einstieg in das Precision Farming: Die digitale Reise des Landwirts Mustermann

Die Digitalisierung ist letztlich nur ein weiterer Abschnitt des stetig laufenden technischen Fortschritts, der über viele Jahrzehnte die Landwirtschaft veränderte, die Arbeit leichter und den Betrieb auch mit wenig Arbeitskräften schlagkräftig machte. Nachdem sowohl die „Mechanisierung“ und damit verbunden auch die zunehmende „Automatisierung“ vom Landmaschinenhandel eng begleitet wurde, ist es doch nur konsequent, wenn er sich jetzt auch mit den digitalen Konzepten auseinandersetzt.

Am Ende dieses Prozesses stehen dann demnächst die autonomen Lösungen, die die Arbeit auf dem Feld ohne Fahrer erledigen können. Insgesamt geht es ohnehin wieder um die gleichen Werkzeuge und die gleichen Prozesse bei Bestellung, Pflege und Ernte. Nur die Verknüpfung und Überwachung wird anspruchsvoller. So weit sind wir jetzt noch nicht, aber die Forschung arbeitet schon intensiv daran!

Um auch weiterhin ein verlässlicher Ansprech- und Diskussionspartner für die Landwirte zu bleiben, muss man sich also über das komplexe Thema einen Überblick verschaffen, die Zusammenhänge einordnen und die aktuellen Trends im Blick behalten. Diese Themenreihe im eilboten soll über die nächsten Wochen verteilt dazu beitragen, die dazugehörigen Einzelthemen und Begriffe verständlich darzustellen.

Dazu wählen wir uns einen Beispielsbetrieb mittlerer Größe und werden in den kommenden Ausgaben die für ihn relevanten Aspekte und deren Bedeutung für die Praxis aufbereiten und mit einer betrieblichen Entwicklung darstellen. Damit sich auch etwas ändert und häufiger Bedarf für neue Investitionen entsteht, läuft das Ganze im Zeitraffer: der Betrieb wächst durch Zupacht und muss ständig weiter investieren. Damit sollen die Zusammenhänge und der Bedarf für die tägliche Arbeit klarer und die Bedeutung des Themas für den Landwirt greifbar werden.

Machen wir es also konkret: Wir stellen uns einen Ackerbaubetrieb mit einer zu bewirtschaftenden Fläche von aktuell rund 150 ha vor. Diese Flächengröße kann bei einigen technischen Lösungen schon für eine vernünftige Auslastung sorgen. Andere Lösungen sind teurer und brauchen daher auch mehr Flächenausstattung, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Daher wächst unser Betrieb ja auch während der kommenden Wochen in der Größe. Der Musterbetrieb baut aktuell neben Getreide und Raps auch Kartoffeln und Gemüse an. Vieh hält er nicht. Was plant „Mustermann“ aktuell?

Digitaler Wandel – TEIL 1: Einstieg in das Precision Farming: Die digitale Reise des Landwirts Mustermann

Einstieg in Teilflächenspezifische Bewirtschaftung

Nachdem der Betriebsleiter einige überzeugende Gespräche mit Berufskollegen und Vertretern der Beratung geführt hat, soll der Einstieg in die Teilflächentechnik erfolgen. Das bedeutet, dass künftig nicht mehr der gesamte Schlag einheitlich behandelt wird, sondern, in Abhängigkeit der Bodenunterschiede und der Bodengüten, Teilbereiche (z.B. 50x50 m) festgelegt werden, die je nach Leistungsvermögen des Bodens (Wasserhaltevermögen, Nährstoffgehalt) unterschiedlich zu behandeln sind. Dazu ist zunächst die Fläche zu kartieren und die Bodenqualität zu prüfen. Das übernehmen meist Dienstleister, die mit entsprechender technischer Ausstattung auf die Betriebe kommen, mit Messtechnik die Flächen abfahren, die Heterogenität prüfen und gezielt Punkte festlegen, an denen später Bodenproben gezogen und zur Auswertung ins Labor geschickt werden. Als Resultat des Prozesses entsteht am Ende eine Ertragspotential- und daraus eine Applikationskarte, die der Landwirt gleichermaßen für Aussaat, Düngung und Pflanzenschutz nutzt. Künftig werden so alle Ausbringmengen teilflächenspezifisch, d.h. über die Gesamtfläche variabel, nämlich dem Leistungsvermögen der jeweiligen Teilfläche entsprechend, dosiert. Frühere Über- oder Unterdosierungen kann Mustermann damit vermeiden. Je nach Verteilung und Größe der guten und der schlechten Teilstücke im Schlag und der früheren Einstellung bei der Ausbringung, kann der Landwirt künftig mehr ernten oder bei gegebenem Ertragsniveau Produktionsmittel sparen. Unterm Strich sollte dann der jährliche zusätzliche „Ertrag“ die Investition zurückzahlen. Die gezielte Zuteilung wechselnder Mengen macht also den Unterschied. Je heterogener die Bodenarten über die Fläche verteilt sind, desto größer ist der Effekt. Mustermann ist überzeugt. Er will mit der Düngung starten, weil sie wertmäßig einen erheblichen Anteil an den Produktionskosten insgesamt hat und will dafür diese Daten nutzen. Welche Technik braucht er jetzt?

Digitaler Wandel – TEIL 1: Einstieg in das Precision Farming: Die digitale Reise des Landwirts Mustermann

Datenfluss und Verbindungsmöglichkeiten auf dem ISOBUS – Im Mittelpunkt steht das Universalterminal.

ISOBUS als Industriestandard

Zunächst muss der Betriebsleiter sicherstellen, dass alle künftigen Investitionen in Technik auch dem ISOBUS als technischen Standard entsprechen. Warum? Der ISOBUS ist ein Industriestandard, der ständig geprüft wird (Kompatibilitätsprüfung) und sicherstellt, dass Datenaustausch und Kommunikation zwischen Schlepper, Anbaugerät und folgenden Schnittstellen (sprechen wir später noch drüber!) auch funktioniert. Alle Hersteller, die diesen Standard liefern wollen, müssen sich diesem Zertifizierungsverfahren und einem dazu passenden Normungsprozess unterwerfen. Sonst gibt es kein ISOBUS Zertifikat! Hinter dem Logo zur Zertifizierung steht die AEF als Zusammenschluss nahezu aller namhaften Hersteller von Landtechnik, aber auch von Software und Komponenten. Wird der geprüfte Standard so dokumentiert, gibt es auf jeden Fall Sicherheit für die Funktion und den Austausch mit anderen Geräten. Landwirt Mustermann sucht sich also ein passendes Fabrikat in der gewünschten Spezifikation. Der Streuer soll eine Wiegetechnik bieten, er soll die gestreuten Mengen dokumentieren und die jeweilige Ausbringmenge in der vorgegebenen Teilfläche den Applikationskarten entsprechend anpassen. Da der neuere Schlepper im Betrieb bereits den ISOBUS Standard erfüllt, muss Mustermann nur noch prüfen, ob die Funktionalitäten, die das Terminal des Schleppers unterstützt, auch den gewünschten Funktionen des Streuers entsprechen. Was genau mit wem zusammenpasst, kann Mustermann schon vorher in der ISOBUS Datenbank im Netz prüfen. Dort sind die meisten der bekannten Hersteller mit den zertifizierten Geräten und Funktionalitäten gelistet. Es gilt: Der kleinste gemeinsame Nenner funktioniert. Das bedeutet, Funktionalitäten, die das Terminal des Schleppers noch nicht „kann“, funktionieren dann auch nicht! Da nützt der beste Streuer nichts, wenn nicht beide Teilnehmer das Gleiche beherrschen. Alternativ könnte der Landwirt ein modernes Terminal zum Streuer kaufen, auf dem Schlepper montieren und später auch für weitere Geräte nutzen. Das ist eine Frage des Kostenvergleichs. Der ISOBUS macht‘s möglich! Was braucht man noch?

Positionserkennung mit Satellitentechnik

Digitaler Wandel – TEIL 1: Einstieg in das Precision Farming: Die digitale Reise des Landwirts Mustermann

Das Galileo-Netz besteht aus 30 Satelliten. Davon sind 24 im aktiven Einsatz.

Ganz wesentlich für die teilflächenspezifische Arbeit ist natürlich eine Positionserkennung. Denn wenn der Düngerstreuer samt Schlepper an einer konkreten Position eine festgelegte Düngemenge streuen soll, dann muss das Gespann natürlich eine Information haben, wo es sich gerade befindet. Dabei hilft die Satellitenortung. Heute sind im Orbit vier verschiedene Systeme aktiv: Das amerikanische GPS, ein russisches System namens Glonass, ein europäisches System, das noch im Aufbau ist (Galileo) und ein chinesisches mit Namen Beidou. Jedes dieser Systeme arbeitet mit je rund zwei Dutzend Satelliten, die in festgelegten Formationen um den Globus kreisen und damit eine weltweite Signalabdeckung gewährleisten. Je mehr einzelne Satelliten unser Schlepper während der Arbeit mit seiner Signalantenne erreichen kann (mindestens drei Satelliten zur gleichen Zeit, besser vier) desto genauer ist die Erkennung der eigenen Position am Boden. Waldränder, Baumgruppen, Kuppen oder Senken können die Erreichbarkeit einschränken (Abschattung!). Also fährt man sicherer, wenn das Ortungssystem an Bord mehr als ein Satellitensystem erkennen kann. Dann ist die Auswahl der erreichbaren Sender im Orbit einfach größer und man erhält eine höhere Signalsicherheit. Die Hersteller der Empfänger unterscheiden sich hierbei in der Verfügbarkeit und dem Zugriff auf ein oder mehrere Systeme. Dazu gehören auch die Schlepperhersteller, die natürlich ab Werk diese Lösungen anbieten. Es ist also ratsam vorher abzuklären, was das System kann. Denn wenn während der Arbeit kein Signal erreichbar ist, kann die Teilflächentechnik nicht wirken. Das Gleiche gilt für die Parallelfahrsysteme. Die werden in einer der nächsten Ausgaben behandelt.

Wie geht es weiter?

In der nächsten Folge geht es um erste Erfahrungen des Landwirts mit den neuen Konzepten beim Düngerstreuen. Darüber hinaus will der Betrieb dann auch im Pflanzenschutz investieren: Eine neue Spritze soll angeschafft werden. Auch sie soll natürlich mit den Lösungen zur Teilflächentechnik ausgestattet sein (Precision Farming). Wie mögliche Konzepte arbeiten und welche wirtschaftlichen Aspekte damit verbunden sein können, das soll dort behandelt werden. Oft steht auch der Komfortanspruch im Vordergrund, wenn die ökonomischen Aspekte schwer zu finden sind – aber dazu mehr im nächsten Beitrag!

Der Autor

Digitaler Wandel – TEIL 1: Einstieg in das Precision Farming: Die digitale Reise des Landwirts Mustermann

Prof. Dr. Wolfgang Kath-Petersen lehrt seit 2011 an der Technischen Hochschule Köln im Studiengang Landmaschinentechnik. Zu den Themen gehören Ackerbautechnik und Anbauverfahren, Precision Farming und Marketing. Vorher arbeitete er 16 Jahre in der Landmaschinenindustrie. Das Studium der Agrarwissenschaften und die Promotion in der Landwirtschaftlichen Verfahrenstechnik absolvierte er an der Universität Kiel.

Kontakt:
wolfgang.kath-petersen @ th-koeln.de

 


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